
©
Getty Images/iStockphoto
Inverse Schulterendoprothetik: Update 2019
Jatros
Autor:
Dr. Leo Pauzenberger
Sports Surgery Clinic, Dublin, Irland<br> E-Mail: leopauzenberger@rcsi.com
Autor:
Dr. Werner Anderl
Vienna Shoulder and Sports Clinic, Wien<br> Schulter und Sport Zentrum Mödling<br> E-Mail: ordination@anderl.at
30
Min. Lesezeit
19.09.2019
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die Schulterendoprothetik hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant weiterentwickelt. Mit sich stetig erweiternden Indikationen sind insbesondere inverse Schulterprothesen aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Trotz des überwiegenden Erfolgs inverser Schulterprothesen sind diese nicht frei von Problemen. Aktuelle Kontroversen betreffen den optimalen humeralen Hals-Schaft-Winkel (135° vs. 155°), die optimale glenoidale Komponentenkonfiguration (medialisiert vs. lateralisiert), die Subscapularis-Refixation sowie die Verfeinerung des Indikationsspektrums.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Seit ihrer Einführung nimmt die Anzahl an implantierten inversen Schulterprothesen kontinuierlich zu – Tendenz stark steigend.</li> <li>Aufgrund eines sich stetig erweiternden Indikationsspektrums sind inverse Schulterprothesen aus dem klinischen Alltag kaum mehr wegzudenken.</li> <li>Dennoch sollte eine unreflektierte Indikationsstellung vermieden werden, da inverse Schulterprothesen trotz generell guter Ergebnisse nicht frei von Problemen sind.</li> <li>Präzise Indikationsstellung und ausreichend operative Erfahrung sind für optimale Ergebnisse und niedrige Komplikationsraten notwendig.</li> </ul> </div> <h2>Geschichte und Ausblick</h2> <p>Genau genommen ist die Schulterendoprothetik mittlerweile 125 Jahre alt und hat seit der ersten Implantation einer Schulterendoprothese zur Behandlung einer Tuberkulose durch den französischen Chirurgen Jules Émile Péan im Jahr 1893 eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht.<sup>1</sup> Nach ersten inversen Prothesendesigns in den 1970er-Jahren kam es durch die Weiterentwicklung dieser Systeme durch Grammont Ende der 1980er-Jahre zu einem bedeutenden technischen Schritt vorwärts. Die größte Innovation dieses Designs lag in der Medialisierung des Drehzentrums direkt an die Glenoidoberfläche. Dies legte den Grundstein für den Siegeszug der modernen inversen Schulterprothetik.<sup>2</sup> Im Laufe der letzten Jahrzehnte kam es durch zunehmendes biomechanisches Verständnis, entsprechende Weiterentwicklungen des Prothesendesigns und verbesserte klinische Ergebnisse zu einer rasanten Zunahme der Zahl an implantierten Schulterprothesen.<sup>3, 4</sup> Laut rezenten Schätzungen aus den USA wird der Bedarf an Schulterprothesen insgesamt bis zum Jahr 2030 in der Gruppe der unter 55-Jährigen um 333 % und in der Gruppe der über 55-jährigen sogar um 755 % zunehmen, wobei jüngere Patienten insgesamt nur ca. 4 % des Volumens ausmachen. Dies würde einer Zunahme an Schulterprothesenimplantationen von 8,8/100 000 im Jahr 2011 auf 185/100 000 insgesamt bzw. 540/100 000 Personen in der Gruppe der über 55-Jährigen im Jahr 2030 entsprechen (Abb. 1).<sup>3</sup> Alternde Bevölkerung und Fokus auf hohe Lebensqualität bis ins hohe Alter treiben vor allem die Implantation inverser Schulterprothesen weltweit an.<sup>3, 4</sup><br /> Dieser Trend lässt sich weltweit in Prothesenregistern nachverfolgen. So zeigte sich im australischen Register, dass 2012 erstmals mehr inverse als anatomische Schulterprothesen implantiert wurden. Derzeit machen die inversen Systeme 64 % aller implantierten Schulterprothesen aus.<sup>5</sup> Selbiges ergibt sich aus den norwegischen und britischen Registern, wobei hier 2015 bzw. 2016 erstmals überwiegend inverse Schulterprothesen implantiert wurden.<sup>6, 7</sup> Laut deutschem Register nahm die Zahl der implantierten inversen Schulterprothesen von 2008 auf 2012 um 273 % zu.