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Der Einfluss des Mikrobioms auf das Entstehen von Autoimmunerkrankungen

Der menschliche Darm reguliert eine Vielzahl immunologischer und metabolischer Prozesse und beherbergt insgesamt zwei Kilogramm Bakterien. Können diese lebenden Bakterien durch einen „leaky gut“ in die lymphatische Bahn gelangen und dadurch die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen fördern?

Physiologisch können bestimmte Bakterien durch Eindringen in die einschichtige Epithelzellschicht des Duodenums oder über M-Zellen Immunglobuline in das Darmlumen sezernieren und dadurch systemische Immunantworten modulieren. Die Permeabilität der dichten Darmbarriere kann durch eine gestörte Dysbiose des Mikrobioms sowie durch zahlreiche andere Faktoren erhöht werden.

Translozierender Pathobiont fördert die Entwicklung eines SLE

Univ.-Prof. Dr. Martin Kriegel, Leiter der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, und Adjunct Associate Professor, Yale School of Medicine, erforscht, ob translozierende Bakterien aus dem Darm mit der Entwicklung eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) assoziiert sind. Nicht nur genetische Faktoren, sondern auch viele unbekannte Trigger beeinflussen die Schubentwicklung. „Gibt es neben Infektionserkrankungen auch Kommensale, die in uns leben und einen dieser Trigger darstellen können, vielleicht dadurch, dass sie durch die Darmbarriere brechen?“, fragt Kriegel. Im Tiermodell konnte diese Hypothese bestätigt werden.1 Im Gegensatz zu einer gesunden Maus hat eine Lupus-prädisponierte Maus einen durchlässigen Darm, der die Migration bestimmter Bakterien, wie Enterococcus gallinarum, in den Körper ermöglicht, und so die Produktion von Autoantigenen und Autoantikörpern induziert.2 Diese formen Immunkomplexe, die durch Ablagerung in den Zielorganen die bekannten Organmanifestationen hervorrufen. Bei der Untersuchung des Stuhls von SLE-Patienten finden sich ebenfalls Anzeichen für eine gestörte Darmbarriere, gezeigt durch erhöhte Albumin- und Lipocalin-2-Werte.1 Das orale Antibiotikum Vancomycin supprimiert durch seine Wirkung auf grampositive Bakterien wie E. gallinarum die Bildung von Autoantikörpern und reduziert dadurch sowohl die Sterblichkeit als auch die Nierenentzündung.1

<< Kurzkettige Fettsäuren sind antiinflammatorisch und wirken direkt auf den Knochen.>>
M. Zaiss, Erlangen

Im Tiermodell konnte bei Lupus-prädisponierten Mäusen die Translokation von E. gallinarum in die Leber, die mesenterialen Lymphknoten und später die Milz nachgewiesen und der direkte Zusammenhang dieser Translokation mit der Entwicklung des SLE und der Nierenschädigung bestätigt werden.1,3 Auch im Leberbiopsat von Patienten mit SLE oder Autoimmunhepatitis zeigt sich ein positives DNA-Signal für E. gallinarum.1

Aufbauend auf der Hypothese, dass durch spezifische Entfernung dieses Bakteriums die Entstehung von SLE verhindert werden kann, wurde ein intramuskuläres, prophylaktisches Impfkonzept entwickelt.1 Im Mausmodell kann der Ausbruch durch Impfung gegen E. gallinarum – aber nicht durch Impfung gegen den verwandten Bakterienstamm E. faecalis – erfolgreich verhindert werden, wie Kriegel berichtet.

Ballaststoffreiche Ernährung verschließt den „leaky gut“

Ein „leaky gut“ kann also bei genetischer Prädisposition die Entwicklung eines SLE steuern, sodass Ernährungsinterventionen als Präventions- und Therapiemaßnahme infrage kommen. Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an resistenter Stärke, wie grüne Bananen oder rohe Kartoffeln, entfalten ihre Wirkung über Veränderung des Mikrobioms. Resistente Stärke wird im Gegensatz zur normalen Stärke nicht im Dünndarm gespalten, sondern im Dickdarm von Bakterien, wie Clostridiales, fermentiert. Dabei werden kurzkettige Fettsäuren (SCFA) produziert, die die Darmbarriere abdichten.

Im TLR7-überexprimierenden Mausmodell konnte allein durch diese Ernährungsintervention die Mortalität signifikant reduziert werden, erörtert Kriegel. Die Stuhlsequenzierung der Lupus-Mäuse demonstriert eine Dominanz von Lactobacillus reuteri.4 Auch bei der Untersuchung von SLE-Patienten zeigt sich im Subset jener Patienten mit L.-reuteri-Auswuchs eine Dysbiose mit gleichzeitigem Verlust von Clostridiales. Diese Dysbiose konnte im Mausmodell durch kontinuierliche Ernährung mit resistenter Stärke korrigiert werden, indem die Darmbarriere durch die produzierten SCFA wieder verschlossen und die Translokation der Laktobazillen direkt gehemmt wurde.4

