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Neue Dimensionen: passgenaue Implantate aus dem 3D-Drucker
Jatros
30
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21.11.2019
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<p class="article-intro">An der Medizinischen Universität Graz wurde kürzlich Österreichs erstes Labor für medizinischen 3D-Druck eröffnet. Der Fokus des ehrgeizigen Projekts liegt auf personalisierten und passgenauen Implantaten.</p>
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<p class="article-content"><p>Mittels 3D-Druck ist es heute möglich, aus zuvor digital erstellten Modellen innerhalb kürzester Zeit ein exaktes Bauteil zu erhalten. Auch für medizinische Anwendungen stellt die Methode eine Innovation dar. In naher Zukunft wird es möglich sein, Körpermodelle z. B. als Operationsvorbereitung, Implantate oder Prothesen zum Einsatz „direkt am Patienten auszudrucken“. „Diese innovative Technologie erfordert jedoch die perfekte Anpassung an die verschiedenen Herausforderungen in diesem hochsensiblen Bereich“, betont Prof. Dr. Ute Schäfer, Leiterin des 3D-Druck-Labors und des COMET K-Projekts „CAMed“ an der Medizinischen Universität Graz. Im Rahmen des COMET KProjekts CAMed (Clinical Additive Manufacturing for Medical Applications) stellt sich ein interdisziplinäres Forschungskonsortium, das aus 20 internationalen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft besteht, genau diesen Herausforderungen. Es geht darum, bestehende additive Fertigungsmethoden sowie Materialien an die weitaus sensibleren Anforderungen der Humanmedizin anzupassen und innovative Methoden und Materialien zu entwickeln. Dadurch soll die Herstellung von personalisierten, passgenauen Implantaten und Prothesen für Patienten innerhalb kürzester Zeit möglich sein.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s42_gruppenfoto_bachler.jpg" alt="" width="650" height="442" /></p> <h2>Vorteil „In-house“-Druck</h2> <p>Um diese Forschungsfragen optimal beantworten zu können, hat die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft KAGes in Kooperation mit der Med Uni Graz am Gelände des LKH-Universitätsklinikums Graz ein medizinisches 3D-Druck- Labor etabliert, in dem unterschiedliche Drucktechnologien zum Einsatz kommen und in unmittelbarer Nähe zu den Patienten an deren Bedürfnisse angepasst werden. Das 3D-Druck-Labor befindet sich zentral im neuen Chirurgie-Gebäude des Universitätsklinikums. Am Projekt sind u. a. Forscher der TU Graz, der Montanuniversität Leoben sowie der Forschungsgesellschaft Joanneum Research beteiligt. Derzeit beinhaltet das Labor Kunststoff-Drucker der CAMed-Projektpartner Apium Additive Manufacturing (Deutschland) und Hage3D (Österreich).</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s43_3d_drucker_bachler.jpg" alt="" width="350" height="298" /></p> <h2>Flexible Rippenimplantate</h2> <p>„Derzeit werden Ersatzteile für Rippen aus einem Stück Metall während einer Operation händisch zurechtgebogen und mit Schrauben am noch vorhandenen Knochen fixiert“, erläutert Schäfer. „Diese Metallrippen können sich jedoch an die ständigen Bewegungen des Brustkorbs nicht anpassen. Früher oder später wird der Druck zu groß und es kommt zu Verformungen oder gar zum Ausreißen aus dem Knochen. Der Patient muss dann nochmals operiert werden und das Spiel beginnt von Neuem.“ Daher forscht das Team um Schäfer daran, Rippenimplantate aus unterschiedlichen Metalllegierungen, basierend auf genauen Patientendaten, mittels 3D-Druck herzustellen. Diese Implantate sind flexibel genug, um sich den Bewegungen des Brustkorbs anzupassen und dem Druck standzuhalten. Diverse Fixierungsmöglichkeiten am Knochen sowie unterschiedliche Oberflächengestaltungen sind ebenfalls Gegenstand der Untersuchungen. Geforscht wird jedoch auch an Rippenersatz aus Polymeren, also Kunststoffen, die den Bedingungen im Brustkorb standhalten.