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Nobelpreisträger warnt vor Folgen unseres Lebensstils

<p class="article-intro">2017 haben drei Forscher aus den USA den Nobelpreis für Medizin für ihre Entdeckung bekommen, wie unsere innere Uhr auf zellulärer Ebene reguliert wird. Störungen der inneren Uhr erhöhen nicht nur das Risiko für Schlafstörungen, sondern – wie neue Studien zeigen – auch für Depressionen und andere psychische Krankheiten. Nobelpreisträger Prof. Michael Rosbash ist ziemlich deutlich: Schuld an vielen Krankheiten könne der moderne Lebensstil sein, denn der stört unsere innere Uhr empfindlich.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Prof. Michael Rosbash ist Molekularund Chronobiologe an der Brandeis- Universit&auml;t in Massachusetts. Er hat 2017 gemeinsam mit den Professoren Jeffrey Hall, ebenfalls von der Brandeis-Universit&auml;t, und Michael W. Young von der Rockefeller- Universit&auml;t in New York den Nobelpreis f&uuml;r Physiologie oder Medizin gewonnen. &laquo;Im Dunkeln arbeitet die innere Uhr wie programmiert und sie arbeitet auch gut in einem regelm&auml;ssigen Wechsel zwischen Hell und Dunkel&raquo;, sagte er beim 68. Lindau Nobel Laureate Meeting im Juni. &laquo;Aber wenn wir wenig schlafen und uns st&auml;ndig k&uuml;nstlichem Licht aussetzen &ndash; vor allem dem blauen Computerlicht &ndash;, ger&auml;t die innere Uhr durcheinander, der Zyklus der taktgebenden Gene funktioniert nicht mehr richtig, und es kann zu diversen Ver&auml;nderungen im Stoffwechsel kommen.&raquo;<br /> Sie wehrt sich hartn&auml;ckig und beh&auml;lt ihren Rhythmus bei &ndash; komme, was wolle. Die innere Uhr l&auml;sst uns nach einem Langstreckenflug hellwach sein oder partout nicht schlafen, wegen ihr w&auml;lzen sich Schichtarbeiter nach einer anstrengenden Nachtschicht tags&uuml;ber unruhig im Bett. Sie bestimmt, dass wir morgens wacher sind als abends, wann wir die schnellste Reaktionszeit haben, die h&ouml;chste K&ouml;rpertemperatur und den schnellsten Anstieg des Blutdrucks (Abb. 1).<br /> &laquo;Wir wissen jetzt, dass es nicht nur eine innere Uhr gibt, sondern Tausende&raquo;, sagt Dr. Hans-G&uuml;nter Wee&szlig;, Leiter des Schlafzentrums am Pfalzklinikum im s&uuml;ddeutschen Klingenm&uuml;nster. Die oberste innere Uhr sitzt im Gehirn. Wie ein Maestro im Orchester dirigiert sie viele einzelne Unteruhren in unseren Zellen und l&auml;sst diese tagt&auml;glich ein harmonisches Konzert spielen. &laquo;Bringt man das durcheinander, leidet die Lebensqualit&auml;t enorm und man kann psychisch krank werden.&raquo;<br /> Organismen auf der Erde haben schon vor Jahrtausenden gelernt, sich an ihre Umgebung anzupassen &ndash; das sicherte ihr &Uuml;berleben. Doch die Erde dreht sich, und t&auml;glich &auml;ndern sich Licht und Temperatur. Die meisten Organismen entwickelten deshalb eine innere biologische Uhr, mit der sie die Tag- Nacht-Zyklen quasi vorhersehen und ihren Stoffwechsel und ihr Verhalten darauf einstellen konnten. Dieser zirkadiane Rhythmus wurde w&auml;hrend der Evolution bewahrt. Egal ob Einzeller, Pilze, Pflanzen, Insekten, Nagetiere oder der Mensch: Alle folgen einem f&uuml;r sie passenden Rhythmus. 