
©
Getty Images/iStockphoto
Osteosynthese mit Schraubentransplantat Shark Screw® aus humanem Knochen
Jatros
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Stefan Hofstätter
Autor:
Dr. Maximilian Walther
Autor:
Dr. Klaus Pastl
Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie<br> Geschäftsführer surgebright GmbH, Linz
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Knochenschraubentransplantate aus humaner Kortikalis versprechen Nutzen in der chirurgischen Versorgung im Bereich der Orthopädie, Unfallchirurgie und Kinderchirurgie zur Stabilisierung von Knochenfragmenten und Knochenfrakturen. Schrauben aus humaner Kortikalis bilden sofort eine knöcherne und stabile Brücke. Sie entsprechen den gewünschten Anforderungen an ein Osteosynthesesystem und bieten gegenüber Metallimplantaten oder resorbierbaren Materialien viele Vorteile.<sup>1</sup> Die avitalen Schrauben werden nicht aufgelöst und resorbiert, sondern vollständig vom Lagerknochen durchwachsen und durch den physiologischen Knochenstoffwechsel zu eigenem Knochen umgebaut.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Materialeigenschaften</h2> <p>Die Shark-Screw<sup>®</sup>-Knochenschraube ist eine osteoinduktive und osteokonduktive Brücke, die Gefäß- und Knochenzellen als Leitstruktur zur Verfügung steht. Von Beginn an wachsen Gefäße in das Transplantat ein. Osteozyten und Osteoblasten bauen den avitalen Knochen schließlich so um, dass daraus eigener Knochen entsteht. Derzeitige klinische Erfahrungen zeigen, dass Knochenschraubentransplantate nach circa einem Jahr im Röntgen nicht mehr erkennbar sind. Da das humane Material sterilisiert und gefriergetrocknet wird, ist es 5 Jahre lang haltbar. Zudem erfolgt die Sterilisation ohne Gammastrahlung.</p> <h2>Anwendungsgebiete und bisherige Erfahrungen</h2> <p>Sehr gute klinische Erfahrungen mit humanen Knochenschrauben existieren derzeit in der Hand-, Fuß- und Kinderchirurgie.<sup>2</sup> Sie eignen sich hervorragend zur Verschraubung von kleinen und kleinsten Knochenfragmenten sowie bei osteochondralen Defekten,<sup>2–4</sup> Arthrodesen an der Hand (SLAC, RL, IP, PIP, DIP), Behandlungen von Pseudarthrosen, IP-Gelenksarthrodesen, Großzehengrundgelenksarthrodesen, Weil- & Austin-Operationen, Arthrodesen der Tarsometatarsal (TMT)-Gelenke, Metatarsalfrakturen (Pseudarthrosen, Jones-Fraktur) und beim Lapidus. Die Knochenschrauben zeigen ein äußerst gutes Einwachsverhalten und bringen eine hohe Zufriedenheit bei den Patienten im postoperativen Verlauf. Im Folgenden werden bisherige Erfahrungen und klinische Fälle dargestellt.</p> <h2>Fall 1: TMT-Gelenke 2 und 3</h2> <p>Bisher wurden Arthrosen im TMT2- und TMT3-Gelenk mit Metallschrauben, komprimierbaren Klammern, Platten oder Spangen durchgeführt.<sup>5</sup> Komplikationen umfassen Infektionen, Wundheilungsstörungen, Venenthrombosen, implantatassoziierte Probleme sowie Neurome in 17 % (Fillipi et al.) bzw. 38,8 % der Fälle (Jung et al.). Pseudarthrosen werden in der Literatur mit 2–8 % angegeben. Um den knöchernen Durchbau zu fördern, wird oft Eigenspongiosa aus dem Beckenkamm entnommen.<sup>6</sup> Die Entnahme von autologer Spongiosa entfällt bei der Operation mit Shark Screw<sup>®</sup>.