
Worauf bei der Umsetzung von Resilienztrainings zu achten ist
Autor:
Hubert Annen, PhD
Dozent für Militärpsychologie und -pädagogik
Militärakademie, ETH Zürich
E-Mail: annenh@ethz.ch
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Die Tatsache, dass sich Resilienz trainieren lässt, wurde auch als Marktfaktor erkannt. Wenn man als Individuum oder als Unternehmen entsprechende Massnahmen ins Auge fasst, gilt es sowohl die Qualität der Angebote einzuschätzen als auch zu erörtern, unter welchen Bedingungen diese Werkzeuge die erhoffte Wirkung entfalten.
Keypoints
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Resilienz, verstanden als erfolgreicher Umgang mit Belastungen, hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Dies widerspiegelt sich in einer mittlerweile unüberschaubaren Menge an wissenschaftlicher Artikel, Ratgeberliteratur und Beratungsangeboten.
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Resilienz lässt sich trainieren. Die Elemente des Resilienztrainings basieren meist auf etablierten Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie und der Sportpsychologie.
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Die Wirksamkeit eines Resilienztrainings hängt von bestimmten Faktoren wie der Motivation der Teilnehmenden und der Haltung des Umfelds sowie von der Einbettung in den (unternehmerischen) Kontext ab.
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Wenn sich die Teilnehmenden regelmässig fragen, ob ihre Gedanken nützlich oder schädlich sind, wenn sie sich Herausforderungen mit Zuversicht stellen und sich von allfälligen Rückschlägen rasch erholen, sind die wesentlichen Zielsetzungen des Resilienztrainings erreicht worden.
Nicht nur die anhaltende Pandemiesituation, sondern auch die zunehmenden politischen Verwerfungen, die Klimaerwärmung oder die sich abzeichnende Energieknappheit stellen die Gesellschaft sowie die einzelnen Individuen vor grosse Herausforderungen. Zeichen dafür ist beispielsweise die bereits unüberschaubare Anzahl wissenschaftlicher Artikel, die zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit publiziert wurden.1
Dabei stösst man immer wieder auf den Begriff Resilienz, worunter gemeinhin der erfolgreiche Umgang mit belastenden Situationen verstanden wird.2 Ausgehend von dieser Definition liegt es nahe, dass die Gesellschaft Interesse an resilienten Bürgerinnen und Bürgern haben sollte, dass Unternehmen in die Resilienz ihrer Mitarbeitenden investieren, dass Schulen die Resilienz von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern fördern sollten und dass jeder und jede Einzelne ermuntert werden sollte, an der individuellen Resilienz zu arbeiten.
Ausgangslage
Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, wie eine Organisation diesem Umstand Rechnung trägt, ist das «Comprehensive Soldier and Family Fitness Program» (CSF2) der US Army.3 Im Jahre 2008 wurde entschieden, 125 Millionen Dollar in ein Präventionsprogramm zu investieren, um Armeeangehörige besser auf die mentalen Herausforderungen der damaligen Kriegseinsätze und ihrer Folgen vorzubereiten. Allerdings dürfte dafür wohl nicht unbedingt der fürsorgliche Gedanke, sondern eher der politische Druck, sprich die Sorge um die Truppenbestände, den Ausschlag gegeben haben. Diese Realität gilt es generell zu akzeptieren. Wissenschaftliche Evidenz alleine reicht normalerweise nicht aus, um derartige Präventionsprogramme zum Laufen zu bringen.
Unabhängig davon liefert CSF2 aus inhaltlicher und methodischer Sicht viel Anschauungsmaterial, Evaluationsdaten sowie Inspiration, um bei Bedarf ähnliche Wege zu beschreiten. Das Programm basiert auf dem Gedankengut der «positiven Psychologie», die sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung positiver Aspekte des menschlichen Lebens und den begünstigenden Eigenschaften und Bedingungen des Wohlbefindens beschäftigt.4 Ausgehend von einer solchen ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen wurden etablierte Methoden aus der kognitiven Verhaltenstherapie und der Sportpsychologie an die militärische Alltagsrealität angepasst. Kernelement dabei ist das sogenannte «Master Resilience Training» (MRT), wo mehrheitlich Unteroffiziere gemäss dem «Train the Trainer»-Ansatz ausgebildet werden, um in ihren Einheiten als Resilienztrainer wirken zu können.5
Wenn nun in der Folge geschildert wird, wie Inhalte und Methoden von CSF2 an die Gegebenheiten einer Offiziersschule der Schweizer Armee angepasst wurden, lassen sich die Erkenntnisse durchaus auch auf den privatwirtschaftlichen, unternehmerischen Kontext übertragen. Schliesslich traf man hier auf eine leistungsorientierte Population, die sich selber als mental gesund betrachtet und zuerst von der Notwendigkeit und dem Nutzen eines Resilienztrainings überzeugt werden musste. Eine vergleichbare Ausgangslage dürfte man beispielsweise auch bei derartigen Massnahmen im betrieblichen Gesundheitsmanagement antreffen.
