Prozessoptimierungen bei der minimal invasiven Hüftendoprothetik

<p class="article-intro">Weniger Schmerzen und Blutverlust, schnellere Rückkehr in die gewohnte Umgebung? Weniger stationäre Rehabilitationen und trotzdem sehr zufriedene Patienten bei gleichzeitig hoher Ergebnisqualität, gemessen mit funktionellen Scores? Und nebenbei noch die Liegezeit verringern und damit den Erlös pro Fall steigern – das geht doch nicht, oder? Doch, es geht sogar sehr gut, wie die Ergebnisse aus Brig zeigen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Im Laufe der letzten Jahre erfolgte in der Klinik f&uuml;r Orthop&auml;die im Spitalzentrum Oberwallis am Standort Brig die Entwicklung einer prozessoptimierten H&uuml;ftendoprothetik, mit dem Ziel, den Eingriff f&uuml;r die Patienten noch sicherer und effizienter durchzuf&uuml;hren. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Bausteine entwickelt und kombiniert, die im Folgenden vorgestellt werden.</p> <h2>Erste Schritte: Zugang, Lagerung, Wundspreizung</h2> <p>Als Basis der prozessoptimierten H&uuml;ftchirurgie wurde in Brig im Juni 2005 der minimal invasive direkte vordere Zugang (&laquo;direct anterior approach&raquo;, DAA) vom Erstautor eingef&uuml;hrt. Um die Vorz&uuml;ge dieser Technik weiter zu optimieren und das operative Vorgehen sicherer und einfacher umzusetzen, wurde als zweiter Schritt der &laquo;Rotex Table&raquo; entwickelt. Dieses nahezu mit jedem OP-Tisch koppelbare Beinlagerungsaggregat erm&ouml;glicht es dem Operateur, alle intraoperativen Einstellungen mit den n&ouml;tigen Feinjustierungen eigenst&auml;ndig durchzuf&uuml;hren, ohne auf Lagerungspfleger angewiesen zu sein, die somit entlastet werden. Da der Chirurg die Rotation der zu operierenden Extremit&auml;t selbst einstellt, bekommt er ein Feedback in Bezug auf die Gewebespannung, sodass das Verfahren sicherer wird. Kraftspitzen werden zus&auml;tzlich durch ein innovatives System vermieden und das Absenken des Beines, welches der Operateur per Pedalsteuerung selber vornimmt, ist durch ein Sicherheitssystem nur bei in der L&auml;ngsachse freier Mobilit&auml;t des Beines m&ouml;glich. Durch diese Mechanismen werden Kraftspitzen vermieden und die Gefahr iatrogen zu verantwortender Komplikationen ist deutlich vermindert. Als weitere Erg&auml;nzung dieses Lagerungsaggregates wurde ein spezielles Wundspreizsystem integriert. Dabei k&ouml;nnen die individuell verwendeten Retraktoren und Haken stabil, schnell und sicher fixiert werden, wodurch der Operationssitus noch &uuml;bersichtlicher dargestellt werden kann.<br /> Durch die Kombination dieser optimierten Verfahrenstechniken kann die H&uuml;ftendoprothesenimplantation mit einem Operateur und nur einem Assistenten oder sogar mit nur einer erfahrenen Operationsschwester durchgef&uuml;hrt werden. F&uuml;r das Setup in &ouml;ffentlichen Spit&auml;lern und auch Kliniken in privater Tr&auml;gerschaft werden optimale Voraussetzungen geschaffen, beste klinische Ergebnisse effizient mit weniger Personal zu erreichen (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1804_Weblinks_lo_ortho_1804_s25_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="1011" /></p> <h2>Release-Technik, intraoperative Kontrolle und Navigation</h2> <p>Mithilfe der reproduzierbar verbesserten &Uuml;bersicht wurde dann in einem weiteren Schritt eine 3-Schritt-Release-Technik weiterentwickelt und standardisiert. Weil dank der apparativen Prozessoptimierungen kein zweiter Assistent mehr eingesetzt wird, wurde kontralateral Raum gewonnen und dort ein Bildverst&auml;rker positioniert, sodass routinem&auml;ssige R&ouml;ntgenkontrollen ohne Zeitverz&ouml;gerungen von der Gegenseite durchgef&uuml;hrt werden k&ouml;nnen. Hierdurch k&ouml;nnen bereits intraoperativ grobe Fehlplatzierungen der Komponenten oder h&ouml;hergradige Offsetoder Beinl&auml;ngenproblematiken ausgeschlossen werden. Ein weiterer Schritt im Rahmen der Prozessoptimierung war die Kombination mit der Navigation als zus&auml;tzliches Werkzeug zur Umsetzung der geplanten Prothesenpositionen.