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Pathologien des Patellofemoralgelenkes: von der Instabilität zur Arthrose
Jatros
Autor:
Dr. Christian Patsch
Orthopädie & Sportchirurgie, Puchenau
Autor:
Dr. Florian Dirisamer
Orthopädie & Sportchirurgie, Puchenau <br>E-Mail: florian.dirisamer@orthopaedie-linz.com
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Aktuelle Erhebungen gehen davon aus, dass etwa 10 % der Kniepatienten an einer Pathologie des patellofemoralen Gelenkes (PFG) leiden. Wir haben es also mit einem häufig auftretenden Problem zu tun. Die Besonderheit des PFG ist der enge Zusammenhang zwischen Anatomie und Biomechanik – beides Faktoren, die an der Pathogenese von Erkrankungen dieses Gelenkes maßgeblichen Anteil haben.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Wissen und Verständnis in Bezug auf die biomechanischen Verhältnisse des PFG sind essenziell für den Therapieerfolg.</li> <li>Die Risikofaktoren für Instabilität und Arthrose des PFG umfassen eine statische (knöcherne), dynamische (muskuläre) und passive (ligamentäre) Komponente.</li> <li>Die Stabilisierung der Kniescheibe erfolgt auf Basis einer individuellen Risikofaktoranalyse, ATAPI (AGA Treatment Algorithm for Patella Instability) ist dabei ein hilfreiches Tool für die Praxis.</li> <li>Knorpelchirurgische Maßnahmen im PFG erfordern ein „stabiles Fundament“, bieten dann aber vergleichbar gute Ergebnisse wie im femorotibialen Gelenk.</li> <li>Die patellofemorale Prothetik ist eine attraktive Option für die isolierte primäre und sekundäre PFA, wenn ggf. bestehende Risikofaktoren mitkorrigiert werden.</li> </ul> </div> <p>Neben den häufigen funktionell bedingten vorderen Knieschmerzen, die eine eigene Entität darstellen, sind die Hauptpathologien des Knies die Patellainstabilität und degenerative Erkrankungen des PFG. Obwohl so unterschiedlich in der klinischen Präsentation, haben diese Erkrankungen doch viele Gemeinsamkeiten. Während die primäre, fast ausschließlich traumatische Arthrose des PFG eher selten ist, sind es nämlich die chronischen Überbelastungen durch Abweichen von der normalen Gelenksmechanik (Maltracking, Instabilität), die die häufige sekundäre patellofemorale Arthrose bedingen. Dieselben Faktoren spielen für das Gleitverhalten der Kniescheibe auch bei der Instabilität eine entscheidende Rolle.</p> <h2>(Patho-)Biomechanik des PFG</h2> <p>Bei der Einteilung der Parameter, die das Tracking der Patella sowie deren Stabilität beeinflussen, berücksichtigt man statische, dynamische und passive Faktoren. Die vor allem in der Schmerzgenese ebenso wichtigen funktionellen Faktoren (z.B. funktioneller Valgus) kommen ergänzend dazu.</p> <p><strong>Statische Faktoren</strong></p> <p>Unter den statischen Faktoren werden die knöchern definierten mechanischen Verhältnisse subsumiert. Hier spielt als ganz wesentlicher Faktor die Geometrie der Trochlea femoris eine entscheidende Rolle. Die Dysplasie ist nicht nur der wichtigste Instabilitätsfaktor des PFG (96 % der Patienten mit Trochleadysplasie haben Patellaluxationen), sie ist durch die pathologischen punktuellen Druckbelastungen im Gelenk auch häufig mit der isolierten Patellofemoralarthrose (PFA) assoziiert. Die Beinachsenausrichtung spielt sowohl in der Frontalebene als auch in Bezug auf die Rotation eine wichtige Rolle. Eine valgische Beinachse führt zu einer Erhöhung des Druckes im lateralen Anteil des PFG und bewirkt über die Veränderung des Q-Winkels eine Lateralisierung der Patella. Die Auswirkungen der Torsionsverhältnisse vor allem von Femur und auch Tibia auf Tracking und intraartikulären Druck sind ähnlich. Eine verstärkte femorale Innentorsion (Werte über etwa 25° gelten hier als pathologisch) gilt als Risikofaktor der Patellainstabilität und hat über die Hyperpression im PFG auch negative Auswirkungen hinsichtlich der Entwicklung der Degeneration dieses Gelenkanteils. Eine tibiale Außentorsion kann vice versa als ebenso problematisch angesehen werden. Ein weiterer statischer Faktor ist die Patellahöhe. Neben der biomechanisch gut nachvollziehbaren Reduktion der Stabilität der Kniescheibe bei