
Lebensqualität im Alter und bei Demenz
Autorin:
Dr. Barbara Hoffmann
Zentrum für Altersmedizin
Klinikum Klagenfurt am Wörthersee
E-Mail: barbara.hoffmann@kabeg.at
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Der Begriff „Lebensqualität“ als Maßstab für subjektives Wohlbefinden, Bildung und Wohlstand1 spielt in jedem Lebensabschnitt eine wesentliche Rolle, scheint jedoch im Alter – ergänzt durch zusätzliche Facetten – nicht minder bedeutend zu sein.
Keypoints
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Funktionalität ist als Schlüssel zum Erhalt von Lebensqualität im Alter zu sehen.
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Eine bestehende Multimorbidität bedingt eine multi- und interdisziplinäre Versorgung in intra- und extramuralen Strukturen.
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Lebensqualität ist im Alter ebenso vorrangig wie bei Demenz und gleichfalls für die Umsorgenden und Behandler unverzichtbar.
Die Lebenserwartung wurde 2020 in Österreich mit 79,7 Jahren für Männer und 84,3 Jahren für Frauen ausgewiesen.2 Ausgehend von einer weiter generellen Zunahme stellt die Bevölkerungsgruppe der über 75-jährigen demografisch einen unbestritten beachtlichen Anteil dar. Dementsprechend nimmt die Frage nach der Qualität des Lebens besonders in dieser Altersgruppe einen hohen Stellenwert ein.
Interessanterweise scheint die Beurteilung dieser Thematik jedoch stark von der jeweiligen Sichtweise abzuhängen. In einer Befragung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge schätzten jüngere Personen die vermeintliche Lebensqualität von Senioren auffallend negativer ein als die Betroffenen selbst (Abb.1).3

Abb. 1: Wie beurteilen Sie die Lebensqualität der Senioren?

Tab. 1: Subjektive Merkmale für Lebensqualität
Ausgehend von einer zumeist vorliegenden Multimorbidität im höheren Lebensalter stehen bei chronisch kranken Menschen unter anderem folgende subjektive Merkmale für Lebensqualität im Vordergrund (Tab.1), wobei allen voran eine gute und vertrauensvolle Beziehung zum Partner und zur Familie genannt wurde.4
Mit unterschiedlichsten Testinstrumenten und Befragungen wird weiterhin versucht, den Terminus Lebensqualität festzumachen und zu graduieren.5 Eine Objektivierbarkeit der Lebensqualität mithilfe von Scores stellt sich gerade im Alter bislang aufgrund der Komplexität und insbesondere Subjektivität des Empfindens als wenig zufriedenstellend dar.
Vulnerabilität – physisch, psychisch, sozial
Als Marker für die lebensqualitätsmindernde Multimorbidität älterer Menschen kann die zunehmende Vulnerabilität in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht gesehen werden. Um gefährdete Personen für eine körperliche, seelische oder soziale Beeinträchtigung möglichst rechtzeitig zu erkennen, können insbesondere einfach einsetzbare Tools angewandt werden, wie z.B. das Screening-Instrument „Identification of Seniors at Risk“ (ISAR-Score) (Abb.2).6

Abb. 2: Das ISAR-Screening-Instrument (Identification of Seniors at Risk) zur Identifizierung gefährdeter älterer Patienten an der Notfallstation
Als Teil des geriatrischen Assessments besteht in dieser Testauswertung, nach Erhebung der sechs gestellten Fragen, ab einer Punkteanzahl von zwei, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Indikation zur weiterführenden geriatrischen Betreuung.
Um die ggf. bestehende Gebrechlichkeit der jeweiligen Person – in Bezug auf den Rückgang der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit – gradweise abzustufen und den entsprechenden Unterstützungsbedarf einzuschätzen, können sogenannte Frailty-Kriterien7,8 herangezogen werden. Diese Fragilität als Zeichen eines typischen geriatrischen Syndroms basiert häufig auf einer Sarkopenie durch einen Muskelmasseverlust und eine dadurch allgemein reduzierte Kraft.
