
©
Getty Images/iStockphoto
«Wie sollte eine Seele, die kein Drama mehr kennt, nicht depressiv werden?»
Leading Opinions
30
Min. Lesezeit
29.06.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Es sollte vor allem um die kognitiven Aspekte bei Angst und Depression gehen am 8<sup>th</sup> Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) in Zürich,<sup>1</sup> aber die Veranstalter präsentierten viel mehr als das, nämlich ein Kaleidoskop an Themen, für die es eigentlich zwei Tage gebraucht hätte: Wie äussern sich kognitive Störungen bei Menschen mit Depressionen? Wie wichtig ist guter Schlaf für die kognitive Entwicklung von Kindern? Kann man sein Hirn mit Medikamenten «dopen»? Wie behandelt man aktuell Depression oder Burnout? Wir berichten über die spannendsten Themen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Eine häufige Folge von Depressionen seien Störungen im kognitiven Bereich, berichtete Prof. Dr. med. Pasquale Calabrese, Leiter der Arbeitsgruppe Neuropsychologie und Verhaltensneurologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel. Betroffen sind oft Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit und mentale Kontrolle. Die kognitiven Störungen beeinflussen die Lebensqualität und wirken sich negativ auf das Arbeitsleben aus. Kognitive Störungen könnten einem, wenn man sich allein auf den klinischen Eindruck verlässt, entgehen, so Calabrese, man müsse die Patienten gezielt darauf untersuchen, zum Beispiel mit kognitiven Screening-Verfahren. Damit lassen sich auch die kognitiven Veränderungen im Krankheitsverlauf dokumentieren.</p> <h2>Depressionsbehandlung: Ziel ist Remission</h2> <p>Einen prägnanten Überblick über die 2016 erschienenen Schweizer Leitlinien zur Behandlung von Depression<sup>2, 3</sup> und von Burnout<sup>4, 5</sup> gab Prof. Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler, Extraordinaria für Stress- und Traumaforschung der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. «Holsboer-Trachsler schreibt seit Jahren ausgezeichnete Behandlungsempfehlungen», kommentierte dies Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Chefarzt an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Bern. «Ich empfehle sie gerne meinen Mitarbeitern zum Lesen. Im Gegensatz zu den deutschen Leitlinien sind sie viel kürzer und prägnanter.» Ziel jeder Depressionsbehandlung ist die Remission. Wie man vorgeht, erklärt die Behandlungsempfehlung anhand eines Algorithmus (Abb. 1). «Jeden Patienten und seine Angehörigen sollte man ausführlich informieren über die zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen, die Wirklatenz von Medikamenten, welche Nebenwirkungen auftreten können und wie man sie behandelt», so Holsboer-Trachsler. Bei Patienten mit leichter depressiver Episode kann man den Patienten aktiv abwartend betreuen. Bessern sich die Beschwerden nach zwei Wochen nicht, sollte man eine Psychotherapie vorschlagen, eventuell in Kombination mit Medikamenten. Bei Patienten mit mittelschweren und schweren depressiven Episoden sollte man sofort eine Therapie beginnen. Neben den klassischen trizyklischen Antidepressiva stehen heute Antidepressiva der 2. und 3. Generation zur Verfügung. Für die Behandlung von leichten bis mittelschweren ist neu auch Hypericum zugelassen. Das ebenfalls neu zugelassene Präparat Vortioxetin moduliert verschiedene Serotoninrezeptor-Subtypen und inhibiert den Serotonintransporter.