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Osteosynthese bei periprothetischer distaler Femurfraktur

<p class="article-intro">Die periprothetische distale Femurfraktur stellt den Operateur meist vor eine besondere Herausforderung: komplexe implantatnahe Frakturen bei meist geriatrischem Patientenkollektiv mit Multimorbidität, Osteoporose und eingeschränkten Reserven für die postoperative Nachbehandlung durch schlechtere Koordination und Muskelschwund. Nichtsdestotrotz können bei richtiger Implantatwahl und chirurgischer Technik zufriedenstellende klinische Ergebnisse erzielt werden, welche in diesem Artikel zusammengefasst werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die dislozierte periprothetische distale Femurfraktur ist Dom&auml;ne der operativen Versorgung. Ausnahmen sind undislozierte Frakturen bei multimorbiden, immobilen Patienten. Bei metaphys&auml;rer Tr&uuml;mmerzone, osteoporotischem Knochen und gleichzeitig einliegender H&uuml;ftprothese ist die winkelstabile Plattenosteosynthese die Behandlung der Wahl und sollte m&ouml;glichst gewebeschonend minimal invasiv implantiert werden.</li> <li>Einfache Frakturen deutlich proximal des Femurschildes k&ouml;nnen durch eine retrograde Marknagelosteosynthese versorgt werden, falls gewisse Implantatvoraussetzungen des Nagels und eine Kompatibilit&auml;t mit der einliegenden Knieprothese gegeben sind.</li> <li>Das &bdquo;Arbeitspferd&ldquo; in der Versorgung distaler periprothetischer Femurfrakturen ist die winkelstabile Plattenosteosynthese.</li> </ul> </div> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Parallel zum steigenden Durchschnittsalter in der westlichen Welt steigt auch die Anzahl an implantierten Knieprothesen und deren Komplikationen. Periprothetische suprakondyl&auml;re Femurfrakturen treten mit einer H&auml;ufigkeit von 0,6%&ndash;5,5 % auf. Frauen sind 2,3-fach h&auml;ufiger betroffen als M&auml;nner. Unfallmechanismus ist meist ein &bdquo;Low energy&ldquo;-Trauma mit Torsions- und/oder Kompressionskr&auml;ften.</p> <h2>Risikofaktoren</h2> <p>Risikofaktoren f&uuml;r das Auftreten einer periprothetischen Fraktur sind Komponentenlockerung, achsgef&uuml;hrte Prothesen, knienahes Osteosynthesematerial, Osteolyse, Ankylose, vorangegangene Revision, Kortisontherapie, Osteoporose, rheumatoide Arthritis, hohes Alter, weibliches Geschlecht, neurologisches Defizit und Implantations&bdquo;fehler&ldquo; wie ein anteriores femorales Notching.</p> <h2>Klassifikationen</h2> <p>Die am h&auml;ufigsten verwendete Klassifikation nach Lewis &amp; Rorabeck unterscheidet 3 Typen (Abb. 1): Typ I sind undislozierte Frakturen mit festsitzender femoraler Komponente. Bei Typ II liegt eine Dislokation von &ge;5 mm oder eine Achsdeviation von &ge;5&deg; vor. Sie werden weiter unterteilt in IIa (simple) und IIb (mehrfragment&auml;re Frakturen). Bei Typ III besteht eine Lockerung/Instabilit&auml;t der femoralen Komponente oder ein Inlayverschlei&szlig;. Fakler et al. haben 2017 eine neue Klassifikation vorgestellt, die neben der Frakturform auch die 4 Prothesentypen unterscheidet (Oberfl&auml;chenersatz, posterior-stabilized, achsgef&uuml;hrte Prothese und distaler Femurersatz). Sie haben Simplizit&auml;t und Reproduzierbarkeit gezeigt und lassen eine Ableitung f&uuml;r eine ad&auml;quate Therapieempfehlung zu.