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DGRh 2018

Axiale Spondyloarthritis, Cannabis und Kniearthrose

<p class="article-intro">Patienten mit axialer Spondyloarthritis erhalten ihre Diagnose mit fast sechsjähriger Verzögerung, wie auf dem 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) berichtet wurde. Weitere Themen: die Rolle der Bildgebung bei der Therapiesteuerung, der Stellenwert von Cannabis in der Rheumatologie und Sinn und Unsinn der Knorpelglättung.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Image to target</h2> <p>Das Prinzip &bdquo;treat to target&ldquo; (T2T) soll jetzt auch bei Patienten mit axialer Spondyloarthritis (axSpA) die therapeutischen Entscheidungen leiten und das Outcome verbessern. Derzeit wird nach Auskunft von PD Dr. Xenofon Baraliakos, Herne, &uuml;ber den Stellenwert der Bildgebung bei der Entscheidungsfindung diskutiert. Hier hat sich die Darstellung entz&uuml;ndlicher Ver&auml;nderungen mit der MRT-Bildgebung als fr&uuml;hem Indikator von Krankheitsaktivit&auml;t und als Pr&auml;diktor der Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf eine antientz&uuml;ndliche Therapie gegen&uuml;ber dem CT und dem R&ouml;ntgen durchgesetzt. Die Kritik setzt dabei laut Baraliakos nicht an den Darstellungsm&ouml;glichkeiten der Bildgebung an, sondern stellt die Evidenz &uuml;ber ihre Rolle als langfristiges Behandlungsziel im Zusammenhang mit oder unabh&auml;ngig von klinischen Symptomen und laborchemischen Parametern infrage. Zweifel n&auml;hren u.a. Studienberichte &uuml;ber eine teilweise Dissoziation der klinischen/laborchemischen und bildgebenden Ergebnisse unter antiinflammatorischer Therapie. Hinzu kommen auch Daten zur Pr&auml;valenz chronischer (bleibender) entz&uuml;ndlicher Ver&auml;nderungen im Achsenskelett von bis zu 50 % der untersuchten axSpA-Patienten &ndash; trotz guten klinischen Ansprechens auf die jeweils angewandte Therapie, meist mit Biologika.<br /> Baraliakos pl&auml;dierte jedoch f&uuml;r das Erfassen der entz&uuml;ndlichen Aktivit&auml;t als klinisches Behandlungsziel mittels MRTBildgebung. Als Beleg f&uuml;hrte er neueste klinische Studien mit Biologika an, die bei fr&uuml;hem und langfristigem (&ge;4 Jahre) Einsatz eine Verlangsamung der radiografischen Progression zeigen. F&uuml;r ihn spricht dies daf&uuml;r, dass die anhaltende Remission, entsprechend der Verhinderung der allgemeinen Krankheitsprogression, sowohl klinisch als auch mittels Bildgebung erreicht werden kann.<sup>1</sup></p> <h2>Diagnoseverz&ouml;gerung bei der axSpA</h2> <p>Die Diagnoseverz&ouml;gerung bei Patienten mit axSpA bleibt nach wie vor eine Herausforderung in der Rheumatologie. Eine Analyse der Abrechnungsdiagnosen bei 1677 Patienten mit axSpA einer deutschen Krankenversicherung sowie der Befragung der Patienten dieser Stichprobe ergab eine Verz&ouml;gerung der Diagnose um im Mittel 5,7 Jahre. Patienten mit einer l&auml;ngeren Diagnoseverz&ouml;gerung waren h&auml;ufiger weiblich, hatten seltener einen positiven HLA-B27-Status, waren j&uuml;nger bei Symptombeginn und hatten h&auml;ufiger eine Psoriasis.<sup>2</sup></p> <h2>Joints for joints?