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Klassifikation von Kurzschaftsystemen in der Hüftendoprothetik
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Jerosch
Chefarzt Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss E-Mail: j.jerosch@ak-neuss.de
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-intro">Der Trend zu minimal invasiven Zugängen und die Probleme, die beim Oberflächenersatz auftreten, haben zur Weiterentwicklung von Kurzschaftprothesen geführt. Mit schenkelhalsteilerhaltenden Systemen können durch den guten Erhalt von Offset und Beinlänge klinisch exzellente Ergebnisse erreicht werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der endoprothetische Ersatz des Hüftgelenkes ist eine extrem erfolgreiche Operation, er wurde sogar als Operation des Jahrhunderts bezeichnet (Learmonth et al 2007). Die Patienten, die eine endoprothetische Hüftversorgung erhalten, sind zunehmend aktiver und anspruchsvoller und haben das Ziel einer guten Hüftfunktion. Eine steigende Anzahl der Patienten ist zum Zeitpunkt der Operation jünger als 60 Jahre (Jerosch 2013). Dieser Trend hat dazu geführt, dass gerade weichteilschonende und knochensparende Operationstechniken von Patienten immer mehr nachgefragt werden. Hierbei gilt es, verschiedene Ziele zu erreichen. Zum einen ist der Knochenerhalt während der Operation wichtig. Es darf jedoch zum anderen nicht ohne Berücksichtigung bleiben, dass auch der Knochenerhalt im Laufe der weiteren Jahre ganz relevant ist („osteogene Kompetenz des Implantates“) (Salemyr et al 2015; Yamako et al 2015). Manche Implantate sind hier durch ein ausgesprochenes Stress-Shielding gekennzeichnet, was im Laufe der Jahre zu erheblichen Knochenverlusten führen kann. Daneben ist auch die Rekonstruktion der Beinlänge und des Offsets ein ganz wichtiges Element. Beide Faktoren hängen voneinander ab. Bei guter Rekonstruktion des Offsets ist zur Stabilisierung des Hüftgelenkes eine Beinverlängerung nicht notwendig (Weber et al 2014; Kutzner et al 2014; Jerosch et al 2011; Jerosch 2014), sie wurde daher früher bei der Versorgung von Patienten mit Endoprothesen nicht ausreichend beachtet (Jerosch, Funken 2004). Dies hat dazu geführt, dass nach wie vor bei einer Vielzahl von Patienten postoperativ eine Beinlängendifferenz zum Teil mit erheblichen funktionellen Einschränkungen zu erkennen ist (Edeen et al 1995).</p> <h2>Inhomogene Nomenklatur</h2> <p>Im Rahmen dieses Trends wurden minimal invasive Zugänge entwickelt (Basad et al 2009), welche das Weichteiltrauma, insbesondere den Grad der Muskelverletzung, deutlich reduzierten (Jerosch et al 2012). Gleichzeitig kam es nach Erkennen der Problematik beim Oberflächenersatz zu klinisch relevanten Weiterentwicklungen im Bereich der Kurzschaftprothesen (Jerosch 2011, 2016). Das zunehmende Interesse an Kurzschaftprothesen zeigt sich auch an den Verkaufszahlen in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Während die Standardschäfte mehr oder weniger konstant bleiben, kommt es doch zu einem deutlichen prozentualen Anstieg der Zahl der Kurzschaftprothesen.</p> <p>Im klinischen Alltag, aber auch in der wissenschaftlichen Literatur findet sich jedoch eine große Inhomogenität bei der Nomenklatur dieser Systeme. Es finden sich Begrifflichkeiten wie schenkelhalserhaltende Prothesen, meta-, epiphysär, metadiaphysär verankerte Prothesen, Mikroprothesen, ultrakurze Schäfte, Schenkelhalsprothesen u.v.a.m. <br /> Biomechanisch reichen die Implantate von den sehr kurzen, den Schenkelhals nahezu komplett erhaltenden Systemen (Spiron-Prothese, Silent-Prothese, BHRMR) bis hin zu Prothesen, bei denen nur der distalste Teil von Standardprothesen gekürzt wurde. Letztendlich handelt es sich bei diesen Schäften um Systeme, die den Standardschäften sehr ähnlich sind.