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Diagnostischer Algorithmus bei schmerzhafter Knieprothese

<p class="article-intro">Unklare Schmerzen nach Implantation einer Knietotalendoprothese stellen eine besondere Herausforderung an den behandelnden Arzt dar. Standardisierte diagnostische Algorithmen können dem Chirurgen dabei helfen, schnell eine korrekte Diagnose zu stellen, um eine entsprechende Therapie einzuleiten.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine schmerzhafte KTEP gilt so lange als infiziert, bis das Gegenteil bewiesen wird.</li> <li>Einer der wichtigsten Eckpfeiler in der Abkl&auml;rung von KTEP-Infektionen ist die Punktion des betroffenen Kniegelenks und Gewinnung von Synovialfl&uuml;ssigkeit zur mikrobiologischen Aufarbeitung sowie Zellzahlanalyse und Zelldifferenzierung.</li> <li>Explantierte Prothesenteile sollen zur Sonifikation eingeschickt werden.</li> <li>Entnahme von mindestens 5 Gewebeproben zur mikrobiologischen und histologischen Untersuchung.</li> </ul> </div> <p>&nbsp;</p> <p>Die Implantationen von Knietotalendoprothesen (KTEP) nehmen seit Jahren stetig zu. Trotz sorgf&auml;ltiger Operationsplanung, verbesserten Operationstechniken sowie st&auml;ndiger Weiterentwicklung der Implantate klagen ca. 20 % der Patienten nach Implantation einer KTEP &uuml;ber Schmerzen.<sup>1</sup> Sowohl extraartikul&auml;re als auch intraartikul&auml;re Ursachen k&ouml;nnen f&uuml;r diese Schmerzen verantwortlich sein und bed&uuml;rfen einer genauen Abkl&auml;rung.<br /> Das Risiko, an einer Protheseninfektion zu erkranken, liegt bei ca. 2 % . Sie stellt eine schwerwiegende Komplikation dar.<sup>2</sup> Um ein optimales Behandlungs- und Therapieergebnis zu erzielen, ist es f&uuml;r den jeweiligen behandelnden Arzt bzw. Operateur von entscheidender Bedeutung, die richtige Diagnose bei schmerzhaften Knieprothesen zu stellen. Gerade chronische Knieprotheseninfektionen stellen in der Abkl&auml;rung eine besondere Herausforderung dar. Die nachfolgende &Uuml;bersichtsarbeit fokussiert auf die Abkl&auml;rung einer m&ouml;glichen Protheseninfektion bei Patienten mit Schmerzen nach KTEP-Implantation und skizziert einen diagnostischen Algorithmus als Entscheidungshilfe (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s9_abb1_amerstorfer.jpg" alt="" width="600" height="732" /></p> <h2>Diagnostischer Algorithmus</h2> <p><strong>Anamnese</strong><br /> Eine sorgf&auml;ltige und ausf&uuml;hrliche Anamnese ist der erste wichtige Eckpfeiler in der Abkl&auml;rung von Schmerzen nach Implantation einer KTEP und sollte vor Beginn jeder klinischen Untersuchung durchgef&uuml;hrt werden. Folgende Fragen sollten gezielt gestellt werden:</p> <ul>&bull; Seit wann bestehen die Schmerzen?</ul> <ul>&bull; Ruhe- und/oder Belastungsschmerzen?</ul> <ul>&bull; Schmerzcharakter und -intensit&auml;t?</ul> <ul>&bull; allgemeines Krankheitsgef&uuml;hl?</ul> <ul>&bull; Fieber und/oder Sch&uuml;ttelfrost?</ul> <ul>&bull; Gab es bei der Prim&auml;rimplantation Probleme (Wundheilungsst&ouml;rung, verl&auml;ngerte Antibiose etc.)?</ul> <p>Ruheschmerzen sowie allgemeines Krankheitsgef&uuml;hl, vielleicht in Kombination mit einer postoperativen Wundheilungsst&ouml;rung, sprechen eher f&uuml;r einen Protheseninfekt; reine Belastungsschmerzen hingegen f&uuml;r eine mechanische Ursache. Prinzipiell gilt jede schmerzhafte KTEP solange als infiziert, bis das Gegenteil bewiesen wird.