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Die Korrekturosteotomie an der distalen Speiche
Jatros
Autor:
Dr. Johannes Rois
Traumazentrum Wien, Standort Meidling<br> E-Mail: johannes.rois@auva.at
30
Min. Lesezeit
10.05.2018
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<p class="article-intro">Die Verheilung in Fehlstellung ist eine häufige Komplikation nach distaler Radiusfraktur. Bei symptomatischen Patienten mit einer posttraumatischen Fehlstellung steht uns die Möglichkeit der Korrekturosteotomie zur Verfügung, wobei es neben der Spätkorrektur auch die Möglichkeit der Frühkorrektur gibt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Folgen der Fehlstellungen am distalen Speichenende (Biomechanik)</h2> <p>Folgende Fehlstellungen können am distalen Radius nach distaler Speichenfraktur beobachtet werden (Abb. 1): Fehlstellungen mit Achsabweichung in der sagittalen (vermehrte dorsale/palmare Neigung) und koronalen Ebene (verminderte ulnare Inklination), Rotationsfehlstellung (oft nur im CT erkennbar), Radiusverkürzung und Verschiebung des distalen Fragments in der sagittalen und/ oder koronalen Ebene. Klinische und biomechanische Untersuchungen konnten zeigen, dass die Änderungen der knöchernen Architektur am distalen Radiusende zu folgenschweren Veränderungen an der Biomechanik des Handgelenkes führen.<br /> Die axiale Kraftübertragung am Handgelenk erfolgt zu 80 % über den distalen Radius und zu 20 % über die Ulna. Eine vermehrte dorsale Neigung am distalen Speichenfragment hat nicht nur Auswirkungen auf das radiokarpale Gelenk, sondern auch auf das midkarpale Gelenk und das distale Radioulnargelenk (DRUG). Durch eine Achsabweichung in der Sagittalebene kommt es zu einer Änderung der Kraftübertragung im Handgelenk mit Änderung der Druckverteilung an den Gelenkskontaktflächen (prädisponierender Faktor für eine Arthrose), zu einer Kompensation der radiokarpalen Fehlstellung im midkarpalen Gelenk (Carpus adaptivus), zu einer Zunahme der ulnaren Handgelenksbelastung (Änderung der Kraftübertragung) und zur Bewegungseinschränkung.<br /> Die Radiusverkürzung führt zu einem relativen Ellenvorschub mit erhöhter Belastung des TFCC (triangulärer fibrokartilaginärer Komplex). Die Folge kann ein „Ulna impaction“-Syndrom sein (schmerzhafte Schwellung, vorwiegend ulnokarpaler Schmerz, Perforation des ulnokarpalen Komplexes, Arrosion des Lunatums).<br /> Achsabweichungen und Radiusverkürzung haben eine Inkongruenz am DRUG zur Folge, was neben einer Beeinträchtigung der Unterarmrotation auch zu einer Instabilität am DRUG führen kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s14_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1010" /></p> <h2>Klinische Symptome</h2> <p>Die Beschwerden nach einer in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur können sein: Schmerzen, Schwellneigung, Bewegungseinschränkung, verminderte Kraft, ein Schnappen bei Unterarmrotation (als Ausdruck der Instabilität im DRUG) und ulnokarpaler Schmerz (typisch für ein „Ulna impaction“-Syndrom bei Radiusverkürzung). Oft ist das äußere Erscheinungsbild der Fehlstellung (Bajonett- Fehlstellung) für den Patienten störend. Ein Karpaltunnelsyndrom kann ebenfalls die Folge einer in Fehlstellung verheilten Fraktur sein. Andererseits ist aus der Literatur bekannt, dass nicht alle in Fehlstellung verheilten distalen Speichenfrakturen zu Beschwerden führen. Wir alle kennen Patienten, bei denen das radiologische Ergebnis nicht mit dem subjektiven korreliert.</p> <h2>Indikation und Kontraindikation zur Radiuskorrekturosteotomie</h2> <p>Klare Richtlinien für die Indikation zur Korrekturosteotomie gibt es nicht, da das radiologische Ergebnis nicht immer mit dem funktionellen einhergeht. Allgemein wird gesagt, dass sich die Indikation zur Korrekturosteotomie aus der Beschwerdesymptomatik des Patienten und weniger aus dem Röntgenbild ergibt. Zur Entscheidungsfindung tragen bei: Schmerzsymptomatik, funktionelle Beeinträchtigung, begleitende Symptome vonseiten des DRUG, ästhetische Aspekte und funktionelle Ansprüche des Patienten an das Handgelenk. Andererseits stellt die korrekte Anatomie die Grundvoraussetzung für eine normale Handgelenksfunktion dar, und diese kann nur durch eine Korrekturosteotomie wiederhergestellt werden.