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Neue arthroskopische Operationstechnik bei irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen
Jatros
Autor:
Dr. Axel Prodinger
Teamleiter Schulter, LKH Murtal, Standort Stolzalpe<br> E-Mail: axelpeter.prodinger@lkh-stolzalpe.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Massive irreparable Rotatorenmanschettenrupturen stellen nach wie vor eine große Herausforderung dar. Die superiore Kapselrekonstruktion (SCR) mit der Fascia lata als Autograft oder einer extrazellulären dermalen Matrix als Allograft ist eine gute Lösung zur Verhinderung der superioren Kopfmigration durch kraniale Stabilisierung. Der arthroskopische Transfer der langen Bizepssehne als kranialer Stabilisator bietet eine weitere Alternative zur herkömmlichen SCR.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die lange Bizepssehne als bereits vorhandenes natürliches Autograft bietet bei der irreparablen dorsokranialen Rotatorenmanschettenruptur eine ausgezeichnete Alternative zur superioren Stabilisierung.</li> <li>„Reversed biceps tenodesis“ (RBT) ist eine modifizierte Methode der SCR und kann in Kombination mit einem „partial repair“ oder sogar unterstützend zur SCR durchgeführt werden.</li> <li>Die RBT ist ein einfaches, kostengünstiges Verfahren und kann ohne viel Aufwand in arthroskopischer Technik erfolgen.</li> </ul> </div> <h2>Problemstellung</h2> <p>Im Rahmen irreparabler posterosuperiorer Rotatorenmanschettenrupturen kommt es zu einer superioren Translation mit Dezentrierung des Oberarmkopfes. Der Verlust der kranialen Schulterstabilität führt zu einer Störung des biomechanischen Gleichgewichts. In weiterer Folge kommt es zu Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Kraftverlust bis hin zur Arthrose an der betroffenen Schulter.</p> <p>Die Behandlungsmöglichkeiten bei schmerzhafter, irreparabler dorsokranialer Rotatorenmanschettenruptur stellen – vor allem beim jüngeren, aktiven Patienten – für jeden Chirurgen eine große Herausforderung dar. Die Sehnenretraktion, die fettige Muskeldystrophie und die schlechte Sehnenqualität führen bei Refixationsversuchen zu einer hohen Versagensrate. Die Teilrekonstruktion („partial repair“) zur Wiederherstellung des horizontalen Kräftepaars zeigt ebenfalls in den 2-Jahres-Ergebnissen kein befriedigendes Outcome. Der Latissimus-dorsi- Transfer, als technisch schwierige Operation, zeigt unterschiedliche Ergebnisse mit einem doch nicht geringen Komplikationsrisiko. Die Implantation einer inversen Schulterprothese beim jüngeren, aktiven Patienten ist nach wie vor nur als Ultima Ratio indiziert, da doch eine erhebliche Gefahr der Auslockerung besteht.</p> <p>Gerade für solche Fälle ist die SCR eine sehr innovative und – aufgrund der jüngsten klinischen Ergebnisse – vielversprechende Behandlungsmöglichkeit. Dank der kranialen Stabilisierung kann der akromiohumerale Abstand deutlich vergrößert werden. Basierend auf den Prinzipien der superioren Kapselrekonstruktion stellt die RBT eine Modifikation der SCR dar. Die lange Bizepssehne bietet uns ein bereits vorhandenes biologisches Autograft. Sie wird glenoidal am Anker belassen, nach einer Tenotomie im Pulleybereich zum Tuberculum majus transferiert und dort inseriert (Abb. 1). Die Bizepssehne wird somit zum superioren Stabilisator und kann die Kopfmigration nach kranial verhindern. In Kombination mit einem „partial repair“ der Infraspinatussehne oder als Verstärkung der SCR könnte diese neue Operationstechnik eine vielversprechende Behandlungsalternative sein (Abb. 2). Nach mehrfachen Probeimplantationen am Leichenpräparat auf der Anatomie und im Laboratorium konnte ich nun diese neue OP-Technik erstmals in vivo anwenden.</p> <h2>Operationstechnik</h2> <p>Die Indikation zur RBT sollte wie bei der SCR sorgfältig gestellt werden. Eine nicht mehr refixierbare posterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur bei intakter oder zumindest refixierbarer Infraspinatus- und Subscapularissehne und eine vorhandene, intakte lange Bizepssehne stellen die Grundvoraussetzung für die RBT dar. Als relative Kontraindikation gilt eine irreparable ISP/SSC-Ruptur. Auch bei einer fortgeschrittenen Arthrose und bei neurologischen Defiziten, wie einer Axillarisparese, sollte diese Operationsmethode nicht angewendet werden.