Der Fehler im System

Was kann ich dafür?

<p class="article-intro">Die Perspektiven der Frau K., die therapeutische Abstinenz und die Gesellschaft.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Frau K. leidet seit mehreren Jahren an einer Angstst&ouml;rung. Sie ist geschieden, hat zwei Kinder, eines schulpflichtig, eines in der Lehre. Ihr Exmann zahlt Alimente in geringf&uuml;gigem Ausma&szlig;, da er selbst immer wieder in einer prek&auml;ren Arbeitssituation ist. Frau K. lebt in einer d&ouml;rflichen Gemeinde, wo wenig Verst&auml;ndnis f&uuml;r ihre Erkrankung besteht. Sie hat dort auch nur wenig Sozialkontakte. Ihre Symptomatik hindert sie daran, sich in neue Arbeits-/ Beziehungssituationen zu begeben. Einmal monatlich sucht sie ihre Psychiaterin auf, die ihr auch eine &Uuml;berweisung zur Psychotherapie ausgestellt hat. Sie ist derzeit arbeitslos.<br /> Jede Vorladung zur Sozialversicherung zwecks Verl&auml;ngerung von Reha-Geld oder Unterst&uuml;tzungen erlebt sie als enorme Belastung. Der Bus zur Krankenkasse/zum Arbeitsamt/zur Psychiaterin geht morgens und abends je zweimal. Den Terminen bei den Kontroll&auml;rzten sieht sie jedes Mal mit Angst entgegen und hat deswegen auch schon Termine vers&auml;umt.</p> <h2>Gedanken der behandelnden &Auml;rztin</h2> <p>Irgendwie kommen wir in der Therapie nicht weiter. Es w&auml;re an der Zeit, mit Frau K. an ihrer Kindheit und den Traumatisierungen sowie dem daraus entstandenen Mangel an Selbstbewusstsein zu arbeiten, stattdessen kommt sie schon wieder um einen Bericht f&uuml;r die Sozialversicherung zur weiteren Bewilligung des Reha-Geldes. Habe ich daf&uuml;r Medizin studiert und eine psychotherapeutische Ausbildung gemacht, dass ich mich dauernd mit diesen Berichten herumschlagen muss? Noch dazu habe ich den Eindruck, dass diese nicht gelesen, nicht verstanden oder nicht ernst genommen werden.<br /> Wenn ich &ndash; der Theorie entsprechend &ndash; mich abgrenze und ihr sage, dass sie sich das selbst regeln muss, wei&szlig; ich genau, dass sie das nicht schafft. Das letzte Mal soll sie sogar entw&uuml;rdigend behandelt worden sein und musste sich trotz bekannter psychiatrischer Fragestellung und Vorbefunde v&ouml;llig ausziehen. Ich bewege mich daher aus der therapeutischen Abstinenz und beginne stattdessen, f&uuml;r die Patientin zu agieren. Abgesehen davon, dass das nicht gut ist f&uuml;r die Arbeitsbeziehung und die Therapie (wenn es nicht durchgeht, bin ich schuld und erlebe durch die Patientin die Abwertung, die sie durch die Beh&ouml;rde erf&auml;hrt), passt es auch nicht zu meinem beruflichen Selbstverst&auml;ndnis. Was kann ich daf&uuml;r, wenn die Politik alle so knapp h&auml;lt, dass es keine sicheren Therapiebedingungen mehr gibt?</p> <h2>Aus der Sicht der Gutachterin</h2> <p>Wir bekommen laufend die Informationen von oben (Direktion, Regierung, Finanzabteilung), dass ein Gutteil der Leute, die mit irgendwelchen Antr&auml;gen zu uns kommen, eigentlich versuchen, das System auszunutzen. Wenn in Wien in der Fr&uuml;h nur mehr die Sch&uuml;ler aufstehen, dann sind auch wir aufgefordert, mit medizinischer Akribie daf&uuml;r zu sorgen, dass nur jene Leute die Unterst&uuml;tzungen bekommen, die sie auch wirklich brauchen. Wenn jemand sporadisch eine Panikattacke hat, hei&szlig;t das ja noch lange nicht, dass er dazwischen nicht einer sinnvollen T&auml;tigkeit nachgehen k&ouml;nnte. Daher muss ich einen m&ouml;glichst genauen Befund erheben, auch wenn dazu geh&ouml;rt, dass ich eine Patientin mit Panikattacken vollst&auml;ndig entkleiden und dann in der Unterw&auml;sche 15 Minuten warten lasse, w&auml;hrend ich meinen Befund diktiere.<br /> Und dass die Behandler immer wieder in ihren Befunden &uuml;bertreiben, weil sie Angst haben, dass die Patienten sonst zu jemand anderem gehen und sie den Patienten nicht bei sich halten k&ouml;nnen, ist ohnehin klar. Daher kann man auch nicht alles f&uuml;r bare M&uuml;nze nehmen, was in den Befunden steht. Die Zeit dr&auml;ngt &ndash; es warten schon die N&auml;chsten. Was kann denn ich daf&uuml;r, wenn so viele eines der besten Gesundheitssysteme der Welt nur ausn&uuml;tzen wollen?</p> <h2>Was in der Patientin vorgeht</h2> <p>Ich bin v&ouml;llig fertig, traue mir nichts mehr zu und f&uuml;hle mich wertlos. Das wird mir auch von den Stellen, die ich bis jetzt um Hilfe aufgesucht habe, vermittelt. Die Frau Doktor sagt, sie kann nicht mehr f&uuml;r mich tun, ich m&uuml;sste mich jetzt selbst in der Therapie mehr einbringen. Sie wei&szlig; gar nicht, wie m&uuml;hsam es f&uuml;r mich ist, &uuml;berhaupt regelm&auml;&szlig;ig zu kommen. Mit den schlechten Busverbindungen ist dann immer gleich ein halber Tag weg, das ist schon wegen der Kinder sehr schwierig. Und dann noch zum Hausarzt, die Rezepte umschreiben, und wieder mit einem Befund zur Versicherung. Dort habe ich den Eindruck, dass man mir mein Leiden vorwirft und es f&uuml;r eine Ausrede h&auml;lt, nicht arbeiten gehen zu m&uuml;ssen. Manchmal habe ich schon vor dem Termin so viel Angst, dass ich mich gar nicht aus dem Haus traue. Was kann denn ich daf&uuml;r, dass alles rundherum so schwierig geworden ist, dass ich und viele andere es nicht mehr schaffen?</p> <h2>Nachsatz</h2> <p>Die Idee zur Struktur dieses Berichts stammt von einem Teilnehmer am &bdquo;fit for life &ndash; Literaturpreis f&uuml;r Suchtkranke 2019&ldquo;. Die Glosse bezieht sich nat&uuml;rlich auch auf den literarisch bekannten und mit Frau K. schicksalsverwandten Herrn K. und m&auml;nnliche Akteure. Die vorgestellten Inhalte sind gesammelte Eindr&uuml;cke und Erfahrungen niedergelassener PsychiaterInnen und daher nicht einzelnen Individuen oder konkreten Abl&auml;ufen, aber sehr wohl der Gesamtsituation zuzuordnen. Und sollte diese Glosse ein Hauch von Larmoyanz durchwehen &ndash; konkrete Angebote und Ver&auml;nderungsvorschl&auml;ge sind willkommen.</p></p>
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