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Tranexamsäure – Goldstandard auch in der Schulterendoprothetik
Jatros
Autor:
Dr. Leo Pauzenberger
Vienna Shoulder & Sports Clinic Wien<br> E-Mail: p.leo@gmx.at
30
Min. Lesezeit
15.11.2018
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<p class="article-intro">Die perioperative Verabreichung von Tranexamsäure zur Reduktion des Blutverlustes, der Gabe von Blutkonserven, postoperativer Schmerzen sowie von Hämatomen im Zuge orthopädischer Operationen, allen voran in der Knie- und Hüftendoprothetik, hat sich mittlerweile als Standard etabliert. Neuere Daten belegen selbige positive Effekte auch für die prothetische Versorgung des Schultergelenks, sodass die Gabe von Tranexamsäure heute ebenfalls als Goldstandard in der Schulterendoprothetik angesehen werden sollte.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Gabe von Tranexamsäure reduziert den Blutverlust im Zuge von Schulterprothesenimplantationen.</li> <li>Durch die Verabreichung von Tranexamsäure kann weiters die Anzahl notwendiger postoperativer Erythrozytengaben verringert werden.</li> <li>Überdies kann durch die Gabe von Tranexamsäure ein vermindertes Auftreten von postoperativen Hämatomen sowie Schmerzen erreicht werden.</li> <li>Eine Dosierung von 1–2g Tranexamsäure perioperativ hat sich in der Schulterendoprothetik als effektiv und komplikationsarm erwiesen.</li> </ul> </div> <p>Anatomische und inverse Schulterendoprothesen haben sich als äußerst erfolgreich in der Behandlung von verschiedensten Schulterpathologien erwiesen.<sup>1–3</sup> Die adäquate Kontrolle des perioperativen Blutverlustes inklusive seiner Folgen ist auch in der Schulterendoprothetik ein wichtiger Faktor für ein entsprechend erfolgreiches Resultat. Da die Anzahl der implantierten Schulterprothesen über die letzten Jahrzehnte massiv angestiegen ist und voraussichtlich auch in den nächsten Jahren weiter steigen wird,<sup>4, 5</sup> ist eine Optimierung der Strategien zur Reduktion des perioperativen Blutverlustes und potenzieller Erythrozytenkonzentratgaben ein Ansatzpunkt für weitere Verbesserungen.<sup>6</sup><br /> Die Gabe von allogenen Blutprodukten ist assoziiert mit einem erhöhten Risiko für postoperative Infektionen, verlängerten Krankenhausaufenthalt und erhöhter Mortalität.<sup>7, 8</sup> Die Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit von postoperativen Bluttransfusionen scheint im Vergleich zur Knie- und Hüftendoprothetik zwar geringer, kommt im klinischen Alltag aber nichtsdestotrotz des Öfteren vor.<sup>9, 10</sup> Blutverlust bzw. die Notwendigkeit der Gabe von Erythrozytenkonzentraten stellte sich sogar als die bei Weitem häufigste unerwünschte Nebenwirkung in der Schulterendoprothetik heraus.<sup>11</sup> Die Rate an postoperativen Bluttransfusionen nach Implantation von Schulterprothesen wird in der aktuelleren Literatur mit modernen, restriktiveren Transfusionsrichtlinien im Bereich zwischen 4,5 % und 11,3 % angegeben.<sup>11–13</sup> Diese Raten sind durchaus vergleichbar mit den Transfusionsraten in der Hüft- bzw. Knieendoprothetik.<sup>14–16</sup> Dabei sind viele der identifizierten Risikofaktoren für die Notwendigkeit von Blutproduktgaben wie Alter, Geschlecht, Art der Degeneration und Komorbiditäten nicht modifizierbar.<sup>12, 13</sup><br /> Bereits seit Längerem wird Tranexamsäure in der orthopädischen Chirurgie erfolgreich zur Verringerung des Blutverlustes eingesetzt.<sup>17, 18</sup> Im Gegensatz zur Hüft- und Kniechirurgie ist die Verwendung von Tranexamsäure in der Schulterendoprothetik jedoch noch nicht weitläufiger Standard. Tranexamsäure ist ein synthetisches Antifibrinolytikum, welches die Konversion von Plasminogen zu Plasmin durch kompetitive Blockade einer Lysin-Bindungsstelle an Fibrin und Fibrinogen verhindert.<sup>19</sup> Dadurch kommt es letztlich zu einer reduzierten Fibrinolyse und Stabilisierung physiologischer Thromben.<sup>20</sup> Dabei zeigte sich durchwegs kein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen.<sup>21, 22</sup><br /> Nachdem die positive Wirkung von Tranexamsäure für Operationen des Knies, der Hüfte und der Wirbelsäule gezeigt werden konnte,<sup>17, 21, 22</sup> mehren sich nun auch die positiven Berichte über die Anwendung von Tranexamsäure in der Schulterendoprothetik.