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Pathologien des Patellofemoralgelenkes: von der Instabilität zur Arthrose

<p class="article-intro">Aktuelle Erhebungen gehen davon aus, dass etwa 10 % der Kniepatienten an einer Pathologie des patellofemoralen Gelenkes (PFG) leiden. Wir haben es also mit einem häufig auftretenden Problem zu tun. Die Besonderheit des PFG ist der enge Zusammenhang zwischen Anatomie und Biomechanik – beides Faktoren, die an der Pathogenese von Erkrankungen dieses Gelenkes maßgeblichen Anteil haben.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Wissen und Verst&auml;ndnis in Bezug auf die biomechanischen Verh&auml;ltnisse des PFG sind essenziell f&uuml;r den Therapieerfolg.</li> <li>Die Risikofaktoren f&uuml;r Instabilit&auml;t und Arthrose des PFG umfassen eine statische (kn&ouml;cherne), dynamische (muskul&auml;re) und passive (ligament&auml;re) Komponente.</li> <li>Die Stabilisierung der Kniescheibe erfolgt auf Basis einer individuellen Risikofaktoranalyse, ATAPI (AGA Treatment Algorithm for Patella Instability) ist dabei ein hilfreiches Tool f&uuml;r die Praxis.</li> <li>Knorpelchirurgische Ma&szlig;nahmen im PFG erfordern ein &bdquo;stabiles Fundament&ldquo;, bieten dann aber vergleichbar gute Ergebnisse wie im femorotibialen Gelenk.</li> <li>Die patellofemorale Prothetik ist eine attraktive Option f&uuml;r die isolierte prim&auml;re und sekund&auml;re PFA, wenn ggf. bestehende Risikofaktoren mitkorrigiert werden.</li> </ul> </div> <p>Neben den h&auml;ufigen funktionell bedingten vorderen Knieschmerzen, die eine eigene Entit&auml;t darstellen, sind die Hauptpathologien des Knies die Patellainstabilit&auml;t und degenerative Erkrankungen des PFG. Obwohl so unterschiedlich in der klinischen Pr&auml;sentation, haben diese Erkrankungen doch viele Gemeinsamkeiten. W&auml;hrend die prim&auml;re, fast ausschlie&szlig;lich traumatische Arthrose des PFG eher selten ist, sind es n&auml;mlich die chronischen &Uuml;berbelastungen durch Abweichen von der normalen Gelenksmechanik (Maltracking, Instabilit&auml;t), die die h&auml;ufige sekund&auml;re patellofemorale Arthrose bedingen. Dieselben Faktoren spielen f&uuml;r das Gleitverhalten der Kniescheibe auch bei der Instabilit&auml;t eine entscheidende Rolle.</p> <h2>(Patho-)Biomechanik des PFG</h2> <p>Bei der Einteilung der Parameter, die das Tracking der Patella sowie deren Stabilit&auml;t beeinflussen, ber&uuml;cksichtigt man statische, dynamische und passive Faktoren. Die vor allem in der Schmerzgenese ebenso wichtigen funktionellen Faktoren (z.B. funktioneller Valgus) kommen erg&auml;nzend dazu.</p> <p><strong>Statische Faktoren</strong></p> <p>Unter den statischen Faktoren werden die kn&ouml;chern definierten mechanischen Verh&auml;ltnisse subsumiert. Hier spielt als ganz wesentlicher Faktor die Geometrie der Trochlea femoris eine entscheidende Rolle. Die Dysplasie ist nicht nur der wichtigste Instabilit&auml;tsfaktor des PFG (96 % der Patienten mit Trochleadysplasie haben Patellaluxationen), sie ist durch die pathologischen punktuellen Druckbelastungen im Gelenk auch h&auml;ufig mit der isolierten Patellofemoralarthrose (PFA) assoziiert. Die Beinachsenausrichtung spielt sowohl in der Frontalebene als auch in Bezug auf die Rotation eine wichtige Rolle. Eine valgische Beinachse f&uuml;hrt zu einer Erh&ouml;hung des Druckes im lateralen Anteil des PFG und bewirkt &uuml;ber die Ver&auml;nderung des Q-Winkels eine Lateralisierung der Patella. Die Auswirkungen der Torsionsverh&auml;ltnisse vor allem von Femur und auch Tibia auf Tracking und intraartikul&auml;ren Druck sind &auml;hnlich. Eine verst&auml;rkte femorale Innentorsion (Werte &uuml;ber etwa 25&deg; gelten hier als pathologisch) gilt als Risikofaktor der Patellainstabilit&auml;t und hat &uuml;ber die Hyperpression im PFG auch negative Auswirkungen hinsichtlich der Entwicklung der Degeneration dieses Gelenkanteils. Eine tibiale Au&szlig;entorsion kann vice versa als ebenso problematisch angesehen werden. Ein weiterer statischer Faktor ist die Patellah&ouml;he. Neben der biomechanisch gut nachvollziehbaren Reduktion der Stabilit&auml;t der Kniescheibe bei Patellahochstand konnte in j&uuml;ngster Zeit auch der Nachweis erbracht werden, dass &ndash; kontr&auml;r zur bisherigen Meinung &ndash; es bei Patella alta zu pathologischen Anpressdr&uuml;cken im PFG kommt. Durch eine chirurgische Normalisierung der Patellah&ouml;he (ab Caton-Deschamps 1,4) wird auch eine Normalisierung dieser Dr&uuml;cke erreicht, was therapeutisch bei patellofemoraler Degeneration eingesetzt werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s20_1.jpg" alt="" width="416" height="300" /></p> <p><strong>Dynamische Faktoren</strong></p> <p>Die dynamische Einflussgr&ouml;&szlig;e des Patellatrackings ist letztlich der resultierende Kraftvektor des Quadriceps. Neben der reinen Muskelkraft und der Balance der einzelnen Muskelanteile (VM-VL) sind es wiederum kn&ouml;cherne Faktoren, die hier Einfluss haben. Die Position der Tuberositas tibiae, die anhand von TTTG- und TTPCL-Distanz ermittelt werden kann, hat Auswirkungen auf den Q-Winkel und kann zur Lateralisierung der Patella beitragen. Wichtig ist dabei, durch Anwendung des TTPCL auch zu verifizieren, ob ein tibiales Problem f&uuml;r die eventuelle Erh&ouml;hung des TTTG verantwortlich ist. Nur dann ist eine Intervention an der Tuberositas tibiae sinnvoll. Auch das frontale Alignment (valgus) beeinflusst naturgem&auml;&szlig; den Quadricepsvektor.</p> <p><strong>Passive Faktoren</strong></p> <p>Die passiven Stabilisatoren sind in erster Linie f&uuml;r die Stabilisierung der Patella relevant. Das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) ist dabei der wichtigste Stabilisator der Kniescheibe und h&auml;ufiger therapeutischer Ansatzpunkt bei Instabilit&auml;t. Das laterale Retinaculum hat als allerletzte Barriere, die vor der Patellaluxation &uuml;berwunden werden muss, ebenfalls einen stabilisierenden Effekt. Therapeutisch kommt die Verl&auml;ngerung des lateralen Retinaculums sowohl bei der Instabilit&auml;t als auch zur Druckentlastung bei Hyperpression zum Einsatz.</p> <h2>Therapiealgorithmus</h2> <p>Die AGA hat mit der Publikation des ATAPI (AGA Treatment Algorithm for Patella Instability) einen auf klinischen und biomechanischen Prinzipien beruhenden Behandlungsalgorithmus f&uuml;r die rezidivierende Kniescheibenluxation vorgestellt (Abb. 1). Er erlaubt die rasche klinische Einteilung der Instabilit&auml;t in 3 Gruppen und erm&ouml;glicht eine grobe Absch&auml;tzung der notwendigen Ma&szlig;nahmen schon beim Erstkontakt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s20_2.jpg" alt="" width="685" height="493" /><br />Die MPFL-Rekonstruktion ist die am h&auml;ufigsten durchgef&uuml;hrte operative Ma&szlig;nahme nach Patellaluxation. Da die Verletzung des MPFL bei der Patellaluxation quasi obligat ist (Verletzung des MPFL in ca. 98 % der F&auml;lle), ist eine operative Ma&szlig;nahme im Bereich des wichtigsten medialen Stabilisators zumindest Bestandteil der meisten Interventionen. Im akuten Setting kann die prim&auml;re Naht (patell&auml;r oder femoral) vor allem bei Vorliegen von osteochondralen Flakes &uuml;berlegt werden. Bei chronischen Situationen bew&auml;hrt sich die Rekonstruktion des MPFL in unterschiedlichen Techniken. Essenziell f&uuml;r die Ergebnisqualit&auml;t sind die chirurgische Pr&auml;zision (Bohrkanalanlage) und das Behandeln von gleichzeitig bestehenden Risikofaktoren &ndash; in der Regel kn&ouml;chernen Pathologien.<br />Die Trochleadysplasie ist klinisch mit einer Instabilit&auml;t in mittlerer Flexion (bis etwa 60&deg;) assoziiert. Bei h&ouml;hergradiger Abweichung von der Norm (Typ B&ndash;D) ist die Trochleaplastik indiziert. Dabei wird durch Resektion von subchondralem spongi&ouml;sem Knochen die Trochlearinne geformt und damit die statische Stabilit&auml;t hergestellt. In aller Regel wird die Trochleaplastik als Teil eines Kombinationseingriffes (MPFL, laterale Retinaculumverl&auml;ngerung, Tuberositasosteotomie) durchgef&uuml;hrt. Die klinischen Ergebnisse dieser Intervention sind in Bezug auf die Stabilit&auml;t exzellent, die Patientenzufriedenheit ist hoch (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s20_3.jpg" alt="" width="1417" height="1185" /><br />Die Evidenz f&uuml;r Achsinterventionen bei patellofemoraler Problematik ist insgesamt niedrig. Insbesondere f&uuml;r die Varisierung gibt es kaum Daten. Trotzdem wird ab einer Valgusdeformit&auml;t von &gt;5&deg; die Varisierung empfohlen, der klinische Effekt dieser Intervention