<sup>8</sup> Im Register der Region Emiglia Romagna machten inverse Schulterprothesen 2015 bereits 61 % aller Implantate aus.<sup>9, 10</sup> Auch in den USA, wo die Zulassung inverser Schulterprothesen durch die FDA erst 2004 erfolgte, machen laut letzter Schätzungen aus dem Jahr 2011 bereits ein Drittel aller implantierten Schulterprothesen inverse Schulterprothesen aus – Tendenz weiterhin stark steigend.<sup>11</sup><br /> Obwohl die häufigste Indikation für die Verwendung einer inversen Schulterprothese die Rotatorenmanschetten-Defektarthropathie darstellt, hat sich das Indikationsspektrum im Laufe der letzten Jahre ständig erweitert und umfasst nun auch viele Pathologien, welche mit anatomischen Schulterprothesen nur schwierig oder eingeschränkt zufriedenstellend adressiert werden konnten. Unter anderem finden inverse Schulterprothesen heutzutage regelhaft Anwendung in der Behandlung akuter proximaler Humerusfrakturen sowie deren chronischen Folgezuständen, zur Revision anatomischer Schulterprothesen, bei signifikantem Knochenverlust oder schweren Deformitäten des Glenoids, chronischen verhakten Luxationen, irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen, gegebenenfalls auch ohne fortgeschrittene degenerative Veränderungen, oder auch in der Tumorchirurgie. Nachdem sich in wissenschaftlichen Studien vielversprechende Ergebnisse auch bei jüngeren Patienten gezeigt haben, geht auch der allgemeine klinische Trend eindeutig zur Verwendung inverser Schulterprothesen bei immer jüngeren Patienten.<sup>12–21</sup><br />Zu den Kontraindikationen zur Versorgung mit inversen Schulterprothesen zählen Schädigungen des N. axillaris, Deltoideusinsuffizienzen, schwere Deformitäten des Glenoids mit Unmöglichkeit der Komponentenverankerung und neurogene Arthropathien.<sup>22, 23</sup> Es ist an dieser Stelle allerdings anzumerken, dass die Implantation in den genannten Situationen durchaus sinnvoll sein kann. Jedoch ist in diesen Fällen bei gleichzeitig deutlich erhöhtem Risiko für intra- sowie postoperative Komplikationen allenfalls mit einer Schmerzlinderung zu rechnen, nicht jedoch unbedingt mit einer Verbesserung der Funktion.<br />Trotz guter mittelfristiger Ergebnisse zeigte sich in der Literatur, dass sich mit zunehmendem Nachuntersuchungszeitraum, circa ab dem 10. Jahr nach Implantation, die klinischen Ergebnisse merklich verschlechterten. Höchstwahrscheinlich beruht dies auf einer Kombination aus dem fortgeschrittenen Alter der Patienten und der Degeneration des M. deltoideus aufgrund veränderter Biomechanik.<sup>24</sup> Dies konnten wir auch in eigenen Untersuchungen bestätigen, wobei sich in der 15-Jahres-Nachuntersuchung im Vergleich zur nicht operierten Gegenseite durch die iatrogene Verlängerung des Deltoideusmuskels eine axionale und chronische neurogene Schädigung im NLG bzw. EMG zeigten.<sup>25</sup> Ob dieser Tendenz mit Verwendung der neuesten Generation inverser Schulterprothesen entgegengewirkt werden kann, muss erst durch Langzeitstudien über die nächsten Jahre geklärt werden.<br /> Adäquate Indikationsstellung und Operationstechnik vorausgesetzt lassen sich wohl mit den meisten sich heute am Markt befindlichen inversen Schulterprothesensystemen grundsätzlich gute klinische Ergebnisse erzielen. Entsprechend sind die Ziele moderner inverser Schulterprothesensysteme: Schmerzreduktion, Wiederherstellung eines größtmöglichen Bewegungsumfanges, Minimierung von „scapular notching“ und Stressfrakturen, Stabilität, Erhaltung des Knochens sowie Verlängerung der Prothesen-Standdauer.