Die „Klinische Frailty-Skala“ (zu finden auf www.dggeriatrie.de)9 veranschaulicht in Kombination mit den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs)10 das Selbsthilfedefizit und dadurch die mögliche Einschränkung der Lebensqualität des betagten älteren Menschen. Es wird insbesondere differenziert zwischen Senioren mit fitter, prefrailer und frailer Konstitution, um entsprechend das Unterstützungs- und Behandlungsangebot in einem präventiven, rehabilitativen oder aber palliativen Ansatz festzulegen. Die sich daraus ergebende Skalierung spiegelt wiederum die starke Heterogenität der gesamten Altersgruppe – von sehr fit bis schwer gebrechlich – wider.
Bereits in der hausärztlichen Praxis bewährt sich ein kurzes geriatrisches Basis-Assessment um (Pre-)Frailty mit zwei einfachen Signalfragen zu erkennen: „Fühlen Sie sich voller Energie?“ und „Haben Sie Schwierigkeiten, eine Strecke von 400 Metern zu gehen?“ Hierdurch kann eine rasche Erfassung des funktionellen Status und somit auch der Lebensqualität erfolgen.
Zum Funktionserhalt durch entsprechende Prävention hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) weiters den „MAGIC“-Fragebogen („Manageable Geriatric Assessment“) verfasst. Hierbei werden Fragen gezielt zu u.a. Leistungsfähigkeit, Sturzneigung, Sensorium, Kontinenz, Ernährung, Sozial- und Impfstatus sowie zu Schlaf, Depression und Kognition gestellt. In den so detektierten vulnerablen Bereichen ist anschließend eine weitere Diagnostik und wenn nötig Therapieplanung angezeigt.11
Demenz und Lebensqualität
Gerade bei kognitiv beeinträchtigten Menschen stellt der Erhalt der Lebensqualität eine besondere Herausforderung dar. Beispielhaft stehen hier, speziell in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung, die erschwerte Diagnostik zur Schmerzerkennung oder aber auch delirante Episoden mit herausfordernden Verhaltensweisen.
Im Rahmen der Schmerzerfassung kann vielfach nicht auf gängige Bestimmungen mittels visueller, verbaler oder numerischer Messungen zurückgegriffen werden. Hier kann die Doloplus-2-Skala12 als beobachtende Klassifizierung genutzt werden.
Jedoch geht es nicht immer lediglich darum, körperliche Schmerzen zu erfassen, es ist ebenso wesentlich, die seelische Komponente miteinzubeziehen.
Auch die Ernährungssituation bei fortschreitender demenzieller Entwicklung erfordert klare Entscheidungen, um einerseits den Vorlieben des Patienten bei zusätzlich vorliegender Schluckstörung gerecht zu werden, aber auch um das möglicherweise evident werdende Thema einer PEG-Sonden-Legung auf deren Sinnhaftigkeit einzuschätzen.
Ebenso ist die strikte Einhaltung aller medizinischen evidenzbasierten Empfehlungen bei bestehender Polymorbidität kritisch zu hinterfragen, um eine zwangsläufig damit einhergehende und besonders im Alter häufig vorliegende Polypharmazie zu vermeiden.
In allen Belangen geht es vorrangig darum, die Bedürfnisse des älteren Menschen zu erkennen und diese nach Möglichkeit in medizinischer, funktioneller, seelischer, spiritueller und sozialer Weise zu respektieren und zu unterstützen.
