
Standards und neue Konzepte des Alignments in der Knieendoprothetik
Jatros
Autor:
A. Leithner
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Graz
Autor:
Dr. Gloria Hohenberger
E-Mail: gloria.hohenberger@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Ein primäres Ziel der Knieendoprothetik ist das Erreichen eines exakten Alignments. Klassische Verfahren sind das anatomische und das kinematische Alignment. Im Vergleich hierzu versucht das kinematische Alignment das tatsächliche Alignment des Kniegelenkes vor der bestehenden Arthrose zu rekonstruieren. Eine Überlegenheit dieser Technik ist jedoch derzeit durch Studien nicht belegbar.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Primäres Ziel der Knietotalendoprothetik (KTEP) ist das Erreichen eines adäquaten Alignments der femoralen, tibialen und patellaren Komponenten inklusive Restoration der unteren Extremität in Neutralstellung. Das exakte KnieAlignment gilt als größter Einflussfaktor des Langzeitoutcomes nach Implantation einer KTEP, wohingegen ein inadäquates Alignment zur Verringerung des Implantatüberlebens, zu einem schlechten funktionellen Outcome sowie zur Implantatlockerung führen kann. <br />Zur Erreichung eines exakten Alignments wurden diverse Alignment-Strategien und Operationstechniken entwickelt. Eine klassische Methode bildet das mechanische Alignment (MAL), welches für lange Zeit als die einzige zuverlässige Option tituliert wurde. Hierbei werden die femoralen und tibialen Prothesenkomponenten parallel zur Beinachse der langen Röhrenknochen der unteren Extremität platziert. Das MAL unterscheidet sich jedoch häufig signifikant vom individuellen anatomischen Alignment vieler Patienten. Zusätzlich wird häufig ein ausgiebiges Weichteil-Release benötigt, um die KTEP anzupassen. Eine weitere klassische Alignmentmethode ist das anatomische Alignment (AAL), welches eine anatomische Beinachse und damit eine Gelenklinie parallel zur Horizontalen anstrebt. <br />Durch die Entwicklung neuer Technologien, inklusive der computernavigierten Implantation und patientenspezifischer Instrumentarien, konnten radiologische Achsenabweichungen vermehrt reduziert, jedoch das klinische Outcome, wie in größeren Studien gezeigt, nicht signifikant verbessert werden. Des Weiteren haben Studien aus dem Vereinigten Königreich sowie Kanada mit über 10 000 Patienten gezeigt, dass in etwa 20 % der Patienten ein Jahr nach der Implantation einer KTEP mit MAL unzufrieden mit dem Ergebnis sind. Als Begründung hierfür wurden eine persistierende Schmerzsymptomatik sowie Beeinträchtigungen im Alltag angegeben. Aus diesen Gründen und aufgrund der Qualitäts- und Überlebenszeitsteigerung der Polyethylen-Inlays rücken neuere Techniken, wie das kinematische Alignment (KAL), welches versucht, den präarthrotischen Gelenkszustand annähernd wiederherzustellen, in den Interessenfokus.</p> <h2>Alignmentkonzepte</h2> <p>Der folgende Abschnitt erörtert das mechanische, anatomische und kinematische Alignment.</p> <p><strong>Mechanisches Alignment (MAL)</strong></p> <p>Bei dieser primär von John Insall (1985) beschriebenen Technik erfolgt der initiale Femurschnitt senkrecht zur mechanischen Femurachse sowie darauf folgend die Tibiaresektion senkrecht zur mechanischen Achse der Tibia (Abb. 1). Es folgen die Balancierung des Gelenksspaltes und, wenn benötigt, ein Weichteil-Release. Insall sprach sich gegen die Restoration des Gelenks in den präarthrotischen Zustand aus. Jedoch wurde bereits in diversen Studien beschrieben, dass die mechanische Beinachse nicht zwingend der physiologischen Patientenanatomie entspricht. Unterschiedliche Arbeitsgruppen stellten dar, dass in einem Normkollektiv von 250 gesunden Probanden die Beinachse nicht in der mechanischen Neutralachse liegt, sondern vielmehr einen Varus von 1,3° aufweist und nur 15 % der Studienteilnehmer eine gerade Beinachse aufweisen. Dennoch wurde in mehreren Arbeiten postuliert, dass Abweichungen von der mechanischen Achse zu Implantatversagen führen würden und nur Achsabweichungen von bis zu ±3° tolerabel wären. In rezenten Arbeiten konnte nicht bewiesen werden, dass Achsabweichungen zu einer signifikant verkürzten Prothesenstandzeit führen würden. Weiters konnte gezeigt werden, dass Patienten mit präoperativem Varus ein signifikant besseres klinisches Outcome durch Belassen des Varus im Vergleich zur Korrektur in den milden Valgus erreichen. Bellemanns und Kollegen (2013) postulierten, dass die leichte Unterkorrektur eines Varus zu einem besseren funktionellen Ergebnis führen würde.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s49.jpg" alt="" width="1051" height="1199" /></p> <p><strong>Anatomisches Alignment (AAL)</strong></p> <p>Das AAL wurde 1985 primär von Hungerford und Krackow beschrieben. Die Autoren postulierten, dass die optimale Implantatlage die Gelenkslinie anatomisch rekreieren sollte. Hierbei erfolgt die Tibiaresektion in 3° Varus zur mechanischen Tibiaachse und der distale Femurschnitt in 9° Valgus zur mechanischen Femurachse. Daraus resultiert ein 6°-ValgusAlignment, welches dem physiologischen Tibiofemoralwinkel entspricht (Abb. 2).