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Neuro_1703_Weblinks_s33.jpg" alt="" width="1417" height="2265" /></p> <h2>«Was früher gewirkt hat, wirkt auch später»</h2> <p>Welches Antidepressivum infrage kommt, hängt von vielen Faktoren ab: z.B. davon, ob der Patient noch andere Krankheiten hat oder andere Medikamente einnimmt, welche Erfahrung man selbst mit dem Präparat hat oder was der Patient möchte. «Ich lege viel Wert auf die Anamnese», sagt Prof. Hasler, «was früher gewirkt hat, wirkt auch später.» Bei einer Neueinstellung könne auch die Familienanamnese helfen. «Das Ansprechen auf bestimmte Substanzen ist teilweise vererbt.» Spreche der Patient auf die Medikation nach 2–4 Wochen nicht an, berichtete Prof. Holsboer-Trachsler, solle man die Therapie optimieren, also etwa das Antidepressivum wechseln, ein anderes dazugeben oder Lithium bzw. ein atypisches Antipsychotikum oder andere Behandlungen wie Elektrokrampftherapie erwägen. Vor Umstellung der Medikation rät die Behandlungsempfehlung, ein therapeutisches Drug-Monitoring und den ABCB1-Gentest durchzuführen. Mit diesem sollen Patienten identifiziert werden, bei denen aufgrund von Genpolymorphismen viele der gängigen Antidepressiva die Blut-Hirn-Schranke schlechter passieren könnten und die deshalb ungenügend auf die Therapie ansprechen würden. Der Test kostet hierzulande 240 Franken, so Holsboer-Trachsler, die Kassen würden ihn noch nicht obligatorisch zahlen, aber man brauche ihn nur einmal im Leben durchzuführen. Prof. Hasler ist jedoch zurückhaltend. «Ich halte es für noch zu früh, den Test routinemässig in einer Leitlinie zu empfehlen», meint er. «Die Evidenz dazu haben kürzlich Kollegen aus Melbourne zusammengefasst,<sup>6</sup> und die Haltung entspricht auch den internationalen Richtlinien zur Depressionsbehandlung.» Bei schwerer Therapieresistenz könne der Test durchaus Sinn haben, aber nicht als Routine bei jedem Therapieversagen. «Solche Gentests sind zwar spannend und werden vermutlich in Zukunft immer wichtiger, für die breite Anwendung fehlt aber bislang die Evidenz.»</p> <h2>Burnout: Patienten aktiv führen und begleiten</h2> <p>Burnout gehört im ICD-10 zu den «Störungen verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung» und wird klassifiziert unter «Z73.0 Erschöpfungssyndrom (Burnout)». «Burnout gilt nicht als eigenständige psychische Störung, sondern kann eine solche begleiten», erklärte Prof. Holsboer-Trachsler. Insbesondere depressive Störungen seien mit Burnout assoziiert, und eine positive persönliche oder Familienanamnese für Depression ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, ein Burnout zu erleiden. Anhand eines Phasenmodells und der dazugehörigen Symptome erläuterte die Psychiaterin, wie sich aus chronischem Stress über Burnout depressive Symptome und schliesslich eine klinische Depression entwickeln kann. Die Symptome eines Burnouts sind stark vom Stadium der Stressbelastungsstörung abhängig und überschneiden sich in ihrer klinischen Präsentation mit anderen Erkrankungen. «Darum ist eine gründliche Differenzialdiagnostik entscheidend, damit man die richtige Therapie verordnen kann», sagte Holsboer-Trachsler. Ziele der Therapie sind die stabile Remission einer begleitenden Depression, die Erneuerung von Vitalität und Erholungsfähigkeit, die Wiederherstellung der Belastbarkeit hinsichtlich sozialer und beruflicher Funktionen sowie die Verstärkung konstruktiver Bewältigungsstrategien. Der Therapeut sollte den Patienten aktiv führen und begleiten. Therapiebausteine sind unter anderem Psychoedukation, Psychotherapie, Achtsamkeitsübungen und Medikamente. Menschen, die leistungs- und erfolgsorientiert sind, was auf diejenigen mit Burnout oft zutrifft, können häufig nicht auf ihre üblichen Ressourcen zurückgreifen, verzweifeln daran, verlieren die Hoffnung und werden hilflos. Man sollte als Therapeut dem Patienten immer wieder aufzeigen, dass es ihm Schritt für Schritt besser geht. Hier kann «Energie-Monitoring» helfen: Der Patient gibt dreimal täglich seine subjektive Stimmung, Energie und Anspannung auf einer visuellen Analogskala an und notiert dazu, was er gemacht hat oder was ihm passiert ist. So stellt er fest, was ihn zu viel Energie kostet, und kann lernen, seine Energie einzuteilen und Pausen einzuplanen. «Fehlt die soziale Unterstützung oder ist das soziale Netzwerk überfordert, kann eine stationäre Behandlung sinnvoll sein», sagt Hasler. Auch dann, wenn ambulante Behandlungsversuche fehlschlagen oder der Patient ein hohes Suizidrisiko hat.