Patellahochstand konnte in jüngster Zeit auch der Nachweis erbracht werden, dass – konträr zur bisherigen Meinung – es bei Patella alta zu pathologischen Anpressdrücken im PFG kommt. Durch eine chirurgische Normalisierung der Patellahöhe (ab Caton-Deschamps 1,4) wird auch eine Normalisierung dieser Drücke erreicht, was therapeutisch bei patellofemoraler Degeneration eingesetzt werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s20_1.jpg" alt="" width="416" height="300" /></p> <p><strong>Dynamische Faktoren</strong></p> <p>Die dynamische Einflussgröße des Patellatrackings ist letztlich der resultierende Kraftvektor des Quadriceps. Neben der reinen Muskelkraft und der Balance der einzelnen Muskelanteile (VM-VL) sind es wiederum knöcherne Faktoren, die hier Einfluss haben. Die Position der Tuberositas tibiae, die anhand von TTTG- und TTPCL-Distanz ermittelt werden kann, hat Auswirkungen auf den Q-Winkel und kann zur Lateralisierung der Patella beitragen. Wichtig ist dabei, durch Anwendung des TTPCL auch zu verifizieren, ob ein tibiales Problem für die eventuelle Erhöhung des TTTG verantwortlich ist. Nur dann ist eine Intervention an der Tuberositas tibiae sinnvoll. Auch das frontale Alignment (valgus) beeinflusst naturgemäß den Quadricepsvektor.</p> <p><strong>Passive Faktoren</strong></p> <p>Die passiven Stabilisatoren sind in erster Linie für die Stabilisierung der Patella relevant. Das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) ist dabei der wichtigste Stabilisator der Kniescheibe und häufiger therapeutischer Ansatzpunkt bei Instabilität. Das laterale Retinaculum hat als allerletzte Barriere, die vor der Patellaluxation überwunden werden muss, ebenfalls einen stabilisierenden Effekt. Therapeutisch kommt die Verlängerung des lateralen Retinaculums sowohl bei der Instabilität als auch zur Druckentlastung bei Hyperpression zum Einsatz.</p> <h2>Therapiealgorithmus</h2> <p>Die AGA hat mit der Publikation des ATAPI (AGA Treatment Algorithm for Patella Instability) einen auf klinischen und biomechanischen Prinzipien beruhenden Behandlungsalgorithmus für die rezidivierende Kniescheibenluxation vorgestellt (Abb. 1). Er erlaubt die rasche klinische Einteilung der Instabilität in 3 Gruppen und ermöglicht eine grobe Abschätzung der notwendigen Maßnahmen schon beim Erstkontakt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s20_2.jpg" alt="" width="685" height="493" /><br />Die MPFL-Rekonstruktion ist die am häufigsten durchgeführte operative Maßnahme nach Patellaluxation. Da die Verletzung des MPFL bei der Patellaluxation quasi obligat ist (Verletzung des MPFL in ca. 98 % der Fälle), ist eine operative Maßnahme im Bereich des wichtigsten medialen Stabilisators zumindest Bestandteil der meisten Interventionen. Im akuten Setting kann die primäre Naht (patellär oder femoral) vor allem bei Vorliegen von osteochondralen Flakes überlegt werden. Bei chronischen Situationen bewährt sich die Rekonstruktion des MPFL in unterschiedlichen Techniken. Essenziell für die Ergebnisqualität sind die chirurgische Präzision (Bohrkanalanlage) und das Behandeln von gleichzeitig bestehenden Risikofaktoren – in der Regel knöchernen Pathologien.<br />Die Trochleadysplasie ist klinisch mit einer Instabilität in mittlerer Flexion (bis etwa 60°) assoziiert. Bei höhergradiger Abweichung von der Norm (Typ B–D) ist die Trochleaplastik indiziert. Dabei wird durch Resektion von subchondralem spongiösem Knochen die Trochlearinne geformt und damit die statische Stabilität hergestellt. In aller Regel wird die Trochleaplastik als Teil eines Kombinationseingriffes (MPFL, laterale Retinaculumverlängerung, Tuberositasosteotomie) durchgeführt. Die klinischen Ergebnisse dieser Intervention sind in Bezug auf die Stabilität exzellent, die Patientenzufriedenheit ist hoch (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s20_3.jpg" alt="" width="1417" height="1185" /><br />Die Evidenz für Achsinterventionen bei patellofemoraler Problematik ist insgesamt niedrig. Insbesondere für die Varisierung gibt es kaum Daten. Trotzdem wird ab einer Valgusdeformität von >5° die Varisierung