<br /> Im vorliegenden Fall einer schweren Arthrose im TMT2- und TMT3-Gelenk am rechten Fuß einer 77-jährigen Patientin (Abb. 1a und 1b) wird die Arthrodese mit zwei Shark-Screw<sup>®</sup>-Transplantaten 5,0mm durchgeführt. Der Zugang zu TMT2 und TMT3 erfolgt wie gewohnt zwischen M. extensor hallucis longus und M. extensor hallucis brevis. Unter Schonung der A. dorsalis pedis wird die Gelenkskapsel eröffnet und der Gelenksraum gespreizt. Dann wird der Gelenksknorpel entfernt und der darunterliegende Knochen mit einem 1,5mm dicken Bohrer angefrischt. Wenn sich die Gelenksflächen gut aufeinanderstellen lassen, wird ein 1,2mm dicker Kirschnerdraht von distal dorsal kommend durch die Basis des Os metatarsale II in das Os cuneiforme intermedium eingebohrt. Ein zweiter Kirschnerdraht wird durch die Basis des Os metatarsale III in das Os cuneiforme laterale gebohrt. Zuletzt erfolgt die temporäre Fixierung mit einem Sicherungsdraht in eines der beiden Gelenke, damit sich bei der folgenden Transplantation des Knochens die Gelenksflächen nicht mehr verschieben können.<br /> Je nach Größe des Knochens wird die passende Größe des Shark-Screw<sup>®</sup>- Schraubentransplantats gewählt. Wichtig ist, dass nach dem Bohren und Gewindeschneiden noch genügend kortikaler Knochen um das Schraubentransplantat stehen bleibt. Dennoch sollte immer das Transplantat mit dem größtmöglichen Durchmesser gewählt werden. Über den Kirschnerdraht wird das Kernloch gebohrt, das Gewinde geschnitten und sorgfältig gespült und das Knochentransplantat ohne großen Widerstand eingedreht. Das überstehende Material wird auf Knochenniveau abgesägt und mit der Fräse geglättet. Patienten werden angehalten, den operierten Fuß für 4 Wochen zu entlasten. Danach wird ein Hallux-Verbandsschuh für weitere 3 bis 4 Wochen verordnet.<br /> Die Schraubentransplantate sind im Röntgen 6 Wochen postoperativ (Abb. 1c und 1d) sehr gut zu sehen. Hier wurden zwei humane Knochenschrauben mit einem Durchmesser von 5,0mm eingesetzt. Es zeigt sich ein beginnender Durchbau, es bilden sich keine Osteolysen und es zeigen sich keine Lockerungszeichen. Innerhalb weniger Monate wird das Transplantat in eigenen Knochen umgebaut und ist nach einem Jahr im Röntgen kaum noch zu sehen (Abb. 1e und 1f).<br /> Im klinischen Verlauf fallen die geringe Schwellung und geringe Schmerzen auf, da die Transplantate gänzlich innerhalb des Knochens liegen und nicht hervorstehen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1804_Weblinks_jatros_ortho_1804_s55_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="703" /></p> <h2>Fall 2: Patellafraktur</h2> <p>Derzeit ist die Versorgung der Patellafraktur mit dem K-Draht weit verbreitet. Als gängigste Methode nennen viele Autoren eine Cerclage mit K-Draht.<sup>7, 8</sup> Mit dieser Versorgungsmethode werden eine verspätete Wundheilung bzw. Wundheilungsstörungen, Kniesteifheit, verlängerte Arbeitsunfähigkeit und eine starke Bewegungseinschränkung verbunden.<sup>9, 10</sup> Weitere beschriebene Symptome und Komplikationen reichen von K-Draht-Brüchen, Weichgewebe-Irritationen und -Verletzungen sowie Wandern des K-Drahtes bis hin zu ausgebrochenen Patellastücken.<sup>11–13</sup> Einige Autoren empfehlen eine Kombination aus Schrauben und KDraht.