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Kniearthroskopie

Expertenkomitee bescheinigt kaum Nutzen: Wie geht man jetzt in der Praxis vor?

<p class="article-intro">Nach unzähligen Studien und Reviews hat eine kanadische Expertengruppe jetzt ein Fazit gezogen: Es gebe gute Evidenz, dass Kniearthroskopien bei degeneriertem Knie den meisten Patienten keinen oder nur einen minimalen Nutzen bringen. Bedeutet dies das Aus für die Arthroskopie? Wir haben PD Dr. med. Sandro Fucentese gefragt, Leitender Kniechirurg an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Kniearthroskopien z&auml;hlen zu den h&auml;ufigsten Eingriffen: Pro Jahr werden weltweit mehr als 2 Millionen Arthroskopien durchgef&uuml;hrt.<sup>1&ndash;4</sup> Bei der grossen Menge k&ouml;nnte man meinen, die Prozedur habe Sinn. Dem sei aber nicht so, kritisierten Teppo J&auml;rvinen von der Universit&auml;t Helsinki und Gordon Guyatt von der McMaster-Universit&auml;t in Hamilton, Kanada, schon im Juli 2016.<sup>5</sup> &laquo;Eine sehr fragw&uuml;rdige Praxis, die noch nicht einmal mit Evidenz mittlerer Qualit&auml;t unterst&uuml;tzt wird&raquo;, so das Fazit der Professoren. Bereits 2002 liess eine randomisierte Studie mit 180 Arthrosepatienten am Nutzen einer Arthroskopie zweifeln: Die operierten Patienten hatten weder weniger Schmerzen noch zeigten sie eine bessere Funktionalit&auml;t als Patienten mit Placebooperation.<sup>6</sup> Seitdem wurden einige gut gemachte Studien durchgef&uuml;hrt, die in zwei &Uuml;bersichtsarbeiten und einer Metaanalyse zusammengefasst wurden.<sup>7, 8</sup> Eingeschlossen waren randomisierte kontrollierte Studien, die den Nutzen einer Arthroskopie untersucht hatten und in denen bei Patienten mit oder ohne radiografische Zeichen einer Arthrose eine partielle Meniskektomie, ein D&eacute;bridement oder beides durchgef&uuml;hrt worden waren.</p> <h2>Schwierig, einen langj&auml;hrigen Glauben aufzugeben</h2> <p>Die Aussage auch hier: Kniearthroskopien n&uuml;tzen den meisten Patienten mit Knieproblemen so gut wie nichts. Der &laquo;letzte Nagel zu einem gut verschlossenen Sarg&raquo; (also zur Evidenz) sollte gem&auml;ss Prof. J&auml;rvinen und Prof. Gyatt dann die Studie eines Forscherteams aus Skandinavien sein:<sup>9</sup> 140 Erwachsene mit degenerativem medialem Meniskusriss wurden randomisiert entweder mit einer &Uuml;bungstherapie unter Aufsicht behandelt oder mittels Arthroskopie und partieller Meniskusresektion. Nach 12 Wochen unterschieden sich die beiden Gruppen nicht hinsichtlich Schmerzen und anderer Beschwerden, Funktionalit&auml;t und knieassoziierter Lebensqualit&auml;t (Abb. 1), aber die Patienten der Trainingsgruppe hatten &ndash; nicht erstaunlich &ndash; kr&auml;ftigere Muskeln am Oberschenkel. F&uuml;r mittelalte Patienten mit degenerativen Meniskuserkrankungen und ohne Zeichen einer Arthrose, so schlossen die Autoren, sei Training die Therapie der Wahl.<br /> Wie konnte es zu dieser weitverbreiteten Praxis kommen, obwohl die Evidenz dagegenspricht? Es begann bei jungen Patienten, die nach einer Verletzung ihr Knie nicht mehr richtig strecken konnten, weil sich ein gerissener Meniskusteil zwischen die Gelenkfl&auml;chen eingeklemmt hatte. In einer offenen Operation schnitten Chirurgen den Meniskus zurecht. Als dann die Arthroskopie aufkam, liess sich das endoskopisch noch viel einfacher machen. Doch obwohl es wenig Rationale f&uuml;r das Vorgehen gab, wurde die Indikation von jungen Patienten mit &laquo;eingeklemmtem &raquo; Meniskus auf Patienten aller Altersgruppen mit Knieschmerzen und Meniskusrissen jeglicher Art ausgedehnt, obwohl die