Gesundheit bei trans und nichtbinären Menschen
Autor:innen:
Katrin Schäfer, BSc, MSc
Ap. Prof. PD DDr. Igor Grabovac
Zentrum für Public Health
Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin
Medizinische Universität Wien
E-Mail: katrin.schaefer@meduniwien.ac.at
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Trans Menschen, deren Genderidentität von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abweicht, und nichtbinäre Menschen, deren Genderidentität nicht mit einer binären Vorstellung von Gender, d.h. einer Kategorisierung in Mann und Frau, einhergeht, sind im österreichischen Gesundheitssystem häufig mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Erfahrungen von Diskriminierung und mangelnder Wertschätzung sind nach wie vor präsent. Gesundheitsdienstleister:innen können Einfluss auf die Erfahrungen, die Behandlung und auf die Gesundheit der betroffenen Personen nehmen.
Keypoints
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Trans und nichtbinäre Personen sind auch im Gesundheitsbereich noch immer häufig negativen Erfahrungen und Diskriminierung ausgesetzt.
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Diese und andere Diskriminierungserfahrungen wirken sich negativ auf die Gesundheit dieser Personen aus.
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Grundkenntnisse über die Bedürfnisse und angemessene Begrifflichkeiten sowie das Ernstnehmen von trans und nichtbinären Personen sind für eine erfolgreiche Ärzt:innen-Patient:innen-Beziehung unverzichtbar.
Gender im klinischen Kontext
Sexualität kann mittels des Akronyms SOGIESC beschrieben werden. Die voneinander unabhängigen Aspekte der Sexualität einer Person lassen sich in die folgenden Kategorien einordnen: sexuelle Orientierung (engl. „sexual orientation“), also der sexuellen und/oder romantischen Anziehung; Genderidentität (engl. „gender identity“), etwa weiblich, männlich, nicht-binär, cisgender, transgender; Genderausdruck (engl. „gender expression“), wie feminin oder maskulin; und Variationen der biologischen Geschlechtsmerkmale (engl. „sex characteristics“), wie intersex oder endosex. Die Begriffe „Sex“ und „Gender“ haben ihren Ursprung in der Medizin und kommen aus dem klinischen Kontext. Bereits ab 1951 haben sich John Money, Joan und John Hampson in den USA mit Genderidentität und der Internalisierung der Genderrolle beschäftigt und 1965 wurde an der Johns Hopkins University die Gender Identity Clinic gegründet.1
Relevanz der Ärzt:innen-Patient:innen-Beziehung
Die Aufgabe von Ärzt:innen besteht in der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Gesundheit und damit der Lebensqualität ihrer Patient:innen. Damit wird ihnen von der Gesellschaft ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht. Der Beziehung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen widmen sich die „relationship-centered care“, „person-centered care“ oder auch evidenzbasierte Medizin. Für die Umsetzung dieser State-of-the-Art-Ansätze sind offene Kommunikation und Beziehungsaufbau zentral. Diese ermöglichen gemeinsame Entscheidungen und führen zu einer besseren Gesundheit. Um dieses Vertrauensverhältnis bei trans und nichtbinären Patient:innen zu gewährleisten, braucht es Grundkenntnisse über die Bedürfnisse dieser Personen sowie angebrachte Begrifflichkeiten.