</p> <h2>&laquo;Rapid Recovery&raquo; und digitalisiertes OP-Protokoll</h2> <p>Als ein weiterer Meilenstein wurde ab 2012 das beschriebene prozessoptimierte Operationsverfahren zus&auml;tzlich mit dem Fast-Track-Konzept &laquo;Rapid Recovery&raquo; kombiniert. Dieses beinhaltet Optimierungen im pr&auml;operativen, perioperativen und postoperativen Management, welche im Rahmen von intradisziplin&auml;r und multiprofessionell erarbeiteten Behandlungspfaden festgelegt und im Intranet hinterlegt wurden.<br /> Als weitere logische Konsequenz der eingef&uuml;hrten Optimierungen erfolgte ab M&auml;rz 2018, erstmalig in der Schweiz, die Digitalisierung der bisherigen Prozessschritte. Hierzu wurde das standardisierte Operationsverfahren in mehr als 60 einzelne Teilschritte aufgeteilt und digital hinterlegt. W&auml;hrend der Operation wird dann die standardisierte Operationsabfolge einschliesslich &laquo;team time-out&raquo; zeitcodiert erfasst und zus&auml;tzlich grafisch &uuml;ber einen Monitor sowie mittels Sprachausgabe ausgegeben. Eine Anbindung an das Patienteninformationssystem steht kurz vor der Umsetzung.<br /> Nachfolgend werden weitere Massnahmen, die im Rahmen der Prozessoptimierung umgesetzt wurden, detailliert im zeitlichen Ablauf dargestellt.</p> <h2>Pr&auml;operative Massnahmen</h2> <p>Der vormals &uuml;bliche &laquo;Eintritt am Vortag &raquo; wurde mit Ausnahme eines Patienten, der eine l&auml;ngere Anreise hatte, abgeschafft und durch eine vorg&auml;ngig ambulant stattfindende An&auml;sthesiesprechstunde ersetzt. Hier werden u.a. standardisierte Blut- und Vitalparameter erfasst und kontrolliert. Im Rahmen dieser Vorabkl&auml;rungen ca. 2 Wochen vor dem geplanten Eingriff erfolgt die sogenannte Patientenschulung, bei der an einem Nachmittag die Patienten inklusive Begleitung von einem interdisziplin&auml;ren Team &uuml;ber die bevorstehende Operation inklusive Vorund Nachbereitung informiert werden. Speziell gesch&auml;tzt wird hierbei die Anwesenheit eines Patienten, der am Vortag operiert wurde und von seinen &laquo;Erlebnissen &raquo; berichtet. Erg&auml;nzend zu diesen Informationen erhalten die Patienten bereits bei Festlegung des Operationstermins in der Sprechstunde eine durch Teammitglieder entwickelte Patienteninformationsbrosch&uuml;re zum geplanten Eingriff. Der Eintritt kann nach dieser Abkl&auml;rung und Information dann zumeist am Operationstag erfolgen. &Uuml;berraschende Absetzungen von Operationen, z.B. wegen nicht rechtzeitig abgesetzter Blutverd&uuml;nner, schlechten Allgemeinzustands oder ung&uuml;nstiger Laborwerte, konnten dadurch quasi gegen null reduziert werden. Zur Dokumentation der Behandlungsqualit&auml;t wird vor der Operation von allen Patienten der HOOS-Fragebogen ausgef&uuml;llt.</p> <h2>Perioperative Massnahmen</h2> <p>Auch im Bereich der Narkose erfolgten eine Vereinfachung und Standardisierung. Es wird eine auf die geplante OP-Zeit bemessene Spinalan&auml;sthesie in Verbindung mit einem fixen perioperativen Medikamentenschema angewendet. Unter anderem erfolgen eine pr&auml;operative Kortisongabe zur Minderung der inflammatorischen Prozesse und die Gabe von Tranexams&auml;ure bei Schnitt sowie nach 3 Stunden im Aufwachraum. Zur weiteren Optimierung der H&auml;mostase wird der Patient gew&auml;rmt sowie die Kapsel am Ende der Operation mit einer lokalen Infiltrationsan&auml;sthesie (LIA) infiltriert. In Verbindung mit sorgf&auml;ltiger Blutstillung und schonendem Operationsverfahren via DAA konnte damit der Blutverlust deutlich gesenkt werden. Auf eine Sedierung des Patienten und Gabe von Opiaten pr&auml;- oder unmittelbar postoperativ wird verzichtet, um eine rasche postoperative Mobilisation am OPTag zu erm&ouml;glichen. Damit wurden auch die zuvor h&auml;ufig beobachtete postoperative &Uuml;belkeit und das Erbrechen auf ein Minimum reduziert. Am Eintrittstag sowie im Rahmen des weiteren Aufenthaltes kommt ein fixes Schmerzmedikamentenschema zur Anwendung. Zur unmittelbaren intraoperativen Qualit&auml;tssicherung erfolgt eine kurze BV-Kontrolle der Lage und Position der Prothesenkomponenten, zudem wird seit 2018 auf einem Bildschirm sowie mittels Sprachausgabe der jeweils standardisierte Operationseinzelschritt angezeigt bzw. angesagt und zeitcodiert hinterlegt. Dies zum einen f&uuml;r Zwecke der Schulung der Assistenten und des OP-Personals, zum anderen zur Erfassung von Verz&ouml;gerungen/St&ouml;rungen im OP-Ablauf, deren nachfolgende Auswertung und zur weiteren Optimierung des Prozessablaufes dient. Kurz nach Einf&uuml;hrung sind bereits verk&uuml;rzte Operationszeiten messbar. Weiterhin wurde eine Sieboptimierung vorgenommen, wodurch die Zahl der Instrumente reduziert wurde.