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1905_Weblinks_j_ortho_1905_abb1_s15_pauzenberger.png" alt="" width="748" height="859" /></p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Die Rotatorenmanschetten-Defektarthropathie mit schmerzhafter Pseudoparalyse stellt die klassische Indikation zur Versorgung mit einer inversen Schulterprothese dar. Da aufgrund der fehlenden Rotatorenmanschette die Zentrierung des Oberarmkopfes im Glenohumeralgelenk nicht mehr gewährleistet ist, ist den Patienten die Durchführung alltäglicher Tätigkeiten oft nicht mehr möglich. Diese Kombination stellt eine dankbare Indikation für die inverse Schulterprothetik mit äußerst guten, zuverlässigen Ergebnissen dar. Unabhängig von Prothesendesign oder -system lassen sich für diese Indikation eine deutliche Verbesserung des Bewegungsumfangs sowie eine verlässliche Schmerzreduktion erreichen. Dabei können reproduzierbar eine Abduktion und anteriore Elevation über 100° sowie eine suffiziente Innenrotation erreicht werden, wobei jedoch die Außenrotation in Abhängigkeit der posterioren Rotatorenmanschette nicht immer zufriedenstellend wiederhergestellt werden kann.<sup>26</sup> Eine mögliche Lösung bietet hier die Verwendung von inversen Schulterprothesen mit glenoidaler Lateralisation, gegebenenfalls in Kombination mit humeraler Lateralisation durch einen 135°-Schaft-Hals-Winkel, welche die Außenrotation effektiv zu verbessern scheint.27–29 Um die Außenrotation auch mit traditionellen Grammont-Design-Systemen verbessern zu können, kann ein zusätzlicher Latissimus-dorsi-Transfer durchgeführt werden.<sup>30, 31</sup><br /> Traditionellerweise sind inverse Schulterprothesen aufgrund der höheren Komplikationsrate, vergleichsweise eingeschränkter Funktion sowie einer komplexen Ausgangssituation im Revisionsfall eher Patienten über 60 Jahre vorbehalten.<sup>20, 24, 56, 57</sup> Im Zuge des sich erweiternden Indikationsspektrums und Erfahrungsschatzes werden trotz eingeschränkter Datenlage auch immer jüngere Patienten mit inversen Schulterprothesen versorgt. <sup>14, 15, 58</sup> Grundsätzlich lassen sich bei adäquater Indikationsstellung bei jüngeren, aktiven Patienten gute klinische Ergebnisse erzielen, jedoch zeigen sich relativ hohe Komplikationsraten von bis zu 38 % sowie verminderte Standzeiten von nur 76 % zum 10-Jahres-Zeitpunkt.<sup>14, 15, 58</sup><br /> Proximale Humerusfrakturen zählen zu den häufigsten Frakturen älterer Patienten.<sup>32</sup> Obwohl eine konservative Behandlung oft suffizient ist, müssen diese Frakturen dennoch regelmäßig operativ versorgt werden.<sup>33</sup> Grundsätzlich ergeben sich als mögliche operative Verfahren die offene Reposition und interne Fixation, perkutane oder andere weniger invasive Fixationstechniken sowie verschiedene Varianten der endoprothetischen Versorgung. Besonders bei Patienten mit Mehrfragmentfrakturen, einem Alter über 70 Jahre, osteoporotischem Knochen oder hohem Risiko für avaskuläre Nekrose hat sich die primäre endoprothetische Versorgung bewährt. Dabei bieten inverse Schulterprothesen mittelfristig die verlässlichsten klinischen Ergebnisse.<sup>34–37</sup> Trotz dieser guten Ergebnisse sollte – vor allem bei jüngeren Patienten – die Indikation zur endoprothetischen Versorgung mit Bedacht gestellt werden, da diese im Vergleich zur Primärendoprothetik in der Fraktursituation mit Komplikationsraten von bis zu 68 % vergesellschaftet ist.<sup>38</sup><br /> Nicht nur zur Versorgung von akuten Humerusfrakturen, sondern auch bei Pseudoarthrosen oder posttraumatischen Zuständen haben sich inverse Schulterprothesen bewährt. So konnten damit eine signifikante Schmerzreduktion, eine Verbesserung der Funktion und eine hohe Patientenzufriedenheit erreicht werden.<sup>39, 40</sup> Jedoch zeigte sich in der posttraumatischen Situation auch eine hohe Rate an Komplikationen, allen voran postoperativen Instabilitäten.<sup>41, 42</sup> Es empfiehlt sich, eine möglichst große Glenosphäre zu verwenden, um eine adäquate Weichteilspannung zu gewährleisten und Komponentenimpingement vorzubeugen. Weiters sollte die Tuberkula inklusive Rotatorenmanschetten unbedingt erhalten bzw. refixiert werden.