Framingham- Osteoarthritisstudie zeigte, dass in der MRT sichtbare Risse schlecht mit der Klinik korrelieren. <sup>10</sup> Doch die vorliegende solide Evidenz wurde ignoriert. Hierf&uuml;r g&auml;be es viele Gr&uuml;nde, mutmassen J&auml;rvinen und Guyatt, wie etwa finanzielle Anreize und die Schwierigkeit, einen langj&auml;hrigen Glauben aufzugeben. Orthop&auml;den argumentieren, die Studien reflektierten nicht die &laquo;wirkliche Welt&raquo;, sie seien zu &laquo;mechanistisch&raquo; statt &laquo;pragmatisch &raquo; oder &laquo;praktisch&raquo;. Allein in den USA werden f&uuml;r Arthroskopien bei degenerativen Knieproblemen pro Jahr mehr als 3 Milliarden Dollar ausgegeben.<sup>5</sup> In einer Welt zunehmenden Bewusstseins um begrenzte Ressourcen &ndash; so das Fazit des kritischen Professoren-Duos &ndash; solle man Orthop&auml;den, Spitalverwaltungen, Gesundheitsdienstleistern und Geldgebern nicht erlauben, die Ergebnisse gr&uuml;ndlich durchgef&uuml;hrter Studien zu ignorieren und weitverbreitete Prozeduren weiterhin zu erlauben, f&uuml;r die es nie &uuml;berzeugende Evidenz gab.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1801_Weblinks_s12_abb1.jpg" alt="" width="1089" height="781" /></p> <h2>Experten sprechen sich klar gegen Arthroskopie aus</h2> <p>Ein internationales Wissenschaftler- Team um Reed Siemieniuk von der McMaster- Universit&auml;t in Hamilton hat daraufhin eine klinische Praxisleitlinie im &laquo;British Medical Journal&raquo; ver&ouml;ffentlicht.<sup>11</sup> Die Gruppe spricht sich klar gegen eine Arthroskopie bei fast allen Patienten mit degenerativer Knieerkrankung aus. Es sei unwahrscheinlich, dass weitere Studien diese Empfehlung &auml;ndern w&uuml;rden. Die Empfehlung bezieht sich auf alle Patienten mit Kniearthrose, nachgewiesen in der Bildgebung oder nicht, mit mechanischen Symptomen oder einem pl&ouml;tzlichen Beginn der Beschwerden. Die Expertengruppe gr&uuml;ndete ihre Empfehlung auf zwei in der Zwischenzeit erschienene &Uuml;bersichtsarbeiten. <sup>12, 13</sup> Die eine um Romina Brignardello- Petersen von der McMaster-Universit&auml;t in Hamilton schloss 13 randomisierte klinische Studien (RCTs) mit 1668 Patienten und 12 Beobachtungsstudien mit mehr als 1,8 Millionen Patienten ein.<sup>12</sup> Die RCTs umfassten Studien, die Arthroskopie mit jeglichem D&eacute;bridement und/oder partieller Meniskektomie mit jeglicher Art von konservativer Behandlung verglichen hatten, also &Uuml;bungstherapien, Infiltrationen, Medikamenten oder Sham-Chirurgie. Behandelt wurden Patienten mit symptomatischer degenerativer Knieerkrankung, definiert als persistierende Knieschmerzen, die die Lebensqualit&auml;t des Patienten beeintr&auml;chtigen und nicht auf eine konservative Therapie ansprechen. Patienten mit oder ohne Gonarthrose aller Altersgruppen waren eingeschlossen. Ausgeschlossen waren Studien mit Patienten mit akutem Trauma und solche mit weniger als 10 Patienten. Die Ergebnisse: Die Arthroskopie f&uuml;hrte kurzfristig (bis zu 3 Monaten) zu einer sehr geringen Schmerzreduktion und zu einer sehr geringen Verbesserung der Funktion, aber im Verlauf von 2 Jahren waren kaum eine oder keine Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung zu verzeichnen.<sup>12</sup><br /> Ein weiteres Forscherteam der Universit&auml;t Hamilton kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass eine Kniearthroskopie langfristig nicht zu einer Verbesserung von Schmerz oder Funktion f&uuml;hrt. Bei vielen Patienten w&uuml;rden sich Schmerz und Funktion auch ohne Arthroskopie bessern. Bei weniger als 15 % der Teilnehmer hatte die Arthroskopie 3 Monate nach dem Eingriff zu kleinen oder sehr kleinen Verbesserungen gef&uuml;hrt, aber nach einem Jahr war dieser Benefit nicht mehr zu verzeichnen.