Erleben von Diskriminierung und Gewalt
Die Agentur für Grundrechte der Europäischen Union führte im Jahr 2019 bereits zum zweiten Mal eine groß angelegte Studie (FRA-II) mit fast 140000 Teilnehmenden aus 28 EU-Ländern durch. Laut der Studienergebnisse wurden in Österreich innerhalb der vorangegangen 5 Jahre 18% der trans Personen körperlich oder sexuell angegriffen; mehr als in anderen LGBTI-Gruppen (11%). Angezeigt haben dies bei der Polizei nur 8%; weniger als im Vergleich zur gesamten EU (14%). Gegenüber den berichteten Gewalterfahrungen legt dies die Vermutung nahe, dass die Dunkelziffer höher liegt und es häufig nicht zu einer Anzeige kommt. Es lässt sich zudem ein Anstieg der Zahl derer verzeichnen, die sich am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen. In der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2012 waren es in Österreich 23%, im Jahr 2019 bereits 35%. Auch im Allgemeinen fühlten sich trans Personen im vergangenen Jahr vor der Erhebung im Jahr 2019 erheblich stärker diskriminiert (59%) als in der Befragung 2012 (44%); auch im Vergleich zur Gesamtgruppe LGBTI, für welche 41% (2012) und 42% (2019) berichtet wurden. Dabei bleibt zu bedenken, dass die Mehrheit der trans Personen in der EU (60%) angab, sich „selten“ oder „fast nie“ zu outen.2,3
Diskriminierung im Zugeder Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen
Laut der FRA-II-Studie erfuhren in Österreich 16% der Personen während der vorangegangenen 12 Monate Diskriminierung während der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen; genauso viele wie in der EU insgesamt. Bei bisexuellen Frauen (Ö: 12%, EU: 14%) und lesbischen Frauen (Ö: 11%, EU: 16%) lag der Prozentsatz in Österreich unter den europäischen Werten, bei bisexuellen Männern (Ö: 14%, EU: 10%) und schwulen Männern (Ö: 12%, EU: 11%) lag er darüber. Am häufigsten berichteten trans Personen (Ö: 37%, EU: 34%) und inter Personen (Ö: 47%, EU: 35%) von Diskriminierung und damit häufiger als im EU-Vergleich.2
Folgen für die Gesundheit
Die Folgen von Diskriminierungserfahrungen sind vielfältig. In Bezug auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen wirkt sich dies negativ auf die Gesundheit aus.4 Im österreichischen LGBTI Gesundheitsbericht ergab sich, dass 12% sich häufig und 24% sich manchmal im Gesundheitsbereich diskriminiert fühlten und 61% führten dies auf ihr Geschlecht oder ihre Genderidentität zurück.5 Die Auswirkungen von Diskriminierung auf die Gesundheit können anhand des Minderheiten-Stress-Modells nach Meyer6 verdeutlicht werden, das besagt, dass negative Erfahrungen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe zu Stress führen können.
Dieser Stress kann distal sein, wie etwa das Erleben von Vorurteilen oder Ablehnung, oder proximal. Proximaler Stress ist häufig eine Reaktion auf vorangegangene negative Erfahrungen und äußert sich in internalisierter Homo- und Transnegativität, erhöhter Wachsamkeit oder dem Verbergen der Genderidentität. Daher haben die Sichtbarkeit und die gesetzliche Gleichstellung für LGBTQI+ Personen einen besonderen Stellenwert. Sie gehen mit Resilienzfaktoren einher, die die Gesundheit verbessern, etwa Vernetzung und gesellschaftlicher Unterstützung.7 Cisgender- und Heteronormativität sowie Vorstellungen und Normen einer binären Vorstellung von Gender können auch den klinischen Kontakt beeinflussen und zu schlechterer Kommunikation oder suboptimaler Behandlung führen. Sie wirken als distale Stressoren, werden sie internalisiert, wiederum als proximale Stressoren. Beide können so in der Folge zur Verschlechterung der Gesundheit beitragen.
Erfahrungen im österreichischen Gesundheitssystem
Abb. 1: Das Bewusstsein um die Genderidentität der Patient:innen trägt wesentlich zum Abbau von Diskriminierung von trans und nichtbinären Menschen bei
In einer Querschnittstudie untersuchten Markovic und Kolleg:innen9 die Ärzt:innen-Patient:innen-Beziehung von trans und nichtbinären Personen im österreichischen Gesundheitssystem mittels eines validierten Fragebogens (Patient-Doctor Relationship Questionnaire, PDRQ-9). Zusätzlich wurde ein Onlinefragebogen partizipativ mit trans und nicht-binären Menschen sowie Professionist:innen erarbeitet. Die Fragen zur Genderidentität basieren auf einem zweistufigen Verfahren nach aktuellen Best-Practice-Richtlinien.8 91 Personen wurden in die Analyse einbezogen, sie waren im Durchschnitt 29 Jahre alt. Es identifizierten sich 33% als trans Mann, 25,3% als trans Frau und 41,8% als nichtbinär. Zur sexuellen Orientierung gaben 11% heterosexuell, 24,2% homosexuell, 33,0% bisexuell, 3,3% asexuell und 28,6% queer/pansexuell an. Die Mehrheit der Teilnehmenden waren mit ihrem Genderausdruck „zufrieden“ oder „etwas zufrieden“ (68,2%), 11% waren „neutral“ und 20,9% „unzufrieden“ oder „etwas unzufrieden“. Zum Zeitpunkt der Erhebung befanden sich 82,4% der Personen in medizinischer Transition, welche im Durchschnitt nach 10,2 Monaten Wartezeit und im Alter von 26 Jahren begonnen wurde. Eine Hormonersatztherapie erhielten 87,7% der Personen und 52,7% hatten noch keine chirurgischen Eingriffe vorgenommen. Zu ihren Erfahrungen im Gesundheitssystem gaben 60,5% der Teilnehmenden an, dass sie „nie“ oder „selten“ ernst genommen wurden. 