<sup>41, 42</sup><br /> Bei Patienten mit ausgeprägten Deformitäten des Glenoids oder Knochenverlust hat sich die Verwendung von inversen Schulterprothesen als vorteilhaft gegenüber anatomischen Implantaten erwiesen. Vor allem im Falle eines bikonkaven Glenoids oder deutlicher Retroversion (Glenoid- Typ 2B bzw. C nach Walch) mit Dezentrierung des Humeruskopfes können mit inversen Schulterprothesen zuverlässig stabile Gelenksverhältnisse erzielt werden.<sup>43, 44</sup> Oft kann bei Verwendung inverser Schulterprothesen auf eine aufwendige Glenoidaugmentation verzichtet werden, die mit einer anatomischen Schulterprothese jedenfalls notwendig wäre.<sup>45</sup><br /> Auch in der Tumororthopädie mit ausgedehntem Knochenverlust hat sich die Verwendung von inversen Schulterprothesen bewährt. Jedoch ist besonders bei ausgedehnten Weichteil- und Knochendefekten darauf zu achten, dass für zufriedenstellende Ergebnisse die Funktion des N. axillaris und M. deltoideus zumindest teilweise erhalten sein sollte.<sup>46, 47</sup><br /> Chronisch verhakte Luxationen sind mit anatomischen Schulterprothesen aufgrund ausgeprägter Weichteilkontrakturen und postoperativer Luxationstendenz mittelbis langfristig oft nicht zufriedenstellend zu versorgen. Im Gegensatz dazu lassen sich mit inversen Schulterprothesen auch nach chronischer Dislokation mit ausgeprägten Knochensubstanzdefekten langfristige Stabilität und gute klinische Ergebnisse erzielen.<sup>48–51</sup><br /> Nach fehlgeschlagener primärer Prothesenversorgung ergeben sich durch Rotatorenmanschettendefekte, Knochenverlust sowie ausgeprägte Weichteilkontrakturen oft Situationen, welche die neuerliche Verwendung einer anatomischen Hemi- oder Totalendoprothese erschweren bzw. unmöglich machen.<sup>52</sup> In diesen Fällen hat sich die Verwendung inverser Schulterprothesen als zuverlässige Alternative herausgestellt, wobei jedoch im Revisionsfall die Komplikations- und Versagensraten im Vergleich zum Primäreingriff deutlich erhöht sind. So zeigten sich Komplikationsraten um ca. 30 % sowie Re-Revisionsraten zwischen 20 % und 30 %.<sup>16, 53–55</sup></p> <h2>Komplikationen</h2> <p>Bei allen positiven Ergebnissen darf nicht vergessen werden, dass inverse Schulterprothesen nicht frei von Problemen und Komplikationen sind. In der Literatur wird von Komplikationsraten zwischen 19 % und 68 % berichtet, wobei die Hauptprobleme Instabilität, Infektion, Komponentenlockerung, „scapular notching“, periprothetische Frakturen und Skapulafrakturen darstellen. Es sei hierbei allerdings gesagt, dass die berichteten Komplikationsraten in der Literatur abhängig von Indikationen und verwendeten Prothesendesigns stark variieren.<sup>59–62</sup><br /> Dislokationen sind mit einer Inzidenz von 2–31 % relativ häufig und aufgrund oft notwendiger operativer Revision eines der Hauptprobleme inverser Schulterprothesen.<sup>63</sup> Der überwiegende Teil der Dislokationen ereignet sich innerhalb der ersten 6 postoperativen Monate, wobei in diesem Zeitraum meist von einem technischen Problem auszugehen ist, welches wiederum meist operativ behoben werden muss. Ereignet sich eine Dislokation nach über einem Jahr, ist hingegen auch oft eine geschlossene Reposition alleine erfolgreich<sup>.</sup><sup>64, 65</sup> Als patientenbezogene Risikofaktoren haben sich ein BMI > 30, männliches Geschlecht, Voroperationen sowie Subscapularisinsuffizienzen herausgestellt. Als beeinflussbare Faktoren konnten eine unzureichende Deltoideusvorspannung, suboptimal positionierte Implantate, Komponentenimpingement, Subscapularisrefixation sowie der operative Zugang identifiziert werden.<sup>66–69</sup> Außerdem zeigte sich ein geringeres Luxationsrisiko bei Prothesensystemen mit 135° humeralem Schaft-Hals-Winkel verglichen mit 155°-Designs.<sup>66–69</sup><br /> Infektionen stellen auch in der Schulterendoprothetik eine gefürchtete Komplikation dar. Die Inzidenz ist mit 1–15 % bei inversen dabei bis zu 6-mal höher als bei anatomischen Schulterprothesen. Besonders hoch ist das Infektionsrisiko im Revisionsfall und in posttraumatischen Situationen.