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Komplikationen nach intramedullärer Versorgung per- und subtrochantärer Frakturen
Jatros
Autor:
Dr. Clemens Hirschfeld
Abteilung für Unfallchirurgie und<br> Sporttraumatologie, SMZ Ost – Donauspital, Wien<br> E-Mail: clemens.hirschfeld@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
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<p class="article-intro">Aufgrund jährlich steigender Patientenzahlen von intramedullärer Osteosynthese bei per- und subtrochantären Frakturen und damit einhergehend absolut steigender Zahlen von Komplikationen sowie Revisionseingriffen in Verbindung mit diesem Operationsverfahren, entschloss man sich an unserer Abteilung zur Anlage einer Patientendatenbank. Diese hat das Ziel, zum Zweck der Qualitätssicherung, Fortbildung und wissenschaftlichen Auswertung alle ab dem Jahr 2008 mittels Gamma-Nagel an unserer Abteilung operierten Patienten vorerst retrospektiv zu erfassen und einen Überblick über Komplikationen und Outcome zu erlangen sowie pro futuro zur weiteren Datenanalyse das Patientenkollektiv durch Hinzufügen laufender Fälle am Letztstand zu halten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Mittlerweile werden an unserer Abteilung auch stabile pertrochantäre Frakturen mit gegebener medialer Abstützung mittels Gamma-Nagel versorgt, da rezente internationale Literatur die geringere Komplikationsrate gegenüber dem extramedullären Verfahren der DHS belegen konnte und gerade beim hochbetagten geriatrischen Patienten der deutlich gewebeschonendere Zugangsweg die Rate an Weichteilkomplikationen senkt. Ein weiterer Vorteil des Gamma-Nagels ist die unmittelbare postoperative Mobilisierung unter Vollbelastung, weshalb durch Immobilität verursachte Komorbiditäten und Dekompensationen eines Organsystems mit potenziell letalem Ausgang gegenüber der DHS reduziert werden können. Weiters belegt eine Vergleichsstudie der beiden Implantatformen eine mit 6mm geringere Nachsinterung der Fraktur bei intramedullärer Versorgung gegenüber durchschnittlich 9mm bei Operation mittels DHS. Ungeachtet des Frakturtyps übertragen intramedulläre Verfahren die Biegespannung gleichmäßig auf den medialen und lateralen Pfeiler, während bei fehlender medialer Abstützung beim Verfahren der DHS die Kraft als Biegespannung am lateralen Pfeiler fokussiert wird und es so zum frühzeitigen Verbiegen des Implantats und zur Aufhebung des Gleitprinzips kommen kann.<br /> War früher im angloamerikanischen Sprachraum die intramedulläre Versorgung per- und subtrochantärer Frakturtypen eine Ausnahme, so empfiehlt die American Academy of Orthopaedic Surgeons mittlerweile in den Guidelines aus dem Jahr 2014 ebenfalls die Versorgung mit intramedullären Verfahren bei subtrochantären Frakturen mit sehr hoher Evidenz. Eine deutsche Multicenterstudie mit gesamt 3942 mittels intramedullärer Osteosynthese versorgten Patienten konnte den Nachweis erbringen, dass die gefürchtete Hauptkomplikation des Cutting-outs hauptsächlich mit einer zu ventralen Fehlpositionierung der Schenkelhalsschraube verbunden ist und somit großteils durch präzise Operationstechnik vermeidbar wäre. Die korrekte Platzierung des Zieldrahts für die Schraubenpositionierung ist unabdingbar, da eine korrekturpflichtige Kopfschraubenlage Substanzdefekte hervorruft und deshalb nur durch einen Verfahrenswechsel behoben werden darf.