
«Ein Chamäleon, das man kennen muss»
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Jörg Jerosch
Chefarzt der Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss
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Auch wenn hinter Leistenschmerzen selten die Entzündung der Bursa iliopectinea steckt: Man muss daran denken. Die Diagnose ist einfach, die Operation zwar schwierig, aber effektiv.
Prof. Jerosch, Sie sagen, an eine Bursitis iliopectinea als Differenzialdiagnose von Leistenschmerzen denken Ärzte oft zu wenig. Woran liegt das?
J. Jerosch: Die Bursitis iliopectinea ist ein Chamäleon. Sie kann sehr unterschiedliche Beschwerden verursachen: Das geht von lokalen Schwellungen in der Leiste über venöse Stauungen am Bein, radikuläre Symptome im Verlauf des Nervus femoralis bis hin zu Dysurien oder gynäkologischen Beschwerden. Dementsprechend überweisen Kollegen die Patienten gerne zum Viszeralchirurgen, Gefässchirurgen, Neurologen oder Gynäkologen. Orthopäden und Unfallchirurgen sollten das Krankheitsbild aber kennen und daran denken. Hat man die Bursitis im Hinterkopf, ist die Diagnose recht einfach.
Und zwar?
J. Jerosch: Ein erfahrener Untersucher sieht die Bursitis im Ultraschall: eine echoarme Raumforderung vor dem Hüftgelenk. Die Sonografie sollte deshalb zur Abklärung von Leistenschmerzen gehören. Die Kernspintomografie gilt heute jedoch als diagnostisches Standardverfahren.
Frischen Sie unsere Anatomiekenntnisse auf: Was für eine Funktion hat die Bursa iliopectinea?
J. Jerosch: Die Bursa iliopectinea ist ein Schleimbeutel, welcher vor dem Hüftgelenk liegt, und zwar zwischen der Sehne des Musculus iliopsoas und der Eminentia iliopubica des Hüftknochens, einer Knochenerhöhung zwischen Os pubis und Os ilium im inneren Becken. Die Bursa dient dazu, den Musculus iliopsoas gegenüber dem Hüftknochen abzupolstern.
Warum entzündet sich der Schleimbeutel?
J. Jerosch: Durch mechanische Überlastung, vor allem immer wiederkehrende gleichförmige Bewegungen. Oder durch Schäden im Hüftgelenk, etwa durch eine rheumatoide Arthritis, Gicht, Hüftarthrose oder durch einen Labrumschaden kann es zu einer vermehrten Gelenkflüssigkeit im Hüftgelenk kommen. Das passiert gerne bei Sportarten, die die Hüfte belasten: Fussball, Volleyball oder Handball. Manchmal ist der Erguss auch bakteriell bedingt, etwa durch eine Operation am Gelenk. Der Gelenkerguss tritt dann in die Bursa über.
Was für Symptome verursacht die Bursitis?
J. Jerosch: Da die Bursa tief in der Leiste lokalisiert ist, sieht man meist keine äusseren Zeichen wie Rötungen oder Schwellungen. Die Patienten klagen über Schmerzen in der Leiste, die sich durch äusseren Druck verstärken.
Solche Beschwerden können ja alle möglichen Ursachen haben, die viel häufiger sind.
J. Jerosch: Natürlich. Aber man muss bei Patienten mit unklaren Leistenschmerzen immer eine Bursitis iliopectinea im Hinterkopf haben.
Wie behandeln Sie die Bursitis?
J. Jerosch: Bei akuten Beschwerden ist zunächst einmal Schonung angesagt, um eine weitere Reizung der Bursa zu vermeiden. Nichtsteroidale Antiphlogistika können die Symptome zusätzlich lindern. Wichtig ist natürlich, die Grundkrankheit zu behandeln, also die rheumatoide Arthritis oder die Gicht medikamentös gut zu kontrollieren, Antibiotika gegen einen bakteriellen Infekt einzusetzen oder ein neues Hüftgelenk bei fortgeschrittener Arthrose. Gehen die Beschwerden nicht weg, bleibt als definitive Therapie nur die Arthroskopie.
Warum ist die definitive Heilung nur mit einer Operation möglich?
