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Krise und Depression bei Männern

<p class="article-intro">Die Depression gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, fast ein Viertel der Menschen erkrankt im Laufe des Lebens zumindest einmal an einer Depression. Epidemiologischen Untersuchungen zufolge leiden Frauen dabei doppelt so häufig an Depressionen wie Männer. Dem steht die Tatsache gegenüber, dass Suizide, die häufig mit einer Depression verbunden sind, bei Männern drei- bis viermal so häufig vorkommen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine Depression wird bei M&auml;nnern deutlich seltener diagnostiziert als bei Frauen.</li> <li>Durch Suizid sterben drei bis viermal mehr M&auml;nner als Frauen.</li> <li>Das Hilfesuch-Verhalten von M&auml;nnern ist deutlich eingeschr&auml;nkt.</li> <li>Geschlechtsspezifische Symptome der Depression bei M&auml;nnern sind Aggressivit&auml;t, Isolation, sekund&auml;rer Alkoholabusus und verst&auml;rktes Risikoverhalten.</li> <li>Gelingt es, M&auml;nner zur Inanspruchnahme von Beratungsund Behandlungsangeboten zu motivieren, kann ein positives Therapieansprechen erzielt werden.</li> </ul> </div> <p>Es sei davor gewarnt, M&auml;nnern aufgrund der geringeren Depressionsrate eine bessere psychische Gesundheit zu attestieren. Im Gesamten stellt sich die M&auml;nnergesundheit schlechter dar, wenn man neben der Suizidh&auml;ufigkeit ber&uuml;cksichtigt, dass M&auml;nner z. B. eine viermal h&ouml;here Rate an Alkoholerkrankung aufweisen, der Gro&szlig;teil der Personen, die vor dem 60. Lebensjahr versterben, M&auml;nner sind und die Lebenserwartung von M&auml;nnern um f&uuml;nf Jahre k&uuml;rzer ist als die der Frauen. <br />M&ouml;ller-Leimk&uuml;hler sieht in einer m&ouml;glichen Unterdiagnostizierung und Unterbehandlung von Depression bei M&auml;nnern einen Teil der Erkl&auml;rung f&uuml;r die geringeren Pr&auml;valenzraten. Mangelnde Hilfesuche, eine dysfunktionale Verarbeitung von Stress und eine geschlechtsunspezifische Diagnostik von Depression werden als Gr&uuml;nde daf&uuml;r angesehen.</p> <h2>M&auml;nner nehmen Beratungs- und Behandlungsangebote seltener in Anspruch</h2> <p>Psychosoziale, aber auch medizinische Beratungs- und Therapieangebote werden in einem wesentlich gr&ouml;&szlig;eren Ausma&szlig; von Frauen in Anspruch genommen. Eine Erhebung in Berlin fand in den verschiedenen psychosozialen Institutionen einen Anteil von m&auml;nnlichen Klienten von 10 bis maximal 41 %. Im Kriseninterventionszentrum Wien betr&auml;gt der Anteil der M&auml;nner relativ konstant mit nur langsamen Steigerungen etwa ein Drittel. Als Ursache daf&uuml;r werden st&auml;rkere kommunikative Kompetenzen bei Frauen angesehen. Diese zeigen sich besonders bei sozialen und pers&ouml;nlichen Themen. Bei retrospektiven Untersuchungen von Suizidopfern zeigt sich, dass im Zusammenhang mit dem Suizid eine Depression bei M&auml;nnern und Frauen gleich h&auml;ufig bestanden hat. Ein gro&szlig;er Teil dieser Personen (70&ndash;80 %) litt vor dem Suizid an einer Depression. Die m&auml;nnlichen Suizidopfer waren aber seltener mit ihren psychischen Problemen in &auml;rztlicher oder anderer Behandlung.</p> <h2>Dysfunktionale Stressverarbeitung als Entstehungsbedingung von Depression</h2> <p>Die Entstehungsbedingungen von Depression werden heute als multifaktoriell angesehen, und die Vorstellungen, es muss streng zwischen einer vererbten Depression und einer durch &auml;u&szlig;ere Umst&auml;nde und Entwicklungsbedingungen verursachten Depression unterschieden werden, wurden aufgegeben. Bei der Entstehung einer Depression beim Mann spielen h&auml;ufig Faktoren erh&ouml;hter Vulnerabilit&auml;t (u. a. durch fr&uuml;he Verluste, mangelnde oder nicht ad&auml;quate F&uuml;rsorge der ersten Bezugspersonen, aber auch eine genetische Disposition) und gesellschaftlich gepr&auml;gte Rollenerwartungen zusammen. Eine Zeit erh&ouml;hter Vulnerabilit&auml;t entsteht h&auml;ufig ab der Lebensmitte, wenn wichtige Halt und Bedeutung gebende Faktoren wie berufliche, aber auch famili&auml;re Verantwortung oder wichtige Beziehungen beginnen wegzufallen und situationsbedingt zunehmende Isolation entsteht. Das erkl&auml;rt auch, dass mit dem Alter die Suizidrate bei M&auml;nnern nochmals erheblich ansteigt (bis zum Sechsfachen). <br />Im Rahmen von Bew&auml;ltigungsprozessen bei M&auml;nnern in Krisen sind st&auml;rkere Tendenzen des R&uuml;ckzugs und die Gefahr der Isolation zu beobachten. M&auml;nner versuchen mehr durch das Wiedererlangen von Dominanz, Krisen zu l&ouml;sen. M&auml;nner definieren sich generell mehr &uuml;ber Leistung und Anerkennung. Die Folge davon ist eine Anf&auml;lligkeit f&uuml;r Gef&uuml;hle des Versagens und der Besch&auml;mung.</p> <h2>Geschlechtsunterschiede in der Symptomatik der Depression</h2> <p>Die unterschiedliche Verarbeitung von Stress und pers&ouml;nlichen Krisen f&uuml;hrt bei M&auml;nnern bei der Entwicklung eines depressiven Zustandsbildes eher zum Auftreten von aggressivem und abweisendem Verhalten (Abb. 1). Gereiztheit, Impulsivit&auml;t, &Auml;rgerattacken und sozialer R&uuml;ckzug werden als h&auml;ufige prim&auml;re Reaktionen beschrieben. Die F&auml;higkeit, eigene, besonders negative Gef&uuml;hle wahrzunehmen, scheint reduziert. Noch schwieriger ist es, diese Gef&uuml;hle auch anderen mitzuteilen. Bei den Versuchen der Bew&auml;ltigung kommt es eher zum Einsatz von vermehrtem Alkoholkonsum und Risikoverhalten. <br />Verwendet man adaptierte Depressionsskalen, die auch aggressive Symptome und Risikoverhalten erfassen, reduziert sich der Unterschied in den Depressionsraten zwischen den Geschlechtern.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1901_Weblinks_a1abb1.jpg" alt="" width="1192" height="501" /></p> <h2>Positives Therapieansprechen bei M&auml;nnern, die zu Beratung und Behandlung kommen</h2> <p>Wolfersdorf fand in einer Untersuchung bei mittel- bis schwergradig depressiven Patienten in station&auml;rer Behandlung keinen Unterschied im Ansprechen auf die Behandlung zwischen den Geschlechtern. Dieses gleich gute Ansprechen war auch ein Jahr nach der station&auml;ren Behandlung gegeben. Der Umstand, dass M&auml;nner, deren Depression erkannt wurde, ebenso gut wie Frauen auf Behandlung ansprechen, ermutigt dazu, verst&auml;rkt Strategien zu verfolgen, M&auml;nner zur Inanspruchnahme von Beratungs- und Behandlungsangeboten zu bewegen. Positive Erfahrungen in diesem Sinne wurden bereits mit Depressions- Schulungen von Haus&auml;rzten in der Gotland- Studie oder im Rahmen der Aktivit&auml;ten der European Alliance Against Depression gemacht.</p> <h2>Suizid- und Gewaltpr&auml;vention bei Familienv&auml;tern: vaeter-in-krisen.at</h2> <p>Das Kriseninterventionszentrum in Wien hat diese und eigene Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Hausarztpraxen zum Anlass genommen, ein Projekt zu initiieren, das zum Ziel hat, M&auml;nner in einer psychosozialen Krise &ndash; in diesem Fall die ausgew&auml;hlte Gruppe der V&auml;ter mit minderj&auml;hrigen Kindern &ndash; verst&auml;rkt mit einem Kriseninterventionsangebot anzusprechen. Um die V&auml;ter besser erreichen zu k&ouml;nnen, wurden Kooperationen mit einer Reihe von sogenannten Gatekeeper-Institutionen eingegangen. Eine wichtige Gatekeeper- Gruppe f&uuml;r M&auml;nner stellen die Haus&auml;rzte dar, des Weiteren wurden das Jugendamt, das Arbeitsmarktservice und Mitarbeiter verschiedener psychosozialer Beratungsstellen und der sozialpsychiatrischen Versorgung mit Informationsmaterial und Gatekeeper-Schulungen in das Projekt eingebunden. F&uuml;r die Internet-Erreichbarkeit wurde die Website www.vaeter- in-krisen.at f&uuml;r betroffene Familienv&auml;ter mit einem optionalen E-Mail-Beratungszugang konzipiert. Geplant war, 100 Familienv&auml;ter im Rahmen des Projekts pers&ouml;nlich zu betreuen. Dar&uuml;ber hinaus war auch eine Betreuung weiterer 200 Familienv&auml;ter durch telefonische Krisenintervention und per E-Mail-Beratung vorgesehen.</p> <h2>Krisenintervention als spezifische Interventionsform</h2> <p>Pers&ouml;nliche Krisenintervention als spezifische Interventionsform f&uuml;r Menschen in akuten Krisen beinhaltet vorrangig ein Gespr&auml;chs- und Beratungsangebot mit einer psychotherapeutischen Fundierung bei einer niederschwelligen und daher kostenfreien und zeitnahe verf&uuml;gbaren Erreichbarkeit. Es erfolgt eine umfassende krisendiagnostische Erfassung und Gef&auml;hrdungseinsch&auml;tzung, ausreichende Entlastung und Gef&auml;hrdungsreduktion im Gespr&auml;ch bzw. gegebenenfalls zus&auml;tzlich &auml;rztliche und medikament&ouml;se Versorgung. Gegebenenfalls wird mit Einrichtungen psychiatrischer Notfallversorgung kooperiert. Im Verlauf erfolgt eine bedarfsgerechte Betreuung mit Folgeterminen w&auml;hrend der Dauer der akuten Krise, wobei im Durchschnitt vier bis f&uuml;nf Versorgungskontakte stattfinden. Wenn notwendig, wird Unterst&uuml;tzung geleistet bei der Organisation weiterf&uuml;hrender Behandlung. <br />Vorrangige Ziele des Kriseninterventionsangebots sind eine rasche Entlastung und Gef&auml;hrdungsreduktion bei den Betroffenen, wozu die Eind&auml;mmung von Suizidgef&auml;hrdung, Gewaltgef&auml;hrdung, von negativen sozialen Entwicklungen und einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Krankheitsentwicklung geh&ouml;rt. In weiterer Folge werden eine psychische Stabilisierung, die Reduktion von psychischer &ndash; h&auml;ufig auch depressiver &ndash; Symptomatik und die Wiederherstellung der Handlungs- und Probleml&ouml;sungsf&auml;higkeit der Betroffenen angestrebt. Nicht zuletzt geht es bei Krisenintervention um die Hilfe zur Selbsthilfe und im gelungenen Fall darum, dass Menschen mit der Bew&auml;ltigung einer schweren pers&ouml;nlichen Krise auch einen Schritt pers&ouml;nlicher Reifung machen k&ouml;nnen.</p> <h2>Gesteigerte Inanspruchnahme der Krisenintervention durch M&auml;nner</h2> <p>Die f&uuml;r den gef&ouml;rderten Projektzeitraum von zwei Jahren geplante Zahl von 100 V&auml;tern wurde weit &uuml;bertroffen. Gesamt wurden 257 V&auml;ter w&auml;hrend der Dauer der Projektlaufzeit im Rahmen der pers&ouml;nlichen Krisenintervention eingeschlossen. Mittels telefonischer Krisenintervention oder E-Mail-Beratung wurden 353 V&auml;ter betreut. <br />Zum Zeitpunkt des Erstgespr&auml;chs waren die V&auml;ter in einem erheblich beeintr&auml;chtigten Zustand mit einem durchschnittlichen Wert von 5,0 auf der siebenteiligen CGI-Skala (Clinical Global Impression) und mit &bdquo;ernsten Beeintr&auml;chtigungen bis mittleren Schwierigkeiten in der sozialen oder beruflichen Funktionsleistung&ldquo; (SOFAS). Bei 38 % der V&auml;ter war eine Suizidgef&auml;hrdung erhoben worden, bei 13 % wurde auch eine relevante Fremd- und Gewaltgef&auml;hrdung festgestellt. <br />Teils deutliche Unterschiede fanden sich im Vergleich mit einer Gruppe von M&uuml;ttern mit minderj&auml;hrigen Kindern, die pers&ouml;nliche Krisenintervention in Anspruch genommen haben. So waren die V&auml;ter &auml;lter, wiesen h&auml;ufiger Trennungen und Partnerschaftsprobleme sowie berufliche Probleme als Krisenanlass auf gegen&uuml;ber einer Akzentuierung bei Problemen mit Erkrankung und Todesf&auml;llen bei Angeh&ouml;rigen sowie Problemen mit Kindererziehung und in famili&auml;ren Systemen bei den M&uuml;ttern (Abb. 2). <br />Aufschlussreich war, dass im Geschlechtervergleich von Personen in Lebenskrisen die V&auml;ter ein deutliches Plus bei Suizidgef&auml;hrdung (38 % vs. 22 %) und Gewaltgef&auml;hrdung (13 % vs. 5 %) und bei den sogenannten typisch m&auml;nnlichen Symptomen der Depression (nach Rutz) aufwiesen (Gereiztheit 32 % vs. 25 %, Impulsivit&auml;t 19 % vs. 25 %, Aggressivit&auml;t 18 % vs. 6 %, R&uuml;ckzug 21 % vs. 10 %, Substanzmissbrauch 14 % vs. 3 %).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1901_Weblinks_a1abb2.jpg" alt="" width="1195" height="560" /></p> <h2>Gutes Ansprechen von M&auml;nnern auf das Angebot der Krisenintervention</h2> <p>Auch im Rahmen dieser Untersuchung waren der Behandlungserfolg, gemessen mit den Parametern CGI, CGI-Verlauf, SOFAS und anhand einer Befindlichkeitsskala im Selbstrating (von Zerssen), sowie der R&uuml;ckgang von Suizidalit&auml;t und Gewaltgef&auml;hrdung bei beiden Geschlechtern gleich gut.<br /> Das Projekt vaeter-in-krisen.at ist insgesamt als erfolgreich anzusehen. Die Ziele des Projekts, verst&auml;rkt M&auml;nner, in diesem Fall V&auml;ter, zur Inanspruchnahme des Kriseninterventionszentrums zu motivieren, mit der Krisenintervention erfolgreich zu intervenieren und indirekt auch f&uuml;r die mitbetroffenen Kinder eine Entlastung zu erreichen, konnten erfolgreich realisiert werden. Die Ergebnisse ermutigen zur Fortsetzung dieser und der Umsetzung weiterer suizid- und gewaltpr&auml;ventiver Aktivit&auml;ten mit der Zielgruppe der M&auml;nner.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Voraussetzung daf&uuml;r, dass es M&auml;nnern zunehmend m&ouml;glich wird, Hilfe &ndash; wenn n&ouml;tig &ndash; in Anspruch zu nehmen, das fortgesetzte Bem&uuml;hen, psychische Erkrankungen und Probleme zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren. Es ist also notwendig, in der &Ouml;ffentlichkeit &bdquo;dar&uuml;ber zu reden&ldquo;, um es M&auml;nnern zunehmend zu erleichtern, selbst dar&uuml;ber zu reden, wenn etwas nicht stimmt. <br />Hilfreich ist, wenn relevante Kontaktpersonen betroffener M&auml;nner durch ein besseres Verst&auml;ndnis f&uuml;r die Problematik psychischer Krisen und Depressionen bei M&auml;nnern in der Lage sind, bei den Betroffenen ein Problembewusstsein zu unterst&uuml;tzen und Schwellen&auml;ngste vor Beratung und Behandlung zu reduzieren. Um diese Ziele zu erreichen sind Gatekeeper- Schulungsprogramme, die Thematisierung von Suizidpr&auml;vention in den Medien, Vortr&auml;ge und Informationsveranstaltungen notwendig. Und nicht zuletzt wird es notwendig sein, bereits in der Erziehung von Kindern anzusetzen, um der Entstehung von dysfunktionalen Mustern zur Bew&auml;ltigung von Stress bei M&auml;nnern vorzubeugen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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