<br /> Voraussetzung für einen operativen Eingriff ist eine freie Fingerbeweglichkeit. Aufgrund der winkelstabilen Plattensysteme stellt ein höheres Alter nicht zwingend eine Kontraindikation dar. Kontraindikationen sind ein reduzierter Allgemeinzustand, degenerative Veränderungen am Handgelenk und CRPS („complex regional pain syndrome“). Ein abgelaufenes CRPS mit fehlenden trophischen Störungen und freier Fingerbeweglichkeit stellt keine absolute Kontraindikation dar. Eine Instabilität am DRUG ist ebenfalls keine Kontraindikation, da durch den korrigierenden Eingriff in den meisten Fällen eine Stabilität wiederhergestellt werden kann.<br /> Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob eine Früh- oder Spätkorrektur (verzögertes Vorgehen) durchgeführt werden soll. Die Vorteile der Frühkorrektur bestehen darin, dass die Fraktur noch nicht knöchern konsolidiert ist und eine Korrektur im ehemaligen Frakturverlauf ohne Osteotomie und Knochentransplantation möglich ist. Für die Indikation zur Frühkorrektur werden radiologische Kriterien herangezogen, die ein nicht zufriedenstellendes Ausheilungsergebnis erwarten lassen (dorsale Neigung >10°, palmare Neigung >20°, Radiusverkürzung mit relativem Ellenvorschub im Vergleich zur Gegenseite, Abflachung der ulnaren Inklination, Verschiebung des distalen Fragments). Frühkorrekturen sind oft technisch einfacher durchzuführen, die Funktionsstörungen bestehen weniger lange und die Behandlungsdauer ist verkürzt. Im Gegensatz dazu steht die Spätkorrektur, die erst nach knöcherner Frakturkonsolidierung erfolgt. Durch die knöcherne Konsolidierung findet man eine gute Knochenqualität vor. Die notwendige Osteotomie ist nicht im ehemaligen Frakturverlauf möglich und der entstandene Knochendefekt im Osteotomiespalt wird mit einem Knochentransplantat aufgefüllt. Ein verzögertes Vorgehen hat den Vorteil, dass durch den verlängerten Behandlungsverlauf eine Besserung der Funktion durch Physiotherapie und Anpassung erreicht werden kann und eine Korrekturoperation eventuell gar nicht mehr erforderlich ist.<br /> Die Indikation zur Früh- oder Spätkorrektur ist individuell und nach Absprache mit dem Patienten zu stellen. Bei jüngeren Patienten, die noch aktiv im Berufsleben stehen und hohe Ansprüche an das Handgelenk haben, wird man eher die Indikation zur Frühkorrektur stellen.</p> <h2>Ziel der Radiuskorrekturosteotomie</h2> <p>Das Ziel der Operation ist die Wiederherstellung der Anatomie am distalen Radius, um eine normale Lastverteilung, ein mechanisches Gleichgewicht im midkarpalen Gelenk und kongruente Verhältnisse am DRUG zu erreichen.</p> <h2>Planung</h2> <p>Eine Korrekturoperation erfordert eine genaue Planung. Die klinische Untersuchung des Patienten und Röntgenaufnahmen der Gegenseite sind eine unabdingbare Voraussetzung für den chirurgischen Eingriff. Für die Operationsplanung sind oft auch die Röntgenbilder vom Unfalltag und die ersten Röntgenbilder nach Reposition hilfreich. Eine präoperative Computertomografie dient dem Ausschluss degenerativer Veränderungen am Handgelenk sowie der Beurteilung des DRUG und einer Rotationsfehlstellung. An den Röntgenbildern werden die palmare/dorsale Neigung, die ulnare Inklination und der Ellenvorschub eingezeichnet (Abb. 2). Durch den Vergleich mit der Gegenseite lässt sich der erforderliche Korrekturwinkel bestimmen. Der Osteotomiewinkel ist die Winkelhalbierende des Korrekturwinkels. Die geplante Osteotomiehöhe und der Osteotomiewinkel sowie der Ellenvorschub werden im Röntgenbild eingezeichnet (evtl. Operationsskizze, Abb. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s15_abb2.jpg" alt="" width="963" height="1241" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s15_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="823" /></p> <h2>Operationstechnik</h2> <p>Da die Extensionsfehlstellungen die häufigeren sind, wird hier die Operationstechnik für diese Form der Fehlstellung beschrieben. Die Korrekturoperation wird über den palmaren Zugang durchgeführt. Der Zugang zur distalen Speiche erfolgt über eine Inzision zwischen Flexor-carpiradialis( FCR)-Sehne und Arteria radialis, am distalen Ende weicht der Hautschnitt zur Radialseite hin ab. Die FCR-Sehne wird gemeinsam mit der darunterliegenden Beugemuskulatur zur Ulnarseite weggehalten. Die Brachioradialissehne wird abhängig vom Korrekturausmaß teilweise oder vollständig vom Ansatzbereich abgelöst, um kein Korrekturhindernis darzustellen. Eine Alternative ist die Z-förmige Inzision der Sehne mit nachfolgender Adaptation und Verlängerung.<br /> Anschließend wird das 1. Strecksehnenfach gespalten. Zur Vorbeugung einer Ruptur der langen Daumenstrecksehnen wird über eine dorsale Inzision, knapp ulnar des Lister’schen Tuberkels, das 3. Strecksehnenfach gespalten. Diese Wunde kann mit Sit-Nähten verschlossen werden. Danach erfolgen die L-förmige Inzision des Musculus pronator quadratus und das Abschieben der Muskulatur zur Ulnarseite. Dadurch hat man eine freie Sicht auf den distalen Radius.