</p> <p><strong>Klinische Untersuchung</strong><br />Nach der Anamnese muss jedes Kniegelenk klinisch untersucht werden. Zuvor sollten potenziell extraartikul&auml;re Ursachen (z. B. Lumboischialgie, Coxarthrose, periphere arterielle Verschlusskrankheit etc.) durch erg&auml;nzende klinische sowie bildgebende Untersuchungen ausgeschlossen werden. Zur Differenzierung von intraartikul&auml;ren Beschwerden erfolgt eine genaue Untersuchung des betroffenen Kniegelenks. Es sollte besonders darauf geachtet werden, ob das Kniegelenk geschwollen, ger&ouml;tet und/oder &uuml;berw&auml;rmt ist (immer im Vergleich zur Gegenseite). Des Weiteren werden das Kniegelenk sowie dessen umgebende Weichteile (Muskeln, Sehnen) auf m&ouml;gliche Schmerzpunkte abgetastet. Druckschmerzen entlang des Pes anserinus sind Zeichen einer Tendinopathie, die zum einen durch eine Fehl- oder &Uuml;berbelastung, zum anderen durch eine zu gro&szlig;e Tibiakomponente begr&uuml;ndet sein kann. Durch genaues Abtasten sowie Bewegungs&uuml;berpr&uuml;fung der Patella k&ouml;nnen ein Patellahyperkompressionssyndrom, eine fortgeschrittene Retropatellararthrose oder eine lateralisierte Patella diagnostiziert werden. Nach Erhebung der aktiven und passiven Beweglichkeit (&bdquo;range of motion&ldquo;, ROM, nach der Neutral-Null-Methode) erfolgt die Stabilit&auml;tspr&uuml;fung des Kniegelenks in verschiedenen Beugewinkeln, um m&ouml;gliche Bandinstabilit&auml;ten zu verifizieren.</p> <p><strong>Bildgebung</strong><br />R&ouml;ntgenaufnahmen in beiden Ebenen sowie die Ganzbein- und Patellaaufnahme geh&ouml;ren zu den ersten apparativen Untersuchungsmodalit&auml;ten, wobei eine a. p. und eine seitliche Aufnahme des Kniegelenks obligatorisch durchzuf&uuml;hren sind. Sie geben uns die ersten wichtigen Hinweise hinsichtlich m&ouml;glicher Ursachen einer schmerzhaften KTEP. Lockerungszeichen, Osteolysen und/oder ein Resorptionssaum um das Implantat k&ouml;nnen nativradiologisch Zeichen einer infizierten KTEP sein und bed&uuml;rfen einer weiteren Abkl&auml;rung. Eine CT-Untersuchung erm&ouml;glicht eine genauere Beurteilung des Knochen- Implantat-Interfaces sowie der Ausdehnung vorhandener Osteolysen und kann ferner zur pr&auml;operativen Planung bei gro&szlig;en Revisionseingriffen herangezogen werden. Eine weitere Indikation zur Durchf&uuml;hrung einer CT-Untersuchung (Rotations-CT) ergibt sich bei Verdacht auf eine Fehlrotation der femoralen bzw. tibialen Prothesenkomponente.<br /> Die MRT als weiteres Schichtbildverfahren eignet sich vor allem zur Abkl&auml;rung von periartikul&auml;ren Abszessen, ist jedoch nicht immer sofort verf&uuml;gbar und hat gerade bei gro&szlig;en Revisionsprothesen aufgrund m&ouml;glicher Metallartefakte ihre Limitationen. Gerade hier liegt der Vorteil der Sonografie: Sie ist schnell und unkompliziert durchf&uuml;hrbar und kann ebenfalls zur ultraschallgezielten Punktion herangezogen werden.<br /> Die 3-Phasen-Skelettszintigrafie ist eine h&auml;ufig verwendete, nuklearmedizinische Untersuchung. Sie besitzt eine hohe Sensitivit&auml;t, jedoch eine niedrige Spezifit&auml;t. <sup>3</sup> Vor allem in den ersten postoperativen Monaten (bis zu 12 Monaten) ist das Ergebnis dieser Untersuchung jedoch nicht verwertbar, da auch normales Knochenremodelling in der Knochenszintigrafie angezeigt wird. Die 3-Phasen-Skelettszintigrafie wird sehr h&auml;ufig in Kombination mit einer Leukozytenszintigrafie verwendet, vor allem bei vorangegangener, positiver Knochenszintigrafie.<sup>4</sup> Zus&auml;tzlich kann die Leukozytenszintigrafie bei unklaren Infektionen bzw. erh&ouml;hten Entz&uuml;ndungsparametern zur Fokussuche, und um potenzielle Streuherde zu identifizieren, herangezogen werden.