
Darmflora, Entzündung und Ernährung
Autoren:
Dr. med. Juan M. Lima-Ojeda
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Regensburg
E-Mail: juan.limaojeda@medbo.de
Prof. Dr. med. Dragos Inta
Departement für Community Health
Mathematisch-Naturwissenschaftliche und Medizinische Fakultät
Universität Freiburg
E-Mail: dragos.inta@unifr.ch
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Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Darmbakterien eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie von chronischen Erkrankungen wie Depression und Adipositas spielen. Veränderungen der Zusammensetzung der Darmflora sowie chronische Entzündungen assoziiert mit Adipositas begünstigen ein depressives Syndrom. Diätetische Interventionen beeinflussen das Darmmikrobiom und die systemische inflammatorische Reaktion und können eine neue therapeutische Strategie für Patienten mit Depression und/oder Adipositas darstellen.
Keypoints
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Die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse ist eine bidirektionale neuroendrokrin-immunologische Verbindung zwischen Darmflora und Gehirn.
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Eine Dysbiose der Darmbakterien wird mit chronischen inflammatorischen Prozessen in Verbindung gebracht.
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Depression und Adipositas sind zwei Störungen, die mit chronischer Entzündung einhergehen.
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Ernährung verändert die Darmmikrobiota und könnte inflammatorische Reaktionen positiv beeinflussen, z.B. durch eine gesunde Ernährung.
Depression, Adipositas und die MDH-Achse
Sowohl die Depression als auch die Adipositas verursachen bedeutende Probleme öffentlicher Gesundheitssysteme weltweit und es ist oft eine Komorbidität zwischen den beiden Erkrankungen feststellbar. Beispielsweise zeigen Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass 5 Prozent der erwachsenen Weltpopulation unter Depression leiden.1 Nach Angaben der WHO wurden 650 Millionen erwachsene Menschen auf der Erde (13 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung) 2016 als adipös identifiziert.1 Depression und Adipositas haben häufig einen chronischen Verlauf.
Depression ist eine psychische Störung, die Symptome wie Freudlosigkeit, Anhedonie, Antriebslosigkeit und kognitive Störungen umfasst. Nach Definition der WHO sind Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 oder mehr von Adipositas betroffen.2 Beide Erkrankungen haben eine komplexe, multifaktorielle Ätiologie. Unter den vielen Ursachen spielen verschiedene biopsychosoziale Faktoren wie der genetische Hintergrund, neuroendokrin-immunologische Dysfunktionen, seelische und physikalische Stressoren und der Lebensstil eine Rolle in der Entwicklung beider Erkrankungen. Neue Erkenntnisse aus der Forschung belegen, dass die Darmmikrobiota in der Ätiologie beider Krankheiten eine wichtige Rolle spielen könnte.3,4
Die Billionen von Mikroorganismen, die im Darm einer Person leben, werden Darmmikrobiota genannt.5 Die Mehrzahl der Mikroorganismen im Darm sind anaerobe Bakterien6–8 der Stämme der Firmicutes und der Bacteroidetes.9 Stämme wie Fusobacteria, Proteobacteria, Actinobacteria und Verrucomicrobia sind auch relevant vertreten.9 Im Allgemeinen ist die Darmmikrobiota ein physiologisch wesentlicher Bestandteil des Verdauungssystems des Wirtes.5 Die Darmflora kommuniziert durch die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse (MDH-Achse) eng mit dem Gehirn. Die MDH-Achse ist eine bidirektionale Verbindung zwischen Darmmikrobiota und dem zentralen Nervensystem (ZNS), die durch neurale, endokrine und immunologische Komponenten verläuft.5 Afferente Nervenfasern, die vom Darmlumen durch das Rückenmark zum Gehirn führen, und efferente Nervenfasern, die Informationen vom zentralen Nervensystem zum Darm transportieren, sind Elemente der MDH-Achse.10 Der Vagusnerv ist die wichtigste Verbindung zwischen Darmmikrobiota und Hirn.5 Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse) oder Stressachse, ist ein wichtiger Teil der MDH-Achse.5 Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung von Stress.11 So wird in Stresssituationen Cortisol in der Nebennierenrinde gebildet und ausgeschüttet nach der Freisetzung des Corticotropin-releasing-Hormons (CRH) im Hypothalamus.12 Interessanterweise gibt es bei Depression und Adipositas möglicherweise auch wichtige ätiologische Mechanismen auf der Ebene der MDH-Achse. Dieser Beitrag befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen Depression, Adipositas, der MDH-Achse, Entzündung und der Ernährung.
