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Axiale Spondyloarthritis, Cannabis und Kniearthrose
Jatros
30
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14.02.2019
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<p class="article-intro">Patienten mit axialer Spondyloarthritis erhalten ihre Diagnose mit fast sechsjähriger Verzögerung, wie auf dem 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) berichtet wurde. Weitere Themen: die Rolle der Bildgebung bei der Therapiesteuerung, der Stellenwert von Cannabis in der Rheumatologie und Sinn und Unsinn der Knorpelglättung.</p>
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<p class="article-content"><h2>Image to target</h2> <p>Das Prinzip „treat to target“ (T2T) soll jetzt auch bei Patienten mit axialer Spondyloarthritis (axSpA) die therapeutischen Entscheidungen leiten und das Outcome verbessern. Derzeit wird nach Auskunft von PD Dr. Xenofon Baraliakos, Herne, über den Stellenwert der Bildgebung bei der Entscheidungsfindung diskutiert. Hier hat sich die Darstellung entzündlicher Veränderungen mit der MRT-Bildgebung als frühem Indikator von Krankheitsaktivität und als Prädiktor der Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf eine antientzündliche Therapie gegenüber dem CT und dem Röntgen durchgesetzt. Die Kritik setzt dabei laut Baraliakos nicht an den Darstellungsmöglichkeiten der Bildgebung an, sondern stellt die Evidenz über ihre Rolle als langfristiges Behandlungsziel im Zusammenhang mit oder unabhängig von klinischen Symptomen und laborchemischen Parametern infrage. Zweifel nähren u.a. Studienberichte über eine teilweise Dissoziation der klinischen/laborchemischen und bildgebenden Ergebnisse unter antiinflammatorischer Therapie. Hinzu kommen auch Daten zur Prävalenz chronischer (bleibender) entzündlicher Veränderungen im Achsenskelett von bis zu 50 % der untersuchten axSpA-Patienten – trotz guten klinischen Ansprechens auf die jeweils angewandte Therapie, meist mit Biologika.<br /> Baraliakos plädierte jedoch für das Erfassen der entzündlichen Aktivität als klinisches Behandlungsziel mittels MRTBildgebung. Als Beleg führte er neueste klinische Studien mit Biologika an, die bei frühem und langfristigem (≥4 Jahre) Einsatz eine Verlangsamung der radiografischen Progression zeigen. Für ihn spricht dies dafür, dass die anhaltende Remission, entsprechend der Verhinderung der allgemeinen Krankheitsprogression, sowohl klinisch als auch mittels Bildgebung erreicht werden kann.<sup>1</sup></p> <h2>Diagnoseverzögerung bei der axSpA</h2> <p>Die Diagnoseverzögerung bei Patienten mit axSpA bleibt nach wie vor eine Herausforderung in der Rheumatologie. Eine Analyse der Abrechnungsdiagnosen bei 1677 Patienten mit axSpA einer deutschen Krankenversicherung sowie der Befragung der Patienten dieser Stichprobe ergab eine Verzögerung der Diagnose um im Mittel 5,7 Jahre. Patienten mit einer längeren Diagnoseverzögerung waren häufiger weiblich, hatten seltener einen positiven HLA-B27-Status, waren jünger bei Symptombeginn und hatten häufiger eine Psoriasis.<sup>2</sup></p> <h2>Joints for joints?</h2> <p>Mit der Datenlage zu Cannabis in der Rheumatologie beschäftigte sich Prof. Georg Pongratz, Universitätsklinikum Düsseldorf. Der Rheumatologe war als medizinischer Experte an einem Projekt der AG Cannabis des Gesundheitsamts seiner Heimatstadt Düsseldorf für einen „Kifferausweis“ beteiligt, falls auch in Deutschland die Freigabe für den nicht medizinischen Konsum von Cannabis erfolgen sollte – wofür es allerdings derzeit keine Anzeichen gibt. Für die Anwendung bei rheumatischen Patienten gibt es nach seiner Ansicht nur eine geringe Evidenz. Derzeit ist es letztlich dem Arzt weitestgehend selbst überlassen, zu entscheiden wie und wann die Anwendung im Einzelfall Sinn macht, so sein Fazit.<sup>3</sup><br /> Hinzu kommen praktische Aspekte als Barriere vor einer Cannabis-Verwendung. Viele Ärzte stehen den vielen unterschiedlichen Zubereitungen und Inhaltsstoffen hilflos gegenüber. Wichtig: Delta- 9-THC (Tetrahydrocannabiol) wirkt psychotrop, CBD (Cannabidiol) wirkt nicht psychotrop und kann damit die THC-Wirkung modulieren. Cannabis-Zubereitungen mit hohem CBD-Anteil sind daher vorzuziehen.<br /> Pongratz kritisierte, dass es bisher keine Studie gibt, die bei einer klassischen rheumatologischen Patientenpopulation neben der Schmerzbeeinflussung auch die Krankheitsaktivität im Rahmen eines randomisierten, placebokontrollierten, prospektiven Designs untersucht hätte. Indirekte Hinweise auf eine schmerzlindernde Wirkung von Cannabis liefern Verschreibungsdaten, laut denen zwei Dritteln von 40 000 kanadischen Patienten mit einer schweren Arthritis medizinisches Cannabis verschrieben wurde.