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Alkohol und Schizophrenie: Doppeldiagnose als therapeutische Herausforderung
Jatros
30
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten, insbesondere solche mit schizophrener Erkrankung, im suchtspezifischen Versorgungskontext wahrzunehmen, stellt eine große Herausforderung dar. Psychiatrische Abteilungen fokussieren in erster Linie auf das Management der Akutepisode, kognitive Störungen, die Medikamentenauswahl, Adhärenz und soziale Probleme. Schizophrene Patienten leiden häufig an Komorbiditäten, bei denen Alkohol oft eine große Rolle spielt.</p>
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<p class="article-content"><p>Patienten mit Alkoholabhängigkeit sind früher krank und sterben früher. In Bezug auf das Risiko einer Alkoholkrankheit haben WHO (2000) und EMA (2010) gemeinsame Grenzwerte festgelegt (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite48.jpg" alt="" width="344" height="320" /></p> <h2>Alkohol und psychotische Erkrankung</h2> <p>Das Versorgungssystem für alkoholabhängige Patienten besteht aus einer Trias aus Fachkliniken für die Alkoholentwöhnungsbehandlung, Fachberatungsstellen und Selbsthilfegruppen und ist grundsätzlich auch für Schizophreniepatienten geeignet.<br /> Die Daten aus der ECA(„Epide­mio­logical Catchment Area“)-Studie, einer populationsbasierten Untersuchung aus den USA (n=20.291), offenbaren die Prävalenz von Substanzmissbrauch bei Patienten mit Schizophrenie: 47 % der Patienten mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Spektrum erfüllten die diagnostischen Kriterien für Substanzmissbrauch, das ist eine 4,6-fach erhöhte Prävalenz für Substanzmissbrauch verglichen mit der allgemeinen Bevölkerung.<sup>1</sup> „Obwohl die Prävalenzraten je nach Fokus der Befragung ganz unterschiedlich sind, kann man davon ausgehen, dass ein hoher Prozentsatz schizophrener Patienten Alkohol oder andere Substanzen konsumiert“, erklärt Prim. Dr. Christa Radoš, Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, LKH Villach.<br /> In einer finnischen Registerstudie wurden Patienten mit der Erstdiagnose einer substanzinduzierten Psychose, die auch die Diagnose Schizophrenie erhalten hatten, in einem Zeitraum von acht Jahren beobachtet. Es zeigte sich, dass eine Cannabis-induzierte Psychose, verglichen mit Alkohol, in viel höherem Ausmaß ein Indikator für die Entwicklung einer schizophrenen Krankheit sein kann.<sup>2</sup></p> <div id="rot"> <p>„Obwohl die Prävalenzraten je nach Fokus der Befragung ganz unterschiedlich sind, kann man davon ausgehen, dass ein hoher Prozentsatz schizophrener Patienten Alkohol oder andere Substanzen konsumiert.“ - C. Radoš, Villach</p> </div> <h2>Alkoholhalluzinose</h2> <p>Wenige Daten gibt es zur Häufigkeit einer Alkoholhalluzinose. Soyka spricht von einer stationären Behandlungsprävalenz von 0,7 % .<sup>3</sup> Merkmale einer Alkoholhalluzinose sind ein klares Bewusstsein (im Gegensatz zum Delir) und keine ausgeprägte vegetative Entzugssymptomatik. Typisch sind außerdem akustische, selten optische Halluzinationen. Wahnideen sind möglich, klingen aber relativ rasch wieder ab. Daneben dominieren Angst und Agitation bis hin zu massiven psychomotorischen Störungen.<br /> Differenzialdiagnostisch ist eine psychotische Erkrankung auszuschließen, in der Klinik wird die Alkoholhalluzinose meist mit dem Delir verwechselt.<br /> Das deutsche statistische Bundesamt hat 2005 psychotische Symptome im Rahmen des Alkoholentzugs erfasst: Von allen stationären Patienten eines ganzen Jahres (n=299.428) mit einer F10-Entlassungsdiagnose (psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch Alkohol) hatten 4,8 % (n=14.556) ein Entzugsdelir und 0,6 % (n=1.915) eine Alkoholhalluzinose.<sup>4</sup></p> <h2>Herausforderung Doppeldiagnose</h2> <p>Eine große therapeutische Herausforderung stellt die Doppeldiagnose Schizophrenie/Alkoholabhängigkeit dar. Kommunikationsschwierigkeiten und kognitive Defizite sind bei Schizophreniepatienten oft sehr ausgeprägt, sodass man den üblichen Ansatz für Patienten mit Substanzmissbrauch nicht gut umsetzen kann. Es gibt nur wenige Daten aus pharmakotherapeutischen Studien zu dieser Pa­tientengruppe, da ihre Krankheit ein Ausschlusskriterium für die meisten Studien darstellt. Die psychiatrische Klinik fokussiert meist auf die Stabilisierung der schizophrenen Symptomatik. Die Programme suchtspezifischer Einrichtungen stellen für Schizophreniepatienten oft eine Überforderung dar bzw. greifen zu kurz.<br /> Bezüglich der Pharmakotherapie bei Schizophrenie und komorbider Substanzstörung scheinen, so wie bei anderen Patienten auch, die Antipsychotika der zweiten Generation (SGA) überlegen zu sein. Sie sind Mittel der Wahl – mit oder ohne Komorbidität. „Es gibt Hinweise, dass die SGA hinsichtlich der Reduktion des Alkoholkonsums und/oder des Cravings gegenüber konventionellen Antipsychotika überlegen sind, jedoch besteht geringe Evidenz aufgrund geringer Fallzahlen“, sagt Radoš. Anti-Craving-Substanzen wie Naltrexon zeigen eine vergleichbare positive Wirkung auf den Alkoholkonsum wie bei Patienten ohne Schizophrenie.<sup>5</sup> <br /> In der Praxis ist bei komorbiden Diagnosen die Orientierung an den Folgeschäden sinnvoll, der Fokus sollte auf Trinkmenge und Trinkmuster sowie allgemein auf der Lebensstilberatung liegen. Bei der Therapie von Entzugssymptomen sind – aufgrund der guten Steuerbarkeit und Antagonisierbarkeit sowie geringer pharmakologischer Wechselwirkungen – Benzodiazepine die Mittel der Wahl. „Betreuuungskontinuität wird vor allem durch ein integratives Behandlungskonzept sichergestellt, bei dem in einem Setting durch ein konstantes Therapeutenteam angemessene Interventionen für beide Störungen angeboten werden“, so Radoš.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Regier et al: JAMA 1990; 264: 2511-18 <br /><strong>2</strong> Niemi-Pynttäri JA: J Clin Psychiatry 2013; 74(1): e94-e99 <br /><strong>3</strong> Soyka M: Eur J Intern Med 2008; 19: 561-67 <br /><strong>4</strong> <a href="http://www.gbe-bund.de" target="_blank">www.gbe-bund.de</a> <br /><strong>5</strong> Petrakis et al: Psychopharmacology 2004; 172: 291-97</p>
</div>
</p>