<sup>14, 15</sup> Zudem berichten Autoren bei der K-Draht- oder K-Draht-und-Schraubenmethode von Komplikationsraten zwischen 5 % und 32,5 % .16 Angesichts der hohen Komplikationsrate wäre die Entlastung der Patienten durch neue Methoden wünschenswert.<br /> Im folgenden Fall handelt es sich um eine 35-jährige Patientin. Sie ist sportlich aktiv. Der Erstkontakt erfolgte am 18. Juli 2017. Die Patientin hatte eine rezente Überlastung durch mehrstündiges Tanzen. Im MRT bestätigte sich die Verdachtsdiagnose Bone bruise, allerdings kam es wenige Stunden nach der MRT durch einen unglücklichen Schritt zur Querfraktur des distalen Patellapols. Nach Gehgips und Entlastung für 4 Wochen kommt es zur Refraktur an identer Stelle, es wird erneut ein Gips für 8 Wochen angelegt. Im Kontrollröntgen (Abb. 2a) und CT (Abb. 2b) zeigt sich die Pseudarthrose deutlich, die chirurgisch mit einem Shark-Screw<sup>®</sup>Transplantat 5,0 versorgt werden soll.<br /> Nach medianem Hautschnitt unter Darstellung des Frakturspalts von dorsal und unter Schonung des Streckapparats zeigt sich eine relativ straffe Pseudarthrose. Die Fragmente werden mit einem scharfen Löffel und mehreren Anbohrungen beiderseits der geplanten Schraubenposition angefrischt. Die Patellateile werden mit Repositionszangen fixiert und komprimiert, danach wird unter BW-Kontrolle ein Führungsdraht für die Shark Screw<sup>®</sup> zentral von distal nach proximal eingebracht. Es wird mit ansteigenden Größen bis auf 5mm aufgebohrt und das Gewinde mit den Shark-Screw<sup>®</sup>-Instrumenten händisch geschnitten. Der Kanal wird sorgfältig gespült, danach eine 5mm Shark Screw<sup>®</sup> unter BW-Kontrolle eingebracht. Der überstehende Schraubenkopf wird mittels der oszillierenden Säge entfernt. Ein eventueller Restüberstand resorbiert sich normalerweise innerhalb der ersten 6 Monate. Es erfolgte ein schichtweiser Wundverschluss ohne Drainage und ein postoperatives Abschlussröntgen (Abb. 2c).<br /> Die Nachbehandlung der Patientin erfolgte extrem konservativ mit TENS-Gerät, SecuTec<sup>®</sup>-Schiene über 10 Wochen, Freigabe der Flexion in 10°-Schritten ab der 3. Woche, aktiver Physiotherapie ab der 6. Woche und Teilbelastung für 6 Wochen mit 20kg. 6 Monate postoperativ zeigt sich die Pseudarthrose sehr gut verheilt, der Umbau der Shark Screw<sup>®</sup> in den patienteneigenen Knochen ist zu einem Teil bereits vollzogen, der Rest der Shark Screw<sup>®</sup> ist fest eingeheilt und noch zu sehen (Abb. 2d bis 2f). Die Patientin ist beschwerdefrei.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1804_Weblinks_jatros_ortho_1804_s55_abb2.jpg" alt="" width="2149" height="475" /></p> <h2>Gesundheitliche Vorteile für den Patienten</h2> <p>Patienten ersparen sich die Zweitoperation zur Metallentfernung. Die Knochenschraube ist frei von toxischen oder mutagenen Nebenwirkungen. In den bisherigen klinischen Erfahrungen zeigen sich weder systemische oder lokale Reaktionen noch Abstoßungs- oder Fremdkörperreaktionen. Aufgrund des biologischen Ursprungs besteht eine ausgezeichnete Verträglichkeit. Röntgen und MRI-Diagnostik sind postoperativ ungehindert möglich. Zudem entstehen keine leeren Schraubenkanäle wie nach Entfernung einer Metallschraube oder Implantationen von bioresorbierbaren Materialien. Auffallend sind geringe Schmerzen bei den Patienten im postoperativen Verlauf. Gründe dafür dürften das Zurückkürzen bzw. das allogene Material der humanen Knochenschraube sein.