1729 stellte der franz&ouml;sische Astronom Jean Jacques d&rsquo;Ortous de Mairan eine Mimose ins Dunkle und beobachtete, dass die Pflanze trotz Dunkelheit ihre Bl&auml;tter zur korrekten Tageszeit &ouml;ffnete und schloss &ndash; die Mimose musste von selbst &laquo;wissen&raquo;, wann Tag und wann Nacht war. 200 Jahre sp&auml;ter zeichnete der deutsche Pflanzenphysiologe Prof. Erwin B&uuml;nning die Positionen der Bl&auml;tter einer Bohnenpflanze mit einem Kymografen auf, einmal w&auml;hrend des normalen Tag- Nacht-Rhythmus und einmal bei konstanten Lichtverh&auml;ltnissen. In beiden F&auml;llen behielt die Bohnenpflanze ihren Rhythmus bei &ndash; auch das sprach f&uuml;r einen endogenen Zeitgeber. Doch noch jahrzehntelang stritten sich die Forscher, ob es eine innere Uhr wirklich g&auml;be oder ob der zirkadiane Rhythmus nicht doch von &auml;usseren Stimuli abhinge. Erst Mitte der 1960er-Jahre begann sich das Konzept der inneren Uhr st&auml;rker zu etablieren, als eine Gruppe von Chronobiologen intensiv dar&uuml;ber forschte.<br /> Zu der Zeit begannen der US-amerikanische Molekularbiologe Prof. Seymour Benzer und sein Student Ronald Konopka Studien mit mutierten Fruchtfliegen, bei denen der zirkadiane Rhythmus gest&ouml;rt war. Im Gegensatz zu anderen Forschern dieser Zeit war Benzer &uuml;berzeugt, dass sich ein bestimmtes Verhalten durch einzelne Gene beeinflussen lasse &ndash; das wollte er mit den Fruchtfliegen beweisen. Benzers Team isolierte drei Fruchtfliegenst&auml;mme mit jeweils unterschiedlicher Mutation. Der erste Stamm hatte einen arrhythmischen 24-Stunden-Zyklus, ein anderer eine k&uuml;rzere Periode von 19 Stunden und ein dritter Stamm eine l&auml;ngere von 28. Benzer fand heraus, dass sich alle drei Mutationen im gleichen Gen befanden &ndash; dieses wurde sp&auml;ter &laquo;Period&raquo;-Gen genannt. Benzer und Konopka vermuteten, dass die Fruchtfliegen mit dem arrhythmischen Zyklus eine sogenannte &laquo;Nonsense&raquo;-Mutation im &laquo;Period&raquo;-Gen tragen, die es inaktiviert, und dass die Fruchtfliegen mit dem l&auml;ngeren und k&uuml;rzeren Zyklus Mutationen tragen, die das Genprodukt gegens&auml;tzlich beeinflussen. Beide Vermutungen waren richtig, wie sich sp&auml;ter herausstellte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1804_Weblinks_lo_neuro_1804_s12_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="851" /></p> <h2>Ein Gen f&uuml;r den zirkadianen Rhythmus</h2> <p>Mitte der 1980er-Jahre gelang es Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young, das &laquo;Period&raquo;-Gen zu isolieren und zu sequenzieren. Wie die zirkadiane Uhr auf molekularer Ebene funktionierte, war damit aber auch noch nicht gekl&auml;rt. Forscher stellten diverse Theorien auf, wie das Genprodukt, also das Protein PER, arbeiten k&ouml;nnte. Etwa wie eine Pumpe, die einen Gradienten in der Zellmembran aufbaut und quasi wieder &laquo;ausgeschaltet&raquo; wird, wenn eine bestimmte Helligkeit erreicht ist. Andere Forscher meinten, PER k&ouml;nnte ein Proteoglykan sein, das Zellen n&auml;her zueinanderbringt, damit diese leichter Verbindungen eingehen k&ouml;nnten. Hall und Rosbash fanden schliesslich heraus, dass das PER-Protein in der Nacht akkumuliert und tags&uuml;ber abgebaut wird. So schwanken die PER-Spiegel &uuml;ber einen Zeitraum von 24 Stunden, synchron mit dem zirkadianen Rhythmus. Hat eine Zelle gen&uuml;gend PER produziert, verhindert das Protein selbst, dass noch mehr PER gebildet wird. So reguliert PER seine eigenen Konzentrationen in einem kontinuierlichen, zyklischen Rhythmus.