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Diagnostischer Algorithmus bei schmerzhafter Knieprothese
Jatros
Autor:
Dr. Florian Amerstorfer
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: florian.amerstorfer@medunigraz.at
Autor:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Mathias Glehr
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: mathias.glehr@medunigraz.at
30
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11.07.2019
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<p class="article-intro">Unklare Schmerzen nach Implantation einer Knietotalendoprothese stellen eine besondere Herausforderung an den behandelnden Arzt dar. Standardisierte diagnostische Algorithmen können dem Chirurgen dabei helfen, schnell eine korrekte Diagnose zu stellen, um eine entsprechende Therapie einzuleiten.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine schmerzhafte KTEP gilt so lange als infiziert, bis das Gegenteil bewiesen wird.</li> <li>Einer der wichtigsten Eckpfeiler in der Abklärung von KTEP-Infektionen ist die Punktion des betroffenen Kniegelenks und Gewinnung von Synovialflüssigkeit zur mikrobiologischen Aufarbeitung sowie Zellzahlanalyse und Zelldifferenzierung.</li> <li>Explantierte Prothesenteile sollen zur Sonifikation eingeschickt werden.</li> <li>Entnahme von mindestens 5 Gewebeproben zur mikrobiologischen und histologischen Untersuchung.</li> </ul> </div> <p> </p> <p>Die Implantationen von Knietotalendoprothesen (KTEP) nehmen seit Jahren stetig zu. Trotz sorgfältiger Operationsplanung, verbesserten Operationstechniken sowie ständiger Weiterentwicklung der Implantate klagen ca. 20 % der Patienten nach Implantation einer KTEP über Schmerzen.<sup>1</sup> Sowohl extraartikuläre als auch intraartikuläre Ursachen können für diese Schmerzen verantwortlich sein und bedürfen einer genauen Abklärung.<br /> Das Risiko, an einer Protheseninfektion zu erkranken, liegt bei ca. 2 % . Sie stellt eine schwerwiegende Komplikation dar.<sup>2</sup> Um ein optimales Behandlungs- und Therapieergebnis zu erzielen, ist es für den jeweiligen behandelnden Arzt bzw. Operateur von entscheidender Bedeutung, die richtige Diagnose bei schmerzhaften Knieprothesen zu stellen. Gerade chronische Knieprotheseninfektionen stellen in der Abklärung eine besondere Herausforderung dar. Die nachfolgende Übersichtsarbeit fokussiert auf die Abklärung einer möglichen Protheseninfektion bei Patienten mit Schmerzen nach KTEP-Implantation und skizziert einen diagnostischen Algorithmus als Entscheidungshilfe (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s9_abb1_amerstorfer.jpg" alt="" width="600" height="732" /></p> <h2>Diagnostischer Algorithmus</h2> <p><strong>Anamnese</strong><br /> Eine sorgfältige und ausführliche Anamnese ist der erste wichtige Eckpfeiler in der Abklärung von Schmerzen nach Implantation einer KTEP und sollte vor Beginn jeder klinischen Untersuchung durchgeführt werden. Folgende Fragen sollten gezielt gestellt werden:</p> <ul>• Seit wann bestehen die Schmerzen?</ul> <ul>• Ruhe- und/oder Belastungsschmerzen?</ul> <ul>• Schmerzcharakter und -intensität?</ul> <ul>• allgemeines Krankheitsgefühl?</ul> <ul>• Fieber und/oder Schüttelfrost?</ul> <ul>• Gab es bei der Primärimplantation Probleme (Wundheilungsstörung, verlängerte Antibiose etc.)?