
Die Kadiläsionen, was war das noch mal …???
Jatros
Autor:
Dr. Thomas Marte
FA für Unfallchirurgie & Sporttraumatologie LKH Feldkirch<br/> E-Mail: thomas.marte@lkhf.at
30
Min. Lesezeit
28.03.2019
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<p class="article-intro">In den Jahren 2017 und 2018 wurden seitens der Patientenanwaltschaft Vorarlberg Begehren von Kindern und Jugendlichen (0–18 Jahre) in insgesamt 70 Fällen gestellt. Davon entfielen 27 % auf das Fachgebiet der Unfallchirurgie: ein Grund, um die Kadiläsionen wieder ins Gedächtnis zu rufen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei den 5 Kadiläsionen handelt es sich um teils seltene, teils sehr häufige Verletzungen im Wachstumsalter.</li> <li>Bei der Diagnostik und Bildgebung an Ellenbogen, Knie und Sprunggelenk ist an diese Verletzungen zu denken.</li> <li>Das Wissen um diese Traumata und deren korrekte Diagnostik und Behandlung ist auch von großer Bedeutung, um juristische Komplikationen zu vermeiden.</li> </ul> </div> <p>Der Begriff der Kadiläsion geht auf Lutz v. Laer zurück, der ihn erstmals erwähnte. Er versteht darunter „unscheinbar erscheinende Verletzungen mit schwerwiegenden Komplikationen“. Sprich: Wenn sie übersehen werden, führen sie vor den Kadi mit den dazugehörenden Folgen. An sie zu denken, sie zu erkennen und zu therapieren und ihre möglichen Komplikationen sollen in diesem Artikel erläutert werden.</p> <p>Anders als beim Erwachsenen ist beim kindlichen Knochenskelett das Wachstum mit zu bewerten: das Wachstumspotenzial, das Korrekturpotenzial und die sich daraus ergebenden Therapien. Ein immer noch angewandtes Verfahren zur Diagnosefindung ist das Anfertigen von Röntgenaufnahmen der gesunden Gegenseite. Dies führt jedoch meist zu noch mehr Unsicherheit. Dabei wäre es oft ein Einfaches, mittels der Hilfslinien und genaueren Kenntnis der Verletzung zur sicheren Diagnose und somit optimalen Therapie zu kommen.</p> <p>Bei den Kadiläsionen handelt es sich um insgesamt 5 Verletzungen des kindlichen Skelettes: 3 davon an der oberen Extremität und 2 an den unteren Extremitäten. An der oberen Extremität sind dies die instabile radiale Kondylusfraktur, die traumatische Radiuskopfluxation und der Rotationsfehler der suprakondylären Humerusfraktur, an der unteren Extremität die metaphysäre Valgusbiegungsfraktur der proximalen Tibia und die mediale Malleolarfraktur (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1902_Weblinks_a3-abb1.jpg" alt="" width="786" height="263" /></p> <h2>Die instabile Fraktur des radialen Kondylus</h2> <p>Sie ist die zweithäufigste Ellenbogenverletzung (ca. 1,5 % aller Frakturen), die stets die Fuge kreuzt und somit eine Gelenksfraktur darstellt. Der Altersgipfel dieser Verletzung ist im 5. Lebensjahr. Sie entsteht durch einen Sturz auf den ausgestreckten Arm. Während dissoziierte Frakturen eindeutig im Röntgen zu diagnostizieren sind, stellen die undislozierten Frakturen ein Problem dar. Der Grund dafür ist die knorpelig angelegte Trochlea. So werden eindeutig dislozierte Frakturen offen reponiert und retendiert, die stabilen nicht dissoziierten Frakturen können konservativ im Oberarmgips behandelt werden. Problematisch jedoch sind die anscheinend nicht dislozierten stabilen Frakturen, die sekundär dislozieren und dann zu Fehlstellungen führen. Mögliche Optionen der Diagnose sind die Sonografie, die aber in unseren Breiten noch nicht sehr vertreten ist, oder das MR, welches zum einen eine logistische Herausforderung (zeitnahe Untersuchung) darstellt und zum anderen meistens mit einer Analgosedierung des Patienten einhergeht. Eine Abhilfe aus dieser Misere ist das gipsfreie Röntgen am 4./5. Tag. Dabei kann eine Dislokation festgestellt und in weiterer Folge die operative Versorgung (Schraubenosteosynthese) durchgeführt werden.<br />Eine übersehene instabile Fraktur mit Dislokation des radialen Kondylus führt – infolge der Konsolidierung in der Fehlstellung durch Ruhigstellung – zu Valgusfehlstellung mit einer möglichen Irritation des N. ulnaris und somit zu einer erheblichen Instabilität im Ellbogengelenk. Zu denselben Komplikationen kommt es auch durch eine insuffiziente operative Versorgung infolge unzureichender Reposition oder durch zu geringe Kompression der Fraktur. Dies führt zu Konsolidierungsstörungen mit einem radialen Mehrwachstum und einer Varisierung der Ellenbogenachse. Daraus resultieren kosmetisch störende Fehlstellungen und Instabilität.