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Das schwierige Glenoid
Jatros
30
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13.02.2020
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<p class="article-intro">Die inverse Schulter-Totalendoprothese (TEP) in Kombination mit dem Glenoidaufbau mit autologem Knochen ist eine gute Option, um die beiden Probleme des dorsalen Knochenverlusts und der statischen posterioren glenohumeralen Instabilität zu lösen.</p>
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<p class="article-content"><p>Bereits zum achten Mal fand heuer unter der Leitung von Dr. Franz Unger, Schulterchirurg am Krankenhaus Diakonissen Linz, das „Oberösterreichische Schultermeeting“ statt. Nationale und internationale Experten referierten über die neuesten Trends in der Schulterendoprothetik und die bewährten Techniken in der Behandlung von schwierigen Glenoidsituationen.<br /> Einführend gab Dr. Unger einen Überblick über die „Behandlung von Walch- Typ-C-Glenoiden im Wandel der Zeit“. Dr. Peter Jennewein, Unfallchirurg am Klinikum Grieskirchen/Wels, sprach über die „präoperative Diagnostik in der Schulterendoprothetik unter besonderer Berücksichtigung des Glenoids“. Primar Dr. Franz Kralinger, Wilhelminenspital Wien, widmete sich dem „Management von Glenoiddefekten“, OA Dr. Georg Weber, Abteilung Orthopädie am Ordensklinikum Linz, dem „ein- und zweizeitigen Prothesenwechsel“. Im abschließenden Gastvortrag referierte Prof. Dr. Ulrich Brunner, Facharzt für Chirurgie am Krankenhaus Agatharied in Deutschland, über die „Wiederherstellung der Gelenklinie bzw. Lateralisation bei der inversen Prothese: Planung, PSI, BIO-RSA und augmentierte Basisplatten“.</p> <h2>Herausforderung TEP</h2> <p>Die Spezialisierung schreitet auch in der Schulterchirurgie immer weiter voran. Das Glenoid ist – besonders im Hinblick auf mögliche Komplikationen und auch die Lebensdauer der Prothesen – ein wesentlicher Teilaspekt in der Schulterendoprothetik. „Die Implantation einer Schulter-TEP bei exzessiven Pfannenretroversionen ist technisch herausfordernd und mit einer hohen Komplikations- und Revisionsrate vergesellschaftet“, erklärt Unger. Unabhängig von den großen Fortschritten in der Schulterendoprothetik in den letzten 20 Jahren wird das therapeutische Management von schweren posterioren Glenoiddefekten (wie Walch-Typ B2 und Walch-Typ C) seit Jahren sehr kontroversiell diskutiert.<sup>1</sup> Die Klassifikation der Glenoidmorphologie stammt ursprünglich von Gilles Walch et al. und wurde von Bercik et al. noch einmal modifiziert (Tab. 1).<sup>2, 3</sup> Die Implantation eines Glenoids in Retroversion führt zu einer exzentrischen Belastung des Glenoids und zu vorzeitiger Pfannenlockerung, bei ausgeprägter Retroversion auch zur dorsalen Luxation.<sup>4</sup> Nach Keller et al. ist die Versagerrate nach Implantation einer anatomischen Schulter-TEP bei unkorrigierten Glenoiden 2,5-mal höher als bei korrigierten Glenoiden bzw. Glenoidaufbau.<sup>5</sup><br /> Alternativ dazu führt das anteriore Fräsen („ream and run“) zwecks Korrektur eines exzentrischen posterioren Knochenverlustes von > 10 % zu einer signifikanten Verringerung des anteroposterioren Glenoiddurchmessers.<sup>6</sup> Es wird postuliert, dass beim „ream and run“ in der Glenoidretroversion eine Korrektur bis maximal 15° erfolgen soll, da es ansonsten zu einer zu starken Medialisierung der Gelenkslinie mit Entfernung des kortikalen Knochens und erhöhter Gefahr der Glenoidlockerung kommt.<sup>7</sup><br /> Wie schon eine Publikation aus dem Jahr 1997 zeigen konnte, kommt es durch eine Hemiprothese zu einem progressiven Knochenverlust am Glenoid. Bei 47 % der Patienten wurde ein persistierender und sogar zunehmender Schmerz registriert.