</p> <p><strong>Kinematisches Alignment (KAL) </strong></p> <p>Das KAL gründet sich auf die Ergebnisse zur Kinematik des Kniegelenks von Hollister et al. (1993). Laut den Autoren basiert die Kinematik des Kniegelenks auf drei fixierten Rotationsachsen: Die primäre Extensions-Flexions-Achse (1) verläuft durch den dorsalen Abschnitt der Femurkondylen, um die die Tibia rotiert. Die patellare Extensions-Flexions-Achse (2) verläuft anterosuperior parallel zur ersten Achse und die Tibiarotationsachse (3), welche im rechten Winkel auf die erstgenannte Achse steht. Aus diesem Modell resultiert die Dreidimensionalität der Kniekinematik. Im Vergleich zum MAL und AAL, welche zweidimensionale Ansätze darstellen, handelt es sich beim KAL um eine dreidimensionale Ausrichtung. Somit versucht das KAL als Alternative zu den beschriebenen klassischen Methoden, das ursprüngliche Alignment vor dem Auftreten arthrotischer Veränderungen wiederherzustellen. Hierbei kann das oftmals benötigte Weichteil-Release reduziert werden. Obwohl sowohl das MAL als auch das KAL zu demselben Hüft-Knie-Sprunggelenk-Alignment führen, bestätigen die Verfechter des KAL, dass dies die präarthrotische Gelenksachse restauriert und auch zu einem besseren klinischen Outcome, einem größeren Bewegungsumfang und verstärkter Patientenzufriedenheit führen würde. Dies basiert auf der Positionierung der Implantate anhand der natürlichen Kniegelenksachsen im Sinne einer dreidimensionalen Ausrichtung. Die Drehachse des Femurschildes wird auf die primäre femorale Transversalachse gelegt. Es wird genauso viel Knochen reseziert, wie durch die Prothese ersetzt wird, ohne den Versuch der Anpassung an die mechanische Achse (,,true-measured resection-technique“). Die Tibiakomponente steht im rechten Winkel zur Tibia­rotationsachse und wird femoral referenziert ausgerichtet. <br />Für die präoperative Planung gibt es bis dato zwei Alternativen. Mit der ersten Technik kann mittels Magnetresonanztomografie ein hochwertiges 3D-Modell erstellt werden, in welchem mittels Computersoftware die Auffüllung von arthrotischen Defekten erfolgt, die kinematischen Achsen bestimmt werden und auch die Prothesenplatzierung erfolgen kann. Aus dieser Planung werden dann die Schnittblockschablonen gewonnen. Als zweite Variante wurde von Stephen Howell eine manuelle Methodik publiziert. Hierbei erfolgt die Orientierung an der Anatomie der Femurkondylen unter Berücksichtigung von deren Chondropathie. Diese wird präoperativ mittels Magnetresonanztomografie wie auch intraoperativ evaluiert. Mit entsprechenden Spacerblöcken erfolgt dann die Rekonstruktion der präarthrotischen Gelenksverhältnisse, wobei die Tibiaresektion an den femoralen Schnitt angepasst wird. Als Limitation muss erwähnt werden, dass in der computerunterstützten Planung der Kapsel-Band-Apparat des Gelenkes ein theoretisches isometrisches Konstrukt ist. In Fällen eines hochgradigen Valgus müssen also beispielsweise bei Elongationen des medialen Bandapparates Angleichungen durch ein Release erfolgen.</p> <h2>Outcome</h2> <p>Dossett und Kollegen (2012) evaluierten 81 Patienten nach der Implantation einer KTEP mit einem Vergleich zwischen MAL und KAL. Hier zeigte die kinematische Gruppe signifikant höhere Western Ontario, McMaster University, Oxford und Combined Knee Society Scores. Yanhong et al. (2017) führten eine Metaanalyse durch, um das Kurzzeit-Outcome des KAL mit dem des MAL zu vergleichen. Hier erreichte die KAL-Gruppe bessere Ergebnisse bezogen auf den WOMAC Score, den Knee Function Score, den Oxford Knee Score und den erreichten Flexionsgrad. Im Vergleich zeigten der Extensionsgrad, das Schmerzempfinden gemessen an der VAS und die Komplikationsrate keine statistisch signifikanten Unterschiede. Weiters wies die KAL-Gruppe eine kürzere Operationszeit auf. <br />Takahashi et al. (2018) postulierten nach dem Review und der Metaanalyse von fünf randomisierten kontrollierten Studien ein signifikant besseres klinisches Outcome nach der Implantation von KTEP mit KAL im Vergleich zu jenen mit MAL.</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Primäres Ziel der Knieendoprothetik ist seit jeher, ein zufriedenstellendes Alignment zu erreichen, wobei hier sowohl das mechanische als auch das anatomische Verfahren angewendet werden. Dabei besteht Einigkeit, dass ein ungenügendes Alignment zu einem verringerten Prothesenüberleben und schlechten klinischen Ergebnissen führt. Beim kinematischen Alignment wird versucht, das tatsächliche Alignment des Kniegelenkes vor der bestehenden Arthrose zu rekonstruieren. Eine endgültige Aussage über den Benefit dieser Technik kann noch nicht getroffen werden, da noch weitere Studien notwendig sind, um die Ergebnisse in einer Metaanalyse zu interpretieren.</p></p>
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<p>bei den Verfassern</p>
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