empfohlen, der klinische Effekt dieser Intervention ist beeindruckend. In der Regel sind hier femorale Osteotomien durchzuführen. Für Rotationskorrekturen ist die Datenlage als besser zu beurteilen, es gibt aber auch hier noch ungeklärte Fragen. Der Grenzwert zur Derotationsosteotomie bei Patellainstabilität wird derzeit bei etwa 25° (femorale Antetorsion) angegeben. Wichtig ist, die verwendete Messmethode zu kennen, da hier beträchtliche Differenzen bestehen. Die Technik nach Weidelich hat sich dabei sehr bewährt. Die Derotation kann sowohl proximal als auch distal durchgeführt werden. Da bei dieser Patientengruppe fast immer Kombinationsprobleme vorliegen, spricht aus Sicht der Autoren viel für den Ansatz am distalen Femur. Die klinischen Ergebnisse der Rotationskorrekturen sind sehr gut, die publizierten Fallzahlen aber gering.</p> <h2>Knorpelschaden und Arthrose</h2> <p>Chronische Folge einer unbehandelten Instabilität oder eines Maltrackings der Kniescheibe ist die Degeneration des Gelenkes – von der Chondropathie bis hin zur isolierten Arthrose. Die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung von degenerativen Schäden ist also die Normalisierung der kinematischen Verhältnisse. Die dazu verwendeten Methoden orientieren sich wie schon bei der Instabilität an den biomechanischen Risikofaktoren und deren Korrektur. Zur Behandlung von Knorpelschäden stehen dann letztlich die gleichen Methoden zur Verfügung wie im femorotibialen Gelenk. An der Patella selbst wird der Einsatz der Mikrofrakturierung und des osteochondralen Zylindertransfers aber insgesamt kritisch gesehen. Die in den Knorpelregistern publizierten Ergebnisse sind dabei insgesamt schlechter im Vergleich zu femorotibialen Knorpelprozeduren. Wird allerdings durch Begleiteingriffe die biomechanische Grundlage optimiert, nähern sich die Resultate deutlich an.<br />Bei Vorliegen des Vollbildes einer patellofemoralen Arthrose stellt sich die Frage, ob ein isolierter Oberflächenersatz ausreichend ist oder ob hier – gemäß dem oben beschriebenen Prinzip der Optimierung der Mechanik – zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Die Indikationen zum isolierten PFG-Ersatz sind in Tabelle 1 zusammengefasst. <br />Die am Markt verfügbaren Implantatdesigns können nach Inlay- und Onlay-Typen unterschieden werden. Bei Onlay-Implantaten erfolgt analog zum ventralen Cut bei KTEP zuerst die Resektion der Trochlea (Rotationskorrektur evtl. möglich) und anschließend die Präparation des Richtung Notch gerichteten Implantat­anteils. Inlay-Implantate orientieren sich hingegen an vorliegenden Krümmungsradien und weniger an den Größenverhältnissen, was eine natürlichere Kinematik verspricht. In der Literatur kann derzeit die Frage der Überlegenheit eines Typs nicht abschließend beurteilt werden.<br />Neben diesen OP-technischen Abweichungen unterscheiden sich die am Markt befindlichen Implantate teils deutlich im Design. Für den Anwender gilt es zu bedenken, dass anatomische Implantate mit tieferer trochleärer Rinne mehr statische Stabilisierung für die Patella bieten und so bei Tracking- oder Stabilitätsproblemen eher supportiv wirken. Die Häufigkeit an notwendigen Zusatzeingriffen (Realign­ment oder Stabilisierung) kann damit wahrscheinlich reduziert werden (Abb. 3).<br />Die Qualität der publizierten Literatur ist insgesamt problematisch. Hohes Autorenbias, niedrige Fallzahlen und oft unzureichendes Follow-up kennzeichnen eine Vielzahl der veröffentlichten Arbeiten. Der moderne Zugang zur patellofemoralen Chirurgie mit Berücksichtigung der biomechanischen Erkenntnisse ist in den aktuellen Registerdaten noch nicht relevant. Der Einfluss dieser Maßnahmen wird erst in einigen Jahren in den Ergebnissen erkennbar sein. Die aktuell publizierten Registerdaten müssen relativiert werden, da in den gepoolten Langzeitdaten großteils mittlerweile obsolete Implantate berücksichtigt werden. Insgesamt ist die Survival-Rate vergleichbar mit der des unikondylären Oberflächenersatzes.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p>bei den Verfassern</p>
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