Dysbiose, Entzündung und Wirkungen auf das Gehirn
Veränderungen der Zusammensetzung (Dysbiose) der Darmmikrobiota können jedoch einer weiteren Dysfunktion (z.B. chronische Entzündung) zugrunde liegen und zur Entwicklung klinischer Manifestationen (z.B. depressive und/oder metabolische Symptome) beitragen.5 Insofern kann eine Dysbiose der Darmflora eine wichtige Antigenquelle werden.13 Daten einer Analyse von fäkalen Mikrobiotapopulationen von Patienten mit Depression zeigten einen Zusammenhang zwischen einer Zunahme von Bacteroidetes, Actinobacteria sowie Proteobacteria und der Präsenz depressiver Symptome.14 Ausserdem findet sich bei Patienten mit Depression eine akzentuierte Abnahme an Firmicutes.14 Jedoch wurde eine Dysbiose nicht nur bei Depression, sondern auch im Rahmen der Adipositas festgestellt. Ley und Kollegen haben eine signifikante Korrelation zwischen einer reduzierten bakteriellen Population von Bacteroidetes und Adipositas nachgewiesen.15
Stressoren können Entzündungsprozesse induzieren und eine Dysbiose der Darmflora als Folge haben.16 Lang anhaltende Entzündung kann z.B. durch eine akzentuierte Aktivierung der Zytokine eine Störung der Funktion und Expression der Glukokortikoid-Rezeptoren triggern.16 Werden diese Rezeptoren dysreguliert, kommt es zu einer unkontrollierten Exazerbation der inflammatorischen Reaktion.16 Damit kann sich eine Überaktivität der HHN-Achse aus einer Überproduktion von CRH entwickeln.16 Auch eine lang anhaltende Stress-Response Neurotoxizität z.B. im Bereich des Hippocampus wegen einer Herabsetzung der Expression des neurotrophen Faktors BDNF («brain-derived neurotrophic factor«) kann ausgelöst werden.16 Studien konnten zeigen, dass Krankheiten wie Depression und Adipositas mit einem chronischen Entzündungsprozess,der von einem Anstieg proinflammatorischer Zytokine wie IL-1β, IL-6, TNF-α und IFN-α, wird, einhergehen.17
Die Rolle der Ernährung
Die Ernährung ist ein entscheidender Faktor, der Einfluss auf die Zusammenstellung (z.B. Veränderungen der bakteriellen Diversität) der Darmflora hat. Eine auf tierische Lebensmittel basierte Ernährung führt zu einer Zunahme an Bacteroidetes und einer Abnahme an Firmicutes.18 Klinische Daten zeigen, dass adipöse Probanden mit einem hohen Proteinkonsum eine artenreichere Zusammensetzung der Darmflora aufwiesen.19 Eine fettarme ballaststoffreiche Ernährung sorgt für eine antiinflammatorische Wirkung im Darm und die Entwicklung einer gesunden Darmmikrobiota.20 Ballaststoffe sorgen nicht nur für eine effektive Darmbarriere durch die Stimulierung der Schleimproduktion der Darmwand, sondern auch für eine diverse Darmflora und antiinflammatorische Effekte.21 Der Konsum von Probiotika und Präbiotika unterstützt eine gesunde Darmmikrobiota und führt zu einer adäquaten Funktion der MDH-Achse durch eine Modulation von Molekülen wie CRH, BDNF und Zytokine.5 Bakterielle Abbauprodukte aus unverdaulichen Nahrungsbestandteilen wie kurzkettigen Fettsäuren (z.B. Acetat, Butyrat und Propionat) können systemische Immunantworten modulieren, indem sie die Expression proinflammatorischer Zytokine reduzieren.17
Eine gesunde Ernährung ist wichtig, um eine adäquate Funktion unseres Organismus zu halten. Unter einer gesunden Ernährung wird ein ausreichender Konsum von Makronährstoffen (d.h. Proteine, Kohlenhydrate und Fette), Mikronährstoffen (z.B. Vitamine und Mineralstoffe) und Wasser, die den Energiebedarf für eine optimale Funktionsweise des Körpers auffüllen, ohne einen Überschusskonsum von der Energie, verstanden.22 Beispielsweise erfüllt eine Diät mit genügend Obst, Gemüse, Getreide, Samen, Nüsse, 1,5 bis 2 l Wasser pro Tag sowie wenig Tierprodukten (z.B. fettige Fleischsorten) die Kriterien für eine «gesunde Ernährung».22 Ausserdem wird eine gesunde Ernährung mit einem reduzierten Risiko für chronische Krankheiten verbunden.22 Verschiedene Studien zeigen, dass Diätpläne wie die mediterrane Ernährung die inflammatorische Reaktion des Organismus positiv beeinflussen können.23 Die mediterrane Ernährung ist eine Diät mit hohem Konsum von Vollkornprodukten, Leguminosen, Nüssen, Obst, Gemüsen, Olivenöl, einem moderaten Konsum von Fisch sowie einem geringen Tierprodukten- (z.B. fettige Fleischsorten und Milchprodukte) und Weinkonsum.23 Diese wurde mit einer antiinflammatorischen Wirkung sowie einer positiven Modulation der Charakteristika der Darmflora in Verbindung gebracht.23 Klinische Studien unterstützen auch eine antidepressive Wirkung einer mediterranen Diät.24 Andere zunehmend verbreitete Diäten, wie kohlenhydratreduzierte Diäten, wurden jedoch noch nicht in klinischen Studien bezüglich ihrer potenziellen antidepressiven Wirkung untersucht. Ausserdem sind die genauen Mechanismen der Auswirkung gesunder Ernährung auf die Depression und Adipositas noch weitgehend unklar. Zukünftige Studien müssen die molekularen Mechanismen der Komorbidität zwischen diesen beiden Erkrankungen klären.