J. Jerosch: Weil wir damit den Ventilmechanismus beenden. Im Gelenk bildet sich durch die Entzündung Flüssigkeit. Diese tritt nach ventral in die Bursa ilio- pectinea aus. Das Exsudat kann aber nicht zurückfliessen, weil eine Art Ventilmechanimus vorliegt, vergleichbar dem bei einer Poplitealzyste. Die Zyste wird mit der Zeit mit Epithel ausgekleidet. Sie kann ein-, aber auch vielkammerig angelegt sein.
Wie gehen Sie bei der Operation vor?
J. Jerosch: Ich eröffne den Ventilmechanismus der iliopectinealen Bursa von der Gelenkseite her und kann die Bursa so entleeren. Die Operation wird endoskopisch durchgeführt und das Operationsgebiet liegt nahe den Gefäss-Nerven-Strukturen. Deshalb muss man Erfahrung damit haben. Im Zweifel würde ich den Patienten lieber an einen Kollegen überweisen, der Erfahrung mit derartigen arthroskopischen Operationen hat.
Lässt sich ein Sportler gerne operieren?
J. Jerosch: Es kommt auf seinen Leidensdruck an. Ich erkläre ihm, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich seine Beschwerden durch die Operation verbessern. Hat er nur geringe Veränderungen im Gelenk, so hat er etwa eine Chance von 90 Prozent, dass es ihm nach dem Eingriff besser geht. Er muss auch wissen: Die Operation wird in Vollnarkose durchgeführt, er muss in der Regel kurz im Spital bleiben und darf danach die Hüfte zwei Wochen lang nur teilweise belasten. Entscheiden muss der Patient dann letztendlich selbst.
Wie erfolgreich ist die Arthroskopie?
J. Jerosch: Meine Kollegen und ich haben seit 1999 28 Patienten mit einer Bursitis iliopectinea behandelt. 21 hatten eine Coxarthrose im Kellgren-Lawrence-Stadium 1–3, ein Patient hatte eine Femurkopfnekrose und bei 6 Patienten fanden wir eine rheumatoide Arthritis. Operiert wurden die Patienten auf dem Extensionstisch in Rückenlage. Wir konnten bei allen Patienten den Ventilmechanismus arthroskopisch öffnen und die Schleimbeutel entleeren. Die Operation dauerte zwischen 20 und 50 Minuten, im Schnitt 35. Die Extensionszeit betrug 12 bis 34 Minuten, im Schnitt 22.
Was für Komplikationen traten auf?
J. Jerosch: Eine Hüftarthroskopie birgt natürlich Risiken: Neben den üblichen OP-Risiken kann es zu Dysästhesien im vorderen Oberschenkelbereich kommen. Und zwar dann, wenn man den vorderen Zugang zu weit ventral legt – das ist dann zu nah am N. cutaneus femoralis lateralis. Es dauert lange, bis die Dysästhesien verschwinden. Manche Patienten bekommen Druckstellen im Schambereich durch das Gegengewicht am Extensionstisch. Deshalb achten wir sehr darauf, die Zeit in der Extension so gering wie möglich zu halten. Bei unseren 28 Patienten kam es zu keinen neurovaskulären oder anderen Komplikationen.
Wie sieht es mit den Langzeiteffekten aus?
J. Jerosch: Alle 28 Patienten sagten, die durch die Bursitis bedingten Beschwerden seien innerhalb von 3 bis 6 Wochen nach der Operation verschwunden. Nach durchschnittlich 8,5 Jahren haben wir die Patienten noch einmal einbestellt. Wir fanden keinen Hinweis auf ein Rezidiv der Bursitis.
Was halten Sie von nichtoperativen Behandlungen, die oft angeboten werden: Stosswellentherapie, physikalische Therapie, Physiotherapie oder Kortisoninfiltrationen?
J. Jerosch: Diese Massnahmen führen in der Regel nicht zu einer Verbesserung, weil es sich ja um ein mechanisches Problem handelt. Letztendlich bleibt die Arthroskopie als minimal invasives Verfahren die wirksamste und darüber hinaus komplikationsarme und sichere Behandlungsmethode. Die beste OP-Technik nützt aber nichts, wenn man die Bursitis übersieht. Deshalb: Bei unklaren Leistenschmerzen immer daran denken.
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Jörg Jerosch
Chefarzt der Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss