Schmerzhafte und invalidisierende Wirbelsäulendeformitäten beim alten Patienten: wie weiter?

<p class="article-intro">Progrediente Deformitäten, die sich aus degenerativen Prozessen der älter werdenden Wirbelsäule ergeben, stellen für die Patienten eine häufig einschränkende und teilweise auch invalidisierende Problematik dar, die therapeutisch grosse Herausforderungen beinhaltet. Aufgrund der altersdemografischen Entwicklung ist mit einer steigenden Inzidenz dieser Problematik zu rechnen. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Adulte Deformit&auml;ten der Wirbels&auml;ule stellen aufgrund der demografischen Entwicklung ein zunehmendes Problem dar.</li> <li>Die Wahl der Therapie richtet sich prim&auml;r nach den klinischen Symptomen, weniger nach dem Grad der Deformit&auml;t.</li> <li>Im Falle einer Operation ist ein m&ouml;glichst gezieltes und lokalisiertes Vorgehen anzustreben (&laquo;less is more&raquo;).</li> <li>Bei ausgepr&auml;gten Deformit&auml;ten mit St&ouml;rungen v.&thinsp;a. des sagittalen Alignements und auch bei voroperierten Patienten sind teilweise langstreckige korrigierende Verfahren erforderlich, die hohe Anspr&uuml;che an die Kompetenz des behandelnden Teams stellen.</li> </ul> </div> <h2>Biomechanische Grundproblematik</h2> <p>Relevante Deformit&auml;ten der Wirbels&auml;ule k&ouml;nnen alle Projektionsebenen betreffen. In den letzten Jahren wurden viele Arbeiten zur Analyse der sagittalen Balance der Wirbels&auml;ule ver&ouml;ffentlicht und u.a. die Bedeutung des Verh&auml;ltnisses der lumbalen Lordose zur Stellung und Kippung des Beckens herausgearbeitet. Die Alterung der Wirbels&auml;ule f&uuml;hrt durch einen Lordoseverlust und eine Kyphosezunahme zu einer Ventralisierung des Schwerpunktes. Zu einem gewissen Grade sind Kompensationsmechanismen auf Ebene der Wirbels&auml;ule, des Beckens und der unteren Extremit&auml;ten m&ouml;glich. Sind diese aber ausgesch&ouml;pft, leiden die Patienten in aller Regel unter belastungsabh&auml;ngigen R&uuml;ckenbeschwerden in dem Sinne, dass in aufrechter Stellung die muskul&auml;ren Kr&auml;fte der R&uuml;ckenstrecker nicht ausreichen, die Wirbels&auml;ule in ihrer Dysbalance zu stabilisieren. Somit handelt es sich um ein eher mehrsegmentales und langstreckiges Problem, welches therapeutisch h&auml;ufig auch ein entsprechendes Vorgehen ben&ouml;tigt. Allerdings sollten die Parameter der Wirbels&auml;ulenbalance auch bereits f&uuml;r Planungen sogar monosegmentaler Stabilisierungen ber&uuml;cksichtigt werden, um das Risiko von Nachbarsegmentspathologien durch biomechanische &Uuml;berlastungen zu minimieren. <br /> Neben diesen St&ouml;rungen des sagittalen Alignements spielen skoliotische Deformit&auml;ten v.a. im Lumbalbereich eine grosse Rolle. Als Hauptvertreter dieser koronaren Deformit&auml;ten sind zum einen die degenerative Lumbalskoliosen (DLS) oder auch &laquo;De-novo-Skoliosen&raquo; zu nennen, die typischerweise in der zweiten Lebensh&auml;lfte auftreten, sowie zum anderen die sekund&auml;ren Degenerationen der idiopathischen Skoliosen.