
Das Konzept der pfeilerkreuzenden Zugschrauben in der Osteosynthese von Acetabulumfrakturen
Jatros
Autor:
Doz. Dr. Dietmar Krappinger, PhD
E-Mail: dietmar.krappinger@tirol-kliniken.at
Autor:
Doz. Dr. Richard A. Lindtner, PhD
Universitätsklinik für Unfallchirurgie<br> Medizinische Universität Innsbruck
30
Min. Lesezeit
07.05.2020
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<p class="article-intro">Die offene Reposition und interne Fixation stellt den Goldstandard in der Behandlung von dislozierten Acetabulumfrakturen bei nicht geriatrischen Patienten dar. Frakturen mit Beteiligung beider Pfeiler bedürfen dabei in aller Regel auch der Stabilisierung beider Pfeiler. Die Verplattung des vorderen und hinteren Pfeilers erfordert einen kombinierten Zugang und ist mit hoher Invasivität und langen OPZeiten verbunden. Das Konzept der pfeilerkreuzenden Zugschrauben zielt darauf ab, die Invasivität dieser Eingriffe zu reduzieren.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Konzept der pfeilerkreuzenden Zugschrauben soll die Invasivität der Osteosynthese von Acetabulumfrakturen mit Beteiligung beider Pfeiler reduzieren.</li> <li>Nicht alle Acetabulumfrakturen sind für die Anwendung dieser Technik geeignet. Die Eignung muss im Rahmen der präoperativen Frakturanalyse untersucht werden.</li> <li>Die präoperative Korridoranalyse dient der Bestimmung des Eintrittspunkts und des geplanten Schraubenverlaufs.</li> <li>Die intraoperative Umsetzung erfolgt unter Bildwandlerkontrolle in der ap, der seitlichen und der schräg-seitlichen Projektion.</li> </ul> </div> <h2>Konzept der pfeilerkreuzenden Zugschrauben</h2> <p>Das grundlegende Prinzip besteht darin, über einen vorderen oder hinteren Zugang eine Schraubenosteosynthese des jeweils kontralateralen Pfeilers durchzuführen. Dementsprechend können zwei Varianten unterschieden werden:</p> <ol> <li>Über einen dorsalen Zugang (Kocher-Langenbeck-Zugang) wird die Schraube von der äußeren Kortikalis des supraacetabulären Os ilium in Richtung der Symphyse in den vorderen Pfeiler eingebracht.</li> <li>Über einen ventralen Zugang (Olerud-Zugang, 1. Fenster des ilioinguinalen Zugangs, Pararectus-Zugang) wird die Schraube von der inneren Kortikalis des supraacetabulären Os ilium in Richtung Tuber ischiadicum in den hinteren Pfeiler eingebracht.</li> </ol> <p>Das Konzept der pfeilerkreuzenden Zugschrauben eignet sich allerdings nicht für alle Frakturen mit Beteiligung beider Pfeiler, sondern bedarf für eine erfolgreiche Anwendung der Erfüllung der folgenden beiden Voraussetzungen:</p> <ol> <li>Die Reposition ist der wichtigste Outcome- Parameter in der Osteosynthese von Acetabulumfrakturen. Somit sind nur Frakturen geeignet, bei denen die Reposition des kontralateralen Pfeilers über den gewählten Zugang adressiert werden kann. Dies muss im Zuge einer präoperativen Frakturanalyse untersucht werden.</li> <li>Die pfeilerkreuzenden Schrauben bedürfen eines komplett intraossären Verlaufs und dürfen im Schraubenverlauf weder das Hüftgelenk noch die Gegenkortikalis perforieren. Im Zuge einer präoperativen Korridoranalyse wird die knöcherne Anatomie in Bezug auf den geplanten Schraubenverlauf untersucht.</li> </ol> <h2>Präoperative Frakturanalyse</h2> <p>Die präoperative Frakturanalyse wird in der CT durchgeführt und umfasst zunächst die Bestimmung des Frakturtyps. Die Klassifikation nach Letournel und Judet ist auch mehr als 50 Jahre nach ihrer Veröffentlichung dafür gut geeignet.<br /> Im zweiten Schritt wird untersucht, ob die Fraktur über einen singulären Zugang mit ausreichender Güte reponiert werden kann. Diese Einschätzung erfordert eine gewisse Erfahrung des Untersuchers in der operativen Behandlung von Acetabulumfrakturen. Im Folgenden sollen diesbezügliche Überlegungen für die drei am häufigsten operativ zu versorgenden Frakturen mit Beteiligung beider Pfeiler formuliert werden.</p> <p><strong>Querfraktur</strong><br /> Dieser Frakturtyp zeichnet sich durch eine singuläre Frakturlinie aus. Die Frakturkomponente des kontralateralen Pfeilers kann somit über den gewählten Zugang indirekt reponiert werden. Grundsätzlich können dabei beide Varianten von pfeilerkreuzenden Zugschrauben verwendet werden. Im eigenen Vorgehen wird ein vorderer Zugang (Stoppa-Zugang und Mini-Olerud-Zugang) mit einer pfeilerkreuzenden Zugschraubenosteosynthese des hinteren Pfeilers bevorzugt. Zum einen ist der vordere Zugang weniger invasiv als der Kocher-Langenbeck-Zugang, zum anderen besitzt der hintere Pfeiler einen größeren Durchmesser und somit besteht ein geringeres Risiko einer Fehlplatzierung der pfeilerkreuzenden Schraube. Liegt zusätzlich noch ein zu adressierendes Hinterwandfragment vor (Frakturtyp: Querfraktur mit Hinterwand), muss allerdings ein hinterer Zugang mit vorderer Pfeilerschraube gewählt werden.