</h2> <p>Mit der Datenlage zu Cannabis in der Rheumatologie besch&auml;ftigte sich Prof. Georg Pongratz, Universit&auml;tsklinikum D&uuml;sseldorf. Der Rheumatologe war als medizinischer Experte an einem Projekt der AG Cannabis des Gesundheitsamts seiner Heimatstadt D&uuml;sseldorf f&uuml;r einen &bdquo;Kifferausweis&ldquo; beteiligt, falls auch in Deutschland die Freigabe f&uuml;r den nicht medizinischen Konsum von Cannabis erfolgen sollte &ndash; wof&uuml;r es allerdings derzeit keine Anzeichen gibt. F&uuml;r die Anwendung bei rheumatischen Patienten gibt es nach seiner Ansicht nur eine geringe Evidenz. Derzeit ist es letztlich dem Arzt weitestgehend selbst &uuml;berlassen, zu entscheiden wie und wann die Anwendung im Einzelfall Sinn macht, so sein Fazit.<sup>3</sup><br /> Hinzu kommen praktische Aspekte als Barriere vor einer Cannabis-Verwendung. Viele &Auml;rzte stehen den vielen unterschiedlichen Zubereitungen und Inhaltsstoffen hilflos gegen&uuml;ber. Wichtig: Delta- 9-THC (Tetrahydrocannabiol) wirkt psychotrop, CBD (Cannabidiol) wirkt nicht psychotrop und kann damit die THC-Wirkung modulieren. Cannabis-Zubereitungen mit hohem CBD-Anteil sind daher vorzuziehen.<br /> Pongratz kritisierte, dass es bisher keine Studie gibt, die bei einer klassischen rheumatologischen Patientenpopulation neben der Schmerzbeeinflussung auch die Krankheitsaktivit&auml;t im Rahmen eines randomisierten, placebokontrollierten, prospektiven Designs untersucht h&auml;tte. Indirekte Hinweise auf eine schmerzlindernde Wirkung von Cannabis liefern Verschreibungsdaten, laut denen zwei Dritteln von 40 000 kanadischen Patienten mit einer schweren Arthritis medizinisches Cannabis verschrieben wurde.<br /> Auch Patienten mit chronischem Schmerzsyndrom, die Cannabis als Substitut f&uuml;r andere Schmerzmittel benutzten, zeigten einen reduzierten Opiatverbrauch. Sehr vorsichtig &auml;u&szlig;erten sich die Autoren einer aktuellen Metaanalyse aller systematischen &Uuml;bersichtsarbeiten hinsichtlich der Verwendung von Cannabis bei chronischem Schmerz. Hier stellten die Autoren f&uuml;r rheumatologische Indikationen (rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie, Osteoarthritis) fest, dass Cannabis-basierte Medikamente zwar die M&ouml;glichkeiten der Behandlung erweitern, aber aktuell die Datenlage zu schlecht f&uuml;r eine Evidenzbewertung ist.<sup>4</sup></p> <h2>Stress und Entz&uuml;ndung</h2> <p>Pongratz referierte auf dem DGRh auch zu den Zusammenh&auml;ngen zwischen dem Immunsystem und der Ausl&ouml;sung von Stress. Als negativer Umweltfaktor kann Stress zu einer Dysregulation des Immunsystems zugunsten eines proinflammatorischen Milieus beitragen. Bei akutem Stress sind das meist kurzfristige Ver&auml;nderungen mit wenig chronischen Sch&auml;digungen. Bei chronischem Stress &ndash; wie etwa bei Menschen, die kranke Angeh&ouml;rige pflegen &ndash; findet man diese Ver&auml;nderungen auch, aber hier kommt es zu einem deutlich schnelleren IL-6-Anstieg als bei Kontrollen. F&uuml;r Pongratz folgt daraus, dass die bei chronischem Stress ersch&ouml;pfte Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse bzw. die Kortisoldysfunktion zusammen mit chronisch erh&ouml;hten Zytokinspiegeln einen Toleranzbruch beg&uuml;nstigen k&ouml;nnen, der jeder Autoimmunerkrankung vorausgehen muss. Der Einfluss von Stress auf das Immunsystem ist auch genetisch determiniert. Nicht jeder reagiert also gleich auf Stress im Hinblick auf die Ver&auml;nderung des Zytokinprofils.