Abb. 1: Zusammenhang zwischen Depression und Adipositas: Ernährung, Dysbiose und Entzündung. (Erstellt mit BioRender.com)
Fazit und Ausblick
Die Zusammensetzung der intestinalen Bakterien sowie chronische Entzündungsprozesse spielen eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie von Depression und Adipositas. Die Beeinflussung der MDH-Achse entwickelt sich zu einer neuen Behandlungsstrategie der Depression und der Adipositas (Abb. 1). Obwohl die aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Zusammenhang von Darmflora, Entzündung, Depression und Adipositas erst am Anfang stehen, ist ein reales Potenzial in der Modulation der Darmmikrobiota als therapeutisches Ziel absehbar.
Literatur:
1 World Health Organization: Depression. Available from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/depression 2 World Health Organization: Obesity and overweight [11.13.2021]. Available from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/obesity-and-overweight 3 Inta D et al.: Common pathways in depression and obesity: the role of gut microbiome and diets. Current Behavioral Neuroscience Reports 2020; 7: 15-21 4 Marx W et al.: Diet and depression: exploring the biological mechanisms of action. Molecular Psychiatry 2021; 26: 134-50 5 Lima-Ojeda JM et al.: „I Am I and My Bacterial Circumstances“: Linking gut microbiome, neurodevelopment, and depression. Frontiers in Psychiatry 2017; 8: 153 6 Collins SM, Bercik P: The relationship between intestinal microbiota and the central nervous system in normal gastrointestinal function and disease. Gastroenterology 2009; 136: 2003-14 7 Collins SM et al.: The interplay between the intestinal microbiota and the brain. Nature Reviews Microbiology 2012; 10: 735-42 8 Elson CO, Alexander KL: Host-microbiota interactions in the intestine. Digestive Diseases 2015; 33: 131-6 9 Eckburg PB et al.: Diversity of the human intestinal microbial flora. Science 2005; 308: 1635-8 10 Carabotti M et al.: The gut-brain axis: interactions between enteric microbiota, central and enteric nervous systems. Annals of Gastroenterology 2015; 28: 203-9 11 Lima-Ojeda JM et al.: Neurobiology of depression: a neurodevelopmental approach. The World Journal of Biological Psychiatry: the official journal of the World Federation of Societies of Biological Psychiatry 2018; 19: 349-59 12 Lima-Ojeda JM et al.: Darmflora und Depression: Pathophysio-logie der Depression: Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- und Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse. Der Nervenarzt 2020; 91: 1108-14 13 Walker AW, Lawley TD: Therapeutic modulation of intestinal dysbiosis. Pharmacological Research 2013; 69: 75-86 14 Jiang H et al.: Altered fecal microbiota composition in patients with major depressive disorder. Brain, Behavior, and Immunity 2015; 48: 186-94 15 Ley RE et al.: Microbial ecology: human gut microbes associated with obesity. Nature 2006; 444: 1022-3 16 Kiecolt-Glaser JK et al.: Inflammation: depression fans the flames and feasts on the heat. The American Journal of Psychiatry 2015; 172: 1075-91 17 Schachter J et al.: Effects of obesity on depression: a role for inflammation and the gut microbiota. Brain, Behavior, and Immunity 2018; 69: 1-8 18 David LA et al.: Diet rapidly and reproducibly alters the human gut microbiome. Nature 2014; 505: 559-63 19 Dong TS et al.: A high protein calorie restriction diet alters the gut microbiome in obesity. Nutrients 2020; 12(10): 3221 20 Fritsch J et al.: Low-fat, high-fiber diet reduces markers of inflammation and dysbiosis and improves quality of life in patients with ulcerative colitis. Clinical Gastroenterology and Hepatology: the official clinical practice journal of the American Gastroenterological Association 2021; 19: 1189-99 21 Makki K et al.: The impact of dietary fiber on gut microbiota in host health and disease. Cell Host & Microbe 2018; 23: 705-15 22 Cena H, Calder PC: Defining a healthy diet: evidence for the role of contemporary dietary patterns in health and disease. Nutrients 2020; 12: 334 23 Tosti V et al.: Health benefits of the mediterranean diet: metabolic and molecular mechanisms. The Journals of Gerontology Series A, Biological Sciences and Medical Sciences 2018; 73: 318-26 24 Oddo VM et al.: Adherence to a mediterranean diet is associated with lower depressive symptoms among U.S. adults. Nutrients 2022; 14: 278
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