</p> <p>Ein Versuch der Klassifikation wurde verschiedentlich in der Literatur durchgeführt (Khanuja et al 2014; Falez et al 2015). Feyen und Shimmin (2014) verfolgen bei ihrer Klassifikation vornehmlich die Länge des Schaftes und die Fixierung im Knochen. Falez et al (2015) klassifizieren in Schenkelhalsprothesen, Teil-Schenkelhalsprothesen, trochanter­erhaltende und trochanterverletzende Prothesen. Morlock und Bishop (2011) differenzieren Prothesen mit extramedullärer Abstützung (z.B. Druckscheibenprothese), intramedullärer Abstützung sowie Prothesen ohne Abstützung. Nach dieser Klassifikation sind die derzeit im Markt relevanten Kurzschaftprothesen Prothesen mit intramedullärer Abstützung.</p> <p>Eine in der Literatur mehrfach zitierte Klassifikation empfiehlt, die Osteotomiehöhe als diskriminierenden Faktor zu wählen (Jerosch et al 2011, 2016). Diese unterscheidet in schenkelhalserhaltende, schenkelhalsteilerhaltende und schenkelhalsresezierende Kurzschäfte. Hierbei werden nicht nur die Länge der Prothese, sondern insbesondere auch die zugrunde liegende Biomechanik sowie die Implantatverankerung berücksichtigt (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s24.jpg" alt="Tab.1" width="2150" height="1022" /></p> <h2>Schenkelhalserhaltende Prothesen</h2> <p>Am meisten Knochen bleibt primär bei den schenkelhalserhaltenden Systemen bestehen. Hierbei sind jedoch eine sehr gute Knochenqualität sowie ein CCD-Winkel von über 130 Grad notwendig (Cut/ESKA, Silent/DePuy, Spiron/K-implant).</p> <h2>Schenkelhalsresezierende Prothesen</h2> <p>Bei den schenkelhalsresezierenden Systemen erfolgt weitestgehend eine Standardresektion des Schenkelhalses. Um die individuelle patientenadaptierte Biomechanik (Offset, Beinlänge) herzustellen, ist es notwendig, entweder mit einer großen Zahl von Schaftgrößen (z.B. Fitmore) oder mit einer modularen Prothese (z.B. Metha) zu arbeiten. Nur so können dann entsprechende Rekonstruktionen von Offset, Beinlänge, Ante- und Retrotorsion durchgeführt werden (Jerosch 2013). Eine der klassischen Prothesen in diesem Bereich, die Mayo-Prothese (1985) der Firma Zimmer, hatte schon frühzeitig gute klinische Langzeitergebnisse gezeigt. Aufgrund des hohen CCD-Winkels war sie jedoch nicht in der Lage, Beinlänge und Offset ausreichend zu korrigieren (Abb. 1). Diese Prothese ist zwischenzeitlich vom Markt genommen.</p> <p>Die ursprünglich konzeptionell ähnliche Metha-Prothese (Aesculap) versuchte, die Nachteile der Mayo-Prothese durch Modularität auszugleichen (von Lewinski 2015). Hier kam es jedoch im Bereich des Konus zu Materialversagen, sodass eine Monoblockprothese entwickelt wurde, die auch der Notwendigkeit des reduzierten CCD-Winkels Rechnung trug. <br />Die ebenfalls schenkelhalsresezierende Proxima-Prothese war sehr trochanterausfüllend und hat hier zu erheblichem Knochenverlust geführt; sie ist auf dem deutschen Markt nicht mehr erhältlich. Die Fitmore-Prothese der Firma Zimmer-Biomet benötigt eine hohe Zahl von Designvarianten (56 Schäfte), um Offset und Beinlänge zu rekonstruieren (Jerosch 2012).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s25_1.jpg" alt="Abb. 1" width="1417" height="815" /></p> <h2>Schenkelhalsteilerhaltende Prothesen</h2> <p>Die größten Möglichkeiten hinsichtlich der Rekonstruktion von Beinlänge und Offset bieten die schenkelhalsteilresezierenden Implantate, welche die Beinlänge und das Offset nicht durch Metall (hohe Anzahl an Prothesentypen oder Modularität), sondern durch Knochen (Höhe der Resektion) rekonstruieren (Jerosch 2013; Pfeil 2014) (Abb. 2).