</ul> <p>Ruheschmerzen sowie allgemeines Krankheitsgefühl, vielleicht in Kombination mit einer postoperativen Wundheilungsstörung, sprechen eher für einen Protheseninfekt; reine Belastungsschmerzen hingegen für eine mechanische Ursache. Prinzipiell gilt jede schmerzhafte KTEP solange als infiziert, bis das Gegenteil bewiesen wird.</p> <p><strong>Klinische Untersuchung</strong><br />Nach der Anamnese muss jedes Kniegelenk klinisch untersucht werden. Zuvor sollten potenziell extraartikuläre Ursachen (z. B. Lumboischialgie, Coxarthrose, periphere arterielle Verschlusskrankheit etc.) durch ergänzende klinische sowie bildgebende Untersuchungen ausgeschlossen werden. Zur Differenzierung von intraartikulären Beschwerden erfolgt eine genaue Untersuchung des betroffenen Kniegelenks. Es sollte besonders darauf geachtet werden, ob das Kniegelenk geschwollen, gerötet und/oder überwärmt ist (immer im Vergleich zur Gegenseite). Des Weiteren werden das Kniegelenk sowie dessen umgebende Weichteile (Muskeln, Sehnen) auf mögliche Schmerzpunkte abgetastet. Druckschmerzen entlang des Pes anserinus sind Zeichen einer Tendinopathie, die zum einen durch eine Fehl- oder Überbelastung, zum anderen durch eine zu große Tibiakomponente begründet sein kann. Durch genaues Abtasten sowie Bewegungsüberprüfung der Patella können ein Patellahyperkompressionssyndrom, eine fortgeschrittene Retropatellararthrose oder eine lateralisierte Patella diagnostiziert werden. Nach Erhebung der aktiven und passiven Beweglichkeit („range of motion“, ROM, nach der Neutral-Null-Methode) erfolgt die Stabilitätsprüfung des Kniegelenks in verschiedenen Beugewinkeln, um mögliche Bandinstabilitäten zu verifizieren.</p> <p><strong>Bildgebung</strong><br />Röntgenaufnahmen in beiden Ebenen sowie die Ganzbein- und Patellaaufnahme gehören zu den ersten apparativen Untersuchungsmodalitäten, wobei eine a. p. und eine seitliche Aufnahme des Kniegelenks obligatorisch durchzuführen sind. Sie geben uns die ersten wichtigen Hinweise hinsichtlich möglicher Ursachen einer schmerzhaften KTEP. Lockerungszeichen, Osteolysen und/oder ein Resorptionssaum um das Implantat können nativradiologisch Zeichen einer infizierten KTEP sein und bedürfen einer weiteren Abklärung. Eine CT-Untersuchung ermöglicht eine genauere Beurteilung des Knochen- Implantat-Interfaces sowie der Ausdehnung vorhandener Osteolysen und kann ferner zur präoperativen Planung bei großen Revisionseingriffen herangezogen werden. Eine weitere Indikation zur Durchführung einer CT-Untersuchung (Rotations-CT) ergibt sich bei Verdacht auf eine Fehlrotation der femoralen bzw. tibialen Prothesenkomponente.<br /> Die MRT als weiteres Schichtbildverfahren eignet sich vor allem zur Abklärung von periartikulären Abszessen, ist jedoch nicht immer sofort verfügbar und hat gerade bei großen Revisionsprothesen aufgrund möglicher Metallartefakte ihre Limitationen. Gerade hier liegt der Vorteil der Sonografie: Sie ist schnell und unkompliziert durchführbar und kann ebenfalls zur ultraschallgezielten Punktion herangezogen werden.<br /> Die 3-Phasen-Skelettszintigrafie ist eine häufig verwendete, nuklearmedizinische Untersuchung. Sie besitzt eine hohe Sensitivität, jedoch eine niedrige Spezifität. <sup>3</sup> Vor allem in den ersten postoperativen Monaten (bis zu 12 Monaten) ist das Ergebnis dieser Untersuchung jedoch nicht verwertbar, da auch normales Knochenremodelling in der Knochenszintigrafie angezeigt wird. Die 3-Phasen-Skelettszintigrafie wird sehr häufig in Kombination mit einer Leukozytenszintigrafie verwendet, vor allem bei vorangegangener, positiver Knochenszintigrafie.