Praktische Umsetzungund Methoden
Zu Beginn des Resilienztrainings sollten einfache, rasch umsetzbare Methoden angewandt werden. Bewährt hat sich beispielsweise die sogenannte «Schnurübung». Dabei wurde den Teilnehmenden eine Schnur mit der Aufforderung ausgehändigt, im Alltag bei jedem positiven Erlebnis einen Knoten darin zu machen. In der Folge wurde zu Beginn jeder Session die Schnur hervorgenommen und Rückschau auf diese Ereignisse und die dafür ausschlaggebenden Faktoren gehalten. Die Schnurübung stellte so stets den Bezug zur Ausrichtung der positiven Psychologie her und diente als sprichwörtlicher roter Faden des Resilienztrainings.
Will man Menschen im erfolgreichen Umgang mit Belastungen schulen, gilt es dort anzusetzen, wo das Individuum Belastungen wahrnimmt. Es war somit unabdingbar, genügend Zeit und Ressourcen zu investieren, um jeden Teilnehmenden an diesem Punkt abzuholen. Das bedingte, dass die Beteiligten zur kritischen Selbstreflexion angeregt wurden. Sie mussten sich bewusst machen, in welchen Situationen sie typischerweise, z.B. aus Angst oder Hilflosigkeit, unangemessen reagieren. Indem man die individuellen Belastungen und kritischen Situationen identifizierte, wurde sichergestellt, dass die Elemente des Resilienztrainings nicht im luftleeren Raum ansetzten.
Basierend auf den konkreten Beispielen der Teilnehmenden wurde erörtert, welche Gedanken sich in der betreffenden Situation als nützlich oder als schädlich erwiesen. Als Strukturierungshilfe diente hier das ABC-Modell nach Ellis.6 Entsprechend wurde zuerst das ausschlaggebende Ereignis («activating event») festgehalten. Danach beleuchtete man die Gedanken («beliefs»), die einem dabei durch den Kopf gingen. Und schliesslich wurden die daraus resultierenden emotionalen und verhaltensbezogenen Konsequenzen («consequences») diskutiert.
Hinsichtlich ungünstiger «Heat of the moment»-Gedanken ergründete man, inwiefern man hier Opfer ganz bestimmter Denkfallen und Eisberge wurde. Eine Denkfalle kann beispielsweise sein, dass man negative Ereignisse auf sich selber bezieht («Immer trifft es mich») oder bei einem Rückschlag sogleich alles infrage stellt («Wenn ich nicht mal das kann, wie soll ich denn die ganze Aufgabe meistern?»). Eisberge sind bestimmte Werte und Kernüberzeugungen einer Person, die sich unter Umständen schädlich auswirken können. Überzeugungen wie «Ich darf keine Fehler machen» oder «Ich muss als Chef immer die Autorität haben» können im konkreten Fall zu unangemessenen Reaktionen führen, indem zum Beispiel Fehler vertuscht werden oder Vorgesetzte mit übertriebenen Massnahmen ihre verloren geglaubte Autorität wiederherstellen wollen. Nach der Identifikation solcher Gedankenmuster wurde mental durchgespielt, wie mit ihnen konstruktiver umgegangen werden kann, beispielsweise durch Umstrukturieren oder Perspektivenwechsel.
Begleitend dazu bewährten sich Werkzeuge im Bereich des Energiemanagements, wie z.B. Atemübungen, sowie das strukturierte Ergründen eigener Stärken, z.B. mit dem «Values in Action»(VIA)-Inventar,7 und die Diskussion, wie diese Stärken im Alltag nutzbar gemacht werden können. Und schliesslich behandelte man ganz bestimmte Kommunikationstechniken wie aktiv-konstruktives Rückmelden oder wirksames Loben. Durch die Anwendung solcher Techniken bemerkten die Teilnehmenden, dass positive Kommunikation ansteckend wirkt.
An etablierten Werkzeugen mangelt es also keineswegs. Damit diese ihre Wirkung entfalten können, muss nebst den zeitlichen und personellen Ressourcen weiteren Faktoren Rechnung getragen werden.
Erfolgsfaktoren
Studien zeigen, dass das Training der oben genannten Methoden im individuellen 1:1-Setting am effektivsten ist.8 Gerade im unternehmerischen Kontext ist dies aber wenig realistisch. Werden solche Schulungen für Mitarbeitende durchgeführt, ist somit zumindest sicherzustellen, dass die betreffenden Gruppenarbeiten von eigens ausgebildeten Personen moderiert werden. Diese sorgen dafür, dass die Methoden zielgerichtet angewandt werden und die Teilnehmenden nicht ins Unverbindliche abdriften.
