Offene Einrichtung bei Luxation der Säuglingshüfte

Das von Buchner und Graf entwickelte „Stolzalpe-Konzept“ der kombinierten Korrektur von Luxation und Deformität hat sich in den letzten Jahrzehnten klinisch grundsätzlich bewährt.1 Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen durch den Krankenhausträger und technische Fortschritte bei den Implantaten haben es in den letzten Jahren notwendig gemacht, unser Erfolgskonzept im Detail daran anzupassen. Die Eckpunkte unseres modifizierten Vorgehens werden in diesem Artikel vorgestellt und diskutiert.

Keypoints

  • Bewährte Technik nach Graf (2001) modifiziert

  • Sonografisch überwiegend Typ-IV-Hüftgelenke

  • Kombinierter weichteiliger und knöcherner Eingriff zur simultanen Reposition und Deformitätenkorrektur

  • (Meist) 2-zeitige Prozedur zur Vermeidung des sog. Kirschkernphänomens

Indikationen und Ziele der offenen Einrichtung

Es gibt zwar keine „offizielle“ Leitlinie, aber aufgrund des allgemeinen Erkenntnisstandes in der Kinderorthopädie wäre eine möglichst frühzeitige Korrektur anzustreben. Trotzdem wurde aus verschiedenen Überlegungen und Risikoabwägungen innerhalb der steirischen KAGes ein unteres Alterslimit von 12 Monaten für knöcherne Korrekturen festgelegt und vorgegeben. Der Zeitpunkt für die knöcherne Korrektur im Rahmen des Kombinationseingriffs verschiebt sich deshalb auf den Zeitpunkt rund um die Vollendung des ersten Lebensjahres, während vor Inkrafttreten dieser Regelung oft schon mit 6 Monaten operativ korrigiert wurde.1

Die geschlossene Reposition bei sonografisch instabilen oder dezentrierten Hüftgelenken (Typ 2c instabil und schlechter) soll so früh wie möglich stattfinden. Das Ergebnis des geschlossenen Repositionsversuchs mit angelegtem Fettweisgips modifiziert nach Graf wird mittels MRT kontrolliert: Ist die Dezentrierung irreponibel, wird die Indikation zur Operation gestellt, wobei der Eingriff selbst erst im Alter von 12 Monaten erfolgt.

Aus der Tatsache, dass bei einer irreponiblen Luxation in der Regel auch eine extreme Antetorsion des proximalen Femurendes vorliegt, resultiert die Konsequenz eines kombinierten Weichteil- und knöchernen Eingriffs, um das Endziel eines stabilen, belastbaren zentrierten Hüftgelenks zu erreichen.1,2

Operationstechnik

Über einen anterolateralen Zugang nach Watson-Jones wird das Intervall zwischen dem horizontal verlaufenden Musculus glutaeus medius und dem Musculus tensor fasciae latae stumpf präpariert und der Schenkelhals dargestellt. Nach Eröffnung und Teilresektion der Gelenkkapsel wird das Ligamentum capitis femoris aufgesucht und bis in die Urpfanne verfolgt. Schließlich wird das elongierte und verdickte Kopfband zuerst vom Femurkopf scharf abgetrennt und dann auch in der Fossa acetabuli abgesetzt. Das hypertrophe sogenannte Vakatgewebe als hauptsächliches Repositionshindernis bei versuchter geschlossener Reposition wird vorsichtig entfernt. Eine partielle Resektion des Ligamentum transversum und der Iliopsoassehne ergänzt das ausgiebige Weichteilrelease. Damit kann die schlecht entwickelte, steile Urpfanne dargestellt werden.

Abb. 1: a) Sonografie Typ IV nach Graf, b) Röntgen bilaterale Hüftluxation, c) MRT nach versuchter geschlossener Reposition, luxierte Hüfte rechts

Der Großteil des Eingriffes wird mit dem Ultracision-Gerät durchgeführt, womit gleichzeitig eine problemlose und gewebsschonende Blutstillung erfolgt.

Als Nächstes erfolgt ein Repositionsversuch in Innenrotation und Abduktion unter Bildwandlerkontrolle. Der Hüftkopf wird in der Repositionsstellung unter Bildverstärkerkontrolle mit einem zentralen, durch den Schenkelhals in das Acetabulum gebohrten Kirschnerdraht vorläufig fixiert. Der Spickdraht darf die innere Corticalis nur wenige Millimeter überragen. Nun werden die Spickdrähte für die späteren Schrauben für die winkelstabile Säuglingsplatte mit dem passenden Zielinstrument platziert. Mit der oszillierenden Säge erfolgt vorsichtig die intertrochantäre Osteotomie. Nach Beistellung des Beines erfolgt die Fixierung der Fragmente in der gewünschten korrigierten varisierten und derotierten Stellung mittels einer 110°- Stahlplatte mit winkelstabilen 2,7-mm-Schrauben, je 2 für Schenkelhals und Schaft. (In der Originaltechnik nach Graf erfolgte die erste Operation schon im Alter von durchschnittlich 6 Monaten und die Fixierung der Osteotomie wurde mit zwei Kirschnerdrähten durchgeführt.)