</p> <h2>Klinische Symptome, Abkl&auml;rungen und Entscheidungsfindung</h2> <p>Im klinischen Bild spielen initial die durch die degenerativen Ver&auml;nderungen der Bandscheiben und Wirbelgelenke verursachten lokal lumbalen Beschwerden die f&uuml;hrende Rolle. Bei Progressionen der Degeneration und auch Deformit&auml;t kann es dann zus&auml;tzlich zu Symptomen der foraminalen oder spinalen Kompressionen neuraler Strukturen mit entsprechenden Ischialgien oder Claudicatio-Symptomen kommen. H&auml;ufig entsteht erst in dieser Phase aus Patientensicht die subjektive Notwendigkeit eines operativen Eingriffes, da diese Symptome sehr belastend und mobilit&auml;tseinschr&auml;nkend sein k&ouml;nnen, ohne dass konservative Massnahmen gen&uuml;gend M&ouml;glichkeit einer dauerhaften Besserung b&ouml;ten.<br /> Grunds&auml;tzlich sind zwar die klinischen Symptome der prim&auml;re und der Grad der Deformation der sekund&auml;re Indikator in der Wahl des therapeutischen und evtl. auch operativen Vorgehens. Andererseits aber sollten die Behandlungsstrategien durchaus altersangepasst festgelegt werden, wobei das biologische Alter, die Lebenserwartung, Nebenerkrankungen und ebenso das Aktivit&auml;tsprofil eine Rolle spielen. Auch im nat&uuml;rlichen Verlauf der Deformit&auml;ten spielen diese Faktoren eine Rolle. <br /> Es sollte zun&auml;chst eine relativ &laquo;j&uuml;ngere&raquo; Patientengruppe von einer &laquo;&auml;lteren&raquo; unterschieden werden. Im Allgemeinen werden Patienten mit einer verbleibenden Lebenserwartung von mehreren Jahrzehnten, Berufst&auml;tigkeit und sportlichen Aktivit&auml;ten der &laquo;j&uuml;ngeren&raquo; Patientengruppe zugeordnet. Typischerweise fallen Patienten in der 5. und 6. Lebensdekade in diese Kategorie. Da initial meist die lokale R&uuml;ckenschmerzkomponente die klinisch f&uuml;hrende Rolle spielt, werden diese Patienten h&auml;ufig &uuml;ber einige Jahre konservativ behandelt und begleitet. Wichtig ist aber auch in dieser Phase bereits eine umfassende Analyse der Problematik, auch mit einer vollst&auml;ndigen bildgebenden Diagnostik, zu der immer auch R&ouml;ntgenbilder im Stehen geh&ouml;ren, besser noch Gesamtaufnahmen der Wirbels&auml;ule, z.B. im EOS-System. Vielfach hat die MRI-Diagnostik vonseiten der Zuweiser und Haus&auml;rzte mittlerweile eine Pr&auml;ferenz gegen&uuml;ber konventionellen R&ouml;ntgenbildern. Eine reine Schichtbilddiagnostik, die ja &uuml;blicherweise in einer liegenden Position des Patienten durchgef&uuml;hrt wird, kann aber das wahre Ausmass der Wirbels&auml;ulendeformit&auml;t verschleiern. Zudem sind mit modernen R&ouml;ntgentechniken die Strahlenbelastungen der Patienten massiv gesunken.</p> <h2>Nicht-operative Therapie</h2> <p>Die konservativen Therapieans&auml;tze umfassen neben der analgetischen Therapie passive krankengymnastische Massnahmen ebenso wie aktive Programme zur Verbesserung der allgemeinen und der Kraft-Ausdauer-Leistungsf&auml;higkeit. H&auml;ufig sind diese M&ouml;glichkeiten aber insbesondere beim &auml;lteren Patienten limitiert. Der Platz und Stellenwert weiterer &laquo;Alternativtherapien&raquo; kann sicherlich kontrovers diskutiert werden, gesicherte Daten zur Wirkung gibt es allerdings nicht. Auch &laquo;konservativ-interventionelle&raquo; Massnahmen, wie z.B. bildwandlergest&uuml;tzte Infiltrationen, haben wohl im Rahmen der Symp tombek&auml;mpfung w&auml;hrend einer gewissen Phase der Erkrankung ihren Platz, sind aber nicht in der Lage, eine allf&auml;llige Progredienz der Problematik zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. <br /> Somit ist auch im Rahmen der teilweise jahrelangen konservativen Behandlung ein regelm&auml;ssiges Monitoring der Patienten zu empfehlen, da der optimale Zeitpunkt einer operativen Korrektur auch verpasst werden kann.