Kurzkettige Fettsäuren als Prävention und Therapie von RA

Prof. Dr. Mario Zaiss, Leiter der Arbeitsgruppe Ernährungsimmunologie vom Universitätsklinikum Erlangen, präsentierte ähnliche Ergebnisse aus experimentellen Vorarbeiten mit einer Helminthe.5 Im Maus- und Schweinemodell sowie einer kleinen Zöliakiepatientengruppe führte die Helmintheninfektion zu einer signifikanten Erhöhung der SCFA Acetat, Proprionat und Butyrat. In verschiedenen, präklinischen Modellen der rheumatoiden Arthritis (RA) verhindert genau diese Helminthe das Auftreten der RA oder verbessert den klinischen Verlauf.6

Die Effekte der aktiven Metaboliten der Helmintheninfektion können durch Ernährungsintervention auf drei Ebenen imitiert werden: präbiotisch durch erhöhte Ballaststoffaufnahme mit der Nahrung, probiotisch durch Verzehr lebender Mikroorganismen, die Ballaststoffe fermentieren können, und postbiotisch durch Zufuhr der Metaboliten Proprionat, Acetat und Butyrat selbst.

Eine Vielzahl von RA-Symptomen konnte im Mausmodell durch Trinkwasserbeimengung von SCFA beeinflusst werden: Verbesserung der Griffstärke, Wiederherstellung der systemischen Knochendichte, Reduktion der Osteoklasten in der Tibia und Erniedrigung von CTX-I als indirekter Nachweis für die Knochenresorption.7 Auch die Fütterung einer ballaststoffreichen Diät reduziert den Total Arthritis Score signifikant und verhindert den Knochenabbau, so Zaiss weiter.

Die Darm-Gelenk-Achse spielt in der Pathogenese der RA eine entscheidende Rolle.8 Die Dysbiose verursacht einen „leaky gut“, der bereits vor Krankheitsbeginn zur Migration geprimter T-Zellen aus dem Darm in die Gelenke führt, erläutert Zaiss. Mitverantwortlich ist zusätzlich das Peptid Zonulin, das von Epithelzellen sowohl bei RA- als auch bei Prä-RA-Patienten vermehrt sezerniert wird. Zonulin ist auch in der Pathogenese der Zöliakie involviert und die Förderung der Sekretion wird durch Gluten stimuliert. Die Entwicklung der RA korreliert mit der Höhe der Zonulinwerte.9 Aus der Gruppe der Prä-RA-Patienten entwickeln jene mit den höchsten Zonulin-Spiegeln eine RA.

<< Kann mit einer Impfung gegen translozierende Darmbakterien Lupus verhindert werden?>>
M. Kriegel, Münster/Yale

Durch Entfernung von Zonulin aus dem System kann der klinische Krankheitsbeginn im Mausmodell erfolgreich verhindert werden. SCFA haben sowohl präventiv als auch therapeutisch einen positiven Effekt, fasst Zaiss zusammen.

Basierend auf diesen vielversprechenden Ergebnissen wurde eine erste klinische Machbarkeitsstudie mit RA-Patienten unter stabiler DMARD-Therapie durchgeführt. Die einzige Intervention bestand in der Gabe eines ballaststoffreichen Riegels einmal täglich für insgesamt 28 Tage. Zusätzlich zur subjektiv verbesserten Lebensqualität zeigten sich eine Erhöhung von antientzündlichen regulatorischen T-Zellen, eine verbesserte Th1/Th17-Ratio bei unveränderter CD4+- und CD8+-Konzentration, eine verminderte Knochendestruktion, eine Erhöhung der SCFA-Spiegel sowie eine Reduktion der RA-assoziierten Antikörper.10

Virtuelles Rheuminar „Die Rolle des Mikrobioms bei Autoimmunerkrankungen“ am 22. Juli 2021

1 Vieira SM et al.: Translocation of a gut pathobiont drives autoimmunity in mice and humans. Science 2018; 359(6389): 1156-61 2 Guerrini M et al.: A hen in the wolf den: a pathobiont tale. Immunity 2018; 48(4): 628-31 3 Macpherson A, Smith K: Mesenteric lymph nodes at the center of immune anatomy. J Exp Med 2006; 203(3): 497-500 4 Zegarra-Ruiz DF et al.: A diet-sensitive commensal lactobacillus strain mediates TLR7-dependent systemic autoimmunity. Cell Host Microbe 2019; 25(1): 113-27 5 Zaiss MM et al.: The intestinal microbiota contributes to the ability of helminths to modulate allergic inflammation. Immunity 2015; 43(5): 998-1010 6 Sarter K et al.: Inflammatory arthritis and systemic bone loss are attenuated by gastrointestinal helminth parasites. Autoimmunity 2017; 50(3): 151-7 7 Lucas S et al.: Short-chain fatty acids regulate systemic bone mass and protect from pathological bone loss. Nat Commun 2018; 9(1): 55 8 Zaiss MM et al.: The gut-joint axis in rheumatoid arthritis. Nat Rev Rheumatol 2021; 17(4): 224-37 9 Tajik N et al.: Targeting zonulin and intestinal epithelial barrier function to prevent onset of arthritis. Nat Commun 2020; 11(1): 1995 10 Dürholz K et al.: Dietary short-term fiber interventions in arthritis patients increase systemic SCFA levels and regulate inflammation. Nutrients 2020; 12(10): 3207

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