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s26_abb1_beller.jpg" alt="" width="550" height="366" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Nach Frakturreposition der periprothetischen Fraktur gelten als akzeptable Grenzen: &lt;5 mm Dislokation, &lt;5&ndash;10&deg; Achsdeviation, &lt;10&deg; Rotationsfehler und &lt;1 cm femorale Verk&uuml;rzung. Die h&auml;ufigste Frakturform ist die dislozierte distale Femurfraktur mit stabiler Prothese (Rorabeck Typ II). Diese kann mit retrogradem Marknagel oder winkelstabiler Platte versorgt werden. Im folgenden Abschnitt werden Vor- und Nachteile der einzelnen Therapieoptionen besprochen.</p> <p><strong>Konservative Therapie</strong><br /> Als m&ouml;gliche Behandlungsstrategien existieren Gips- oder Schienenruhigstellung und Tibiakopf-Extension. Letztere hat wegen Komplikationen wie Pin-Infektion, Paresen, Dekubitus, Fortschreiten der Osteoporose und Gelenksankylose kaum mehr einen Stellenwert.<br /> Als prim&auml;re Indikation f&uuml;r eine Gipsbehandlung gilt die undislozierte oder problemlos reponierbare simple Rorabeck-Typ- I-Fraktur. Eine Ruhigstellung f&uuml;r 4&ndash;6 Wochen wird ben&ouml;tigt. Regelm&auml;&szlig;ige R&ouml;ntgenverlaufskontrollen sind empfohlen. Bei regelrechtem Verlauf werden nach Gipsabnahme ein Kniebrace und ein langsamer Aufbau der Bewegungstherapie empfohlen. Bei sekund&auml;rer Dislokation muss die Behandlungsstrategie zugunsten eines operativen Verfahrens aufgegeben werden. Vorteile der konservativen Behandlung sind das fehlende Narkose-, Blutungs- und Infektionsrisiko. Die Erfolgsrate bei konservativer Behandlung einer undislozierten Fraktur liegt bei 83 % .<br /> Bei Dislokation oder vorhandener Osteoporose ist eine gedeckte Reposition meist nicht von Erfolg gekr&ouml;nt oder kann nicht gehalten werden. Au&szlig;erdem ist die Pseudarthroserate in diesen F&auml;llen sehr hoch. In einer Studie von Moran et al. kam es bei diesen dislozierten Frakturen unter konservativer Behandlung bei allen 9 Patienten zur Entwicklung einer Pseudarthrose. Somit muss die Indikation f&uuml;r konservative Behandlung einer Rorabeck-Typ-IIoder -III-Fraktur sehr eng gestellt werden.</p> <p><strong>Plattenosteosynthese</strong><br /> Die winkelstabile Plattenosteosynthese ist der Goldstandard zur Behandlung von Rorabeck-Typ-II-Frakturen. Gegen&uuml;ber konventionellen Platten bieten winkelstabile eine deutlich h&ouml;here prim&auml;re Stabilit&auml;t insbesondere bei osteoporotischem Knochen sowie gelenksnahen oder mehrfragment&auml;ren Frakturen. Der Standardzugang wird von lateral durchgef&uuml;hrt. Liegt eine Tr&uuml;mmerzone im Bereich des medialen Femurkondylus vor, kann eine Doppelplattenosteosynthese (medial und lateral) in Erw&auml;gung gezogen werden, um ein sekund&auml;res varisches Abkippen zu vermeiden.<br /> Nachteil der Plattenosteosynthese ist ein gro&szlig;er chirurgischer Zugang mit entsprechendem Weichteilschaden und Blutungsrisiko. Daher wurden LISS-Platten (&bdquo;less invasive stabilisation system&ldquo;) entwickelt, die mittels minimal invasiven Zugangs eingeschoben werden k&ouml;nnen. Dadurch wird der Periostschaden reduziert und die f&uuml;r die Heilung wichtige periostale Durchblutung wird weitgehend erhalten. Es kann so eine deutlich niedrigere Komplikationsrate f&uuml;r Infekt, Blutverlust und Pseudarthrose erzielt werden. Kregor et al. berichten eine Heilungsrate von 95 % (36 von 38 Patienten) ohne weitere Komplikationen (Versorgungsbeispiel siehe Abb. 2 u. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s27_abb2+3_beller.jpg" alt="" width="550" height="749" /></p> <p><strong>Retrograde Marknagelosteosynthese</strong><br /> Verglichen mit antegraden Markn&auml;geln, die distal meist nur 2 Schrauben zur Stabilisierung bieten, k&ouml;nnen bei retrograden Implantaten gelenksnah mehr Schrauben implantiert werden. Als Folge der Versorgung in Kniebeugung und durch einen weit dorsalen Eintrittspunkt kann es zu einem Hyperextendieren der Femurkomponente kommen. Pelfort et al. haben jedoch gezeigt, dass dies die Prothesenstabilit&auml;t, kn&ouml;cherne Heilung und Gelenksfunktion nicht signifikant beeinflusst. Als Kontraindikation gelten Patella baja, Gelenkskontraktur, liegender ipsilateraler Femurnagel oder H&uuml;ftprothese, Komponentenlockerung, enger Markraum sowie mehrfragment&auml;re oder sehr weit distale Frakturen. Limitierend kann die implantierte Knieprothese selbst sein, da gewisse Implantate eine sehr enge oder dorsale Notch aufweisen. Dies kann eine retrograde Marknagelosteosynthese schwierig oder gar unm&ouml;glich machen.<br /> Die Stabilit&auml;t des Marknagels f&uuml;r geriatrische Frakturen im Bereich des distalen Femurs ist verglichen zur Plattenosteosynthese geringer, da ein schlankes Implantat in einer weiten Metaphyse mit wenigen Verankerungspunkten zu liegen kommt. H&auml;ufig m&uuml;ssen zus&auml;tzlich Pollerschrauben verwendet werden, um die Stabilit&auml;t zu erh&ouml;hen oder die Reposition zu halten.<br /> Verglichen mit der Plattenosteosynthese kommt es zu weniger Weichteilschaden und Blutungen. Au&szlig;erdem werden die periostalen Blutgef&auml;&szlig;e nicht verletzt und das Frakturh&auml;matom wird nicht er&ouml;ffnet. Ein weiterer theoretischer Vorteil ist, dass Patienten sofort mit Bewegungstherapie und Belastung beginnen k&ouml;nnen. In einigen retrospektiven Studien konnte ein gutes funktionelles Ergebnis mit wenig Komplikationen und &gt;90 % Heilungsrate gezeigt werden.</p> <p><strong>Knieprothesenrevision</strong><br /> Die Indikation f&uuml;r die Implantation einer Revisionsprothese besteht bei Prothesenlockerung unabh&auml;ngig von der Frakturform, bei besonders distalen Frakturen sowie bei ausgedehnter distaler Tr&uuml;mmerfraktur. Bereits im Vorfeld sollten alle Patienten mit periprothetischer Femurfraktur &uuml;ber die M&ouml;glichkeit einer Revisionsprothese aufgekl&auml;rt werden, falls sich intraoperativ eine Komponentenlockerung herausstellt. Abstriche und Gewebeproben sind hierbei obligat, um einen Infekt auszuschlie&szlig;en.</p> <h2>Indikationsstellung: Platten- oder Marknagelosteosynthese?</h2> <p>Die Entscheidung, ob besser eine winkelstabile Plattenosteosynthese oder eine retrograde Marknagelosteosynthese durchgef&uuml;hrt werden soll, ist oft schwierig und viele unterschiedliche Faktoren m&uuml;ssen hierbei ber&uuml;cksichtigt werden. Biomechanische Studien konnten weder dem einen noch dem anderen Verfahren eine &Uuml;berlegenheit nachweisen. In-vivo-Studien sind in ihrer Aussagekraft ebenso wenig richtungsweisend aufgrund geringer Fallzahlen, fehlender Randomisierung und eingeschr&auml;nkter Vergleichbarkeit (Frakturform, Knochenqualit&auml;t etc.). Einige Studien zeigen keinen Unterschied bez&uuml;glich Heilungs- und Komplikationsrate. Andere Studien wiederum favorisieren eine der beiden Methoden. Folgende Faktoren sind entscheidend und k&ouml;nnen bei der richtigen Indikationsstellung helfen:</p> <p><strong>Frakturform</strong><br /> Frakturen proximal des Femurschildes k&ouml;nnen in der Regel mit Markn&auml;geln versorgt werden. Umso weiter distal die Fraktur ausl&auml;uft, desto eher sollte eine winkelstabile Plattenosteosynthese in Erw&auml;gung gezogen werden. Diese bietet mehr Fixationsm&ouml;glichkeiten und Stabilit&auml;t insbesondere bei schlechter Knochenqualit&auml;t. L&auml;ngsstabile Querfrakturen sind &uuml;blicherweise gut intramedull&auml;r zu schienen. Langstreckige und mehrfragment&auml;re Frakturen sollten eher mit winkelstabilen Platten &uuml;berbr&uuml;ckt werden, um L&auml;nge, Achse und Rotation wiederherzustellen.