</p> <p>Bei Positionierung des Implantates im Rahmen der präoperativen Planung wird die Resektionshöhe entsprechend festgelegt. Das Prinzip ist hier eine sogenannte Top-down-Planung. Das bedeutet, dass zunächst das Rotationszentrum der Pfanne festgelegt wird. Dann wird ein Schaft gewählt, welcher ein „fit and fill“ des Schenkelhalses ermöglicht. Dieses legt dann die Resektionsebene fest (Abb. 3). Entsprechend wird der Schaft intraoperativ individuell der Anatomie im Varus- und Valgus-Sinne angepasst.<br /> Eine tiefe Osteotomie ist üblicherweise bei einer valgischen Positionierung notwendig und eine hohe Resektion mit varischer Positionierung bei einer varischen Hüfte (Kutzner et al 2014; Jerosch 2012).</p> <p>Ursprünglich wurde ein Schenkelhalserhalt bereits durch Charnley konzeptionell angestrebt, um ein erhöhtes Offset zu erhalten (Abb. 4). In der Kurzschaftendoprothetik sind frühe Beispiele für schenkelhalsteil­erhaltende Kurzschäfte der Pipino-Schaft von 1978 (Link) sowie der C.F.P.-Schaft von 1999 (Link). Die Philosophie dieser Schäfte konsequent weiter fortgeführt haben u.a. Schäfte wie der Nanos-Schaft 2004 (Smith & Nephew), die MiniHip 2007 (Corin) sowie der Optimys-Schaft 2010 (Mathys).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s25.jpg" alt="Abb. 2-4" width="2109" height="1153" /></p> <p>Bezüglich der Operationstechnik bieten die schenkelhalsteilresezierenden Prothesen die Vorteile der Weichteil- und Muskelschonung im Vergleich zu den konventionellen Standard-Geradschäften (Pfeil, Siebert 2010). Weiterhin wird der Trochanter-major-Bereich ossär geschont. Die Lernkurve ist kurz und beinhaltet insbesondere die adäquate präoperative Planung. Dennoch sollte von Firmen das Konzept „no train - no use“ beachtet werden. Intraoperativ ist darauf zu achten, dass nach Resektion die Prothese im posterolateralen Quadranten der Resektionsebene eingebracht wird. Dies erlaubt eine sogenannte „Around corner“-Technik (Jerosch 2013). <br /> Durch den guten Erhalt von Offset und Beinlänge sind klinisch exzellente Ergebnisse zu erreichen (Kutzner et al 2014; Ettinger et al 2013). Babisch (2013) zeigte mittels digitaler Planung unterschiedlicher Schenkelhalsgeometrien (varisch, valgisch), wie Beinlänge und Offset präzise mit diesen schenkelhalsteilerhaltenden Kurzschäften rekonstruiert werden können. Es zeigt sich, dass auch schwierige anatomische und biomechanische Situationen des proximalen Femurs, beispielsweise bei angeborenen Anomalitäten, Dyplasien oder nach Trauma, mit schenkelhalsteilresezierenden Kurzschaftendoprothesen durchaus gut anatomisch zu versorgen sind. Dies ist mit Standardschäften gerade nicht der Fall, was sich insbesondere bei erheblich vermehrter Antetorsion auswirkt (Windhagen 2015).</p> <p>Hinsichtlich der Frage der primären und sekundären Stabilität kann man festhalten, dass schenkelhalserhaltende Kurzschaftsysteme im Vergleich zu klassischen Geradschäften eine gleich gute oder sogar verbesserte primäre Stabilität aufweisen (Bieger et al 2012). Die sekundäre Stabilität mittel DEXA- oder Röntgenuntersuchung zeigt eine stabile Situation (Kutzner et al 2016; Freitag et al 2014; Budde et al 2015, Ercan et al 2015). Eine initiale femorale Sinterung kann durch eine 6-wöchige Teilbelastung in der Regel verhindert werden (Bishop et al 2010).</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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