<br /> Es fehlten aber immer noch ein paar Puzzleteile. Das PER-Protein blockiert die Aktivit&auml;t des &laquo;Period&raquo;-Gens, so viel war klar. Aber dazu musste das PER-Protein, das im Zytoplasma produziert wird, in den Zellkern gelangen, wo sich das Gen befindet. Der dritte Preistr&auml;ger Michael Young entdeckte ein zweites Gen f&uuml;r den zirkadianen Rhythmus, das &laquo;Timeless&raquo;-Gen. Es f&uuml;hrt zur Produktion des TIM-Proteins, das wie ein Taxi wirkt: Bindet PER an TIM, k&ouml;nnen beide Proteine in den Zellkern gelangen, wo sie die Aktivit&auml;t des &laquo;Period&raquo;- Gens blockieren. Dass unsere innere Uhr genau 24 Stunden umfasst, gew&auml;hrleisten andere Gene wie &laquo;doubletime&raquo;, &laquo;clock&raquo;, &laquo;cycle&raquo; und &laquo;cryptochrome&raquo;, deren Genprodukte, also die Proteine CLK, CYC und CRY, in einem komplizierten Zusammenspiel den PER-Kreislauf fein regulieren und Einfl&uuml;sse aus der Umwelt integrieren. So aktiviert zum Beispiel Licht das CRY-Protein und bewirkt, dass es an das TIM-Taxi bindet, was letztendlich zum schnelleren Abbau von PER f&uuml;hrt.</p> <h2>Schuld an &Uuml;bergewicht k&ouml;nnte Schichtarbeit sein</h2> <p>&laquo;Die innere Uhr ist ein zentraler Baustein des menschlichen Organismus&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Christian Baumann, leitender Schlafmediziner an der Klinik f&uuml;r Neurologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich. &laquo;An sie sind elementare Prozesse gekoppelt wie der Temperaturhaushalt, Stoffwechselprozesse und das Herz-Kreislauf- System sowie die Aussch&uuml;ttung von Kortisol und Wachstumshormonen.&raquo; Diese werden durch den Hell-dunkel-Rhythmus tagaus, tagein getaktet.<br /> Es gibt verschiedene Chronotypen, was sich auch im t&auml;glichen Leben widerspiegelt: &laquo;Sogenannte Lerchen kommen schlechter mit Schichtarbeit zurecht als &lsaquo;Eulen&rsaquo;&raquo;, erkl&auml;rt Schlafmediziner Wee&szlig;. &laquo;F&uuml;r viele Sp&auml;ttypen ist der Schul- und Arbeitsbeginn zu fr&uuml;h. Die Folgen sind Tagesschl&auml;frigkeit und vermehrte Fehlleistungen im Strassenverkehr oder am Arbeitsplatz. Auch die Schulleistungen sind am fr&uuml;hen Morgen schlechter, weil Jugendliche ausgepr&auml;gte Eulen sind.&raquo; Bei der Behandlung von Schlafst&ouml;rungen ist die Kenntnis des Chronotyps von zentraler Bedeutung. Wee&szlig;: &laquo;Hat jemand zum Beispiel Ein- oder Durchschlafprobleme, empfehle ich je nach Chronotyp eine andere Verhaltenstherapie.&raquo;<br /> Jedes Organ hat eigene Uhren, die tageszeitlich verschieden ticken. So ist etwa die Bauchspeicheldr&uuml;se mit der Insulinproduktion zu ganz anderen Zeiten aktiv als das Fettgewebe, wenn es Fette speichert. Die &laquo;Unteruhren&raquo; tauschen sich untereinander und mit der &laquo;Oberuhr&raquo; im Gehirn aus und bringen sich in einen Gleichklang. &laquo;Unregelm&auml;ssige Schlafenszeiten bringen dieses harmonische Spiel empfindlich durcheinander &raquo;, sagt Wee&szlig;. &laquo;Sie k&ouml;nnten zum Beispiel erkl&auml;ren, warum Schichtarbeiter oft &uuml;bergewichtig sind oder warum manche Kinder nicht richtig wachsen, denn bei unregelm&auml;ssigen Schlafenszeiten wird weniger Wachstumshormon ausgesch&uuml;ttet.&raquo;</p> <h2>Psychisch krank durch gest&ouml;rten Rhythmus</h2> <p>St&ouml;rungen der inneren Uhren scheinen auch das Risiko f&uuml;r psychische Krankheiten zu erh&ouml;hen. Eine der gr&ouml;ssten Studien mit 91 105 Teilnehmern ver&ouml;ffentlichten k&uuml;rzlich Forscher von der Universit&auml;t Glasgow zu diesem Thema.