</p> <h2>Methodik der Datenbank</h2> <p>Steigende Fallzahlen hüftnaher Frakturen sowie deren Ätiologie und Pathogenese sind hinlänglich bekannt und in der Literatur zahlreich beschrieben. Die Versorgung mittels intramedullären Osteosyntheseverfahrens stellt heute einen Standardeingriff des in industrialisierten Nationen tätigen Traumatologen dar. Folglich sind natürlich auch vermehrte absolute Zahlen an peri- sowie postoperativen Komplikationen nach diesen vermeintlichen Routineeingriffen zu verzeichnen. Zum Erlangen eines Überblicks über die Komplikationen nach Gamma-Nagel-Operationen an unserer Abteilung wurde im Jahr 2015 begonnen, eine Datenbank zu erstellen, in der alle Patienten, welche ab 2008 mittels Gamma-Nagel operiert wurden, elektronisch erfasst werden. Der Fokus zielt darauf ab, Komplikationshäufigkeiten abhängig von Frakturtyp nach AO sowie gewähltem Implantat (kurzer 200mm-Standard-Gamma-Nagel statisch verriegelt vs. langer Gamma-Nagel) aufzuzeigen und Fallbeispiele für Qualitätssicherung, Fortbildung sowie Mitarbeiterschulungen aus dem erfassten Patientenkollektiv extrahieren zu können.<br /> Die Datenerfassung erfolgte durch Analyse der OP-Bücher und OP-Dokumentationssoftware, die Datenverwaltung wird mittels Microsoft Excel betrieben. Informationen bezüglich Implantatwahl und Komplikationen werden aus den OP-Berichten und Krankenakten übernommen, die Frakturklassifikation erfolgt durch Traumatologen anhand der präoperativen Röntgenaufnahmen an einer Bildbefundungskonsole nach der international anerkannten AO-Klassifikation. Erfasst werden neben Alter und Geschlecht jedes Komplikationspatienten die Frakturseite sowie der Frakturtyp nach AO, die präsowie postoperative stationäre Verweildauer, eine etwaige orale Antikoagulanzientherapie sowie ob eine präoperative Extension mittels Kirschnerdrahts durchgeführt wurde. Weiters werden alle Komplikationen wie Nagelbrüche, Bolzenbrüche, Cutting-out, Schaftsprengungen, Fehlbohrungen oder Schraubenmigration sowie revisionswürdige Weichteilkomplikationen erfasst und alle Revisions- und Folgeeingriffe chronologisch gelistet. Bei Bedarf ist es somit einfach, auf alle fallbezogenen Daten und Röntgenaufnahmen ohne langwierige Recherche zurückzugreifen.</p> <h2>Zwischenergebnis und Ausblick</h2> <p>Ein vorläufiges Zwischenergebnis konnte im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie im Oktober 2016 präsentiert werden. Dabei handelte es sich um die Auswertung der Daten von 1004 Patienten, welche in den Jahren 2008 bis 2012 an unserer Abteilung operativ versorgt wurden. Hierbei zeigte sich eine erhöhte relative Häufigkeit nagelassoziierter Komplikationen beim langen Gamma-Nagel, welcher gesamt in 8 % der Fälle angewandt wurde, mit 29,4 % verglichen mit 70,6 % bezogen auf den Standard-Gamma- Nagel. 42 % der Komplikationen stellte das Cutting-out dar, gefolgt von 15 % Migrationen der Schenkelhalsschraube sowie 9 % Migrationen des distalen Verriegelungsbolzens und 9 % Nagelbrüchen. Weiters fand sich eine geringe Zahl an Hüftkopfnekrosen, Schaftsprengungen, Fehlbohrungen sowie prominent überstehender Schenkelhalsschrauben. Unter den Komplikationspatienten fand sich eine gesamt Reoperationsrate von 72,1 % , davon wurde bei 33,8 % ein Wechsel auf eine Hüfttotalendoprothese vollstreckt, in 20 % fand ein Revisionseingriff ohne Verfahrenswechsel statt und in 18,3 % wurden Weichteilrevisionen durchgeführt. Gesamt zeigte sich eine spezifische Komplikationsrate von 5,98 % , welche sich somit im unteren Drittel im internationalen Vergleich befindet.<br /> Aktuell wird die Datenbank stetig erweitert, es befinden sich derzeit rund 1500 Patienteneinträge darin. Im Jahr 2013 wurden 209, im Jahr 2014 bereits 264 Patienten mittels Gamma-Nagels an unserer Abteilung versorgt, wobei sich aber die operative Revisionsrate von 6,22 % auf 5,30 % verringerte. Ziel ist es, weitere Patientendaten auszuwerten und das nächste Zwischenergebnis über ein Kollektiv von 2000 Patienten bei Erreichen dieser Patientenzahl zu veröffentlichen. Da sich die meisten nagelassoziierten Komplikationen in einem Zeitraum von unter 12 Monaten nach Implantation ereignen, ist unser Ziel nach vollständiger Erfassung aller Patienten, zukünftig jeweils mit Ende des Folgejahres gebündelt die Komplikationsauswertung vorzunehmen, um die Mindest-Follow-up-Dauer von 12 Monaten nicht zu unterschreiten. Nachträglich aufgetretene Komplikationen werden bei Wiedervorstellung an der Abteilung jeweils individuell aktualisiert.