<sup>23–28</sup></p> <h2>Datenlage</h2> <p>Die Literatur zur Verwendung von Tranexamsäure in der Schulterendoprothetik ist derzeit noch relativ überschaubar (Tab. 1). Abildgaard et al.<sup>23</sup> fanden in einer Studie in 171 Schulterendoprothesen, dass die Gabe von 1g Tranexamsäure intravenös den gesamten Blutverlust um 18 % bei anatomischen und um 25 % bei inversen Schulterprothesen verringerte. Friedman et al.<sup>24</sup> berichteten retrospektiv von 106 Schulterendoprothesen, wobei es durch die Gabe von Tranexamsäure zu vermindertem Blutverlust gemessen an den Veränderungen von Hämoglobin und Hämatokrit kam. Vara et al.<sup>27</sup> untersuchten 102 Patienten, die sich im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie einer inversen Schulterprothesenimplantation unterzogen, und fanden einen deutlich reduzierten Blutverlust in der Tranexamsäure- Gruppe. Kim et al.<sup>26</sup> analysierten 48 Patienten nach inversen Schulterendoprothesen in einer retrospektiven Untersuchung und fanden ebenfalls eine Reduktion des Blutverlustes bei Patienten, welche Tranexamsäure erhalten hatten. In einer weiteren randomisiert-kontrollierten Studie von Gillespie et al.<sup>25</sup> zeigte sich die positive Wirkung von Tranexamsäure auch für die topische Gabe. Bei 111 Patienten berichten die Autoren über positive Ergebnisse, wobei diese im Vergleich nicht gänzlich an die Wirksamkeit der intravenösen Gabe heranzukommen scheinen. Dennoch ergaben sich ein verminderter postoperativer Blutverlust und eine geringere Reduktion von Hämoglobin und Hämatokrit. Insgesamt ergeben sich aus der Literatur eine Verminderung des Blutverlustes von durchschnittlich ca. 250ml sowie eine Verringerung des Risikos für die Notwendigkeit einer Bluttransfusion um zwei Drittel.<sup>23–27</sup><br /> Im Rahmen einer eigenen randomisiert- kontrollierten Studie ergab sich durch die Gabe von jeweils 1g Tranexamsäure i.v. beim Hautschnitt sowie beim Wundverschluss eine deutliche Reduktion des Blutverlustes. Im Detail kam es dabei zu einer Reduktion des postoperativen Blutverlustes von 170ml auf 50ml sowie einer Verringerung des berechneten gesamten Blutverlustes von 1248ml auf 871ml. Transfusionen waren weder in der Interventions- noch in der Kontrollgruppe notwendig. Neben dem reinen Fokus auf den perioperativen Blutverlust untersuchten wir auch den Einfluss von Tranexamsäure auf die Entstehung von postoperativen Hämatomen und damit verbundenen Schmerzen. Dabei zeigte sich, dass es in der Kontrollgruppe deutlich häufiger zur Entstehung von klinisch relevanten Hämatomen kam, die den Patienten Schmerzen bereiteten. Die Reduktion der postoperativen Hämatomformation könnte theoretisch überdies eine frühe Mobilisierung begünstigen und dem erhöhten Infektionsrisiko durch Hämatome entgegenwirken. Im Zuge unserer Untersuchung erhielten unsere Patienten von der endoprothetischen Versorgung der Schulter bis zur Entlassung aus dem Spital eine medikamentöse Prophylaxe gegen das Auftreten tiefer Venenthrombosen mit niedermolekularem Heparin. Da die Ergebnisse unserer Untersuchung mit den Resultaten anderer Studien vergleichbar waren, welche keine Thromboseprophylaxe verwendeten,<sup>23–26</sup> scheint die positive Wirkung von Tranexamsäure in der Schulterendoprothetik nicht negativ durch die gleichzeitige Gabe von Enoxaparin beinflusst zu werden.<sup>28</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s19_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="1442" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>Bisher hat sich in der Literatur noch kein einzelnes Verabreichungsregime für Tranexamsäure im Rahmen der Endoprothetik durchgesetzt. Jedoch scheinen die in der Literatur bisher publizierten Protokolle zur Gabe von Tranexamsäure in der Schulterendoprothetik, entsprechend der Hüft- und Kniechirurgie, allesamt positive Ergebnisse zu liefern, ohne dass sich durch ein spezifisches Protokoll ein erhöhtes Komplikationsrisiko gezeigt hätte. Nichtsdestotrotz wären weitere Studien wünschenswert, die sich auf die Findung des optimalen Verabreichungsschemas konzentrieren.