<sup>59, 66, 70, 71</sup><br /> „Scapular notching“ (Kontakt der humeralen Komponenten mit dem Skapulahals) ist ein designbedingtes, spezifisches Problem inverser Schulterprothesen, das in 47–97 % aller Fälle im klassischen Grammont-Design (155° humeraler Schaft-Hals-Winkel) auftritt.<sup>59, 66</sup> Durch die veränderte Geometrie ist das Risiko eines solchen Kontaktes zwischen Inlay bzw. Metaphyse und Skapulahals bei Prothesendesigns mit 135° humeralem Schaft-Hals-Winkel oder lateralisierter Glenoidkomponente deutlich geringer.<sup>72, 73</sup> Neben einem humeralen Hals- Schaft-Winkel von 155° stellen ein anterosuperiorer Zugang, eine zu weit superiore Basisplattenposition am Glenoid sowie eine kraniale Verkippung der Basisplatte weitere Risikofaktoren für „scapular notching“ dar, während exzentrische Glenosphären mit inferiorem Offset oder lateralisierende Glenoidkomponenten dieses Risiko verringern.<sup>72, 73</sup> Die klinische Relevanz des „scapular notching“ ist weiterhin noch nicht eindeutig geklärt. Da wohl, vor allem bei höhergradigem „scapular notching“ mit fortgeschrittener Erosion des Skapulahalses, zumindest ein erhöhtes Risiko für Lockerungen der Basisplatte sowie abnehmende klinische Ergebnisse gegeben ist, erscheint bestmögliche Minimierung des „scapular notching“ jedenfalls als sinnvoll.<br /> Eine weitere relativ spezifische Komplikation inverser Schulterprothesen sind Akromionfrakturen. Ihre Inzidenz beträgt ca. 1–7 %, wobei übermäßige Deltoideusspannung, die Verwendung einer superioren Basisplatten-Schraube sowie Überbeanspruchung osteoporotischen Knochens als Ursachen vermutet werden.<sup>59, 74–76</sup></p> <h2>Technische Aspekte</h2> <p>Größe und Position der Glenosphäre beeinflussen das Drehzentrum, Bewegungsumfang und „scapular notching“. Um das Problem des „scapular notching“ zu adressieren und den impingementfreien Bewegungsumfang zu vergrößern, haben sich eine inferiore Basisplattenposition sowie die Verwendung exzentrischer oder relativ größerer Glenosphären als vorteilhaft erwiesen.<sup>77–80</sup><br /> Glenoidseitige Lateralisation durch die Prothesenkomponenten selbst oder eine knöcherne Augmentation der Basisplatte erlauben einen größeren Bewegungsumfang und erhöhen die Stabilität. Jedoch geht diese Lateralisation mit einem vergrößerten Hebelarm und somit höherem Kraftaufwand für die Deltoideusmuskulatur einher, was theoretisch zu Schmerzen, Basisplattenversagen und Skapulafrakturen führen kann. Die glenoidale Lateralisation erfreut sich aufgrund vieler theoretischer Vorteile und positiver klinischer Erfahrungen zunehmender Beliebtheit, wobei allerdings klinische Langzeitergebnisse weitestgehend noch nicht vorliegen.<sup>72, 73, 81–84</sup><br /> Zuletzt gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass eine anatomische Resektion bzw. ein humeraler Schaft-Hals-Winkel von 135° dem klassischen 155°-Winkel gegenüber biomechanische und klinische Vorteile bieten. In Kombination mit einer glenoidseitigen Lateralisation lässt sich der gesamte Bewegungsumfang, bei gleichzeitiger Verminderung des „scapular notching“ (16,8 % vs. 2,8 %) und gleichbleibender Stabilität (2,3 % vs. 1,7 % Dislokationsrate), deutlich verbessern.<sup>85–87</sup><br /> Die native humerale Retrotorsion ist mit 5°–50° äußerst variabel.88 Auch nach Implantation einer inversen Schulterprothese konnten mit humeraler Retrotorsion von 0–40° biomechanisch und klinisch gute Ergebnisse erzielt werden, wobei eine annähernd anatomische Positionierung zwischen 20° und 40° Retrotorsion den größten Bewegungsumfang zu erlauben scheint.<sup>69, 89, 90</sup><br /> Die glenoidale Retroversion zur Skapula weist ebenfalls erhebliche physiologische Variabilität auf. Um bestmögliche Stabilität und einen adäquaten Bewegungsumfang zu gewährleisten, hat sich eine Implantation der Glenoidkomponenten in 0–10° Retroversion bewährt, wobei eindeutige Evidenz für eine optimale Positionierung noch ausständig ist.