</p> <h2>Operative Therapie</h2> <p>Eine operative Behandlung kommt dann in Betracht, wenn die Symptome mit konservativen Verfahren nicht mehr beherrschbar sind, eine klare Progredienz der Skoliose zu sehen ist oder zus&auml;tzliche neurogene Symptome auftreten. In derartigen F&auml;llen ist nach Studienlage die operative Versorgung dem weiter konservativen Vorgehen im Langzeitverlauf &uuml;berlegen, auch wenn relevante intra- und auch postoperative Risiken bestehen, wobei v.a. eine Verschlechterung der neurologischen Funktion, Infektrisiken, implantatassoziierte Komplikationen und Nachbarsegmentsproblematiken zu nennen sind. <br /> In der Planung eines operativen Vorgehens stellt sich auch aufgrund dieser Risiken grunds&auml;tzlich die Frage, ob eine begrenzte L&ouml;sung mit Versorgung nur einer oder einiger weniger Etagen sinnvoll und m&ouml;glich ist oder ob eine l&auml;ngerstreckige Korrektur und Stabilisation erforderlich scheinen. Eine grosse Rolle spielt in diesem Entscheidungsprozess wiederum das sagittale Alignement, das nach Berjano und Lamartina (2014) zumindest kompensiert sein sollte, um eine selektive Vorgehensweise m&ouml;glich zu machen. Weiterhin spielen auch die Rigidit&auml;t bzw. das Korrekturpotenzial der Skoliose eine Rolle. Dabei hat sich die zus&auml;tzliche Analyse der Wirbels&auml;ulenaufnahmen unter Zug bew&auml;hrt. Zudem sollte es m&ouml;glich sein, die symptomgebende Pathologie bestimmten Segmenten zuordnen zu k&ouml;nnen. Hier k&ouml;nnen in der pr&auml;operativen Planung selektive bildgest&uuml;tzte Infiltrationen hilfreich sein. <br /> Die M&ouml;glichkeiten der operativen Versorgung umfassen ein relativ breites Spektrum, welches von der reinen, mikroskopisch assistierten Dekompression ohne zus&auml;tzliche Stabilisation &uuml;ber mono- oder bisegmentale Stabilisationen bis hin zu langstreckigen, korrigierenden Fixationen reicht.<br /> F&uuml;r kurzstreckige Stabilisationen stehen wiederum verschiedene Zugangswege und Stabilisationstechniken zur Verf&uuml;gung. Sehr h&auml;ufig finden zur besseren Korrektur intervertebrale Cages Anwendung, die &laquo;klassisch&raquo; &uuml;ber dorsale Zug&auml;nge (PLIF- und TLIF-Technik) oder auch zunehmend durch laterale Zug&auml;nge (XLIF-Technik, Abb. 1) eingebracht werden. Letztere werden mit einem minimal invasiven Zugang in Wechselschnitttechnik &uuml;ber eine Lumbotomie oder Thorakotomie durchgef&uuml;hrt, was Vorteile im Hinblick auf die Muskel- und Weichteiltraumatisierung im Vergleich zu rein dorsalen Techniken mit sich bringt. Zudem k&ouml;nnen &uuml;ber diese Zug&auml;nge gr&ouml;ssere und besser abst&uuml;tzende Cages eingebracht werden. Andererseits ist der lumbosakrale &Uuml;bergang mit dieser Technik nicht zug&auml;ngig, hier bieten sich h&auml;ufig ventrale Zugangsverfahren (ALIF) an. <br /> L&auml;ngerstreckige Stabilisationen sind eher zur globalen Korrektur des Wirbels&auml;ulenalignements erforderlich und sind dementsprechend auch h&auml;ufig mit Techniken der Osteotomie zu kombinieren. Auch hier stehen verschiedenen Verfahren zur Verf&uuml;gung, wobei die Smith-Petersen-Osteotomie (SPO) und die