Abb. 2: a) alte OP-Technik, b) neue OP-Technik

Die Verwendung der optimierten neuen Implantate kompensiert den richtliniengemäßen späteren Zeitpunkt bei Erstoperation. Im Vergleich mit der ursprünglichen Technik gibt das nun angewandte Implantat mehr Stabilität, die Ruhigstellung mit Beckenbeingips kann verkürzt werden und der erreichte CCD-Winkel ist nicht gefährdet.

Es wird ein Becken-Bein-Gipsverband mit Fußteil für fünf Wochen in Neutralstellung des Beins angelegt. Nach fünf Wochen werden der Gipsverband und der zentrale Kirschnerdraht entfernt. Bei persistierender Pfannendysplasie erfolgt in der gleichen Sitzung eine Pfannendachkorrektur mittels Acetabuloplastik nach Dega-Buchner. Diese wird beim ersten Eingriff aufgrund der Gefahr des sogenannten Kirschkernphänomens nicht mit dem intertrochantären Eingriff kombiniert (Anm.: Kirschkernphänomen: Versucht man, einen frischen bzw. feuchten Kirschkern zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen, so springt er meistens weg). Die Acetabuloplastik dient nicht nur zur Stabilitätserhöhung, sondern vorrangig zur Korrektur einer bestehenden Pfannendysplasie.

Bei beidseitiger Luxation können optional eine offene Reposition und VDO (varisierend derotierende Osteotomie) der zweiten Seite an den zweiten Eingriff auf der ersten Seite angeschlossen werden. In diesem Fall muss ein zweites OP-Set verwendet werden.

Ergebnisse, Vor- und Nachteile, Komplikationen

Seit der Einführung des Hüftsonografie-Screenings gehört die offene Reposition grundsätzlich zu den „seltenen“ Operationen und ihre Frequenz hält sich auf einem konstant niedrigen Niveau.

Ergebnisse

Die Gesamtergebnisse sind bei Operationen im sechsten Lebensmonat tendenziell besser als zu einem späteren Zeitpunkt. Gesamtfrequenz von 2011 bis 2021: insgesamt n=36 Hüften bei 31 Patienten.

Gruppe 1: „alte“ Technik mit früher OP und Kirschnerdrähten: n=28 Hüften bei 25 Patienten, 5 Reluxationen in der Gruppe 1, davon 2 Patienten älter als 1 Jahr, 3 Femurkopfnekrosen

Gruppe 2: „neue“ Technik mit späterer OP und winkelstabiler Säuglingsplatte (seit 2019): n=8 Hüften bei 6 Patienten, alle >1 Jahr, 2 >2 Jahre, bis dato in der Gruppe 2 weder Reluxationen noch Femurkopfnekrosen.

Vorteile
  • Gute Übersicht über die Pfannenpathologie

  • Stabile Positionierung des Hüftkopfs im Acetabulum ohne zusätzliche Absicherung der Stabilität durch eine Kapseldoppelung oder Kapselraffung

  • Optionale Acetabuloplastik als Zweiteingriff

  • Postoperativ keine Orthese erforderlich

Nachteile
  • Gefahr der Durchblutungsstörung und konsekutiven Kopfnekrose bei zu extensiver Muskel- und Kapselpräparation

  • Vorübergehende Beinverkürzung von ca. 0,5 bis 1cm durch die Varisierung

  • Ein zusätzlicher geplanter OP-Eingriff (Plattenentfernung)

Komplikationen

Die Reluxationsrate wird in der Literatur selten erwähnt, beträgt aber je nach Technik und Zugang bis zu 11%. Die Kopfnekroserate steigt kontinuierlich, je älter die Kinder sind und je länger sie konservativ frustran vorbehandelt wurden;3 vergebliche konservative Repositions- und Retentionsversuche schädigen durch direkten Druck den Hüftkopf (Kollaps der sinusoiden Knorpelkanälchen) und erhöhen die Nekroserate;1,4 diese variiert je nach Autoren bis 70%.5

1 Graf R, Roth-Schiffl E: Offene Reposition der kongenitalen Hüftluxation. Operat Orthop Traumatol 2001; 13: 43-53 2 Graf R: Sonographie der Säuglingshüfte und therapeutische Konsequenzen, 5. Aufl. Stuttgart/New York: Thieme, 2000 3 Tönnis D: Die angeborene Hüftdysplasie und Hüftluxation im Kindes- und Erwachsenenalter. Berlin/Heidelberg/New York/Tokio: Springer, 1984 4 Sylkin NN: Die Entwicklungstendenzen des koxalen Femurs nach Auftreten der Kopfnekrose infolge der konservativen Behandlung von Luxationshüften. Orthopädie und ihre Grenzgebiete 1995; 4: 367-73 5 Marquart W: Die offene Hüftreposition. In: Verhandlungen der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft, 56. Kongress 1969. Stuttgart: Enke, 1970: 116–23

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