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Per Internet Schmerzen lindern
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Autor:
Dr. med. Felicitas Witte
30
Min. Lesezeit
18.05.2017
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<p class="article-intro">Eine Studie aus Australien zeigt, dass sich mit einer internetbasierten Therapie Schmerzen im Knie und die Funktionalität bessern lassen. Experten sind jedoch kritisch: Telemedizin kann bei Gonarthrose eine sinnvolle begleitende Massnahme sein, aber kein vollständiger Ersatz für persönliche Betreuung.</p>
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<p class="article-content"><p>Ferntherapie per Computer oder Mobiltelefon hat sich bei einigen Krankheiten schon etabliert. Patienten senden zum Beispiel ihr Elektrokardiogramm an den Arzt zur Diagnose, ihre Blutzuckerwerte oder ein Foto von einer auffälligen Stelle auf der Haut. Der Arzt diagnostiziert Vorhofflimmern, empfiehlt mehr Insulin oder lässt die Stelle vom Hautarzt abklären – von Telemedizin kann der Patient enorm profitieren. Jetzt haben Forscher von der Universität in Melbourne eine internetbasierte Therapie auch bei Gonarthrose getestet.<sup>1</sup> Ihr Fazit: Die Strategie kann Schmerzen lindern und die Funktion verbessern; der Effekt hält 9 Monate an. «Offenbar scheint das zu funktionieren», sagt Dr. med. Daniel Wüst, Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie in Zürich. «Ich würde das aber nur anbieten, wenn jemand keine Möglichkeit hat, in meine Praxis zu kommen oder wenn jemand aus dem Ausland sich bei mir eine Zweitmeinung einholen möchte.»<br />Die australische Arbeitsgruppe um Kim L. Bennell hatte 148 Patienten im Alter von 50 oder älter mit chronischen Knieschmerzen im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie untersucht. Alle Teilnehmer erhielten online Informationen, welche körperliche Aktivität sie ausüben sollten, wie sie mit Schmerzen umgehen können, wie sie sich ernähren sollten und welche Medikamente und komplementäre Massnahmen es gibt. Die Interventionsgruppe erhielt zusätzlich zwei Behandlungskomponenten: Die eine bestand aus einem internetbasierten interaktiven Trainingsprogramm (PainCoach), mit dem die Patienten lernten, mit Schmerzen besser klarzukommen. 8 Module von jeweils 35–45 Minuten Dauer sollten die Probanden einmal pro Woche abarbeiten. Sie lernten unter anderem, sich zu entspannen, zwischen Aktivität und Ruhe abzuwechseln, negative Gedanken umzuwandeln, Probleme zu lösen oder sich Aktivitäten vorzunehmen, die ihnen Freude machten. Automatische E-Mails erinnerten die Teilnehmer, ihre «Hausaufgaben» zu machen. Die zweite Therapiekomponente der Interventionsgruppe bestand aus 7 Skype-Sitzungen mit Physiotherapeuten während 12 Wochen. An diese Therapeuten konnten sich die Teilnehmer auch zwischendurch mit Fragen wenden. Ein persönlicher Physiotherapeut verordnete per Skype Dehnungsübungen für die Beine, die der Proband dreimal pro Woche zu Hause machen sollte. Die Teilnehmer erhielten Anleitungen, Videodemonstrationen und Geräte wie Widerstandsbänder oder Gewichtsmanschetten für das Fussgelenk. <br />Wie stark die Schmerzen beim Laufen waren, ermittelten die Autoren mit einer 11-Punkte-Skala, die Funktionalität bestimmten sie anhand eines speziellen Osteoarthritis-Index. Bei den Internetpatienten hatten sich nach 3 Monaten Schmerzen und Funktion mehr gebessert als bei den Kontrollpatienten (medianer Unterschied bei den Schmerzen: 1,6 Einheiten; medianer Unterschied bei der Funktion: 9,3 Einheiten). Der Effekt hielt auch noch nach 9 Monaten an. Auch bezüglich anderer Kriterien wie isolierter Knieschmerz, Lebensqualität, Selbstwirksamkeit, Schmerzkatastrophisierung und -bewältigung ging es den Internetpatienten besser, während dies bei den Kontrollpatienten nur beim Knieschmerz nach 3 und 9 Monaten sowie bei der Selbstwirksamkeit nach 9 Monaten der Fall war. Eine Internettherapie, so das Fazit von Kim Bennell und ihren Kollegen, bringe Patienten mit Knieschmerzen einen «erheblichen Benefit». <br />Orthopäde Wüst ist jedoch kritisch. «Bei zehn Prozent der Patienten erfolgte nach neun Monaten keine Nachkontrolle – das ist schlecht für eine wissenschaftliche Studie. Vielleicht ging es diesen Patienten genauso wie den Kontrollpatienten und es bestand gar kein so grosser Unterschied zwischen den beiden Gruppen.» Für die Schweiz habe eine Internettherapie bei Gonarthrose keine grosse Relevanz. «Sinnvoll kann das in Australien sein, wo Patienten weit weg vom Physiotherapeuten wohnen», sagt er. «Aber hierzulande hat fast jeder Mensch rasch Zugang zu einem Physiotherapeuten.» Übungen bei Kniearthrose seien einfacher zu instruieren und der Patient leichter zu motivieren, wenn der Physiotherapeut persönlich mit ihm spreche und gemeinsam mit ihm übe. Bestimmte Patienten könnten aber möglicherweise doch von der Internettherapie profitieren, meint Wüst, nämlich diejenigen, die es unangenehm oder lästig finden, zur Physiotherapie zu gehen. Eine Form von Telemedizin betreibt aber auch Wüst selbst, indem er Fragen der Patienten per Telefon oder E-Mail beantwortet. «Das sind aber meistens konkrete Fragen und keine Instruktionen für Bewegungsübungen», erzählt er. «Die Übungen macht man besser persönlich mit dem Physiotherapeuten.»</p></p>
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<p><strong>1</strong> Bennell KL et al: Effectiveness of an internet-delivered exercise and pain-coping skills training intervention for persons with chronic knee pain. Ann Intern Med 2017; 166(7): 453-62</p>
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