
Möglichkeiten und Grenzen der rekonstruktiven Gesichtschirurgie
Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Dr. Alexander Gaggl
Priv.-Doz. Dr. Christian Brandtner
Dr. Dr. Simon Enzinger
Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,
LKH Salzburg
Korrespondierender Autor:
Univ.-Prof. Dr. Dr. Alexander Gaggl
E-Mail: a.gaggl@salk.at
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Ob Tumor, Trauma oder Fehlbildung – viele Indikationen erfordern die Wiederherstellung der Form, Funktion und vor allem Ästhetik des Gesichts. Der mikrovaskuläre Gewebetransfer ist dafür das Mittel der Wahl. Am Uniklinikum Salzburg verzeichnet man jährlich 110 solcher Operationen und sucht nach den Grenzen des Machbaren.
Keypoints
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Die Rekonstruktion des Gesichts erfolgt durch verschiedene chirurgische und prothetische Verfahren.
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Die Basis der extendierten rekonstruktiven Gesichtschirurgie sind mikrochirurgische Gewebetransfers.
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Die Auswahl des richtigen Transplantats, die hochwertige Mikrochirurgie und die technische Präzision bestimmen das rekonstruktive Ergebnis.
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Ziel jeder rekonstruktiven Maßnahme ist die Wiederherstellung von Form und Funktion des Gesichts und nicht nur die Deckung von Defekten.
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Die Grenzen des Machbaren werden durch die allgemeinmedizinische Konstitution des Patienten und die Komplexität individueller Teilstrukturen des Gesichts festgelegt.
Die Wiederherstellungschirurgie des Gesichts hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm weiterentwickelt. Mit der ersten Gesichtstransplantation durch Jean-Michel Dubernard und Bernard Devauchelle in Amiens im Jahre 2005 hat der Anspruch auf eine funktions- und formgerechte Wiederherstellung des Gesichts deutlich zugenommen.1 Aufgrund der Notwendigkeit von geeigneten Spendern, der damit gekoppelten Immunsuppression (mit allen ihren Nebeneffekten) und der psychologischen Komponente eines neuen, fremden Gesichts ist dieses Verfahren bis heute nur wenigen Menschen vorbehalten. Viel häufiger nutzen wir autogene Gewebetransfers, um ähnliches Gewebe desselben Patienten zur Rekonstruktion zu verwenden.
Grundlegendes
So orientieren sich heute alle verwendeten Verfahren des Wiederaufbaus an den natürlichen Untereinheiten des Gesichts. Dies geschieht unter Nutzung traditioneller und moderner Verfahren oder auch der Kombination verschiedener Techniken. Zur Auswahl stehen dabei folgende Verfahren der prothetischen und chirurgischen Wiederherstellung:
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Epithetik (Gesichtsprothesen)
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Freie nicht vaskularisierte Transplantate (Spalt- oder Vollhauttransplantate, Knochen- und Knorpeltransplantate)
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Nahlappenplastiken
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Gestielte Fernlappenplastiken aus dem Bereich des Halses, Thorax oder Rückens
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Mikrovaskulärer Gewebetransfer
Dabei orientiert sich die moderne Gesichtsrekonstruktion komplexer und ausgedehnter Defektsituationen an mikrochirurgischen Rekonstruktionstechniken. Dies bedeutet, dass autogenes Gewebe einer Fernspenderregion des gleichen Patienten mit seiner Gefäßversorgung und manchmal auch nervalen Versorgung in die Empfängerregion transplantiert wird. Dort wird das Transplantat formkongruent in den Defekt eingepasst und anschließend an die Gefäße und Nerven der Empfängerregion angeschlossen. So kann – ähnlich der Gesichtstransplantation – vitales und funktionelles Gewebe transplantiert werden, ohne dass eine Immunsuppression benötigt wird. Dieses Verfahren wird als alleinige Technik oder auch in Kombination mit anderen der oben genannten Verfahren durchgeführt, um eine möglichst ähnliche Gewebestruktur und -qualität der Empfängerregion zu erzielen.
Alle extendierten Rekonstruktionstechniken von ausgedehnten Gesichtsdefekten basieren auf dieser Grundlage und gerade diese Technik hat in den letzten Jahren eine sehr ausgedehnte Entwicklung erfahren. Sie eignet sich daher gut, um Möglichkeiten und Grenzen der Gesichtsrekonstruktion darzustellen (Abb. 1).