<sup>4</sup> Zusätzlich kann die Leukozytenszintigrafie bei unklaren Infektionen bzw. erhöhten Entzündungsparametern zur Fokussuche, und um potenzielle Streuherde zu identifizieren, herangezogen werden.</p> <p><strong>Labor</strong><br />Bei Verdacht auf eine KTEP-Infektion sollte immer eine Serumanalyse von Leukozyten und CRP erfolgen, wobei negative Befunde einen Protheseninfekt nicht ausschließen. Rezente Studien an unserer Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie untersuchten verschiedene Biomarker zur Detektion von Protheseninfektionen.<sup>5</sup> In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass sowohl Procalcitonin als auch IL-6 als schnelle Biomarker hilfreich bei der Diagnosestellung einer Protheseninfektion sind.<sup>5, 6</sup><br /> Neben den oben genannten Entzündungsparametern sollten bei jedem septischen Patienten bzw. Patienten mit Fieber so rasch wie möglich, und am besten vor Antibiotikaerstgabe, Blutkulturen abgenommen werden.</p> <p><strong>Punktion</strong><br />Einer der wichtigsten Eckpfeiler in der Abklärung von KTEP-Infektionen ist die Punktion des betroffenen Kniegelenks zur Gewinnung von Synovialflüssigkeit. Alle etablierten Diagnosekriterien beinhalten sowohl die mikrobiologische Analyse der Gelenksflüssigkeit als auch die Analyse der Zellzahl sowie der Zelldifferenzierung und haben eine hohe Sensitivität und Spezifität. <sup>7–9</sup> Wichtig ist die sterile Durchführung, um zum einen das Risiko einer iatrogenen Infektion zu minimieren, zum anderen eine Kontamination zu vermeiden. Wenn es der Gesundheitszustand des Patienten zulässt, sollte eine Punktion unter laufender Antibiose vermieden werden. Eine negative Punktion schließt eine Infektion nicht aus und vice versa, daher sollte bei unklaren Befunden eine Wiederholung der Punktion in Erwägung gezogen werden. Zur mikrobiologischen Aufarbeitung kann das Punktat entweder in dafür vorgesehene spezielle Nährmedien wie die BHI-Bouillon-Röhrchen (Brain-Heart-Infusion) gegeben werden, oder, sollten diese nicht vorhanden sein, in Kulturflaschen eingeimpft werden.<sup>10</sup> Als dritte Untersuchungsmöglichkeit kann eine Gram-Färbung aus dem Synoviapunktat durchgeführt werden, wobei diese Untersuchungsmethode sehr häufig nur in der Regeldienstzeit zur Verfügung steht und negative Ergebnisse eine Infektion nicht ausschließen. <sup>11</sup><br /> Eine KTEP-Infektion liegt laut „Pocket Guide to Diagnosis & Treatment of Periprosthetic Joint Infection (PJI)“ vor, wenn ein oder mehrere Kriterien erfüllt sind (Tab. 1).<sup>12</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s10_tab1_amerstorfer.jpg" alt="" width="550" height="332" /></p> <p><strong>Intraoperative Infektabklärung</strong><br />Wird die Indikation zu einer Revisionsoperation gestellt, ist es von besonderer Bedeutung, ausreichend viele intraoperative Gewebeproben sowohl zur histologischen als auch mikrobiologischen Aufarbeitung zu entnehmen. Zudem sollten explantierte Prothesenteile zur Sonifikation eingeschickt werden.<sup>13</sup> An unserer Abteilung wurde zur standardisierten Durchführung dieser Entnahmen eine „Infektbox“ im Operationssaal etabliert, welche alle wichtigen Untersuchungen enthält. Insgesamt werden 5 Gewebeproben aus makroskopisch auffälligen, periartikulären Weichteilbezirken entnommen. Die ersten 3 Gewebeproben werden in der Hälfte geteilt und idealerweise mit BAKT I und HISTO I, BAKT II und HISTO II sowie BAKT III und Histo III beschriftet. Somit können die Ergebnisse der Untersuchungen im Verlauf miteinander verglichen und mögliche Kontaminationen ausgeschlossen werden. Die 4. und 5. Gewebeprobe werden lediglich der mikrobiologischen Untersuchung zugeführt und dementsprechend mit BAKT IV und BAKT V bezeichnet.