<sup>5</sup></p> <h2>Mechanische Knorpelgl&auml;ttung: ungerechtfertigter Hype?</h2> <p>Die mechanische Knorpelgl&auml;ttung wird in der orthop&auml;dischen Rheumatologie immer beliebter. Prof. Gunter Spahn, Eisenach, warnte jedoch vor &uuml;berzogenen Erwartungen. Nach seiner Ansicht ist die Evidenzlage derzeit v&ouml;llig unsicher. F&uuml;r ihn macht ein D&eacute;bridement nur bei sicher instabilen Knorpelfragmenten und einer entsprechenden klinischen Symptomatik Sinn. Defekte unter einer Gr&ouml;&szlig;e von 1cm<sup>2</sup> sollten besser nicht therapiert werden, bei gr&ouml;&szlig;eren Defekten sollten bioregenerative Verfahren angewandt werden. Insbesondere die autologe Knorpelzelltransplantation (ACT) hat sich als effektiv erwiesen.<br /> Trotz schlechter Evidenz profitieren offenbar doch einige Patienten zumindest kurzfristig von einem solchen Eingriff. In einem Review von 2017 zu 40 relevanten Studien fanden Spahn et al. bei 20 % der Patienten nach zwei Jahren eine Verbesserung der Kniescores um &le;20 von 100 Punkten. Im Zweifelsfall sollte man aber auf Ma&szlig;nahmen an den Defekten zun&auml;chst verzichten, um nicht m&ouml;glicherweise Sch&auml;den vor allem an der subchondralen Knochenlamelle zu erzeugen.<sup>6</sup></p> <h2><em>Evidenz ist nicht alles</em></h2> <p><em>Zur Frage des Stellenwertes der Evidenz in der Medizin &auml;u&szlig;erte sich der Medizinethiker und -historiker Prof. Giovanni Maio von der Universit&auml;t Freiburg in seinem Festvortrag &bdquo;Arzt sein in illusionslosen Zeiten: eine Ermutigung&ldquo;. Er sieht die &auml;rztliche Kunst als eine &bdquo;Verbindung aus Evidenz und individueller Beziehung zum Patienten&ldquo;. Die Arbeit d&uuml;rfe nicht immer weiter simplifiziert, schematisiert und algorithmisiert sowie stromlinienf&ouml;rmiger werden, sondern man sollte sich auf das Individuelle des Patienten und die Komplexit&auml;t seiner Probleme im Sinne einer Ganzheitlichkeit zur&uuml;ckbesinnen, kritisierte Maio: &bdquo;Jeder Kontakt ist einzigartig. Ich warne vor der Algorithmisierung der Medizin.&ldquo;</em></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 19.–22. September 2018, Mannheim </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Baraliakos X: Image to Target: Bildgebung zur Therapiesteuerung bei SpA/AS &ndash; Eminenz- oder Evidenz-basiert? Vortrag am DGRh 2018, 21. September 2018 <strong>2</strong> Redeker I et al.: Welche Faktoren beeinflussen die Diagnoseverz&ouml;gerung bei Personen mit axialer Spondyloarthritis? DGRh 2018, Poster SpA0.4 <strong>3</strong> Pongratz G: Joints for joints. Vortrag am DGRh 2018, 20. September 2018 <strong>4</strong> H&auml;user W et al.: Efficacy, tolerability and safety of cannabis-based medicines for chronic pain management - an overview of systematic reviews. Eur J Pain 2018; 22: 455-70 <strong>5</strong> Pongratz G: Stress als Ursache chronischer Entz&uuml;ndung? Vortrag am DGRh 2018, 21. September 2018 <strong>6</strong> Spahn G: Sinn und Unsinn der Knorpelgl&auml;ttung. Vortrag am DGRh 2018, 21. September 2018</p> </div> </p>
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