</p> <h2>Exemplarisches Fallbeispiel</h2> <p>Eine 68-jährige Patientin zog sich bei einem Sturz unter Clopidogrel-Therapie eine per- und subtrochantäre Femurfraktur links AO31-A3.3 zu. Nach Umstellung der Antikoagulation und Normalisierung der Gerinnungswerte wurde am 5. Tag nach Aufnahme die Osteosynthese mittels 360mm-Gamma-Nagels geplant. Aufgrund einer unphysiologischen vermehrten Antekurvation des Femurschaftes sowie eines extrem engen Markraums trotz Aufbohrens in gewohntem Ausmaß kam es intraoperativ zur Komplikation einer Schaftsprengung. Die Problematik konnte beim Ersteingriff durch Einbringen eines 240mm-Gamma-Nagels nach Aufbohren des Markraumes auf 14,5mm Durchmesser, Anlagerung von Spongiosa in die Defektzone sowie Verplattung der distalen Defektzone beherrscht werden. In der Röntgenkontrolle nach 10 Tagen zeigte sich jedoch die Nagelspitze des Gamma- Nagels nach ventral durchgebrochen, folglich wurde eine CT des Femurs durchgeführt, um nach Ausmessung der exakten Schaftachse ein maßgefertigtes Spezialimplantat anfertigen zu lassen. Bis zur Anfertigung des Spezialimplantates mit vermehrter Antekurvation und einer Länge von 360mm bei Standarddurchmesser wurde die Patientin teilbelastend mobilisiert, die endgültige osteosynthetische Versorgung erfolgte komplikationsfrei 8 Wochen nach dem Primäreingriff. Nach intensiver Bewegungstherapie konnte die Patientin schließlich nach weiteren 4 Wochen schmerzfrei und vollbelastend bei blandem Gangbild und ohne verbleibende Fehlstellungen entlassen werden.</p> <h2>Take-Home-Message</h2> <p>Eine sorgfältige und übersichtliche Datenerfassung hat besonders in Zeiten steigender Eingriffszahlen trotz anfänglichen Mehraufwands deutliche Vorteile, da hiermit auf Dauer mittels vereinfachten Zugriffs relevante Kennzahlen und Ergebnisse wissenschaftlich extrahiert und aufgearbeitet werden können. Von der Verbesserung der Operationsresultate durch daraus abgeleitete und zur Lehre und Fortbildung angewandte Fallbeispiele profitiert letztendlich der Patient. Peri- und postoperative Komplikationen nach intramedullärer Osteosynthese werden niemals gänzlich vermeidbar sein, durch aktive Fehleranalyse und Fortbildungen ist die Komplikationsrate jedoch sicherlich noch weiter auf noch bessere Resultate zu senken. Das Fallbeispiel zeigt, dass selbst schwere Komplikationen durch auf den individuellen Patienten fokussierte Lösungsansätze auf Dauer ohne Folgeschäden beherrschbar sein können.<br /> Internationale Studien belegen, dass die intramedulläre Versorgung der trochantären Frakturen unabhängig vom Frakturtypus indiziert ist und keine zwingende Indikation zur Anwendung einer extramedullären Osteosynthese besteht. Die Gesamtkomplikationsrate unseres Patientenkollektivs von 5,98 % mit weiterhin sinkender Tendenz bestätigt unsere Vorgehensweise bezüglich der Implantatwahl und deckt sich mit weiteren internationalen Publikationen. Die raschere Mobilisierung des betagten Patienten ist durch die damit einhergehende Senkung immobilitätsbedingter Komorbiditäten von Vorteil für den Patienten und bietet einen nicht zu verachtenden positiven gesundheitsökonomischen Nebenaspekt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s38_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="717" /></p></p>
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