</p> <p><strong>Vordere Pfeiler- und hintere Hemiquerfraktur (VPHQF)</strong><br /> Dieser Frakturtyp zeichnet sich trotz des etwas sperrigen Namens durch einen einheitlichen Mechanismus (Abb. 1a) und typische Frakturkomponenten (Abb. 1b) aus. Aufgrund der vorwiegenden Beteiligung des vorderen Pfeilers wird die Fraktur über einen vorderen Zugang reponiert. Der hintere Pfeiler ist einfach frakturiert und eignet sich aus diesem Grund hervorragend für eine Zugschraubenosteosynthese. Die hintere Frakturkomponente kann zudem indirekt über die quadrilaterale Fläche reponiert werden. Aus besagten Gründen eignet sich die VPHQF ideal für eine Reposition und Stabilisierung über einen vorderen Zugang in Kombination mit einer hinteren pfeilerkreuzenden Zugschraube.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s44_abb1_krappinger.jpg" alt="" width="850" height="369" /></p> <p><strong>Zweipfeilerfraktur</strong><br /> Zweipfeilerfrakturen stellen eine Gruppe von Frakturen mit heterogenen Verletzungsmechanismen und Frakturkomponenten dar. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass beide Pfeiler sowohl voneinander als auch vom restlichen Ilium durch Frakturlinien separiert sind. Dies erschwert zwar einerseits die indirekte Reposition des kontralateralen Pfeilers. Andererseits kann durch die frakturbedingte Separierung der beiden Pfeiler voneinander und vom Os ilium eine sogenannte sekundäre Kongruenz im Sinne einer weitgehend anatomischen Anordnung aller Frakturkomponenten um den Femurkopf ohne Ausbildung von Gelenkstufen auftreten. Es muss im Einzelfall entschieden werden, ob sich eine Zweipfeilerfraktur für die Anwendung einer pfeilerkreuzenden Zugschraube eignet und welcher Zugang bevorzugt gewählt wird.</p> <h2>Präoperative Korridoranalyse</h2> <p>Im Folgenden soll beispielhaft die Korridoranalyse für eine hintere pfeilerkreuzende Zugschraube dargestellt werden. Die präoperative Becken-CT wird dafür verwendet. Diese kann mit jeder Software, die über die Funktion der zweidimensionalen multiplanaren Reformation (MPR) verfügt, durchgeführt werden. Sollte die Korridoranalyse aufgrund der Dislokation auf der frakturierten Seite nicht durchführbar sein, so kann sie auf der Gegenseite durchgeführt werden.<br /> In einem ersten Schritt wird der Eintrittspunkt ausgewählt. Dieser liegt in der Regel in der Nähe des Übergangs vom schmalen Beckenkamm zum breiteren supraacetabulären Knochen (Abb. 2a). Durch Verschieben des Achsenkreuzes und Rotation der Achsen kann der ideale Korridor gefunden werden. Um das intraoperative Auffinden des Eintrittspunkts zu erleichtern, kann in weiterer Folge die Live-Sync- Funktion verwendet werden, welche die in der CT-Rekonstruktion gewählten Eintritts- und Endpunkte auf den Scout projiziert (Abb. 2b). Beim Scout handelt es sich um eine ap Aufnahme in Rückenlage des Patienten auf dem CT-Tisch, die intraoperativ mittels Bildwandler in Rückenlage auf dem OP-Tisch reproduziert werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s45_abb2_krappinger.jpg" alt="" width="850" height="303" /></p> <h2>Intraoperative Umsetzung</h2> <p>Im Folgenden soll beispielhaft die intraoperative Umsetzung einer hinteren Pfeilerschraube dargestellt werden. Diese erfolgt unter Bildwandlerkontrolle in drei Projektionen: der ap Projektion, der seitlichen Projektion (Abb. 3a) und der schrägseitlichen Projektion (Abb. 3b).<br /> Der Eintrittspunkt wird in der ap Projektion aufgesucht. Sollte dieser über den bereits angelegten vorderen Zugang nicht erreicht werden, so kann ein 2–3 cm langer Zugang über der Beckenschaufel (Mini-Olerud-Zugang) angelegt werden. Gemäß der präoperativen Planung wird der Führungsstift für eine kanülierte Großfragmentschraube bis zum Hüftgelenk vorgebohrt. In weiterer Folge wird die extraartikuläre Lage des Stifts in der seitlichen Projektion überprüft. Bei günstigem Stiftverlauf wird dieser bis in die gewünschte Endposition vorgebohrt. Es folgt die Kontrolle der intraossären Stiftlage in der schräg-seitlichen Projektion. Bei korrekter Stiftlage wird die Schraube nach Längenmessung und Vorbohren eingebracht. Die Kontrolle der Schraubenlage erfolgt abschließend in der ap Projektion (Abb. 4a), in der schräg-seitlichen Projektion (Abb. 4b) und gegebenenfalls postoperativ in der CT (Abb. 4c).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s45_abb3_krappinger.jpg" alt="" width="850" height="291" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2003_Weblinks_jat_ortho_2003_s46_abb4_krappinger.jpg" alt="" width="850" height="281" /></p></p>
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