
Was kann ich dafür?
E-Mail: david.psych.log@aon.at
Die Perspektiven der Frau K., die therapeutische Abstinenz und die Gesellschaft.
Frau K. leidet seit mehreren Jahren an einer Angststörung. Sie ist geschieden, hat zwei Kinder, eines schulpflichtig, eines in der Lehre. Ihr Exmann zahlt Alimente in geringfügigem Ausmaß, da er selbst immer wieder in einer prekären Arbeitssituation ist. Frau K. lebt in einer dörflichen Gemeinde, wo wenig Verständnis für ihre Erkrankung besteht. Sie hat dort auch nur wenig Sozialkontakte. Ihre Symptomatik hindert sie daran, sich in neue Arbeits-/ Beziehungssituationen zu begeben. Einmal monatlich sucht sie ihre Psychiaterin auf, die ihr auch eine Überweisung zur Psychotherapie ausgestellt hat. Sie ist derzeit arbeitslos.
Jede Vorladung zur Sozialversicherung zwecks Verlängerung von Reha-Geld oder Unterstützungen erlebt sie als enorme Belastung. Der Bus zur Krankenkasse/zum Arbeitsamt/zur Psychiaterin geht morgens und abends je zweimal. Den Terminen bei den Kontrollärzten sieht sie jedes Mal mit Angst entgegen und hat deswegen auch schon Termine versäumt.
Gedanken der behandelnden Ärztin
Irgendwie kommen wir in der Therapie nicht weiter. Es wäre an der Zeit, mit Frau K. an ihrer Kindheit und den Traumatisierungen sowie dem daraus entstandenen Mangel an Selbstbewusstsein zu arbeiten, stattdessen kommt sie schon wieder um einen Bericht für die Sozialversicherung zur weiteren Bewilligung des Reha-Geldes. Habe ich dafür Medizin studiert und eine psychotherapeutische Ausbildung gemacht, dass ich mich dauernd mit diesen Berichten herumschlagen muss? Noch dazu habe ich den Eindruck, dass diese nicht gelesen, nicht verstanden oder nicht ernst genommen werden.
Wenn ich – der Theorie entsprechend – mich abgrenze und ihr sage, dass sie sich das selbst regeln muss, weiß ich genau, dass sie das nicht schafft. Das letzte Mal soll sie sogar entwürdigend behandelt worden sein und musste sich trotz bekannter psychiatrischer Fragestellung und Vorbefunde völlig ausziehen. Ich bewege mich daher aus der therapeutischen Abstinenz und beginne stattdessen, für die Patientin zu agieren. Abgesehen davon, dass das nicht gut ist für die Arbeitsbeziehung und die Therapie (wenn es nicht durchgeht, bin ich schuld und erlebe durch die Patientin die Abwertung, die sie durch die Behörde erfährt), passt es auch nicht zu meinem beruflichen Selbstverständnis. Was kann ich dafür, wenn die Politik alle so knapp hält, dass es keine sicheren Therapiebedingungen mehr gibt?
Aus der Sicht der Gutachterin
Wir bekommen laufend die Informationen von oben (Direktion, Regierung, Finanzabteilung), dass ein Gutteil der Leute, die mit irgendwelchen Anträgen zu uns kommen, eigentlich versuchen, das System auszunutzen. Wenn in Wien in der Früh nur mehr die Schüler aufstehen, dann sind auch wir aufgefordert, mit medizinischer Akribie dafür zu sorgen, dass nur jene Leute die Unterstützungen bekommen, die sie auch wirklich brauchen. Wenn jemand sporadisch eine Panikattacke hat, heißt das ja noch lange nicht, dass er dazwischen nicht einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen könnte. Daher muss ich einen möglichst genauen Befund erheben, auch wenn dazu gehört, dass ich eine Patientin mit Panikattacken vollständig entkleiden und dann in der Unterwäsche 15 Minuten warten lasse, während ich meinen Befund diktiere.
Und dass die Behandler immer wieder in ihren Befunden übertreiben, weil sie Angst haben, dass die Patienten sonst zu jemand anderem gehen und sie den Patienten nicht bei sich halten können, ist ohnehin klar. Daher kann man auch nicht alles für bare Münze nehmen, was in den Befunden steht. Die Zeit drängt – es warten schon die Nächsten. Was kann denn ich dafür, wenn so viele eines der besten Gesundheitssysteme der Welt nur ausnützen wollen?
Was in der Patientin vorgeht
Ich bin völlig fertig, traue mir nichts mehr zu und fühle mich wertlos. Das wird mir auch von den Stellen, die ich bis jetzt um Hilfe aufgesucht habe, vermittelt. Die Frau Doktor sagt, sie kann nicht mehr für mich tun, ich müsste mich jetzt selbst in der Therapie mehr einbringen. Sie weiß gar nicht, wie mühsam es für mich ist, überhaupt regelmäßig zu kommen. Mit den schlechten Busverbindungen ist dann immer gleich ein halber Tag weg, das ist schon wegen der Kinder sehr schwierig. Und dann noch zum Hausarzt, die Rezepte umschreiben, und wieder mit einem Befund zur Versicherung. Dort habe ich den Eindruck, dass man mir mein Leiden vorwirft und es für eine Ausrede hält, nicht arbeiten gehen zu müssen. Manchmal habe ich schon vor dem Termin so viel Angst, dass ich mich gar nicht aus dem Haus traue. Was kann denn ich dafür, dass alles rundherum so schwierig geworden ist, dass ich und viele andere es nicht mehr schaffen?
Nachsatz
Die Idee zur Struktur dieses Berichts stammt von einem Teilnehmer am „fit for life – Literaturpreis für Suchtkranke 2019“. Die Glosse bezieht sich natürlich auch auf den literarisch bekannten und mit Frau K. schicksalsverwandten Herrn K. und männliche Akteure. Die vorgestellten Inhalte sind gesammelte Eindrücke und Erfahrungen niedergelassener PsychiaterInnen und daher nicht einzelnen Individuen oder konkreten Abläufen, aber sehr wohl der Gesamtsituation zuzuordnen. Und sollte diese Glosse ein Hauch von Larmoyanz durchwehen – konkrete Angebote und Veränderungsvorschläge sind willkommen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Phytotherapie bei Angsterkrankungen und assoziierten Beschwerden
Pflanzliche Arzneimittel gewinnen immer mehr Bedeutung in der Psychiatrie. Insbesondere bei Angsterkrankungen und Depressionen stellen Phytotherapeutika eine sinnvolle Alternative zu ...
Machine Learning zur Verbesserung der Versorgung ausländischer Patient:innen
Die zunehmende Diversität aufgrund von Migration bringt spezifische Herausforderungen hinsichtlich Kommunikation, kultureller Deutung von Symptomen sowie institutioneller Strukturen mit ...
Stellungnahme zum Konsensus Statement Schizophrenie 2023
In dem Konsensus Statement Schizophrenie 20231 wurde die Sachlage zur Diagnostik und Therapie schizophrener Erkrankungen in 19 Kapiteln erarbeitet. Doch besteht im Bereich der ...