<sup>13</sup><br /> Abgesehen von der Belastung durch eine Arthroskopie kann diese &ndash; wenn auch selten &ndash; zu Komplikationen f&uuml;hren. Es braucht zwischen 2 und 6 Wochen, um sich von einer Arthroskopie zu erholen. In dieser Zeit k&ouml;nnen die Patienten unter Schmerzen, Schwellungen und einer eingeschr&auml;nkten Funktion leiden. Die meisten k&ouml;nnen ihr Bein nicht voll belasten und brauchen Gehst&uuml;tzen. Autofahren oder Sport sind zum Teil schwierig. Die Empfehlung gegen Arthroskopie gelte f&uuml;r fast alle Patienten mit degenerativen Knieproblemen, so die kanadischen Experten, ausserdem f&uuml;r Patienten mit mechanischen Symptomen jeglichen Schweregrades. Einzige Ausnahme k&ouml;nnten die Patienten sein, die objektiv unf&auml;hig sind, ihr Knie voll zu strecken. In die Analysen waren keine jungen Patienten mit Sportunf&auml;llen eingeschlossen oder Patienten jeglichen Alters mit einem gr&ouml;sseren Trauma.<br /> Bedeutet dies jetzt das Aus f&uuml;r die Arthroskopie? Wir haben bei PD Dr. med. Sandro Fucentese nachgefragt, Leitender Kniechirurg an der Universit&auml;tsklinik Balgrist in Z&uuml;rich.<br /><br /> <strong>Herr Dr. Fucentese, die Studien sprechen ja ziemlich klar gegen Arthroskopien. Soll man jetzt nicht mehr arthroskopieren?<br /> S. Fucentese:</strong> Die Medizin ist nicht schwarz-weiss, und man kann das nicht so kategorisch sagen. Manche Patienten profitieren durchaus von einer Arthroskopie. Leider haben wir aber bis auf das Alter von ungef&auml;hr 50 Jahren keine Pr&auml;diktoren, wer einen Benefit hat. Wir am Balgrist entscheiden das immer individuell: Je &auml;lter der Patient ist, desto konservativer ist unser Ansatz. Wichtig ist, den Patienten in die Therapie gut einzubinden und ihm zuzuh&ouml;ren. Wir m&uuml;ssen verstehen, was sein Problem mit dem Knie ist.<br /><br /> <strong>Was meinen Sie damit?<br /> S. Fucentese:</strong> Nehmen wir einen mittelalten, leicht &uuml;bergewichtigen Patienten mit einem Meniskusschaden und Knieschmerzen &ndash; solche Patienten sehe ich fast t&auml;glich in der Sprechstunde. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass sich seine Beschwerden durch eine Arthroskopie bessern. Jetzt ist es aber einfach, zu sagen: Nehmen Sie ab, trainieren Sie Ihre Muskulatur und machen Sie Physiotherapie. Der Patient versucht es drei Monate mit der konservativen Therapie, aber wenn die Schmerzen nicht nachlassen, die konservativen Massnahmen ersch&ouml;pft sind und der klinische Befund mit positivem Meniskusstress-Test und Blockaden passt, halte ich eine Arthroskopie f&uuml;r durchaus gerechtfertigt.<br /><br /><strong> Auch wenn inzwischen so viele Studien dagegensprechen?<br /> S. Fucentese:</strong> Die Studien sagen nicht, dass es allen Operierten schlecht und allen Nichtoperierten gut geht. Viele Patienten wollen eine Operation, denn sie denken, dass nur diese das Problem l&ouml;st. Der Patient muss gut informiert werden, was er erwarten kann und was nicht. Eine Arthrose im Knie k&ouml;nnen wir zum Beispiel nicht beseitigen.<br /><br /><strong> Aber man kann doch dem Patienten die Ergebnisse der Studien erkl&auml;ren &ndash; l&auml;sst er sich dann nicht vom Gegenteil &uuml;berzeugen?<br /> S. Fucentese:</strong> Ja, oft schon. Patienten, die sich f&uuml;r die Studienergebnisse interessieren, fragen ziemlich schnell nach Alternativen. Unser Ansatz ist, stets konservativ zu starten.<br /><br /><strong> Bisher haben wir doch keinen Hinweis aus den Studien, dass irgendeine Subgruppe von Patienten profitieren k&ouml;nnte?