</p> <h2>Die traumatische Radiuskopfluxation</h2> <p>Sie ist eine Verletzung, die in jedem Alter auftreten kann. Die Ursachen für Luxationen und Luxationsfrakturen sind mannigfaltig. Gefordert werden muss aber, dass bei jeder Verletzung des Unterarmes die benachbarten Gelenke, wie eigentlich bei jeder Verletzung der langen Röhrenknochen, mit abgebildet werden. Ob diese Verletzung mit einer Pathologie der Ulna vergesellschaftet ist (Monteggia-Läsion) oder nicht, ist ebenso wichtig wie die Stellung des Radiuskopfes zum Capitulum. Dies kann anhand einer Hilfslinie, welche mittig durch den Schaft der Speiche gelegt wird und in allen Ebenen das Capitulum im Zentrum treffen sollte, im Röntgen diagnostisch dargestellt werden.<br />Eine diagnostizierte Radiusköpfchenluxation kann im Regelfall nach Beseitigung der Pathologie an der Elle behoben werden. Tunlichst sollte eine offene Reposition des Köpfchens vermieden werden, da die Gefäßversorgung im proximalen Radius sehr vulnerabel ist. Ebenso ist eine transartikuläre Fixierung des Köpfchens obsolet. <br />Eine übersehene veraltete Radiusköpfchenluxation kann einerseits Deformierungen im Sinne eines Cubitus hypervalgus, mit oder ohne Instabilität, und im weiteren Verlauf mögliche Irritationen des N. ulnaris nach sich ziehen und andererseits auch zu starken Beschwerden führen. Eine Prognose dieser Spätfolgen kann nicht gemacht werden, da es in Einzelfällen auch veraltete übersehene Luxationen gibt, die für den Patienten keine Einschränkungen bedeuten. Das Problem dieser übersehenen Verletzungen ist eine Deformierung der Gelenksflächen, deren spätere Korrektur nicht mehr möglich ist.</p> <h2>Unscheinbare Dislokation der suprakondylären Humerusfraktur</h2> <p>Diese sehr häufige Verletzung am Ellenbogen (6,5 % der Frakturen im Wachstumsalter) entsteht durch den Sturz auf den gestreckten Arm im Sinne eines Extensionstraumas. Das Flexionstrauma ist nur in ca. 2 % der Fälle die Ursache. Die geläufige Klassifikation nach von Laer teilt diese Verletzungen in 4 Typen ein, wobei das Augenmerk vor allem auf den Typen III und IV liegt. Diese sollten im Zuge einer operativen Versorgung in eine stabile korrekte Form gebracht werden. Eine beibehaltene Fehlstellung in der Hauptebene führt zu Streck- bzw. Beugedefiziten. Die belassene (übersehene) Antekurvation erfährt ab dem 6. Lebensjahr keine Korrektur mehr, folglich kommt es zu einer Flexionshemmung (funktionelle Komplikation). Diese könnte leicht anhand der Rogers-Linie (eine Tangente, an der Vorderseite des Humerusschaftes positioniert), welche das Capitulum im Normalfall im Übergang vom mittleren zum hinteren Drittel schneidet, diagnostiziert werden. <br />Eine weitere Komplikation dieser Brüche ist die Rotation. Diese kann in der seitlichen Aufnahme durch die Darstellung des Rotationssporns festgestellt werden. Infolge dieser Fehlstellung kommt es zu einem Abkippen des Gelenkblockes und in weiterer Folge zu einem Cubitus varus, selten zu einem Valgus. Dies bedingt kosmetische Komplikationen.</p> <h2>Metaphysärer Valgusbiegungsbruch der proximalen Tibia</h2> <p>Hierbei handelt es sich um eine sehr seltene Verletzung (lediglich ca. 0,2 % der Frakturen im Wachstumsalter), die aber bei Fehlbehandlung eine deutliche Fehlstellung des Beines nach sich zieht (XBein). Diese Fraktur ist eine Biegungsfraktur im Sinne einer Grünholzfraktur, da die mediale Kortikalis klafft. Das ist immer ein Zeichen einer bestehenden Valgusfehlstellung. Der konservativ behandelte Bruch ohne Korrektur der Fehlstellung führt durch die partiell stimulative Wachstumsstörung zu einer Zunahme des vorbestehenden Valgus und folglich zu einer einseitigen X-Bein-Stellung. Die Therapien dieser Fehlstellung ist einerseits das Zuwarten mit Längenausgleich auf der Gegenseite und dadurch Spontankorrektur oder andererseits eine operative Korrektur im Sinne einer Epiphyseodese.</p> <h2>Mediale Malleolarfraktur</h2> <p>Dies ist eine typische Verletzung nach Distorsionstrauma mit offenen Wachstumsfugen. Die Diagnostik kann Probleme bereiten, wenn man sich nur auf das Standardröntgen verlässt, da in der seitlichen Aufnahme die Fraktur nur sehr schwer erkennbar ist. Mitunter sieht man nur die Fraktur in der ap-Aufnahme, nicht aber das Dislokationsausmaß. Hier ist oft eine zusätzlich gedrehte Aufnahme hilfreich. Es handelt sich hierbei um eine fugenkreuzende Verletzung, die bei Nichtbehandlung zu einem gehemmten Wachstum führt, mit daraus resultierender Achsenfehlstellung. Klinisch zeigen sich eine Schwellung bzw. Druckschmerzen am Sprunggelenk innenseitig, welche für eine Fraktur am Innenknöchel hellhörig machen sollten. Wenn Bildgebung und Klinik nicht eindeutig sind, können ein MRT oder CT die letzten Zweifel ausräumen. <br />Bei einer Dislokation muss der Bruch offen reponiert und unter Schonung der Wachstumsfugen mit Kompressionsschrauben fixiert werden. Patienten mit medialen Malleolarfrakturen müssen mindestens für 2 Jahre nachkontrolliert werden.</p></p>