<br /> Zur Vorbereitung der Osteotomie wird die distale Speiche radial und dorsal mit einem Raspatorium unterfahren. Die genaue Osteotomiehöhe (Bildwandler) wird festgelegt und markiert. Die verwendete anatomisch präformierte Radiuskorrekturplatte wird nun so weit distal wie möglich am Radius aufgelegt und temporär mit Bohrdrähten an den dafür vorgesehenen Plattenlöchern fixiert. Durch diese Maßnahme steht die distal fixierte Platte, entsprechend dem Korrekturwinkel der dorsalen Neigung, proximal um den Korrekturwinkel vom Speichenschaft ab. Bei gleichzeitiger Fehlstellung in der koronalen Ebene entspricht der Winkel zwischen dem radialen Rand der Platte und dem radialen Rand der Speiche dem Korrekturwinkel, d.h., die Platte überragt den Radius zur Ulnarseite. Die Plattenlage wird im Bildwandler kontrolliert. Danach wird die Platte distal mit winkelstabilen Schrauben fixiert und die temporären Bohrdrähte werden entfernt.<br /> Bei liegender Platte wird nun die Osteotomie entsprechend dem geplanten Osteotomiewinkel (Winkelhalbierende des Korrekturwinkels in Relation zur Radiuslängsachse, Osteotomie in 1 oder 2 Ebenen) durchgeführt. Zur Schonung der Weichteile werden zwei Hohmann-Hebel eingesetzt. Die Osteotomie darf auf keinen Fall in der Incisura ulnaris enden. Durch die Verwendung eines Wirbelspreizers (im dorsalen Drittel der Osteotomiefläche) wird der Osteotomiespalt aufgeweitet. Durch gleichzeitigen Druck auf das proximale Plattenende legt sich die Platte an den Radiusschaft an. Gleichzeitig kann auch eine Fehlstellung in der koronalen Ebene korrigiert werden. Ein wesentlicher Schritt ist die Wiederherstellung der Radiuslänge. Die Platte wird mit Plattenhaltezangen an den Knochen fixiert, Plattenlage und Korrektur werden im Bildwandler kontrolliert. Die Platte wird mit einer Schraube im ovalen Plattenloch an den Schaft fixiert. Eine geringe Überkorrektur der Speichenlänge sollte angestrebt werden, damit der Knochenblock nach Lockerung der Schraube im Plattenlängsloch „press-fit“ fixiert wird. In den Osteotomiespalt wird ein bikortikaler Knochenblock vom Beckenkamm eingebracht und die Platte proximal mit winkelstabilen Schrauben fixiert. In den meisten Fällen kann der Musculus pronator quadratus rückvernäht werden. Die Brachioradialissehne wird adaptiert und die Wunde verschlossen.<br /> Die postoperative Nachbehandlung erfolgt mit einer abnehmbaren dorsalen Kunststoffschiene für 4 Wochen. Mit Fingerbewegungsübungen kann sofort postoperativ begonnen werden. Die erste postoperative Röntgenkontrolle erfolgt nach der Wundheilung (10.–12. Tag postoperativ). Danach kann die Schiene für aktiv geführte und passive Bewegungsübungen abgenommen werden. Routinemäßige Röntgenkontrollen erfolgen nach 4, 8 und 12 Wochen und nach 6 Monaten.<br /> Die weitaus selteneren Flexionsfehlstellungen werden ebenfalls über den palmaren Zugang versorgt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s16_abb4+5.jpg" alt="" width="1417" height="2012" /></p> <h2>Komplikationen</h2> <p>Bei exakter Planung und durch die Kenntnisse der Komplikationsmöglichkeiten im Rahmen der operativen Versorgung einer distalen Speichenfraktur kann die Komplikationsrate gering gehalten werden. Bei Verwendung eines Knochentransplantats ist die Begleitmorbidität am Beckenkamm zu berücksichtigen. Die knöcherne Einheilung des Transplantats stellt an sich kein Problem dar.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Bei richtiger Indikationsstellung und korrekter Ausführung verbessert die Korrekturosteotomie an der distalen Speiche die Handgelenks- und Unterarmbeweglichkeit sowie die Griffkraft und führt zu einer deutlichen Schmerzlinderung. Durch die stabile Versorgung mit winkelstabilen Implantaten können Korrekturverluste vermieden und die knöcherne Ausheilung gesichert werden. Eine gute Heilungspotenz der Radiusmetaphyse mit einer ausgezeichneten Remodellierung findet man auch im fortgeschrittenen Alter. Aufgrund dieser positiven Ergebnisse wird man Patienten mit einer in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur bei entsprechenden Beschwerden die Korrekturoperation empfehlen. Unklar bleibt bisher allerdings, welcher Zeitpunkt dafür am günstigsten ist.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p>beim Verfasser</p>
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