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Abklärung einer schmerzhaften Knieprothese stellt behandelnde Ärzte immer wieder vor eine Herausforderung. Schmerzen nach Implantation einer KTEP können durch eine Infektion hervorgerufen werden. Eine schmerzhafte KTEP gilt solange als infiziert, bis das Gegenteil bewiesen wird. Dabei sind gerade der chronische Protheseninfekt bzw. eine Infektion mit niedrig virulenten Keimen schwer zu diagnostizieren. Aufgrund dessen sind diagnostische Algorithmen in der täglichen Praxis hilfreich und stehen als Entscheidungshilfen zur Verfügung.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Bourne RB et al.: Patient satisfaction after total knee arthroplasty:<br />who is satisfied and who is not? Clin Orthop Relat<br />Res 2010; 468: 57-63 <strong>2</strong> Knutson K et al.: Survival of<br />knee arthroplasties. A nation-wide multicentre investigation<br />of 8000 cases. J Bone Joint Surg Br 1986; 68: 795-<br />803 <strong>3</strong> Verberne SJ et al.: What is the accuracy of nuclear<br />imaging in the assessment of periprosthetic knee infection?<br />A meta-analysis. Clin Orthop Relat Res 2017; 475:<br />1395-410 <strong>4</strong> Signore A et al.: Consensus document for the<br />diagnosis of prosthetic joint infections: a joint paper by<br />the EANM, EBJIS, and ESR (with ESCMID endorsement).<br />Eur J Nucl Med Mol Imaging 2019; 46: 971-88 <strong>5</strong> Glehr M et<br />al.: Novel biomarkers to detect infection in revision hip<br />and knee arthroplasties. Clin Orthop Relat Res 2013; 471:<br />2621-8 <strong>6</strong> Klim SM et al.: Fibrinogen - a practical and cost<br />efficient biomarker for detecting periprosthetic joint infection.<br />Sci Rep 2018; 8: 8802 <strong>7</strong> Ochsner PE et al.: Infections<br />of the musculoskeletal system: basic principles, prevention,<br />diagnosis and treatment. Grandvaux Swiss orthopaedics<br />in-house-publisher 2014 <strong>8</strong> Osmon DR et al.: Executive<br />summary: diagnosis and management of prosthetic<br />joint infection: clinical practice guidelines by the Infectious<br />Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2013;<br />56:1-10 <strong>9</strong> Parvizi J et al.: New definition for periprosthetic<br />joint infection: from the Workgroup of the Musculoskeletal<br />Infection Society. Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 2992-4<br /><strong>10</strong> Geller JA et al.: Prospective comparison of blood culture<br />bottles and conventional swabs for microbial identification<br />of suspected periprosthetic joint infection. J Arthroplasty<br />2016; 31: 1779-83 <strong>11</strong> Wouthuyzen-Bakker M et al.:<br />Is gram staining still useful in prosthetic joint infections? J<br />Bone Jt Infect 2019; 4: 56-59 <strong>12</strong> Renz N, Trampuz A: Pocket<br />guide to diagnosis and treatment of PJI. Pro-implant<br />Foundation 2018; Version 8 <strong>13</strong> Trampuz A et al.: Sonication<br />of removed hip and knee prostheses for diagnosis of<br />infection. N Engl J Med 2007; 357: 654-63</p>
</div>
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