Abb. 1: (A) Kombinierter Nasendefekt nach Resektion eines malignen Tumors, (B) 1. Schritt: Skelettale Rekonstruktion durch ein mikrovaskuläres Femurtransplantat mit Gefäßanschluss zur A. und V. facialis, (C) 2. Schritt: Kombinierte Knorpel-Haut-Transplantation zur Rekonstruktion der äußeren Nase durch ein mikrovaskuläres Ohr-Teiltransplantat mit Gefäßanschluss an einen Seitenast des ersten Transplantats, (D) Endergebnis der Rekonstruktion der Nase durch die oben genannte Transplantatkombination
Material und Methodik
Heute stehen uns aufgrund ausgedehnter Forschung und des breiten Einsatzes über 300 mikrovaskuläre Transplantattypen unterschiedlicher Grundgewebe zur Verfügung, an deren Entwicklung auch unsere Klinik maßgeblichen Anteil hatte.2
Der Begriff der mikrovaskulären Transplantation bedeutet, dass Gewebe unterschiedlicher Grundqualitäten aus Entnahmestellen des gleichen Patienten gehoben und in die Empfängerdefektregion transplantiert wird. Dabei werden die Transplantate mit einer dominanten Gefäßversorgung und manchmal auch Nervenversorgung zunächst aus der Spenderregion gehoben und nach Transplantation an Gefäße und Nerven des Gesichts- und Halsbereichs unter dem Mikroskop anastomosiert. Die Gefäße weisen je nach Technik einen Durchmesser zwischen 0,6 und 2,5mm auf. Die vaskuläre Reanastomosierung dient der Vitalerhaltung des transplantierten Gewebes. Die Koaptierung sensibler Nerven dient der Wiedererlangung der Sensibilität der transplantierten Haut, die Koaptierung motorischer Nerven der Wiedererlangung der Muskelfunktion. So können Knochen oder Knorpel, Haut, Fett, Muskulatur, Faszien, Sehnen und auch ganze Gelenke vital und formstabil transplantiert werden. Dies ist besonders bei einer eventuell nachfolgenden Bestrahlung bei Tumorpatienten von größter Bedeutung. Moderne Planungsverfahren, wie Angio-MR und -CT, ermöglichen dabei einerseits eine Sicherstellung der individuellen Gefäßversorgung des Transplantats und andererseits eine exakte Planung der skelettalen Rekonstruktion.
In den letzten 11 Jahren wurden an der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Salzburg und dem angeschlossenen Zentrum für rekonstruktive Chirurgie ca. 1000 mikrovaskuläre Gewebetransfers durchgeführt. Dabei steigerte sich die Zahl der jährlich durchgeführten Operationen dieser Art von 35 im Jahr 2011 bis auf über 110 solcher Operationen pro Jahr in den letzten 3 Jahren. Um die Entwicklungen und Grenzen dieser Chirurgie aufzuzeigen, wurden die Grunddiagnosen bzw. Indikationen der Transplantationen, Transplantattypen, Erfolgsraten und Entwicklungen der Verfahren evaluiert.
Ergebnisse und Möglichkeiten
Unter Nutzung mikrovaskulärer Rekonstruktionstechniken konnten Patienten mit ausgedehnten Gesichtsdefekten nach Tumorerkrankung, Traumen oder bei angeborenen Fehlbildungen erfolgreich behandelt werden. Zudem konnten Funktionsausfälle der Gesichtsmuskulatur nach Schlaganfällen, idiopathischen Nervenausfällen und Tumorerkrankungen behoben werden. Die Erfolgsrate einer mikrochirurgischen Geweberekonstruktion liegt bei über 95%. Es wurden mikrovaskuläre Knochentransplantationen aus dem Bereich des Beckens, des Unterschenkels, des Oberschenkels, der Rippen, des Schulterblatts und des Ober- und Unterarms durchgeführt. Zudem erfolgten Muskeltransplantationen aus dem Bereich der unteren und oberen Extremitäten, der Bauch- und Brustwand und eine Vielzahl von mikrovaskulären Fett-Haut-Faszien-, Haut-Fett-, Fett- oder Sehnentransplantationen. Die Entwicklung zeigt die zunehmende Nutzung von mikrovaskulären Perforatorlappenplastiken zur Weichgewebsrekonstruktion. Dies bedeutet, dass dominante Hauptgefäße geschont und Haut-Fett-Transplantationen nur unter Nutzung von peripheren Gefäßen durchgeführt werden. Dadurch konnte die Entnahmemorbidität weiter gesenkt werden.