<br /> S. Fucentese:</strong> Nein, zurzeit haben wir noch nicht gen&uuml;gend Daten. Patienten mit eingeschlagenem Meniskus scheinen am besten zu profitieren. Es geht ja nicht darum, dass die Operation nichts n&uuml;tzt und die konservative Therapie immer ein Erfolg ist: Falls die konservative Therapie fehlschl&auml;gt, stellt sich die Option der Operation. Und dann ist die Frage: Arthroskopie oder sofortiger Gelenkersatz?<br /><br /> <strong>Wie gehen Sie konkret in der Praxis vor?<br /> S. Fucentese:</strong> Ich bespreche mit dem Patienten zun&auml;chst ein konservatives Vorgehen. Das beinhaltet eine einmalige Infiltration mit Kortison und Lokalan&auml;sthetikum und zweimal w&ouml;chentlich Physiotherapie. Selbst bei starken Arthroseknien hilft die Bewegung: Die Durchblutung wird gef&ouml;rdert, die Muskeln werden gest&auml;rkt und dadurch wird die F&uuml;hrung des Kniegelenkes stabilisiert. Sehe ich nach drei Monaten keine Besserungstendenz und leidet der Patient sehr, versuche ich, ihn &uuml;ber Nutzen und Risiken einer Arthroskopie gut aufzukl&auml;ren. Keinen Sinn hat eine Arthroskopie bei ausgepr&auml;gter Arthrose oder wenn das Gelenk kaputt ist &ndash; dann hilft sp&auml;ter meist nur eine Endoprothese. Bei der ganzen Arthroskopiediskussion habe ich aber Sorge, dass hierzulande etwas &Auml;hnliches passieren k&ouml;nnte wie in Deutschland.<br /><br /><strong> Was ist dort geschehen?<br /> S. Fucentese:</strong> Seit einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von 2015 d&uuml;rfen &Auml;rzte dort bei gesetzlich Versicherten eine Kniearthroskopie nur noch in Ausnahmef&auml;llen anwenden. Jetzt bleibt den Kollegen oft keine andere Wahl mehr, als eine Totalendoprothese zu implantieren, weil der Patient grosse Schmerzen hat, auch wenn dies m&ouml;glicherweise noch lange hinausgez&ouml;gert werden k&ouml;nnte. Die Anzahl arthroskopischer Eingriffe im Kniegelenk bei Kniearthrose sank in Deutschland von 45 000 im Jahr 2011 auf 7000 2016 ab. Eine Gegenbewegung verzeichnen die Implantationen von Knieprothesen. Auch diese waren zun&auml;chst r&uuml;ckl&auml;ufig, aber nach einer Plateauphase 2014 steigt die Anzahl der implantierten Knieprothesen nun wieder j&auml;hrlich um knapp 10 000. Eine Knieendoprothese ist ein nicht zu untersch&auml;tzender Eingriff. Vielleicht w&auml;re manchen Patienten mehr mit einer Arthroskopie geholfen, auch wenn der schmerzlindernde Effekt m&ouml;glicherweise durch eine Placebowirkung bedingt ist. Wir Chirurgen versuchen, den neuen Daten gerecht zu werden. Wir f&uuml;hren viel seltener Arthroskopien durch als noch vor einigen Jahren. Es w&auml;re jetzt an der Zeit, Studien durchzuf&uuml;hren, die zeigen, welche Patienten profitieren und welche nicht &ndash; und zwar sollten diese Studien von Internisten und Chirurgen gemeinsam durchgef&uuml;hrt werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>1 Adelani MA et al.: Clin Orthop Relat Res 2016; 474: 489- 94 2 Bohensky MA et al.: Med J Aust 2012; 197: 399-403 3 Hamilton DF, Howie CR: BMJ 2015; 351: h4720 4 Thorlund JB et al.: Acta Orthop 2014; 85: 287-92 5 J&auml;rvinen TLN, Guyatt GH: BMJ 2016; 354: i3934 6 Moseley JB et al.: N Engl J Med 2002; 347: 81-8 7 Thorlund JB et al.: BMJ 2015; 350: h2747 8 Khan M et al.: CMAJ 2014; 186: 1057- 64 9 Kise NJ et al.: BMJ 2016; 354: i3740 10 Guermazi A et al.: BMJ 2012; 345: e5339 11 Siemieniuk RAC et al. : BMJ 2017; 357: j1982 12 Brignardello-Peterson R et al.: BMJ Open 2017; 7: e016114 13 Devji T et al.: BMJ Open 2017; 7: e015587</p> </div> </p>
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