</p> <h2>Implantate für Gaumendefekte</h2> <p>Für die Behandlung von Lippen-, Gaumen- und Kieferspalten sind die Therapiemöglichkeiten in der Medizin derzeit sehr eingeschränkt. Entweder kann eine Platte am Gaumen angebracht oder eine Knochentransplantation aus dem Oberschenkel durchgeführt werden. Beide sind jedoch keine optimalen Lösungen, weil der Patient ständig weiterbehandelt werden muss. Bei CAMed wird an der Herstellung von PEEK-Implantaten (Hochleistungspolymer Polyetheretherketon) für Gaumenspalten mittels FFF-Druck (Fused Filament Fabrication) geforscht, die direkt in den Defekt eingesetzt werden können. Nachdem die Implantate mit Mundschleimhaut bedeckt werden, sollten keine weiteren, komplizierten Operationen mehr notwendig sein.</p> <h2>Kraniofaziale Implantate</h2> <p>Der erste Erfolg des Labors zeigte sich im bereits abgeschlossenen iPRINT-Projekt, in welchem mittels 3D-Druck patientenspezifische PEEK-Implantate zeitnah oder zeitgleich mit einer Schädeloperation hergestellt werden. Nun wird dieses Projekt um weitere thermoplastische Kunststoffe erweitert, die eine neue Dimension gedruckter Schädelimplantate eröffnen sollen. Ein weiteres Ziel ist es, eine 3D-Scanning-Methode zu entwickeln bzw. für den klinischen Gebrauch kompatibel zu machen, die ein berührungsloses Abtasten von Knochenläsionen und eine direkte Übertragung des 3D-Modells an den Drucker ermöglicht.</p> <h2>Individuelle Osteosyntheseplatten</h2> <p>Schienbeinbrüche sind häufig schwierig zu behandeln. „Einerseits müssen die Knochen stabilisiert werden, andererseits muss auch auf das umliegende Gewebe geachtet werden“, unterstreicht Schäfer. Derzeit stehen für die Behandlung dieser Verletzungen keine patientenspezifischen Osteosyntheseplatten zur Verfügung. Daher beschäftigen sich die Forscher im CAMed mit der Herstellung von patientenspezifischen personalisierten Platten von hoher Stärke mittels 3D-Druck während einer Operation. Die Basis für die Herstellung dieser Platten sind Aufnahmen der Frakturen mittels 3D-Scanning.</p> <h2>Gerüste, die das Knochenwachstum anregen</h2> <p>Die Behandlung von großen Knochendefekten nach Tumoren oder Unfällen ist immer noch eine große Herausforderung in der Chirurgie. „Gerüste, die das Knochenwachstum anregen – beschichtet oder nicht beschichtet, aus Zirkonium oder bioaktivem Glas –, könnten eine Lösung für diese Problematik darstellen“, kommentiert Schäfer. Ein erster Schritt ist die Herstellung solcher Gerüste in additiver Fertigung, die dann in den Patienten implantiert werden können. Als zweiter Schritt können diese Gerüste mit mesenchymalen Stammzellen besiedelt werden, um so einen rascheren Heilungsprozess anzuregen.<br /><br /> Derzeit werden sämtliche erforderlichen präklinischen Schritte getätigt, um den Einsatz an Patienten ehestens zu ermöglichen. Erste Pilotstudien mit medizinisch zugelassenen Kunststoffen sind Ende 2019 bis Anfang 2020 geplant. Andere noch nicht zugelassene Materialien müssen für die unterschiedlichen Anwendungsgebiete – wie z. B. Rippenrekonstruktion, Knochenersatz für Gaumenspalten oder auch unfallchirurgische bzw. orthopädische Implantate und Orthesen – vor ihrem Einsatz im Labor oder auch in Modellorganismen ausgetestet werden. Ihre mechanischen Charakteristika müssen ermittelt und ein optimales Qualitätsmanagement muss etabliert werden.<br /> Der Rektor der Medizinischen Universität Graz, Prof. Dr. Hellmut Samonigg, sowie der Chef der KAGes, Prof. Dr. Karlheinz Tscheliessnigg, sehen in diesem Projekt erst den Anfang: Knochenersatz ist jetzt schon möglich, der nächste Schritt wird sein, ein komplettes Gelenk ersetzen zu können und in fernerer Zukunft möglicherweise auch künstliches Gewebe via Matrix einzubauen.</p> <p>Nähere Informationen:<br />www.medunigraz.at/camed</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Eröffnung des Medizinischen 3D-Druck Labors im Rahmen des COMET K-Projekts CAMed, 8. Oktober 2019, Graz
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