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Neue Knieprothesen: kaum Evidenz für besseres Outcome
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08.03.2018
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<p class="article-intro">In den vergangenen Jahren kamen neuere Knieprothesen auf den Markt, um das Outcome zu verbessern, so zum Beispiel Prothesen speziell für Frauen, «High flex»-Prothesen, solche mit asymmetrischer Tibia und asymmetrischem Femur oder gar massgefertigte Prothesen. Warum die neuen Designs bisher nicht besser sind als herkömmliche und wie die ideale Knieprothese aussehen könnte, erklärt Dr. med. Bernhard Christen aus Bern.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>In einer der grössten Studien zur Zufriedenheit mit Knieprothesen hatte ein Team um Otto Robertsson, Orthopäde und Manager des schwedischen Prothesenregisters, 27 372 Patienten im Zeitraum von 1981 bis 1995 befragt.<sup>1</sup> 17 Prozent von ihnen waren nicht zufrieden, ähnliche Ergebnisse fanden andere Arbeitsgruppen. Warum sind so viele Patienten nicht zufrieden?<br /><br /> B. Christen:</strong> Das Resultat nach einer Knieprothese hängt von diversen Faktoren ab und ist Ausdruck der Komplexität des Kniegelenkes und dessen Kinematik. Eine wichtige Rolle spielen die Ausgangslage, also zum Beispiel, unter welcher Erkrankung der Patient leidet, Geschlecht, Alter, Schmerzintensität, psychische Faktoren und vor allem die Erwartungshaltung von Patient und Chirurg. Abgesehen davon entspricht die Biomechanik eines künstlichen Knies nicht derjenigen des natürlichen Gelenkes. Beispielsweise fehlt bei den meisten Knietotalprothesen das vordere Kreuzband, was mit dem Implantatdesign in irgendeiner Weise kompensiert werden muss. Auch wird der Laxität des natürlichen Gelenks auf der lateralen Seite nicht Rechnung getragen. Plastik auf Metall kann auch nicht die natürliche Dämpfung durch Gelenkknorpel und Menisken replizieren.<br /><br /><strong> Die Ergebnisse der schwedischen Studie blieben über den Zeitraum erstaunlicherweise konstant, was darauf schliessen lasse, so Robertsson und seine Kollegen, dass die Innovationen bei den Knieendoprothesen vermutlich wenig Effekt hätten. Die Hersteller haben in den vergangenen Jahren aber immer mehr neue Prothesen designt, um das Outcome zu verbessern. Zum Beispiel geschlechtsspezifische Prothesen, «High flex»-Prothesen, die eine bessere Beugung zulassen sollen, oder Prothesen mit asymmetrischer Tibia und asymmetrischem Femur. Geht es den Patienten damit besser?<br /><br /> B. Christen:</strong> In den letzten zehn Jahren haben sämtliche Innovationen, welche rein theoretisch und biomechanisch Vorteile bringen sollten, zu keinen relevanten Verbesserungen bei den Resultaten geführt.<sup>2–8</sup> Es gibt aber offensichtlich Designs, welche ein besseres Langzeitüberleben zur Folge haben, wie dies in diversen Prothesenregistern zu sehen ist. Einiges dürfte dabei mit der Gestaltung des Femoropatellargelenkes («patellafreundliches Design») zusammenhängen. Manche Hersteller konnten zwar ein längeres Überleben ihrer Prothesen nachweisen, aber Restbeschwerden und Funktion waren nicht besser als mit den älteren.<sup>9</sup> <br /><br /><strong>Die Hersteller mussten aber doch einen Grund für die neuen Designs gehabt haben.<br /><br /> B. Christen:</strong> Medizinischer Grund für die neuen Designs ist vor allem die Tatsache, dass fast 20 Prozent der Patienten mit den bisherigen Knieprothesen nicht zufrieden sind und es einige Aspekte gibt, welche grundsätzlich optimiert werden können. So könnte beispielsweise die Tibiaprothese inklusive Polyethylen posterolateral angepasst werden, um ein Popliteus-Impingement zu verhindern. Die grundlegende Problematik eines künstlichen Kniegelenkes mit einer Artikulation Metall auf Plastik oder eben das fehlende vordere Kreuzband konnten jedoch bisher noch nicht überwunden werden. Schliesslich gibt es für die Firmen ökonomische Anreize, neue Prothesen auf den Markt zu bringen.<br /><br /><strong> In den Medien wurde sehr positiv über die neue ConforMIS-Prothese aus den USA berichtet – angeblich eine «massgeschneiderte » Prothese. Was halten Sie davon?