</p> <h2>Postoperative Massnahmen</h2> <p>Im Aufwachraum erfolgt die zweite Gabe von Tranexams&auml;ure. Zudem wird je nach Blutverlust sowie abh&auml;ngig vom pr&auml;operativ im Rahmen der An&auml;sthesiesprechstunden bestimmten Ferritin-Wert eine Eiseninfusion durchgef&uuml;hrt. F&uuml;r 48 Stunden wird der im OP angelegte &laquo;H&uuml;ftkompressionsverband &raquo; mit zus&auml;tzlicher Kompression durch eine elastische Klett- Orthese belassen. Die Mobilisation erfolgt bereits am Operationstag, sp&auml;testens 6 Stunden postoperativ, unter schmerzadaptierter Vollbelastung, die durch die Abschaffung von Drainagen und Kathetern deutlich vereinfacht wurde. Eine sparsame, wenn m&ouml;glich kapillare Blutentnahme wird zur postoperativen H&auml;moglobinkontrolle am 1. postoperativen Tag eingesetzt. Vor Austritt erfolgt standardisiert am 3. Tag eine zweite Laborkontrolle, bei der H&auml;matogramm, CRP und Kreatinin bestimmt werden. Bei Austritt erhalten die Patienten einen anonymisierten Patientenfragenbogen zur Erfassung verschiedener subjektiver Parameter im Zusammenhang mit dem station&auml;ren Aufenthalt. HOOSWerte werden standardisiert nach 3 und 12 Monaten und nachfolgend alle 5 Jahre erfasst.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Das Gesamtkonzept f&uuml;hrte zu einer signifikanten Abnahme der station&auml;ren Verweildauer und auch der Zahl der station&auml;ren Rehabilitationsaufenthalte. Die perioperativen Blutverluste und die davon abh&auml;ngigen Transfusionsraten konnten ebenfalls signifikant vermindert werden (Abb. 2). Die Kosten f&uuml;r die Allgemeinheit und f&uuml;r das Spital wurden gesenkt und somit der volkswirtschaftliche Nutzen gesteigert. Ein positiver wirtschaftlicher Effekt mit Mehreinnahmen von rund 350 000 Franken pro Jahr f&uuml;r das Spital konnte ab 2012 durch Berechnungen der Verwaltung ausgewiesen werden. Massgeblich waren Steigerungen der Fallzahlen und die Verringerung der Verweildauer in Kombination mit konsequenten Umsetzungen der Prozessoptimierungen bei allen Patienten, die sich einer H&uuml;ftprothesenimplantation unterzogen.<br /> Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die eingef&uuml;hrten intra- und perioperativen Prozessoptimierungen bei der minimal invasiven H&uuml;ftendoprothetik in Kombination mit einem digitalisierten Operationsprotokoll zu einer hohen objektiven Ergebnisqualit&auml;t f&uuml;hren, die mittels funktioneller Outcome-Scores und bei gleichzeitig ermittelter sehr hoher subjektiver Zufriedenheit der Patienten erhoben wurde (Abb. 3). Verbesserte klinische Parameter, wie der nachgewiesene reduzierte Blutverlust, die besonders fr&uuml;he Erstmobilisation, die reduzierten Werte auf der Schmerzskala sowie die zus&auml;tzlich verringerten station&auml;ren Rehabilitationsaufenthalte gehen einher mit k&uuml;rzeren Liegezeiten, gesteigerter Effizienz in der An&auml;sthesie sowie im OP-Management durch reduzierten Siebinhalt und Standardisierung sowie Steigerung der Operationsfrequenzen. Die multimodalen Prozessoptimierungen f&uuml;hrten zu einem deutlich messbaren gesamtwirtschaftlichen Benefit f&uuml;r alle Beteiligten. Aufgrund der Erfolge f&uuml;r unsere Patienten und unsere Klinik sowie der Auswirkungen auch f&uuml;r die Gesamtgesellschaft in Bezug auf den verantwortungsvollen Einsatz aller zu Verf&uuml;gung stehenden Ressourcen im DRGSystem haben wir mittlerweile auch in den Bereichen Knieendoprothetik, Wirbels&auml;ule und Schulteroperationen sowohl bei rekonstruierenden Massnahmen als auch bei der Endoprothetik die Prozessoptimierungen eingef&uuml;hrt. Durch den erforderlichen interdisziplin&auml;ren Ansatz mit Arbeitsgruppen aus allen beteiligten Berufsfeldern wurde dar&uuml;ber hinaus die Bildung eines Gesamtteams &uuml;ber eine gemeinsame Zielsetzung beg&uuml;nstigt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1804_Weblinks_lo_ortho_1804_s26_abb2+3.jpg" alt="" width="2150" height="1748" /></p> </div></p>
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