</p> <p><strong>Labor</strong><br />Bei Verdacht auf eine KTEP-Infektion sollte immer eine Serumanalyse von Leukozyten und CRP erfolgen, wobei negative Befunde einen Protheseninfekt nicht ausschlie&szlig;en. Rezente Studien an unserer Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Orthop&auml;die und Traumatologie untersuchten verschiedene Biomarker zur Detektion von Protheseninfektionen.<sup>5</sup> In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass sowohl Procalcitonin als auch IL-6 als schnelle Biomarker hilfreich bei der Diagnosestellung einer Protheseninfektion sind.<sup>5, 6</sup><br /> Neben den oben genannten Entz&uuml;ndungsparametern sollten bei jedem septischen Patienten bzw. Patienten mit Fieber so rasch wie m&ouml;glich, und am besten vor Antibiotikaerstgabe, Blutkulturen abgenommen werden.</p> <p><strong>Punktion</strong><br />Einer der wichtigsten Eckpfeiler in der Abkl&auml;rung von KTEP-Infektionen ist die Punktion des betroffenen Kniegelenks zur Gewinnung von Synovialfl&uuml;ssigkeit. Alle etablierten Diagnosekriterien beinhalten sowohl die mikrobiologische Analyse der Gelenksfl&uuml;ssigkeit als auch die Analyse der Zellzahl sowie der Zelldifferenzierung und haben eine hohe Sensitivit&auml;t und Spezifit&auml;t. <sup>7&ndash;9</sup> Wichtig ist die sterile Durchf&uuml;hrung, um zum einen das Risiko einer iatrogenen Infektion zu minimieren, zum anderen eine Kontamination zu vermeiden. Wenn es der Gesundheitszustand des Patienten zul&auml;sst, sollte eine Punktion unter laufender Antibiose vermieden werden. Eine negative Punktion schlie&szlig;t eine Infektion nicht aus und vice versa, daher sollte bei unklaren Befunden eine Wiederholung der Punktion in Erw&auml;gung gezogen werden. Zur mikrobiologischen Aufarbeitung kann das Punktat entweder in daf&uuml;r vorgesehene spezielle N&auml;hrmedien wie die BHI-Bouillon-R&ouml;hrchen (Brain-Heart-Infusion) gegeben werden, oder, sollten diese nicht vorhanden sein, in Kulturflaschen eingeimpft werden.<sup>10</sup> Als dritte Untersuchungsm&ouml;glichkeit kann eine Gram-F&auml;rbung aus dem Synoviapunktat durchgef&uuml;hrt werden, wobei diese Untersuchungsmethode sehr h&auml;ufig nur in der Regeldienstzeit zur Verf&uuml;gung steht und negative Ergebnisse eine Infektion nicht ausschlie&szlig;en. <sup>11</sup><br /> Eine KTEP-Infektion liegt laut &bdquo;Pocket Guide to Diagnosis &amp; Treatment of Periprosthetic Joint Infection (PJI)&ldquo; vor, wenn ein oder mehrere Kriterien erf&uuml;llt sind (Tab. 1).<sup>12</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s10_tab1_amerstorfer.jpg" alt="" width="550" height="332" /></p> <p><strong>Intraoperative Infektabkl&auml;rung</strong><br />Wird die Indikation zu einer Revisionsoperation gestellt, ist es von besonderer Bedeutung, ausreichend viele intraoperative Gewebeproben sowohl zur histologischen als auch mikrobiologischen Aufarbeitung zu entnehmen. Zudem sollten explantierte Prothesenteile zur Sonifikation eingeschickt werden.<sup>13</sup> An unserer Abteilung wurde zur standardisierten Durchf&uuml;hrung dieser Entnahmen eine &bdquo;Infektbox&ldquo; im Operationssaal etabliert, welche alle wichtigen Untersuchungen enth&auml;lt. Insgesamt werden 5 Gewebeproben aus makroskopisch auff&auml;lligen, periartikul&auml;ren Weichteilbezirken entnommen. Die ersten 3 Gewebeproben werden in der H&auml;lfte geteilt und idealerweise mit BAKT I und HISTO I, BAKT II und HISTO II sowie BAKT III und Histo III beschriftet. Somit k&ouml;nnen die Ergebnisse der Untersuchungen im Verlauf miteinander verglichen und m&ouml;gliche Kontaminationen ausgeschlossen werden. Die 4. und 5. Gewebeprobe werden lediglich der mikrobiologischen Untersuchung zugef&uuml;hrt und dementsprechend mit BAKT IV und BAKT V bezeichnet.