<br /> Auch Patienten mit chronischem Schmerzsyndrom, die Cannabis als Substitut für andere Schmerzmittel benutzten, zeigten einen reduzierten Opiatverbrauch. Sehr vorsichtig äußerten sich die Autoren einer aktuellen Metaanalyse aller systematischen Übersichtsarbeiten hinsichtlich der Verwendung von Cannabis bei chronischem Schmerz. Hier stellten die Autoren für rheumatologische Indikationen (rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie, Osteoarthritis) fest, dass Cannabis-basierte Medikamente zwar die Möglichkeiten der Behandlung erweitern, aber aktuell die Datenlage zu schlecht für eine Evidenzbewertung ist.<sup>4</sup></p> <h2>Stress und Entzündung</h2> <p>Pongratz referierte auf dem DGRh auch zu den Zusammenhängen zwischen dem Immunsystem und der Auslösung von Stress. Als negativer Umweltfaktor kann Stress zu einer Dysregulation des Immunsystems zugunsten eines proinflammatorischen Milieus beitragen. Bei akutem Stress sind das meist kurzfristige Veränderungen mit wenig chronischen Schädigungen. Bei chronischem Stress – wie etwa bei Menschen, die kranke Angehörige pflegen – findet man diese Veränderungen auch, aber hier kommt es zu einem deutlich schnelleren IL-6-Anstieg als bei Kontrollen. Für Pongratz folgt daraus, dass die bei chronischem Stress erschöpfte Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse bzw. die Kortisoldysfunktion zusammen mit chronisch erhöhten Zytokinspiegeln einen Toleranzbruch begünstigen können, der jeder Autoimmunerkrankung vorausgehen muss. Der Einfluss von Stress auf das Immunsystem ist auch genetisch determiniert. Nicht jeder reagiert also gleich auf Stress im Hinblick auf die Veränderung des Zytokinprofils.<sup>5</sup></p> <h2>Mechanische Knorpelglättung: ungerechtfertigter Hype?</h2> <p>Die mechanische Knorpelglättung wird in der orthopädischen Rheumatologie immer beliebter. Prof. Gunter Spahn, Eisenach, warnte jedoch vor überzogenen Erwartungen. Nach seiner Ansicht ist die Evidenzlage derzeit völlig unsicher. Für ihn macht ein Débridement nur bei sicher instabilen Knorpelfragmenten und einer entsprechenden klinischen Symptomatik Sinn. Defekte unter einer Größe von 1cm<sup>2</sup> sollten besser nicht therapiert werden, bei größeren Defekten sollten bioregenerative Verfahren angewandt werden. Insbesondere die autologe Knorpelzelltransplantation (ACT) hat sich als effektiv erwiesen.<br /> Trotz schlechter Evidenz profitieren offenbar doch einige Patienten zumindest kurzfristig von einem solchen Eingriff. In einem Review von 2017 zu 40 relevanten Studien fanden Spahn et al. bei 20 % der Patienten nach zwei Jahren eine Verbesserung der Kniescores um ≤20 von 100 Punkten. Im Zweifelsfall sollte man aber auf Maßnahmen an den Defekten zunächst verzichten, um nicht möglicherweise Schäden vor allem an der subchondralen Knochenlamelle zu erzeugen.<sup>6</sup></p> <h2><em>Evidenz ist nicht alles</em></h2> <p><em>Zur Frage des Stellenwertes der Evidenz in der Medizin äußerte sich der Medizinethiker und -historiker Prof. Giovanni Maio von der Universität Freiburg in seinem Festvortrag „Arzt sein in illusionslosen Zeiten: eine Ermutigung“. Er sieht die ärztliche Kunst als eine „Verbindung aus Evidenz und individueller Beziehung zum Patienten“. Die Arbeit dürfe nicht immer weiter simplifiziert, schematisiert und algorithmisiert sowie stromlinienförmiger werden, sondern man sollte sich auf das Individuelle des Patienten und die Komplexität seiner Probleme im Sinne einer Ganzheitlichkeit zurückbesinnen, kritisierte Maio: „Jeder Kontakt ist einzigartig. Ich warne vor der Algorithmisierung der Medizin.“</em></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie
(DGRh), 19.–22. September 2018, Mannheim
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Baraliakos X: Image to Target: Bildgebung zur Therapiesteuerung bei SpA/AS – Eminenz- oder Evidenz-basiert? Vortrag am DGRh 2018, 21. September 2018 <strong>2</strong> Redeker I et al.: Welche Faktoren beeinflussen die Diagnoseverzögerung bei Personen mit axialer Spondyloarthritis? DGRh 2018, Poster SpA0.4 <strong>3</strong> Pongratz G: Joints for joints. Vortrag am DGRh 2018, 20. September 2018 <strong>4</strong> Häuser W et al.: Efficacy, tolerability and safety of cannabis-based medicines for chronic pain management - an overview of systematic reviews. Eur J Pain 2018; 22: 455-70 <strong>5</strong> Pongratz G: Stress als Ursache chronischer Entzündung? Vortrag am DGRh 2018, 21. September 2018 <strong>6</strong> Spahn G: Sinn und Unsinn der Knorpelglättung. Vortrag am DGRh 2018, 21. September 2018</p>
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