</p> <p>Unter Allgemeinnarkose und zusätzlichem Scalenusblock wird die Operation in „Beach chair“-Position durchgeführt. Man kann wie bei der SCR 6 Standardportale (posterior, posterolateral, lateral, anterolateral, anterior und Neviaser-Portal) verwenden. Diese sind situationsabhängig und je nach benötigten Risskonfigurationen zu setzen. Obligat sind das hintere, laterale und anterolaterale Portal zur Durchführung der RBT. Als erster Schritt erfolgt die diagnostische Arthroskopie zur Evaluierung der Situation und Begutachtung der Rotatorenmanschette und der Bizepssehnenqualität. Bei einer Subscapularissehnenruptur wird diese als Erstes versorgt. Wenn es die Situation erfordert, wird auch eine ISP-Refixierung durchgeführt.</p> <p>Die intakte lange Bizepssehne wird mithilfe eines „suture passer“, wie dem Scorpion<sup>®</sup> von Arthrex, und eines „Fiber link“-Fadens durchstochen (Abb. 3). Der Stich sollte im Abstand von ca. 2,5cm vom Glenoid erfolgen. Nach der Armierung der Sehne wird eine Tenotomie der Bizepssehne im Pulleybereich durchgeführt. Es sollte te genügend Sehne für die Reinserierung vorhanden sein. Nun erfolgt der Transfer zum vorher angefrischten Footprint am Tuberculum majus. Jetzt kann die „Reversed biceps“-Tenodese mit einem knotenlosen Anker, der zusätzlich mit einem Faden beladen ist (wie der SwiveLock<sup>®</sup>-Anker von Arthrex), vom lateralen Arbeitsportal aus durchgeführt werden. Es ist wichtig, dass der Arm sich während der Tenodese – wie bei der SCR – in 20–30° Abduktion befindet, um eine gewisse Vorspannung zu erzielen. Nach der RBT kann der Sehnenstumpf zusätzlich noch mit dem übrigen Ankerfaden gesichert werden (Abb. 4, 5). Falls es möglich ist, kann auch eine „Sideto- side“-Naht mit der restlichen Rotatorenmanschette durchgeführt werden. Den Abschluss der Operation sollte eine gründliche subakromiale Dekompression bilden.</p> <h2>Nachbehandlung und Rehabilitation</h2> <p>Die postoperative Nachbehandlung ist individuell anzupassen. Sowohl die Bizepssehne als auch die Rotatorenmanschette benötigen unbedingt Zeit, um einheilen zu können. Es sollte auf alle Fälle eine Ruhigstellung mit einem Abduktionskissen für 6 Wochen erfolgen. Die passive Mobilisierung mit einer Abduktion bis 70°, ohne forcierte Außen- und Innenrotation, kann ab dem ersten postoperativen Tag erfolgen, aktiv assistiert im selben Bewegungsumfang ab der 4. Woche. Aktiv ist nach der Verbandsabnahme eine langsame Steigerung möglich. Schwere körperliche Arbeiten sind ein halbes Jahr nicht zu empfehlen.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die RBT ist eine Modifikation der von Mihata beschriebenen Technik der SCR. Das Ziel ist es, durch die Transferierung der langen Bizepssehne zum Tuberculum majus eine kraniale Stabilisierung zu erreichen und somit die Migration des Oberarmkopfes zu verhindern. Dadurch kann der nötige akromiohumerale Abstand wiederhergestellt werden (Abb. 6, 7). Eine Wiederherstellung des Kräftepaars sollte, wenn möglich, immer erfolgen.</p> <p>Die Möglichkeit der Verstärkung der SCR mit der RBT ist ebenfalls gegeben. Ein Vorteil der RBT ist, dass mit der langen Bizepssehne ein lokaler Autograft Verwendung findet, es daher keine Entnahmemorbidität gibt und keine Anker im Glenoid notwendig sind.<br /> Des Weiteren bietet die RBT eine kostengünstige Alternative zur herkömmlichen SCR. Die lange Bizepssehne ist jedoch auch als Schmerzgenerator in der Schulter bekannt. Theoretisch könnte die RBT ebenfalls zu postoperativen Schmerzen führen. In unserem Fall war die Patientin postoperativ schmerzarm und nach 6 Wochen schmerzfrei. Die Kraft konnte jedoch nicht wiederhergestellt werden.<br /> Es bedarf noch weiterer prospektiver Studien, um eine definitive Aussage über die Effizienz der RBT zu machen. Auf alle Fälle sollte man sich diese Möglichkeit offenhalten und sich eine klassische Bizepssehnentenotomie bzw. -tenodese bei nicht mehr verschließbaren Rotatorenmanschettenrupturen gut überlegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1804_Weblinks_jatros_ortho_1804_s46_abb1+2.jpg" alt="" width="1417" height="756" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1804_Weblinks_jatros_ortho_1804_s46_abb3-7.jpg" alt="" width="2150" height="1554" /></p></p>
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