</p> <h2>Hirndoping: begrabene Hoffnung</h2> <p>Manch einer wünscht sich, seinem Gehirn mit Pharmakostimulanzien «auf die Sprünge helfen» zu können. Doch die Hoffnung darauf muss man vorerst begraben – so das Fazit von Prof. Dr. rer. nat. Boris Quednow, dem Leitenden Psychologen an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich. «Hirndoping ist derzeit unsicher, wenig wirksam, wird überbewertet und in Anbetracht der Komplexität des Gehirns in absehbarer Zeit unwahrscheinlich», berichtete Quednow. «Das Hirn kann man nicht wie einen Muskel trainieren.» Einige Stimulanzien können zwar durchaus die Vigilanz und das Arbeitsgedächtnis verbessern, verschlechtern gleichzeitig aber andere kognitive Domänen. Es gibt bisher keine wirksamen Substanzen, die das Langzeitgedächtnis verbessern, und die Gesamtwirkung auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit ist eher schwach. «Abgesehen von der mangelnden Wirksamkeit haben die Präparate, also zum Beispiel Methylphenidat, Amphetamine oder Modafinil, eine Reihe von Nebenwirkungen», sagte Quednow. «Wir wissen auch nichts über die Langzeitnebenwirkungen bei Gesunden.» Aber nur wenige Leute würden bislang regelmässig Hirndoping betreiben, beruhigte der Psychologe; in den USA sei der Gebrauch schon zurückgegangen. «Ich glaube nicht, dass Hirndoping bei Gesunden Zukunft hat – dazu haben die Präparate zu viele Nebenwirkungen», so Prof. Quednow. «Abgesehen davon funktioniert es nicht so, wie viele sich das erhoffen. Würde es das tun, hätten wir aber tatsächlich ein ethisches Problem.» Die Hirndopingpräparate, so ist er sich sicher, werden vermutlich einen «medientypischen Zyklus» aus Hype, Ernüchterung und Verteufelung durchlaufen.</p> <h2>Die Seele braucht Drama</h2> <p>Vielleicht nehmen die Leute Hirnstimulanzien, weil ihnen zu langweilig ist. Die zunehmende Langeweile, so die These des Philosophen Ludwig Hasler am Beginn des Symposiums, sei mitverantwortlich dafür, dass so viele Menschen an Depressionen erkranken. Die Leute vermeiden Konflikte, Unvorhergesehenes und Unerwünschtes, die Seele fürchte sich sogar vor Kohlenhydraten. «Wie sollte eine Seele, die kein Drama mehr kennt, nicht depressiv werden?», fragte Hasler provokant. «Durch die zunehmende Ich-Fixierung bleibt der Seele nur noch die Beschäftigung mit sich selbst, was auf Dauer ebenfalls langweilt und unzufrieden macht.» Doch wie kommen unsere Seelen wieder zu mehr Drama? Zukunft, Vielfalt und Verwandlung, so der Philosoph, seien die Schlüssel zu einer gesunden Seele – und damit die beste Depressionsprophylaxe.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> 8<sup>th</sup> SFMAD, 6. 4. 2017, Zürich <strong>2</strong> Holsboer-Trachsler E et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(35): 716-24 <strong>3</strong> Holsboer-Trachsler E et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(36): 739-43 <strong>4</strong> Hochstrasser B et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(25): 538-41 <strong>5</strong> Hochstrasser B et al: Swiss Medical Forum 2016; 16(26-27): 561-6 <strong>6</strong> Bousman CA, Hopwood M et al: Lancet Psychiatry 2016; 3: 585-90 <strong>7</strong> S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie «Unipolare Depression» der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). 2. Auflage, Version 4, 2015</p>
</div>
</p>