<sup>1</sup> Diejenigen, die w&auml;hrend Ruhezeiten aktiv waren und/oder am Tage ruhten, erkrankten h&auml;ufiger an Depressionen oder bipolaren St&ouml;rungen, also an schweren chronischen Krankheiten mit manischen und depressiven Phasen. Wie aktiv die Probanden am Tag und in der Nacht waren, wurde mittels eines Beschleunigungssensors am Handgelenk registriert &ndash; damit war die Studie aussagekr&auml;ftiger als fr&uuml;here, in denen die Teilnehmer selbst angaben, wie aktiv sie waren.<br /> &laquo;Es kann nat&uuml;rlich sein, dass Menschen mit Depressionen oder bipolarer St&ouml;rung schlecht schlafen&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Robert Perneczky, Psychiater an der Ludwig- Maximilians-Universit&auml;t in M&uuml;nchen und am Imperial College in London. &laquo;Aber wir haben inzwischen immer mehr Hinweise, dass St&ouml;rungen der inneren Uhr wirklich urs&auml;chlich psychische Krankheiten verursachen k&ouml;nnten.&raquo; So haben Forscher zum Beispiel nachgewiesen, dass genetische Varianten des &laquo;Clock&raquo;-Gens beim Menschen zu manisch-depressivem Verhalten f&uuml;hren k&ouml;nnen<sup>2</sup> und Medikamente gegen Depressionen oder Schizophrenie gest&ouml;rte Rhythmen wieder synchronisieren k&ouml;nnen.<sup>3</sup><br /> In der Glasgower Studie zeigten diejenigen mit gest&ouml;rtem Tag-Nacht-Rhythmus l&auml;ngere Reaktionszeiten &ndash; ein indirektes Mass f&uuml;r die Funktion des Gehirns. &laquo;Wir sehen bei vielen Patienten mit gest&ouml;rter Hirnfunktion &ndash; etwa bei Morbus Alzheimer &ndash; St&ouml;rungen des Tag-Nacht-Rhythmus&raquo;, sagt Perneczky. Typisch ist das Sundowning: Am Abend werden die Betroffenen unruhig, laufen umher, sind nerv&ouml;s und k&ouml;nnen nicht schlafen. &laquo;Bei Alzheimerpatienten wird unter anderem auch das Nervengebiet im Hirn gesch&auml;digt, in dem sich die innere Uhr befindet &ndash; das k&ouml;nnte die St&ouml;rung der zirkadianen Rhythmik erkl&auml;ren&raquo;, sagt Perneczky. Die Erkenntnisse &uuml;ber die innere Uhr haben l&auml;ngst Einzug in sein Behandlungsspektrum gefunden: Tipps zum besseren Schlafen geh&ouml;ren bei ihm zur Standardtherapie. Schichtarbeitern r&auml;t er, entweder nachts oder tags zu arbeiten und nicht st&auml;ndig im Wechsel. Zus&auml;tzlichen Stress solle man vermeiden, weil dieser das Risiko f&uuml;r psychische Krankheiten weiter erh&ouml;he. &laquo;Hatte man selbst oder jemand in der Familie schon einmal Depressionen oder andere psychische Krankheiten, ist das umso wichtiger&raquo;, sagt der Psychiater.<br /> Lichttherapie oder Schlafentzug kann bei depressiven Menschen die inneren Uhren wieder in Einklang bringen. Gegen das Sundowning hilft, wenn die Betroffenen tags&uuml;ber k&ouml;rperlich aktiv sind, man sie geistig stimuliert und gegen Abend f&uuml;r eine ruhige Umgebung sorgt. &laquo;An die Politik sind unsere Erkenntnisse &uuml;ber die innere Uhr ein klares Signal&raquo;, sagt Perneczky. &laquo;Durch weniger Schichtarbeit und Wohngebiete, in denen es dunkel ist und man ruhig schlafen kann, liessen sich viele psychische Leiden vermeiden.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Lyall LM et al.: Association of disrupted circadian rhythmicity with mood disorders, subjective wellbeing, and cognitive function: a cross-sectional study of 91 105 participants from the UK Biobank. Lancet Psychiatry 2018; 5(6): 507-14 <strong>2</strong> Shi J et al.: Clock genes may influence bipolar disorder susceptibility and dysfunctional circadian rhythm. Am J Med Genet B Neuropsychiatr Genet 2008; 147B: 1047-55 <strong>3</strong> Karatsoreos IN: Links between circadian rhythms and psychiatric disease. Front Behav Neurosci 2014; 8: 162</p> </div> </p>
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