ist beeindruckend. In der Regel sind hier femorale Osteotomien durchzuf&uuml;hren. F&uuml;r Rotationskorrekturen ist die Datenlage als besser zu beurteilen, es gibt aber auch hier noch ungekl&auml;rte Fragen. Der Grenzwert zur Derotationsosteotomie bei Patellainstabilit&auml;t wird derzeit bei etwa 25&deg; (femorale Antetorsion) angegeben. Wichtig ist, die verwendete Messmethode zu kennen, da hier betr&auml;chtliche Differenzen bestehen. Die Technik nach Weidelich hat sich dabei sehr bew&auml;hrt. Die Derotation kann sowohl proximal als auch distal durchgef&uuml;hrt werden. Da bei dieser Patientengruppe fast immer Kombinationsprobleme vorliegen, spricht aus Sicht der Autoren viel f&uuml;r den Ansatz am distalen Femur. Die klinischen Ergebnisse der Rotationskorrekturen sind sehr gut, die publizierten Fallzahlen aber gering.</p> <h2>Knorpelschaden und Arthrose</h2> <p>Chronische Folge einer unbehandelten Instabilit&auml;t oder eines Maltrackings der Kniescheibe ist die Degeneration des Gelenkes &ndash; von der Chondropathie bis hin zur isolierten Arthrose. Die Grundlage f&uuml;r eine erfolgreiche Behandlung von degenerativen Sch&auml;den ist also die Normalisierung der kinematischen Verh&auml;ltnisse. Die dazu verwendeten Methoden orientieren sich wie schon bei der Instabilit&auml;t an den biomechanischen Risikofaktoren und deren Korrektur. Zur Behandlung von Knorpelsch&auml;den stehen dann letztlich die gleichen Methoden zur Verf&uuml;gung wie im femorotibialen Gelenk. An der Patella selbst wird der Einsatz der Mikrofrakturierung und des osteochondralen Zylindertransfers aber insgesamt kritisch gesehen. Die in den Knorpelregistern publizierten Ergebnisse sind dabei insgesamt schlechter im Vergleich zu femorotibialen Knorpelprozeduren. Wird allerdings durch Begleiteingriffe die biomechanische Grundlage optimiert, n&auml;hern sich die Resultate deutlich an.<br />Bei Vorliegen des Vollbildes einer patellofemoralen Arthrose stellt sich die Frage, ob ein isolierter Oberfl&auml;chenersatz ausreichend ist oder ob hier &ndash; gem&auml;&szlig; dem oben beschriebenen Prinzip der Optimierung der Mechanik &ndash; zus&auml;tzliche Ma&szlig;nahmen erforderlich sind. Die Indikationen zum isolierten PFG-Ersatz sind in Tabelle 1 zusammengefasst. <br />Die am Markt verf&uuml;gbaren Implantatdesigns k&ouml;nnen nach Inlay- und Onlay-Typen unterschieden werden. Bei Onlay-Implantaten erfolgt analog zum ventralen Cut bei KTEP zuerst die Resektion der Trochlea (Rotationskorrektur evtl. m&ouml;glich) und anschlie&szlig;end die Pr&auml;paration des Richtung Notch gerichteten Implantat&shy;anteils. Inlay-Implantate orientieren sich hingegen an vorliegenden Kr&uuml;mmungsradien und weniger an den Gr&ouml;&szlig;enverh&auml;ltnissen, was eine nat&uuml;rlichere Kinematik verspricht. In der Literatur kann derzeit die Frage der &Uuml;berlegenheit eines Typs nicht abschlie&szlig;end beurteilt werden.<br />Neben diesen OP-technischen Abweichungen unterscheiden sich die am Markt befindlichen Implantate teils deutlich im Design. F&uuml;r den Anwender gilt es zu bedenken, dass anatomische Implantate mit tieferer trochle&auml;rer Rinne mehr statische Stabilisierung f&uuml;r die Patella bieten und so bei Tracking- oder Stabilit&auml;tsproblemen eher supportiv wirken. Die H&auml;ufigkeit an notwendigen Zusatzeingriffen (Realign&shy;ment oder Stabilisierung) kann damit wahrscheinlich reduziert werden (Abb. 3).<br />Die Qualit&auml;t der publizierten Literatur ist insgesamt problematisch. Hohes Autorenbias, niedrige Fallzahlen und oft unzureichendes Follow-up kennzeichnen eine Vielzahl der ver&ouml;ffentlichten Arbeiten. Der moderne Zugang zur patellofemoralen Chirurgie mit Ber&uuml;cksichtigung der biomechanischen Erkenntnisse ist in den aktuellen Registerdaten noch nicht relevant. Der Einfluss dieser Ma&szlig;nahmen wird erst in einigen Jahren in den Ergebnissen erkennbar sein. Die aktuell publizierten Registerdaten m&uuml;ssen relativiert werden, da in den gepoolten Langzeitdaten gro&szlig;teils mittlerweile obsolete Implantate ber&uuml;cksichtigt werden. Insgesamt ist die Survival-Rate vergleichbar mit der des unikondyl&auml;ren Oberfl&auml;chenersatzes.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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