</p> <p><strong>Patientenfaktoren</strong><br /> Die Marknagelosteosynthese bietet den Vorteil, dass die Last&uuml;bertragung besser verteilt wird und die Patienten daher fr&uuml;her belasten d&uuml;rfen. Dies reduziert s&auml;mtliche potenziell lebensbedrohliche Komplikationen, die mit l&auml;ngerer Immobilisation verbunden sind. Als Voraussetzung besteht eine pr&auml;operativ erhaltene Knie-ROM zum Zeitpunkt vor der Fraktur, um einen ad&auml;quaten Eintrittspunkt f&uuml;r den Nagel zu erzielen.</p> <p><strong>Implantatgrenzen</strong><br /> Eine genaue Beurteilung und Identifikation der implantierten Prothese sind unerl&auml;sslich. Eine ipsilaterale H&uuml;ftprothese oder femorale &bdquo;Closed box&ldquo;-Knieprothese sind Kontraindikationen f&uuml;r eine Marknagelosteosynthese. Gewisse Knieprothesen mit schmaler Box oder posterior gelegener Notch machen eine intramedull&auml;re Stabilisierung schwierig bis unm&ouml;glich, z. B.: Nexgen CR, Genesis II CR, TC Plus CR.</p> <p><strong>Technische Grenzen und Empfehlungen</strong><br /> Genaue pr&auml;operative Planung und gute Technik helfen zum Erfolg. Wie bereits im letzten Abschnitt erw&auml;hnt, ist die Kenntnis des Knieprothesenimplantats und dessen Gr&ouml;&szlig;e &auml;u&szlig;erst wichtig, sollte eine Marknagelosteosynthese in Erw&auml;gung gezogen werden. Details &uuml;ber die Notch, Gr&ouml;&szlig;e der Aussparung sowie Marknageldurchmesser und die posteriore Grenze des Eintrittspunkts k&ouml;nnen &uuml;ber den Hersteller der Implantate bezogen werden. Als Nachschlagewerk m&ouml;glicher Kompatibilit&auml;ten dient auch ein Reviewartikel von Thompson et al. aus dem &bdquo;Journal of Arthroplasty&ldquo; von 2014 mit Fokus auf interkondyl&auml;re Aussparung und sagittale Position der Notch. Intraoperativ muss der Eintrittspunkt exakt eingestellt werden, um eine Valgus- oder Extensionsdeformit&auml;t zu vermeiden. Hierf&uuml;r sind eine ausreichend gro&szlig;e Arthrotomie und eine Bildwandlereinstellung in zwei Ebenen &auml;u&szlig;erst wichtig.<br /> Wenn m&ouml;glich empfiehlt sich ein retrograder Nagel mit 4&ndash;5&deg; anteriorer Kr&uuml;mmung, um einen m&ouml;glichst posterioren Eintrittspunkt verwenden zu k&ouml;nnen. Au&szlig;erdem sollte das Implantat mehrere Optionen f&uuml;r distale Schraubenpositionierungen aufweisen. Die Nagell&auml;nge sollte bis zum Trochanter minor reichen und proximal statisch verriegelt werden. Durch festen Sitz im Isthmus des Femurkanals ist das Implantat rigider fixiert und Seit-zu- Seit-Bewegungen (Scheibenwischereffekt) wie bei zu kurzem Nagel werden verhindert.<br /> Eine Revisionsprothese sollte als Plan B vorhanden sein, falls anhand der Bilddiagnostik ein fester Prothesensitz nicht sicher gegeben ist. Bei Marknagelosteosynthesen wird ein kompatibles Ersatzinlay der Knieprothese unbedingt ben&ouml;tigt, da dieses h&auml;ufig entweder vorgesch&auml;digt ist oder bei der Operation besch&auml;digt wird.<br /> Ist eine H&uuml;ftprothese auf derselben Seite implantiert, wird eine &Uuml;berbr&uuml;ckung beider Implantate empfohlen, um eine Schwachstelle mit deutlich erh&ouml;htem Refrakturrisiko zwischen zwei rigiden Metallkomponenten zu vermeiden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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