<sup>8</sup><br /> Der Glenoidaufbau mit Knochenspan oder augmentiertem Glenoid ist notwendig bei präoperativer Glenoidretroversion von > 16°. Um die Implantatpositionierung und die Ergebnisse zu optimieren, soll auf eine Retroversion von 6° korrigiert werden.<sup>9</sup><br /> Bei der anatomischen TEP mit Glenoidaufbau kommt es bedingt durch die posteriore Subluxation des Oberarmkopfes zu einer exzentrischen Glenoidkomponente mit einer erhöhten Lockerungsrate. Eine Arbeit zum Thema „Anatomische TEP mit Glenoidaufbau“ mit 94 inkludierten Patienten und einem durchschnittlichen Follow- up (FU) von fünf Jahren konnte mit „akzeptablen subjektiven und objektiven Ergebnissen“ (Unger) aufwarten: Die Revisionsrate betrug 16,3 %, der Anteil der Glenoidlockerung 20,6 %.<sup>10</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s53_tab1.jpg" alt="" width="1299" height="766" /></p> <h2>Inverse TEP mit Glenoidaufbau</h2> <p>Die inverse Prothese führt zwar zu einer besseren Fixation und Stabilität verglichen mit der anatomischen Prothese, aber auch zu einer höheren Komplikationsrate. „Das semiconstrained Design einer inversen Schulterprothese könnte die Lösung für die statische posteriore Instabilität des Oberarmkopfes sein“, so Unger. In einer Studie mit 27 Walch-Typ-B2-Patienten mit einer durchschnittlichen Nachuntersuchungszeit von 4,5 Jahren und einem durchschnittlichen Alter von 74 Jahren hat sich der Constant- Score (CS) von 31 auf 76 verbessert. Es kam zu einer Frühlockerung und drei neurologischen Komplikationen.<sup>11</sup><br /> Bei 54 Patienten mit gewinkelter Bio- RSA („reverse shoulder arthroplasty“) B2 und C und OA-Kopf-Autograft mit einem durchschnittlichen FU von 36 Monaten stieg der CS von 31 auf 68. In der Retroversion kam es zu einer durchschnittlichen Korrektur von –21° auf –10,6°, einer Infektion und zwei aseptischen „Baseplate“- Lockerungen. Die komplette Graft-Inkorporation gelang in 94 % der Fälle.<sup>12</sup></p> <h2>3D-Planung</h2> <p>„Das Ziel der 3D-Planung muss es sein, unsere chirurgische Technik hinsichtlich der stabilen Fixierung der Glenoidkomponenten mit eventueller Rekonstruktion bzw. Korrektur der Version, Inklination und Korrektur der medialisierten Joint Line zu verbessern“, erklärt Dr. Jennewein. An der Scapula mit ihrem Glenoid besteht hinsichtlich ihrer Form eine enorme Variabilität (bikonkav, disloziert, abgewinkelt, dysplastisch, neutral). Eine häufige („normale“) Glenoidretroversion gemessen im axialen CT-Schnitt (Scapulaachse/glenoidale Oberfläche) beträgt 0° bis 10° nach Friedmann. Bei der Messung der Glenoidretroversion nach der „Vault-Methode“ wird als Referenzlinie die Verbindung zwischen Pfannenmitte und Schnittpunkt des vorderen und hinteren Scapulahalses verwendet.<sup>13</sup><br /> „Eine präoperative 3D-Planungssoftware ermöglicht die Verbesserung der virtuellen Glenoidpositionierung und beeinflusst den Entscheidungsprozess wesentlich“, so Jennewein. Die Messungen der Glenoid-Version und die Beurteilung der Klassifikation nach Walch sowie der Inklination (E1-, E2- und E3-Glenoide) sind in der 3D-Rekonstruktion mit Wiederherstellung der Joint Line und somit Korrektur der Medialisierung bei rTSA wesentlich genauer als im konventionellen 2D-CT. Hoenecke et al. empfehlen grundsätzlich die OP-Planung mittels 3D-CT, da in vielen CT-Untersuchungen die Scapulaachse in der Planung nicht korrekt getroffen wurde und sich dadurch in der Messung Unterschiede von bis zu 5° ergaben.