21,1% wurden „sehr oft“ oder „oft“ vom Gesundheitspersonal inkorrekt adressiert, obwohl sie ihre Pronomen und ihre Genderidentität angegeben hatten. Auch hatten 7,7% verbale Gewalt erlebt und nur 4,9% der Befragten hatten die erfahrene Diskriminierung gemeldet. Ärzt:innen (58,1%) wurden als problematischste Personengruppe innerhalb des Gesundheitspersonals empfunden. Im PDRQ-9 zur Erhebung der Ärzt:innen-Patient:innen-Beziehung entsprechen höhere Werte einer besseren Beziehung. Nichtbinäre Teilnehmende wiesen hier einen niedrigeren Wert auf als trans Frauen und trans Männer.9 Die schlechtere Ärtz:innen-Patient:innen-Beziehung bestätigt sich auch in internationalen Studien: so haben nichtbinäre Menschen seltener Gesundheitsdienstleister:innen, die sich ihrer Genderidentität bewusst sind und sie respektvoll behandeln.10 In einer explorativen, qualitativen Studie von Rösel11 wurden sowohl mit Psychotherapeut:innen als auch trans und nichtbinären Personen semistrukturierte Interviews durchgeführt. Häufig genannte Barrieren waren die geringe Anzahl an Kassaplätzen und der finanzielle Mehraufwand für notwendige Gutachten oder durch eine private Kostenübernahme. Psychotherapeut:innen waren sich des Gatekeepings und der gegebenen Machtdynamik bewusst und sahen die gesetzlichen Rahmenbedingungen als Herausforderung. Sie gaben an, dass es einen Mangel an Psychotherapeut:innen mit Erfahrung und Kenntnissen in diesem Bereich gebe. Ein Großteil der Arbeit bestünde in der Weitergabe von Information und der Unterstützung der Klient:innen während des schwierigen Prozesses der Genderaffirmation. Diese Unterstützung entsprach auch dem Wunsch der Klient:innen. Strukturelle Einschränkungen bedürften jedoch Veränderungen im Gesundheitssystem, welches nichtbinären Menschen derzeit häufig nicht die angemessene Betreuung ermögliche.
Fazit
Trans und nichtbinäre Personen sind nicht nur im Alltag, sondern auch im Gesundheitssystem Diskriminierungen ausgesetzt. Diese Erfahrungen können zu erhöhtem Stress beitragen und sich in der Folge negativ auf die Gesundheit auswirken. Umso wichtiger ist es, im Gesundheitsbereich eine vertrauensvolle Patient:innen-Beziehung zu etablieren. Wesentlich hierfür sind grundlegende Kenntnisse über die angemessenen Begrifflichkeiten und ein Bewusstsein für die Bedürfnisse von trans und nichtbinären Personen.
Literatur:
1 Eder S: How the clinic made gender. The Medical history of a transformative idea. University of Chicago Press. 2022 2 European Union Agency for Fundamental Rights (2020): EU LGBTI survey II — a long way to go for LGBTI equality. https://fra.europa.eu/en/data-and-maps/2020/lgbti-survey-data-explorer 3 European Union Agency for Fundamental Rights (2012): Survey on fundamental rights of lesbian, gay, bisexual and transgender people in EU. https://fra.europa.eu/en/publications-and-resources/data-and-maps/survey-fundamental-rights-lesbian-gay-bisxual-and# 4 Williams DR et al.: Understanding how discrimination can affect health. Health Serv Res 2019; 54: 1374-88 5 Gaiswinkler S et al.: LGBTIQ+-Gesundheitsbericht 2022. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), Wien: 2022 6 Meyer IH: Prejudice, social stress, and mental health in lesbian, gay, and bisexual populations: conceptual issues and research evidence. Psychological Bull 2003; 129(5): 674-97 7 Testa RJ et al.: Development of the gender minority stress and resilience measure. Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity 2015; 2(1): 65-77 8 The GenIUSS Group: Best practices for asking questions to identify transgender and other gender minority respondents on population-based surveys. J. L. Herman (Ed.). Los Angeles, CA: The Williams Institute, 2014 9 Markovic L et al.: Experiences and interactions with the healthcare system in transgender and non-binary patients in Austria: an exploratory cross-sectional study. Int J Environ Res Public Health 2021; 18(13): 6895 10 Kattari SK et al.: Correlations between healthcare provider interactions and mental health among transgender and nonbinary adults. SSM Popul Health 2019; 10: 100525 11 Rösel C: Perspectives on structures of mental healthcare for trans and nonbinary clients in Austria: an exploratory qualitative study. University of Osnabrück, Department of Psychology, 2023
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