<br /> Weiters stehen noch Untersuchungen aus, die den Stellenwert der Tranexamsäuregabe im Rahmen der Revisions- bzw. Frakturendoprothetik evaluieren. Gerade in diesem Zusammenhang erscheint die Verwendung von Tranexamsäure äußerst interessant und könnte in diesem komplexeren Rahmen potenziell noch ein Mehr an Nutzen bringen als in der Primärendoprothetik.<br /> Ein weiterer vielversprechender Einsatzbereich für die Gabe von Tranexamsäure ist in der Literatur ebenfalls noch unterrepräsentiert: Aufgrund des theoretisch erhöhten thromboembolischen Risikos wurden in der bisherigen Literatur Patienten, welche unter dauernder Antikoagulanzientherapie stehen, weitestgehend aus Studien ausgeschlossen. Allerdings könnten gerade diese Patienten im Vergleich zur primären Endoprothetik von den Effekten der Tranexamsäuregabe profitieren. Ob dies auch die thromboembolische Komplikationsrate erhöhen würde, ist jedoch unklar und ein Hindernis für die Durchführung notwendiger Studien.<br /> Bei allen positiven Wirkungen von Tranexamsäure darf nicht vergessen werden, dass es trotz generell guter Verträglichkeit auch zu adversen Effekten kommen kann, welche bei stetig zunehmender Anwendung auch vermehrt beobachtet werden können. Selten, aber doch wurden unter anderem anaphylaktische Reaktionen, thromboembolische Komplikationen inklusive kardialer und zerebraler Infarkte sowie das Auftreten von Krampfanfällen nach Gabe von Tranexamsäure berichtet.<sup>29</sup></p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Tranexamsäure verringert auch in der Schulterendoprothetik den perioperativen Blutverlust, die Anzahl an notwendigen Bluttransfusionen, das Auftreten von Hämatomen sowie die Schmerzen in den ersten postoperativen Tagen, ohne dabei das Risiko für thromboembolische Komplikationen wesentlich zu erhöhen. Deshalb sollte die Gabe von Tranexamsäure heute in der Schulterendoprothetik als Goldstandard angesehen werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Boileau P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2009; 18: 600-6 <strong>2</strong> Cuff D et al.: J Bone Joint Surg 2008; 90-A: 1244-51 <strong>3</strong> Werner CM et al.: J Bone Joint Surg 2005; 87-A: 1476-86 <strong>4</strong> Day JS et al.: J Shoulder Elbow Surg 2010; 19(8): 1115-20 <strong>5</strong> Schairer W W et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24(1): 91-7 <strong>6</strong> Bolton-Maggs PH, Cohen H: Br J Haematol 2013; 163(3): 303-14 <strong>7</strong> Weber EW et al.: Anesth Analg 2005; 100(5): 1416-21, table of contents <strong>8</strong> Hart A et al.: J Bone Joint Surg Am 2014; 96(23): 1945-51 <strong>9</strong> Yoshihara H, Yoneoka D: J Arthroplasty 2014; 29: 1932-7 <strong>10</strong> Ponnusamy KE et al.: J Bone Joint Surg 2014; 96: 1836-44 <strong>11</strong> Ricchetti ET et al.: Clin Orthop Relat Res 2011; 469(4): 1042-9 <strong>12</strong> Kandil A et al.: Int J Shoulder Surg 2016; 10(2): 72-7 <strong>13</strong> Anthony CA et al.: Clin Orthop Relat Res 2015; 473(6): 2099-105 <strong>14</strong> Yoshihara H, Yoneoka D: J Arthroplasty 2014; 29(10): 1932-7 <strong>15</strong> Carling MS et al.: J Orthop Surg Res 2015; 10: 48 <strong>16</strong> Park JH et al.: J Bone Joint Surg Am 2013; 95(19): 1777-83 <strong>17</strong> Huang F et al.: J Surg Res 2014; 186(1): 318-27 <strong>18</strong> Ker K et al.: Cochrane Database Syst Rev 2013; 7: CD010562 <strong>19</strong> McCormack PL: Drugs 2012; 72(5): 585-617 <strong>20</strong> Dunn CJ, Goa KL: Drugs 1999; 57: 1005-32 <strong>21</strong> Sukeik M et al.: J Bone Joint Surg Br 2011; 93(1): 39-46 <strong>22</strong> Li ZJ et al.: Eur Spine J 2013; 22(9): 1950-7 <strong>23</strong> Abildgaard JT et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25(10): 1643-8 <strong>24</strong> Friedman RJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25(4): 614-8 <strong>25</strong> Gillespie R et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24(11): 1679-84 <strong>26</strong> Kim SH et al.: Biomed Res Int 2017; 2017: 9590803 <strong>27</strong> Vara AD et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 1383-9 <strong>28</strong> Pauzenberger L et al.: Bone Joint J 2017; 99-B(8): 1073-9 <strong>29</strong> Calapai G et al.: J Pharmacovigilance 2015; 3(4): 171</p>
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