<br /><br /> B. Christen:</strong> Grundsätzlich ist die Idee einer individuellen Prothese bestechend, da die Anatomie der Kniegelenke eine erhebliche Variabilität aufweist und mit konfektionierten Implantaten zum Teil nicht optimal rekonstruiert werden kann. Allerdings berücksichtigen die heutigen massgeschneiderten Prothesen die Anatomie nur bedingt, da Knorpelund Knochendefekte nicht einfach mit einbezogen werden können. Gänzlich unberücksichtigt bleibt ausserdem die ligamentäre Situation des individuellen Knies. Schliesslich werden mit den aktuellen massgeschneiderten Prothesen materialtechnische Normen unterschritten, sodass es zu Materialermüdung und Prothesenbrüchen kommt. Auch die ConforMIS- Prothesen konnten bisher keine Überlegenheit im Outcome demonstrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass mit diesem System bisher nur relativ einfache Arthroseformen ohne grössere Deformitäten behandelt werden können. Schliesslich kann mit konventionellen modernen Prothesen dank feinerer Grössenabstufungen meistens ein absolut suffizienter Kompromiss für das individuelle Knie erzielt werden.<br /><br /><strong> Wie würde für Sie die ideale Knieprothese aussehen?<br /><br /> B. Christen:</strong> Hergestellt aus neuen Materialien, die eine natürlichere Dämpfung und Elastizität gewährleisten, wie dies beim natürlichen Gelenk mit intaktem Knorpel und Menisken der Fall ist. Dann könnte wohl auch das fehlende vordere Kreuzband besser kompensiert werden. Zu perfektionieren gilt es sicher die Operationstechnik, um das Implantat möglichst perfekt angepasst an die individuelle Anatomie implantieren zu können. Hier scheint momentan die Robotertechnologie am vielversprechendsten. Wenn schon individualisierte Prothese, dann müsste das 3D-Printing intraoperativ unter Berücksichtigung der konkreten Weichteilsituation erfolgen können.<br /><br /><strong> Wovon hängt für Sie der Erfolg einer Knieendoprothese ab?<br /><br /> B. Christen:</strong> Von einer soliden Indikation und den chirurgischen Fähigkeiten des Orthopäden. Des Weiteren spielen Faktoren wie die Kompetenz des Spitals eine Rolle für das Outcome sowie Patientenfaktoren wie Geschlecht, Alter, Komorbiditäten oder die präoperative Beweglichkeit. Dies alles rangiert weit vor dem Stellenwert des Prothesendesigns.<br /><br /><strong> Inwiefern beeinflusst die Indikation Outcome und Patientenzufriedenheit?<br /><br /> B. Christen:</strong> Eine ideal eingesetzte Knieprothese wird zu einem unbefriedigenden Resultat führen, wenn die Indikation dafür nicht korrekt war oder damit die Erwartungshaltung des Patienten nicht erfüllt werden konnte.<br /><br /><strong> Welche Knieprothesen setzen Sie in Ihrer Klinik ein? Was tun Sie für Patientenzufriedenheit und ein gutes Outcome?<br /><br /> B. Christen:</strong> Ich setze verschiedene Knieprothesenmodelle ein, um das konkrete Problem des Patienten möglichst ideal lösen zu können. Der Schlüssel zum Erfolg liegt sicher in einer hohen Anzahl von Teilprothesen, die funktionell zu weit besseren Resultaten führen als Totalprothesen. Allerdings muss man dem Patienten mitteilen, dass mit der Teilprothese ein grösseres Revisionsrisiko erkauft wird. Entscheidend für den Erfolg ist aber auch, dass die Indikation und die Erwartungshaltung des Patienten bezüglich der Erfolgsaussichten, der Risiken und vor allem der Restbeschwerden stimmen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Robertsson O et al.: Acta Orthop Scand 2000; 71-3: 262-7 <strong>2</strong> Bartel DL et al.: J Bone Joint Surg Am 1986; 7: 1041-105 <strong>3</strong> Bistolfi A et al.: J Bone Joint Surg Am 2013; 12: e83 <strong>4</strong> Greene KA: J Arthroplasty 2007; 7(Suppl 3): 27-31 <strong>5</strong> MacDonald SJ et al.: Clin Orthop Relat Res 2008; 466: 2612-6 <strong>6</strong> Murphy M et al.: Int Orthop 2009; 4: 887-93 <strong>7</strong> Thomsen MG et al.: BMC Musculoskelet Disord 2013; 14: 127 <strong>8</strong> Moskal JT, Capps SG: Clin Orthopd Relat Res 2014; 472(7): 2185-93 <strong>9</strong> Baker PN et al.: J Bone Joint Surg Br 2007; 89-B: 893-900</p>
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