Pedikelsubstraktionsosteotomie (PSO) wohl am h&auml;ufigsten zur Anwendung kommen. Die Darstellung von Details zu diesen Techniken w&uuml;rde den Rahmen dieses Artikels sprengen, es ist aber darauf hinzuweisen, dass derartige Eingriffe eine gut strukturierte peri-, intra- und postoperative Infrastruktur ben&ouml;tigen. Diese umfasst die station&auml;re Betreuung der Patienten durch geschultes Pflegepersonal und Physiotherapeuten ebenso wie das Operationsteam mit Lagerungs- und Instumentierpersonal sowie eine ad&auml;quate an&auml;sthesiologische F&uuml;hrung und neurologische &Uuml;berwachung (Neuromonitoring). Daraus l&auml;sst sich schliessen, dass diese Eingriffe in spezialisierten Zentren durchgef&uuml;hrt werden sollten, die &uuml;ber die hierf&uuml;r notwendige Expertise, entsprechende Fallzahlen und &uuml;ber die erforderliche Routine verf&uuml;gen. Es ist in der Literatur gut belegt, dass sich diese Faktoren in niedrigeren Komplikationsraten und besserem Outcome f&uuml;r die Patienten widerspiegeln. <br /> Mit zunehmendem Patientenalter wird die Indikation zur operativen Intervention eher restriktiver, was insbesondere f&uuml;r langstreckige und korrigierende Eingriffe gilt. In dieser Patientengruppe steht auch die Progredienz der Deformit&auml;t weniger im Vordergrund, da sich die Wirbels&auml;ule h&auml;ufig bereits im nat&uuml;rlichen Verlauf durch die zunehmende Rigidit&auml;t der Bandscheiben sowie osteophyt&auml;re und h&auml;ufig segment&uuml;berbr&uuml;ckende Knochenanbauten stabilisiert hat. Die Notwendigkeit einer operativen Intervention entsteht wie immer nach Aussch&ouml;pfen der konservativen Therapiemassnahmen eher durch eine Zunahme entsprechender neurogener Symptome, welche die Mobilit&auml;t zus&auml;tzlich einschr&auml;nken, oder durch eine Zunahme der Facettengelenkssymptome - entweder im Verlauf des Apex der Skoliose oder im zumeist bestehenden Gegenschwung in der Region L4 bis S1. Zu ber&uuml;cksichtigen sind dabei sicherlich die mit steigendem Patientenalter zunehmenden Nebenerkrankungen und auch intra- und perioperative Risiken.<br /> In der Wahl des operativen Vorgehens spielen somit konsequent korrigierende Massnahmen eher weniger eine Rolle als - wenn irgend m&ouml;glich - ein lokales Vorgehen zur Beseitigung der lokalen Pathologie. Dies kann u.U. mit einer rein dekomprimierenden Massnahme geschehen oder auch mit einer kurzstreckigen Stabilisation. Das Vorliegen und das Ausmass einer Osteoporose m&uuml;ssen dabei ebenfalls ber&uuml;cksichtigt werden. <br /> Eine spezielle und an Inzidenz eher zunehmende Untergruppe stellen die Patienten mit vorhergehenden Stabilisationsoperationen dar. Die operative Versorgung von Nachbarsegmentspathologien ist eine besondere Herausforderung, da hier h&auml;ufig auch beim &auml;lteren Patienten mit deutlichen, durch die fr&uuml;here Fusion fixierten St&ouml;rungen des Aligne ments die Notwendigkeit eines l&auml;ngerstreckigen und korrigierenden Vorgehens entsteht (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1904_Weblinks_lo_ortho_1904_s9_abb1_berlemann.jpg" alt="" width="850" height="325" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1904_Weblinks_lo_ortho_1904_s10_abb2_berlemann.jpg" alt="" width="350" height="560" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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