<sup>91</sup><br /> Mit zunehmender Verbreitung von inversen Schulterprothesen mit variabler humeraler und glenoidaler Geometrie wurde der biomechanische Nutzen der M.- subscapularis-Refixation infrage gestellt. Die Notwendigkeit bzw. der Nutzen einer Refixation des M. subscapularis ist weiterhin nicht vollständig geklärt, dürfte jedoch abhängig sein von der Geometrie des verwendeten inversen Prothesensystems. Weiters ist nicht geklärt, welche Spannung bei der Refixation akzeptiert werden soll und welchen Einfluss diese auf Rehabilitation bzw. klinisches Resultat hat. Nichtsdestotrotz erscheint derzeit eine Refixation des M. subscapularis – sofern möglich – eher vorteilhaft hinsichtlich Beweglichkeit und Stabilität.<sup>63, 92–94</sup><br /> Heute sind inverse Schulterprothesen mit humeralen Komponenten mit klassischem langem Schaft, kurzem Schaft oder in schaftloser Variante verfügbar. Kurz- bis mittelfristige Resultate moderner Kurzschaft- oder schaftloser Schulterprothesensysteme sind mit den klassischen Schaftprothesen vergleichbar, wobei jedoch aussagekräftige Langzeitergebnisse noch fehlen. Die Vorteile von Prothesensystemen mit kurzem bzw. ohne Schaft sind vor allem die knochensparende Vorgehensweise und die Möglichkeit der Implantation unabhängig des Humerusschaftes, was vor allem in posttraumatischen Situationen oder bei Deformitäten hilfreich sein kann. Nichtsdestotrotz sind Prothesen mit klassischem Schaft weiterhin der Goldstandard und es erscheint sinnvoll, bei Patienten mit zweifelhafter Knochenqualität die Indikation zur Kurzschaft- oder schaftlosen Prothese mit Bedacht zu stellen.<sup>95–97</sup></p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Die Schulterendoprothetik hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant weiterentwickelt und vor allem inverse Schulterprothesen sind heutzutage aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Trotz der überwiegend positiven Ergebnisse sollte eine allzu euphorische Überindikation vermieden werden, da inverse Schulterprothesen im Vergleich zu anderen Endoprothesen weiterhin relativ hohe Komplikationsraten aufweisen. Mit einem sich stetig erweiternden Indikationsspektrum werden sich zwangsläufig auch Anzahl und Komplexität von Revisionseingriffen erhöhen. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen und technische Weiterentwicklungen werden notwendig sein, um auf diese Entwicklungen bestmöglich reagieren zu können.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Lugli T: Clin Orthop Relat Res 1978; (133): 215-8 <strong>2</strong> Kazley JM et al.: Expert Rev Med Devices 2019; 16: 107-18 <strong>3</strong> Padegimas EM et al.: Clin Orthop Relat Res 2015; 473: 1-8 <strong>4</strong> Adams JE et al.: Clin Orthop Relat Res 2007; 455: 176-82 <strong>5</strong> Australian Orthopaedic Association: National Joint Replacement Registry. Available at: https://aoanjrr.sahmri. com/ (accessed: 12. August 2019) <strong>6</strong> National Joint Registry for England, Wales Northern Ireland and the Isle of Man. Available at: http://www.njrcentre.org.uk/njrcentre/default. aspx (accessed: 12. August 2019)<strong> 7</strong> Norwegian National Advisory Unit on arthroplasty and hip fractures. Available at: http://nrlweb.ihelse.net/eng/ (accessed: 12. August 2019) <strong>8</strong> Oppermann J et al.: Arch Orthop Trauma Surg 2016; 136: 723-9 <strong>9</strong> Register of the Orthopaedic Prosthetic Implants. Available at: http://ripo.cineca.it/authzssl/index. html (accessed: 12. August 2019)<strong> 10</strong> Lübbeke A et al.: Acta Orthopaedica 2017; 88: 592-9 <strong>11</strong> Westermann RW et al.: Iowa Orthop J 2015; 35: 1-7 <strong>12</strong> Walters JD et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25: 1418-24 <strong>13</strong> Otto RJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 792-7 <strong>14</strong> Muh SJ et al.: J Bone Joint Surg Am 2013; 95: 1877-83 <strong>15</strong> Ek ETH et al.: J Shoulder Elbow Surg 2013; 22: 1199-208 <strong>16</strong> Black EM et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 1036-42 <strong>17</strong> Smith CD et al.: J Bone Joint Surg Br 2012; 94: 577-83 <strong>18</strong> Levy J et al.: J Bone Joint Surg Am 2007; 89: 292-300 <strong>19</strong> Hyun YS et al.: Clin Orthop Surg 2013; 5: 243-55 <strong>20</strong> Guery J et al.: J Bone Joint Surg Am 2006; 88: 1742-7 <strong>21</strong> Austin L et al.: Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2531-7 <strong>22</strong> Lädermann A et al.: Bone Joint J 2013; 95-B: 1106-13 <strong>23</strong> Drake GN et al.: Clin Orthop Relat Res 2010; 468: 1526-33 <strong>24</strong> Bacle G et al.: J Bone Joint Surg Am 2017; 99: 454-61 <strong>25</strong> Heuberer PR et al.: Einfluss auf die Deltoideusfunktion 15 Jahre nach Implantation der inversen Delta-III-Prothese? Schulterforum Salzburg 2015 <strong>26</strong> Petrillo S et al.: Musculoskelet Surg 2017; 101: 105-12 <strong>27</strong> Lawrence C et al.: Clin Orthop Surg 2016; 8: 288-97 <strong>28</strong> Frankle M et al.: J Bone Joint Surg Am 2006; 88(Suppl 1 Pt 2): 178-90 <strong>29</strong> Valenti P et al.: Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2550-7 <strong>30</strong> Boileau P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2010; 19: 20-30 <strong>31</strong> Puskas GJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 49-57 <strong>32</strong> Passaretti D et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 2117-24<strong> 33</strong> Sanders RJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2011; 20: 1118-24 <strong>34</strong> Shukla DR et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25: 330-40 <strong>35</strong> Sebastiá-Forcada E et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 1419-26<strong> 36</strong> Olerud P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2011; 20: 747-55 <strong>37</strong> Olerud P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2011; 20: 1025-33 <strong>38</strong> Acevedo DC et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 279-89 <strong>39</strong> Boileau P et al.: Clin Orthop Relat Res 2006; 442: 121-30 <strong>40</strong> Willis M et al.: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21: 507-13 <strong>41</strong> Raiss P et al.: J Bone Joint Surg Am 2014; 96: 2070-6 <strong>42</strong> Raiss P et al.: J Bone Joint Surg Am 2016; 98: 893-9 <strong>43</strong> Mizuno N et al.: J Bone Joint Surg Am 2013; 95: 1297-304 <strong>44</strong> Denard PJ, Walch G: J Shoulder Elbow Surg 2013; 22: 1589-98 <strong>45</strong> McFarland EG et al.: J Bone Joint Surg Am 2016; 98: 1801-7 <strong>46</strong> De Wilde LF et al.: Clin Orthop Relat Res 2005; (430): 156-62 <strong>47</strong> Bonnevialle N et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 36-44 <strong>48</strong> Scalise JJ, Iannotti JP: Clin Orthop Relat Res 2008; 466: 139-45 <strong>49</strong> Matsoukis J et al.: J Bone Joint Surg Am 2006; 88: 547-52 <strong>50</strong> Hill JM, Norris TR: J Bone Joint Surg Am 2001; 83: 877-83 <strong>51</strong> Werner BS et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 1655-61 <strong>52</strong> Crosby LA et al.: J Bone Joint Surg Am 2017; 99: 736-42 <strong>53</strong> Farshad M et al.: BMC Musculoskelet Disord 2012; 13: 160 <strong>54</strong> Levy JC et al.: J Bone Joint Surg Br 2007; 89: 189-95 <strong>55 </strong>Ortmaier R et al.: Int Orthop 2013; 37: 67-75 <strong>56</strong> Cazeneuve JF, Cristofari DJ: Orthop Traumatol Surg Res 2011; 97(6): 583-9 <strong>57</strong> Favard L et al.: Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2469-7 <strong>58</strong> Sershon RA et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 395-400 <strong>59</strong> BarcoR et al.: EFORT Open Reviews 2016; 1: 72-80 <strong>60</strong> Boileau P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2005; 14(1 Suppl S): 147S-161S <strong>61</strong> Walch G et