Es ist eine triviale, aber nicht minder zentrale Erkenntnis, dass der Erfolg des Trainings von der Haltung und der Motivation der Teilnehmenden abhängt. Es lohnt sich also, ausreichend Zeit, Energie und Kreativität zu investieren, um sie für das Vorhaben zu gewinnen. Genauso spielt die Einstellung des unmittelbaren Umfelds eine wesentliche Rolle. Eigene Auswertungen haben gezeigt, dass Teilnehmende, deren Vorgesetzte sich häufig und positiv zum Resilienztraining äusserten, die Methoden motivierter und besser umsetzten als jene, deren Vorgesetzte abschätzig übers Programm sprachen.
Dank des Praxisbezugs und der engagierten und kompetenten Moderatoren und Moderatorinnen war das Feedback der Teilnehmenden weitestgehend positiv. Die Offiziersanwärter waren der Ansicht, persönlich vom Training profitiert zu haben und das Gelernte sowohl im militärischen als auch im zivilen Umfeld anwenden zu können.9 Allerdings ist es nicht hinreichend, den Erfolg eines Resilienztrainings an der Zufriedenheit der Teilnehmenden zu messen. Letztlich ist es das Ziel, dass in einer konkreten belastenden Situation angemessen und zielorientiert mit Stress umgegangen wird und man möglichst bald wieder für weitere Aufgaben bereit ist. Im vorliegenden Fall konnte anhand objektiver Stressparameter gezeigt werden, dass sich die Teilnehmenden des Resilienztrainings schneller von einer stressreichen Situation erholten als jene, die kein solches Training durchlaufen hatten.10
Fazit
Resilienz lässt sich trainieren und entsprechende Werkzeuge gibt es zur Genüge. Nebst den beschriebenen Methoden, die sich in einem explizit praxisbezogenen Umfeld bewährt haben, bietet der Markt mittlerweile unzählige Tools z.B. im Bereich des Achtsamkeitstrainings, die auch mit entsprechenden Apps unterstützt im Alltag genutzt werden können.
Entscheidend ist, zum einen die hinsichtlich der Zielsetzungen und des betreffenden Umfelds passenden Methoden auszuwählen und zum anderen günstige Voraussetzungen für deren Training und Anwendung zu schaffen. So dürfte sich ohne eine positive Einstellung der Teilnehmenden sowie der Verantwortlichen auf allen Stufen der Aufwand nicht lohnen.
Schliesslich ist anzumerken, dass zwar die Förderung der Resilienz und somit die Investition in ein Resilienztraining lohnenswert sind, man damit aber realistische Erwartungen verbinden sollte. Genauso wie sich eine sportlich gut trainierte Person verletzen kann, kann eine resiliente Person psychische Probleme bekommen. Es soll auch nicht darauf hinauslaufen, dass Unternehmungen in Krisenzeiten ihren Mitarbeitenden ein Resilienztraining bieten und damit meinen, ihre fürsorgerische Pflicht getan zu haben.11
Vielmehr gilt es eine Resilienzkultur und damit einen Rahmen zu schaffen, in dem sich Menschen zuversichtlich und vertrauensvoll den Herausforderungen stellen wollen, weil sie wissen, dass sie gut und wohlwollend vorbereitet und unterstützt werden.
Literatur:
1 Auf Google Scholar ergibt die Suchkombination «Covid 19 & psychological effects» für die Zeit seit 2020 über 17000 Ergebnisse. 2 Annen H: Resilienz – eine Bestandsaufnahme. Military Power Revue 2017; 1: 24-35 3 Casey JR: Comprehensive Soldier Fitness: A vision for psychological resilience in the U.S. Army. Am Psychol 2011; 66(1): 1-3 4 Seligman MEP: Authentic Happiness. Using the new positive psychology to realize your potential for lasting fulfillment. Free Press, 2002 5 Reivich KJ et al.: Master Resilience Training in the U.S. Army. Am Psychol 2011; 66(1): 25-34 6 Ellis A: The revised ABC’s of Rational-Emotive Therapy (RET). Journal of Rational-Emotive & Cognitive-Behavior Therapy 1991; 9(3): 139-72 7 Peterson C, Seligman MEP: Character strengths and virtues. A handbook and classification. Oxford University Press, 2004 8 Vanhove AJ et al.: Can resilience be developed at work? A meta-analytic review of resilience-building programme effectiveness. J Occup Organ Psychol2016; 89(2): 278-307 9 Zueger R et al.: Zur Wirksamkeit eines Resilienztrainings in der Schweizer Armee. Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 2019; 185(12): 38-40 10 Zueger R et al.: Psychobiological findings of a resilience training in military officers. Poster presented at the 6th International Symposium on Resilience Research, Mainz, Germany 11 Steenkamp MM et al.: Post-traumatic stress disorder. Review of the Comprehensive Soldier Fitness Program. Am J Prev Med 2013; 44(5): 507-12
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