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Präoperative Halo-Gravitations-Traktion für hochgradige Skoliosen

<p class="article-intro">Die chirurgische Behandlung hochgradiger Wirbelsäulendeformitäten ist komplikationsreich und mit hohem neurologischem Risiko verbunden. Mithilfe der präoperativen Halo-Gravitations-Traktion (HGT) kann vor der definitiven operativen Sanierung eine Reduktion der Deformität erreicht und das Risiko gesenkt werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Hochgradige Skoliosen oder Kyphosen von mehr als 90&deg; stellen hinsichtlich Morbidit&auml;t und Mortalit&auml;t eine wirbels&auml;ulenchirurgische Herausforderung dar. Um das Risiko zu m&auml;&szlig;igen, haben Chirurgen verschiedenartige Vorgehensweisen vor dem eigentlichen korrektiven Eingriff herangezogen:</p> <ul> <li>Ein &bdquo;anterior release&ldquo; in Form einer transthorakalen Diskektomie mit Rippenk&ouml;pfchenresektion ist mit erheblicher Zugangsmorbidit&auml;t verbunden. Der vorbereitend mobilisierende Effekt ist in meinen H&auml;nden verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig entt&auml;uschend.</li> <li>Zweizeitige Versorgungen wie Wirbelk&ouml;rperresektionen oder &bdquo;tempor&auml;re interne Distraktion&ldquo; sind chirurgisch komplikationstr&auml;chtig und an&auml;sthesiologisch belastend.</li> </ul> <p>Verglichen mit den genannten Techniken erlaubt die HGT eine schrittweise Reduktion der Deformit&auml;t mit dem Ziel, das neurologische Risiko zu vermindern. Da der Patient w&auml;hrend dieser Zeit wach ist, k&ouml;nnen eventuell auftretende Symptome oder Defizite unmittelbar beobachtet und kontinuierlich bewertet werden.<br /> Die HGT ist eine altbekannte Technik. Dass sie ein geeignetes und verl&auml;ssliches Werkzeug darstellt, um Deformit&auml;ten pr&auml;operativ teilweise zu korrigieren, ist in der Literatur gut belegt. Eine Arbeit des Scoliosis Research Society Global Outreach Program hat mein Interesse geweckt (Nemani VM et al: Spine 2015; 40(3): 153- 61). Insbesondere Ferran Pellis&eacute; aus Barcelona hat mich bei der Umsetzung beraten und gab Sicherheit in der Erstellung des Behandlungsplanes. Eine Recherche bei Ralf St&uuml;cker in Hamburg war hilfreich bei der Konstruktion der entsprechenden technischen Hilfsmittel.</p> <h2>Halo &ndash; Protokoll</h2> <p>Die Anlage des Halo erfolgt in Kurznarkose im Operationssaal. Vier Pins werden an typischer Stelle knapp &uuml;ber dem &Auml;quator des Sch&auml;dels unmittelbar oberhalb der Augenbrauen und 1cm hinter der Spitze der Ohrmuschel gesetzt und mit einem Drehmoment von 0,9Nm festgezogen (Abb. 1a). Die HGT n&uuml;tzt Schwerkraft und Zeit. In der Folge wird der Patient vor der definitiven operativen Versorgung &uuml;ber einen Zeitraum von mindestens drei Wochen gestreckt. Den Tag verbringt der Patient im Rollstuhl (Abb. 1b) oder Gehgestell, die Nacht im schr&auml;g gestellten Bett. &Uuml;ber dem Halo wird ein axialer Zug mit Gewichten angelegt und kontinuierlich gesteigert, bis das halbe K&ouml;rpergewicht des Patienten erreicht ist. Die Traktion wird zu jeder Zeit aufrechterhalten, ausgenommen zu Mahlzeiten oder zur Verrichtung der pers&ouml;nlichen Hygiene. Die Patienten werden t&auml;glich hinsichtlich neurologischer Ver&auml;nderungen oder Zeichen einer Infektion an den Pinstellen &uuml;berwacht. Angestrebt wird eine langsame Verringerung der Kr&uuml;mmung um ca. ein Drittel. Die oben genannte Publikation konnte zeigen, dass sich die Korrektur asymptotisch einem Plateau n&auml;hert, das nach f&uuml;nf Wochen und mit 50 % des K&ouml;rpergewichts erreicht ist.