Zudem erfolgte die Transplantation von zahlreichen Kombinationstransplantaten, die aus Haut, Muskulatur, Knochen und Knorpel bestehen. In etwa 15% der Fälle wurde die Transplantation mehrerer verschiedener Transplantate als Transplantatkombination durchgeführt. In ca. 10% der Fälle erfolgte die Kombination eines oder mehrerer mikrovaskulärer Transplantate mit Nahlappenplastiken oder freien, nicht vaskularisierten Transplantaten. Darüber hinaus wurden bei Schädelbasis- oder Schädeldefekten mikrovaskuläre Transplantationsverfahren mit patientenspezifischen Implantaten kombiniert. Diese bestanden aus biokompatiblen Kunststoffen oder Hydroxylapatit und wurden mittels individuellen 3D-Drucks hergestellt. Der 3D-Druck stellt seit ca. 7 Jahren auch die Basis der individuellen skelettalen Knochenrekonstruktion mit mikrovaskulären Knochentransplantaten dar. Seit dieser Zeit steht uns das dreidimensionale CT-gestützte Planungsverfahren zur Verfügung, das die skelettale Rekonstruktion weiter präzisieren konnte. Durch die Kombination mit intraoperativer Navigation und intraoperativer 3D-Bildgebung konnten weitere technische Verfeinerungen umgesetzt werden, die eine hohe Qualität der operativen Versorgung bereits am Ende der Operation sicherstellten. Weiters wurden neue Verfahren der Gelenksrekonstruktion entwickelt und erfolgreich durchgeführt sowie motorisierte Muskeltransfers zur Wiedererlangung der Funktion der Gesichtsmuskulatur mit gutem Erfolg eingesetzt.3
Zusammenfassend
Die moderne komplexe Gesichtsrekonstruktion basiert auf der Technik des mikrovaskulären Gewebetransfers. Hier stehen alle individuellen Gewebequalitäten in ausreichender Qualität am Patienten zur Verfügung, um eine individuelle patientenspezifische Rekonstruktion durchzuführen. Die Vielzahl der Transplantate und deren individuelle Auswahl gewährleisten eine bestmögliche Rekonstruktion des Gesichts. Dabei folgen wir dem Grundsatz der Rekonstruktion vom „Fundament zur Fassade“, also vom Skelett zur Haut. Die Wiederherstellung der Funktionen des Gesichts basiert ebenfalls auf den Möglichkeiten des mikrovaskulären Gelenkstransfers zur Rekonstruktion des Kiefergelenks und der mikrochirurgischen Remotorisierung von Muskeltransplantaten zur Wiedererlangung der Kau-, Schluck- und Sprechfunktion und von mimischen Bewegungen.In ausgewählten Fällen kommen Techniken der Präfabrikation und Prälamination von Transplantaten vor ihrer definitiven Transplantation zum Einsatz.4 Durch die technischen Entwicklungen und den Einsatz neuer Transplantate sowie die Nutzung patientenspezifischer Implantate konnte eine hohe Präzision in der skelettalen Rekonstruktion des Schädels erzielt werden. Die moderne Weichgewebsrekonstruktion basiert auf der Perforatorlappentechnik, die eine individuelle Weichgewebsrekonstruktion mit nur minimaler Entnahmemorbidität ermöglicht. Alle anderen traditionellen Verfahren werden dabei in diese Grundverfahren integriert und mit diesem kombiniert.
Die Art des Defekts und die fehlenden Gewebskomponenten bestimmen heute die Art der Rekonstruktion, die nicht mehr nur der Defektdeckung, sondern vor allem der Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik des Gesichts dient. Da die Verfahren der mikrochirurgischen Gesichtsrekonstruktion sehr aufwendig sind und oft lange Operationszeiten bedingen, ist die allgemeinmedizinische Konstitution des Patienten der Hauptfaktor für die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Umsetzung aufwendiger chirurgischer Maßnahmen und stellt heute oft den limitierenden Faktor dar. Dennoch gilt es, in der rekonstruktiven Gesichtschirurgie aus einem großen chirurgischen Repertoire zu schöpfen und die situationsangepasst besten Verfahren zu wählen, da eine Gesichtsrekonstruktion den hohen Anspruch hat, den Spiegel der Persönlichkeit des Menschen wiederherzustellen.
Literatur:
1 Toure G et al.: J Oral Maxillofac Surg 2006; 64(5): 789-93 2 Gaggl A et al.: Int J Oral Maxillofac Surg 2012; 41(5): 581-6 3 Enzinger S et al.: Int J Oral Maxillofac Surg 2018; 47(5): 603-7 4 Vinzenz K & Cohen M: J Craniofac Surg 2020; 31(5): 1379-84
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