<sup>14</sup></p> <h2>Ein- und zweizeitiger STEP-Prothesenwechsel</h2> <p>Indikationen zum Prothesenwechsel sind aseptische oder septische Lockerungen (etwa durch chronische Infekte), Infektionen ohne Lockerung (akutes Ereignis), Trauma (preriprothetische Frakturen mit und ohne Implantatausbruch), Luxationen oder sehr selten auch Tumoren (primäre Tumoren oder sekundäre Filiae). Ursache für eine aseptische Lockerung können der Inlay- Abrieb mit Lockerung durch Polyethylenpartikel (z. B. Osteolysen, eventuell mit größeren Defekten eines oder beider Gelenkspartner), eine insuffiziente Verankerung (Prothese eventuell zu klein – keine stabile Verankerung, Zementlockerung, mechanische Überlastung, Osteolysesäume, Stress-Shielding), Materialbruch oder Malpositionen der Prothesenanteile (vermehrter Abrieb, Schmerzen durch Über/Fehlbelastung) sein. „Die häufigste Wechselindikation ist eine Infektion“, erklärt Dr. Weber. Eine chronische Infektion mit niedrigpathogenen Keimen – etwa Staphylococcus epidermidis oder Cutibacterium acnes –, akut aufgepfroft auf eine aspetische Lockerung, kann zur septischen Lockerung führen und eine Wechselindikation sein. Bei einer Infektion bei festsitzendem Implantat bestehen die akuten Therapieoptionen aus dem Wechsel der mobilen Anteile und einer Synovektomie.<br /> Der ein-/zweizeitige Wechsel wird meist bei kurz zurückliegender Implantation und bei Chronifizierung (Wechsel ein-/zweizeitig, da die Keime meist schon zwischen Implantat und Knochen sitzen) durchgeführt. „Bei einem Trauma oder einem Tumor kann der Implantatausbruch durch die periprothetische Fraktur mit größeren Defekten einhergehen“, so Weber. Wenn eine suffiziente Verankerung möglich ist, kann eine einzeitiger Wechsel erfolgen. Zweizeitig ist er, wenn ein Knochenaufbau nötig ist und der Knochen einheilen muss.<br /> Ursachen für eine Luxation können eine Weichteilinsuffizienz, besonders der Rotatorenmanschette, oder eine Malposition eines Prothesenanteils (v. a. bei Knochendefekten posttraumatisch oder unzureichender Lateralisation bei inverser Prothese) sein. In einer Untersuchung von Hausdorf et al. („The dislocated shoulder prosthesis – an avoidable disaster?“) betrug im Zeitraum von 2000 bis 2006 bei 190 Endoprothesen der Schulter die Inzidenzrate 1,6 %.<sup>15</sup></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 8. Oberösterreichisches Schultermeeting: „Das schwierige Glenoid“, 17. Oktober 2019, Puchberg bei Wels
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Stephens SP et al.: Am J Bone Joint Surg Am 2015; 97(3): 251-9 <strong>2</strong> Walch G et al.: J Arthroplasty 1999; 14(6): 756-60 <strong>3</strong> Bercik MJ et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25(10): 1601-6 <strong>4</strong> Farron A et al.: J Shoulder Elbow Surg 2006; 15(4): 521-6 <strong>5</strong> Keller J et al.: Orthopedics 2006; 29(3): 221-6 <strong>6</strong> Gillespie R et al.: Orthopedics 2009; 32(1): 21 <strong>7</strong> Clavert P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2007; 16(6): 843-8 <strong>8</strong> Levine WN et al.: J Shoulder Elbow Surg 1997; 6(5): 449-54 <strong>9</strong> Sabesan V et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23(7): 964- 73 <strong>10</strong> Walch G et al.: J Shoulder Elbow Surg 2012; 21(11): 1526-33 <strong>11</strong> Mizuno N et al.: J Bone Joint Surg Am 2013; 95(14): 1297-304 <strong>12</strong> Boileau P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26(12): 2133-42 <strong>13</strong> Matsumura N et al.: J Orthop Surg Res 2014; 9(1): 17 <strong>14</strong> Hoenecke HR Jr et al.: J Shoulder Elbow Surg 2010; 19(2): 166-71 <strong>15</strong> Hausdorf J et al.: Orthopade 2007; 36(10): 944, 946-9</p>
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