Zu diesem Zweck ist ein entsprechender Wissensaufbau gefordert bis hin zur Demenz-Sensibilität in Krankenhäusern.13 Es geht um die Schaffung von Bewusstsein einer verringerten Fähigkeit zur Anpassung der betroffenen Patienten an ihre Umwelt. Umso wesentlicher ist im Gegenzug das Bestreben der Anpassung des Lebensraumes an die Bedürfnisse der Patienten. Hierbei sind mitunter auch alternative Handlungskonzepte bevorzugt anzuwenden, um freiheitsentziehende Maßnahmen in gefährdenden Situationen im Rahmen von psychomotorischen Unruhephasen jedenfalls zu vermeiden.14
Neben den Betroffenen selbst dürfen aber die betreuenden Angehörigen und Pflegenden nicht außer Acht gelassen werden. Gerade sie bedürfen besonderer Unterstützung, um auch deren Lebensqualität zu erhalten.15 Insbesondere bei sprachlichem Rückzug der Demenzerkrankten gibt es alternative Möglichkeiten zur gegenseitigen Inklusion und Integration und damit Stärkung der versorgenden Personen, die häufig enge Familienmitglieder darstellen.16 Bewährt hat sich hier die Validationstherapie der Gerontologin Naomi Feil mit den, den jeweiligen Krankheitsphasen entsprechend, anwendbaren Kommunikationstechniken.17
Funktionalität steht gleichbedeutend für Lebensqualität
Der Erhalt der Funktionalität in weiten Belangen der Erkrankten steht als Garant für die Wahrung der Lebensqualität18 insbesondere in höherem Alter. Damit lässt sich vorrangig ein autonomes Leben so lange als möglich erhalten und eine Pflegebedürftigkeit länger vermeiden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Jahr 2019 erstmals Leitlinien zur Verringerung des Risikos für eine Demenzerkrankung postuliert19 und diese in Lifestyle-Faktoren und chronische Erkrankungen unterteilt (Tab.2).

Tab. 2: WHO-Leitlinien zur Verringerung des Risikos für eine Demenzerkrankung
Weiters entstehen zunehmend präventive Initiativen zu Gesundheitsvorstellungen, Gesundheitshandeln20 sowie multiprofessionelle Strukturen zur verbesserten Patientenversorgung. Exemplarisch seien hier die Positiv-Empfehlungen von „Choosing wisely Austria – klug entscheiden in der Geriatrie“21 sowie weiters die „Österreichische Hochaltrigenstudie“, etwa zum Thema „Was heißt gutes Leben im hohen Alter?“, erwähnt.22
Dennoch scheint die persönliche Resilienz als individuelle seelische Widerstandskraft wesentlich als Geheimnis eines gelungenen und erfüllten Lebens zu sein. Dies findet sich auch in der „Hundertjährigen-Studie“23 wieder, worin ein Genuss in Maßen sowie intakte soziale Netzwerke mit einer positiven Grundstimmung als fundamental abgeleitet wurden.
Neben allem agierenden Bestreben zum Bewahren von Lebensqualität im Alter darf jedoch eine tatsächlich denkbare Form von Übertherapie nicht übersehen werden, um die vier medizinethischen Grundsätze nicht zu verletzen (Tab.3).24
Ausblick und Ziele
Im Sinne der generell höheren Lebenserwartung von Frauen bedarf es vermehrter Berücksichtigung von Gender-Aspekten25 sowie gleichermaßen vermehrte Studien- und Forschungstätigkeit in dieser Altersgruppe, um bedachte Therapieempfehlungen zu entwickeln. Dies gilt weiters bei Prävention, Screening und Diagnostik bis zum Angebot einer individuellen Heilbehandlung und Betreuung.
Somit ist es die wesentliche Aufgabe und Zielsetzung, dafür zu sorgen, dass gerade Behandler, Begleiter und Betreuer ihre Patienten im Alter länger gesund erhalten, (kognitiven) Abbau verhindern und folglich Behinderung und Pflegebedürftigkeit reduzieren.