al.: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21: 1470-7 <strong>62</strong> Wall B et al.: J Bone Joint Surg Am 2007; 89: 1476-85 <strong>63</strong> Zumstein MA et al.: J Shoulder Elbow Surg 2011; 20: 146-57 <strong>64</strong> Chalmers PN et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 737-44 <strong>65</strong> Teusink MJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 621-7 66 Gerber C et al.: J Am Acad Orthop Surg 2009; 17: 284-95 <strong>67</strong> Gutiérrez S et al.: Clin Orthop Relat Res 2008; 466: 670-6 <strong>68</strong> Oh JH et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 1091-8 <strong>69</strong> Stephenson DR et al.: J Shoulder Elbow Surg 2011; 20: 652-8 <strong>70</strong> Richards J et al.: Clin Orthop Relat Res 2014; 472: 2809-15 <strong>71</strong> Trappey GJ et al.: Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2505-11 <strong>72</strong> Boileau P et al.: Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2558-67 <strong>73</strong> Cuff D et al.: J Bone Joint Surg Am 2012; 94: 1996-2000 <strong>74</strong> Kennon JC et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 1023- 30 <strong>75</strong> Lenoir H et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 323- 30<strong> 76</strong> Teusink MJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 782-90 <strong>77</strong> Tashjian RZ et al.: Clin Orthop Relat Res 2018; 476: 1622-9 <strong>78</strong> Kwon YW et al.: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21: 1184-90 <strong>79</strong> Ahir SP et al.: J Biomech 2004: 37: 699-708 <strong>80</strong> Flatow EL, Harrison AK: A history of reverse total shoulder arthroplasty. Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2432-9 <strong>81</strong> Athwal GS et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 468-73 <strong>82</strong> Frankle M et al.: J Bone Joint Surg Am 2005; 87: 1697-705 <strong>83</strong> Nelson R et al.: Orthopedics 2018; 41: 230-6 <strong>84</strong> Streit JJ et al.: Orthopedics 2015; 38: e1098-103 <strong>85</strong> Erickson BJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 988- 93 <strong>86</strong> Werner BS et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 1726-31<strong> 87</strong> Lädermann A et al.: Int Orthop 2015; 39: 2205- 13 <strong>88</strong> Boileau P et al.: Clin Orthop Relat Res 2008; 466: 661-9 <strong>89</strong> Rhee YG et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 1574-81<strong> 90</strong> Gulotta LV et al.: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21: 1121-7 <strong>91</strong> Patzer T: Orthopade 2018; 47: 390-7 <strong>92</strong> Dedy NJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2018; 27: 1051-6 <strong>93</strong> Friedman RJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26(4): 662-6 <strong>94</strong> Vourazeris JD et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 450-7 <strong>95</strong> Giuseffi SA et al.: Bone Joint J 2014; 96-B: 526-9 <strong>96</strong> Levy O et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25: 1362-70 <strong>97</strong> Atoun E et al.: Int Orthop 2014; 38: 1213-8</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Rotatorenmanschetten-Ruptur: Zahl der Eingriffe sagt klinischen Verlauf vorher
Eingriffe an der Rotatorenmanschette gehören zum orthopädischen Standard. Heute werden sie routinemässig arthroskopisch durchgeführt. Am Kongress der Gesellschaft für Arthroskopie und ...
Schenkelhalsfrakturen bei Menschen mit Demenz
Patienten mit Hüftfraktur sollten zeitnah operiert werden, wenn es die Indikation zulässt – auch im Falle einer Demenz. Denn ein konservatives Vorgehen geht vor allem bei Kopf-Hals- ...
«Auch Patienten mit Demenz profitieren von einer chirurgischen Stabilisierung»
Patienten mit Hüftfraktur und einer leichten, mittelschweren oder schweren Demenz haben ein geringeres Risiko zu sterben, wenn sie operiert werden – vor allem wenn es sich um Kopf-Hals- ...