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Abkl&auml;rung einer schmerzhaften Knieprothese stellt behandelnde &Auml;rzte immer wieder vor eine Herausforderung. Schmerzen nach Implantation einer KTEP k&ouml;nnen durch eine Infektion hervorgerufen werden. Eine schmerzhafte KTEP gilt solange als infiziert, bis das Gegenteil bewiesen wird. Dabei sind gerade der chronische Protheseninfekt bzw. eine Infektion mit niedrig virulenten Keimen schwer zu diagnostizieren. Aufgrund dessen sind diagnostische Algorithmen in der t&auml;glichen Praxis hilfreich und stehen als Entscheidungshilfen zur Verf&uuml;gung.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bourne RB et al.: Patient satisfaction after total knee arthroplasty:<br />who is satisfied and who is not? Clin Orthop Relat<br />Res 2010; 468: 57-63 <strong>2</strong> Knutson K et al.: Survival of<br />knee arthroplasties. A nation-wide multicentre investigation<br />of 8000 cases. J Bone Joint Surg Br 1986; 68: 795-<br />803 <strong>3</strong> Verberne SJ et al.: What is the accuracy of nuclear<br />imaging in the assessment of periprosthetic knee infection?<br />A meta-analysis. Clin Orthop Relat Res 2017; 475:<br />1395-410 <strong>4</strong> Signore A et al.: Consensus document for the<br />diagnosis of prosthetic joint infections: a joint paper by<br />the EANM, EBJIS, and ESR (with ESCMID endorsement).<br />Eur J Nucl Med Mol Imaging 2019; 46: 971-88 <strong>5</strong> Glehr M et<br />al.: Novel biomarkers to detect infection in revision hip<br />and knee arthroplasties. Clin Orthop Relat Res 2013; 471:<br />2621-8 <strong>6</strong> Klim SM et al.: Fibrinogen - a practical and cost<br />efficient biomarker for detecting periprosthetic joint infection.<br />Sci Rep 2018; 8: 8802 <strong>7</strong> Ochsner PE et al.: Infections<br />of the musculoskeletal system: basic principles, prevention,<br />diagnosis and treatment. Grandvaux Swiss orthopaedics<br />in-house-publisher 2014 <strong>8</strong> Osmon DR et al.: Executive<br />summary: diagnosis and management of prosthetic<br />joint infection: clinical practice guidelines by the Infectious<br />Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2013;<br />56:1-10 <strong>9</strong> Parvizi J et al.: New definition for periprosthetic<br />joint infection: from the Workgroup of the Musculoskeletal<br />Infection Society. Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2992-4<br /><strong>10</strong> Geller JA et al.: Prospective comparison of blood culture<br />bottles and conventional swabs for microbial identification<br />of suspected periprosthetic joint infection. J Arthroplasty<br />2016; 31: 1779-83 <strong>11</strong> Wouthuyzen-Bakker M et al.:<br />Is gram staining still useful in prosthetic joint infections? J<br />Bone Jt Infect 2019; 4: 56-59 <strong>12</strong> Renz N, Trampuz A: Pocket<br />guide to diagnosis and treatment of PJI. Pro-implant<br />Foundation 2018; Version 8 <strong>13</strong> Trampuz A et al.: Sonication<br />of removed hip and knee prostheses for diagnosis of<br />infection. N Engl J Med 2007; 357: 654-63</p> </div> </p>
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