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Das Shark-Screw<sup>®</sup>-Transplantat eröffnet völlig neue Behandlungsmethoden, bei denen resorbierbare Osteosynthesesysteme oder Metallimplantate durch allogene Transplantate ersetzt werden können. Mit dem Anspruch, Patienten die bestmögliche Versorgung in der Orthopädie und Trauma tologie zu ermöglichen, gehen gleichzeitig die Reduktion von Komplikationen und der Entfall von Zweitoperationen zur Metallentfernung einher. Die humanen Knochenschrauben nehmen einen wichtigen Stellenwert bei der Versorgung von Arthrodesen, osteochondralen Defekten, Pseudoarthrosen und Frakturen ein. Für die Zukunft ergeben sich interessante Forschungsprojekte.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Fuchs M: Untersuchungen zu biodegradablen Osteosynthese- Implantaten. Göttingen: Cuvillier Verlag, 2006. S. 27 <strong>2</strong> Obwegeser JA, Pastl K: Anwendungsbereiche der Schrauben aus autoklavierter allogener Kortikalis. Acta Chir Austriaca 1996; 28(Suppl 121): 23 <strong>3</strong> Böhler N, Obwegeser JA, Pastl K: Clinical results with screws made by homologous bone as an resorbable implant for the fixation of osteochondral fragments. Abstract book EFORT, April 1997; 56: 0168 <strong>4</strong> Böhler N, Obwegeser JA, Pastl K: Clinical results with screws made by homologous bone as a resorbable implant for the fixation of osteochondral fragments. Bone Joint Surg 1997; 79-B(2S): 182 <strong>5</strong> Stukenborg-Colsman C, Fuhrmann RA: Kurzgefasste Fußchirurgie. Thieme, 2017.; S. 120-24 <strong>6</strong> Nemec SA et al.: Outcomes following midfoot arthrodesis for primary arthritis. Foot Ankle Int 2011; 32(4): 355- 61 <strong>7</strong> Nerlich M, Weigel B: Patella. In: Ruedi TP, Murphy WM (eds.): AO Principles of Fracture Management. New York: AO Publishing, 2000. S. 83-497 <strong>8</strong> Carpenter JE et al.: Biomechanical evaluation of current patella fracture fixation techniques. J Orthop Trauma 1997; 11: 351-6 <strong>9</strong> Appel MH, Seigel H: Treatment of transverse fractures of the patella by arthroscopic percutaneous spinning. Arthroscopy 1993; 9: 119-21 <strong>10</strong> Smith ST et al.: Early complications in the operative treatment of patella fractures. J Orthop Trauma 1997; 11: 183-7 <strong>11</strong> Gardner MJ et al.: Complete exposure of the articular surface for fixation of patellar fractures. J Orthop Trauma 2005; 19: 118-23 <strong>12</strong> Us AK, Kinik H: Selflocking tension band technique in transverse patellar fractures. Int Orthop 1996; 20: 357-8 <strong>13</strong> Wu CC, Tai CL, Chen WJ: Patellar tension band wiring: a revised technique. Arch Orthop Trauma Surg 2001; 121: 12-6 <strong>14</strong> Cekin T, Tükenmez M, Tezeren G: [Comparison of three fixation methods in transverse fractures of the patella in a calf model][article in Turkish]. Acta Orthop Traumatol Turc 2006; 40: 248-51 <strong>15</strong> Curtis MJ: Internal fixation for fractures of the patella: a comparison of two methods. J Bone Joint Surg Br 1990; 72: 280-2 <strong>16</strong> Mao N et al.: Comparison of the cable pin system with conventional open surgery for transverse patella fractures. Clin Orthop Relat Res 2013; 471(7): 2361-6</p>
</div>
</p>