Persönlich wird es wesentlich sein, beson-ders in der letzten Lebensphase bewusst(er) zu leben. Dementsprechend trägt die Sinnfindung des eigenen Lebens eben auch zur jeweiligen Erfüllung von Lebensqualität bei.26
Literatur:
1 OECD: “Executive summary”, in: How’s Life? : Measuring Well-being, OECD Publishing, Paris: 2020 2 de.statista.com/statistik/daten/studie/688438/umfrage/prognose-zur-lebenserwartung-in-oesterreich-nach-geschlecht 3 Hilmes C: So bewerten deutsche Senioren ihre Lebensqualität. Deutsches Institut für Altersvorsorge 2017 4 Forsa-Umfrage – Einschätzung zur Lebensqualität von chronisch oder lebensbedrohlich erkrankten Personen unter 1.001 Befragten. Mai/Juni 2016, im Auftrag der Janssen-Cilag GmbH 5 Daig I et Lehmann A: Verfahren zur Messung der Lebensqualität. Z Med Psych 2007; 16(1-2): 5-23 6 Pinter G et al.: Leitlinien-Manko bei geriatrischen Patienten in der Notaufnahme. UIM 2017 7 Fried LP, Tangen CM, Walston J et al.: Frailty in older adults: evidence for a phenotype. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2001; 56(3): 146-156 8 Rockwood K et al.: A global clinical measure of fitness and frailty in elderly people. CMAJ 2005; 173: 489-495 9 Mod. nach Clinical Frailty Scale, Original EN Version (CFS-EN-original). Permission to use the CSF was granted from Dalhousie University, 2017 10 Mahoney FI, Barthel DW: Functional evaluation, the Barthel index. A simple index of independence useful in scoring improvement in the rehabilitation of the chronically ill. Maryland State Medical Journal 1965; 14: 61-65 11 www.degam.de/degam-leitlinien-379.html 2017 12 Stromer W, Grögl-Aringer G: Aus dem Kompendium „Schmerztherapie für die Praxis – ein Wegweiser“. 2018 13 Kirchen PS, Krupp E: Demenzsensibilität in Akutkrankenhäusern. Warum die Umsetzung so schwierig ist, und wie sie dennoch gelingen kann. Z Gerontol Geriat 2019; 52: 291-296 14 Ritzi S, Kruse A: Würde, Freiheit, Leiblichkeit. Ethische Kategorien bei der Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus. Z Gerontol Geriat 2019; 52(Suppl4): 243-248 15 Frewer-Graumann S: Der Alltag mit Demenz aus der Perspektive der Angehörigen. Z Gerontol Geriat 2020; 53: 3-9 16 Watzlawick et al.: Jegliche Arbeit mit Menschen basiert auf Kommunikation und Interaktion. 1969 17 Feil N, De Klerk-Rubin V: Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. Ernst Reinhardt Verlag, 11. Auflage 2017 18 Singh M et al: Mayo Clin Proc 2008; 83: 1146-1153 19 Mod. nach WHO. Risk reduction of cognitive decline and dementia. WHO Guidelines. Genf: WHO, 2019 20 Hampel S: Gesundheitsvorstellungen und Gesundheitshandeln pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz. Z Gerontol Geriat 2020; 53: 29-34 21 Gemeinsam klug entscheiden – eine Initiative von ÄrztInnen für ÄrztInnen und PatientInnen - choosing wisely Austria. 2018 22 Österreichische Plattform für interdisziplinäre Altersfragen (ÖPIA): Österreichische interdisziplinäre Hochaltrigenstudie – Welle II. 2018 23 Robert-Bosch-Stiftung und Dietmar-Hopp-Stiftung: HD100-II – Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie. 2013 24 Childress JF, Beauchamp TL: Principles of biomedical ethics. Oxford University Press, New York: 2001 25 Mansdotter A: Further thoughts on gender and lifetime health. Gerontology 2010 26 Pfaller R: Wofür es sich zu leben lohnt. Elementare materialistische Philosophie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main: 2011