<br /><br /> Die HGT ist gleicherma&szlig;en effektiv f&uuml;r die Skoliose und Kyphose im Rahmen kombinierter, biplanarer Deformit&auml;ten. Reine kyphotische Krankheitsbilder sind h&auml;ufig starr und nicht so gut beeinflussbar. Dass es schon w&auml;hrend der HGT zu einer Verbesserung des Selbstbildes und der psychischen Gesundheit (SRS-22-Score) kommen kann, ist eine Beobachtung, die sich mit meiner Erfahrung deckt. Durch die pr&auml;operative HGT wird die definitive operative Versorgung handwerklich um einiges einfacher, die r&auml;umliche Orientierung an der reduzierten Deformit&auml;t leichter.<br /><br /> Die HGT stammt aus einer Zeit, in der der Skoliosenchirurgie noch nicht so potente Verankerungspunkte an den Wirbeln zur Verf&uuml;gung standen, wie sie aktuelle Schrauben-, Haken- und Bandsysteme bieten k&ouml;nnen. Die Kombination der HGT mit modernen Reduktions- und Osteosynthesematerialien erm&ouml;glicht erstaunliche Ergebnisse. &Uuml;blicherweise ist das Ziel der definitiven chirurgischen Versorgung eine Reduktion um ca. zwei Drittel. Ist die Ausgangssituation allerdings bereits um ein Drittel besser, ist eine Gesamtkorrektur von &uuml;ber 75 % m&ouml;glich (Abb. 1c und 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s26_abb1.jpg" alt="" width="2186" height="709" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1703_Weblinks_s26_abb2.jpg" alt="" width="1455" height="2291" /></p> <h2>Komplikationen</h2> <p>H&auml;ufig beobachtet werden Infektionen der Pinstellen, die eine antibiotische Therapie oder die Repositionierung des Halo notwendig machen.<br /> Berichtenswert ist jener unserer F&auml;lle, bei dem es w&auml;hrend der prim&auml;ren Anlage des Halo zu einer Pinperforation der Kalotte gekommen ist. R&uuml;ckblickend konnten wir einen au&szlig;ergew&ouml;hnlich d&uuml;nnen Sch&auml;delknochen als Ursache feststellen. Trotz nachgewiesener Verletzung der Gro&szlig;hirnrinde haben sich keine neurologischen Symptome entwickelt. Vermutlich handelt es sich um ein sehr seltenes Problem, da es in der Literatur kaum beschrieben ist.<br /> Neurologische Komplikationen, bedingt durch HGT, sind selten, da &ndash; wie oben beschrieben &ndash; der t&auml;gliche Neurostatus gegebenenfalls eine Anpassung der Traktion erm&ouml;glicht.<br /> F&uuml;r traktionsbedingte Kopf- und Nackenschmerzen sind meist leichte Schmerzmittel in Kombination mit physikalischen Ma&szlig;nahmen ausreichend.<br /> Der muskul&auml;ren Atrophie, bedingt durch die Zeit im Rollstuhl, versuchen wir mit physiotherapeutisch angeleiteter &Uuml;bungstherapie zu begegnen.<br /> In einem weiteren Schritt hoffen wir, die Mobilisierung in Zukunft auch in einem Traktions-Walker anbieten zu k&ouml;nnen.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die HGT ist eine sichere Methode, um schwere Wirbels&auml;ulendeformit&auml;ten schon vor einer definitiven Versorgung zu reduzieren. Die Notwendigkeit einer risikoreichen 3-&bdquo;column&ldquo;-Osteotomie (Wirbelk&ouml;rperresektion) kann gegebenenfalls umgangen werden. Im Allgemeinen gelingt eine pr&auml;operative Korrektur von ca. einem Drittel. Die HGT dauert zumindest drei Wochen, das Plateau der Korrektur wird mit 50 % des K&ouml;rpergewichtes des Patienten erreicht.</p></p>
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