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Allergie, Urtikaria & Angioödem
Jatros
30
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14.03.2019
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<p class="article-intro">Der 23. Grazer Allergietag war voll und ganz den Spezialthemen von Univ.-Prof. Dr. Werner Aberer gewidmet, der über Jahrzehnte wie kein anderer die österreichische Allergologie geprägt hat und mit der diesjährigen Veranstaltung in der Alten Universität Graz von seinen Kollegen und Wegbegleitern in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet wurde.</p>
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<p class="article-content"><h2>Update Kontaktallergie</h2> <p>Zu den Top-Risikoberufen für Berufsekzeme zählen an erster Stelle Zahnarzthelfer durch die Feuchtbelastung und Handschuhmaterialien, gefolgt von Personen in der Landwirtschaft und Fischereiverarbeitung, Anlagen- und Maschinenführer, Maschinenschlosser und Monteure durch Schmiermittelexposition, in der Chemieindustrie Beschäftigte, Personen in der Lebensmittelverarbeitung, Friseure, Haushaltshilfen (inkl. Wäscherei- und Reinigungspersonal) und Krankenpfleger (Feuchtarbeit).<sup>1</sup> „Egal in welchem Beruf der Patient tätig ist, die Testung der Standardreihe reicht nicht aus, um die sehr vielfältige Exposition an den Arbeitsplätzen zu erfassen. Daher ist oft eine Expositionstestung erforderlich“, betonte Prof. Dr. Vera Mahler, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Paul-Ehrlich- Institut, Langen. „In Europa treten Berufsdermatosen mit einer Häufigkeit von 0,5–1 Neuerkrankung pro 1000 Beschäftigten und Jahr auf“, so Mahler weiter. „Die Lokalisationen sind am häufigsten die Hände, Unterarme und das Gesicht.“ In 90–95 % der Fälle handelt es sich um irritative Kontaktekzeme, allergische Kontaktekzeme und beruflich verschlechterte atopische Handekzeme.<sup>2</sup></p> <p><strong>Alle Komponenten erkennen</strong><br /> „Die klassische Blickdiagnose ist nicht immer verlässlich. Richtungsweisende Hinweise auf arbeitsbedingte Allergie gibt die ausführliche Anamnese, wie etwa Besserung bzw. Abheilung in der arbeitsfreien Zeit sowie eine arbeitsabhängige Verschlechterung bzw. Rezidive“, informierte Mahler. Häufig sind mehr als eine Komponente die Ursache von Handekzemen, daher ist es wichtig, alle Komponenten zu erkennen und adäquat zu behandeln. Meist berichten die Patienten nur von dem Tag, an dem die Verschlechterung aufgetreten ist – gerade bei Kontaktallergien sind auch die drei Tage davor auf eine mögliche Exposition zu hinterfragen.</p> <p><strong>Wichtige Aspekte</strong><br /> „Bis zu 15 % der positiven Testreaktionen werden bei einer ausschließlichen 48–72-Stunden- Ablesung nicht entdeckt“, hob Mahler hervor. Deswegen wird eine Ablesung nach 7–10 Tagen in dem demnächst publizierten Upgrade der S3-AWMFLeitlinie „Durchführung des Epikutantests mit Kontakt-Allergenen“ empfohlen. Ganz besonders relevant ist dies bei Allergien auf Kortikosteroide, Antibiotika, Formaldehyd, Formaldehydabspalter und Formaldehydharze, p-Phenylendiamin sowie (Dental-)Metalle.<br /> „Wird der Patient mit Kortikosteroiden behandelt, so kann dadurch die Testreaktion falsch negativ beeinflusst werden. In Dosen von >20mg/Tag sollen Kortikosteroide eine Woche vor der Epikutantestung abgesetzt werden“, berichtete Mahler. Laut Mahler dürften zudem neuere H1- Antihistaminika den Epikutantest ebenfalls beeinflussen, daher sollen sie abgesetzt werden – erfahrungsgemäß reicht eine Latenz von 5 Halbwertszeiten aus.</p> <p><strong>Mangelware seltene Allergene</strong><br /> Die ESCD-Guidelines<sup>3</sup> empfehlen, bei allen Handekzemen, die länger als drei Monate bestehen, eine Epikutantestung als Goldstandard in der Diagnosesicherung bei T-Zell-mediierten Spättypallergien durchzuführen. „Wichtig ist es, nicht nur die Standardreihe mit den ubiquitären Allergenen zur Verfügung zu haben, sondern auch seltene Allergene – denn alle Berufsallergene sind im Prinzip seltene Allergene“, ergänzte Mahler. Alle Test- und Therapieallergene sind europaweit nach der EU-Richtlinie 2001/83/EG Arzneimittel und damit zulassungspflichtig. „Deshalb gibt es so wenige Neuzulassungen von seltenen Testallergenen: Sämtliche Allergene müssen die Studienphasen I bis III durchlaufen“, argumentiert Mahler. „Testallergene müssen zudem vom Arzt gekauft werden und gerade seltene Allergene könnten verfallen, bis ein Patient zur Testung kommt. Die Verfügbarkeit von Therapieallergenen wird somit auch durch Angebot und Nachfrage bestimmt.“</p> <p><strong>Steiniger Weg der Innovation</strong><br /> „Eine innovative Immuntherapie sollte effizient, sicher und angenehm für den Patienten sein“, so Priv.-Doz. Mag. Dr. Stefan Wöhrl, Floridsdorfer Allergiezentrum, Wien. „Der Markt für Immuntherapie ist leider ein Nischenmarkt mit wenigen, kleinen Herstellern“, stellt Wöhrl fest. „Gemäß der Therapieallergenverordnung benötigen die bestehenden Produkte eine Zulassung. Daher sind die Ressourcen der Herstellerfirmen für die Aufrechterhaltung von bereits bestehenden Immuntherapien gebunden.“ Woher sollen also Ressourcen für die Entwicklung neuer, innovativer, aber kommerziell riskanter Therapieprinzipien kommen? Viele dieser kleinen Hersteller wollen kein Risiko eingehen und bevorzugen daher eine konservative Produktentwicklung.</p> <p><strong>Rückgang der Testallergene</strong><br /> Wichtig für die Praxis wäre die Verfügbarkeit seltener inhalativer Allergene wie etwa Schimmelpilze, Unkräuter und Esche. „In einigen Jahren werden nur wenige, aber wirksame Allergene zur Verfügung stehen, weil andere (seltene) Allergene kommerziell nicht interessant sind“, befürchtet Wöhrl. Zu diesen werden nur vier inhalative Allergene – Gräser-, Birken-, (Ragweed-)Pollen, Hausstaub – sowie Biene/ Wespe-Allergene zählen.“ Und demnächst wohl auch das Erdnussallergen, denn es laufen vielversprechende Studien zu Immuntherapien gegen Erdnussallergie: So werden aktuell Epikutan-<sup>4</sup>, Subkutan-<sup>5</sup> und Sublingual-Tests<sup>6</sup> untersucht. „Es ist jedoch fraglich, wie relevant eine Erdnussallergie in Mitteleuropa wirklich ist, wo viel mehr Menschen zum Beispiel an Haselnussallergien leiden“, so Wöhrl, und er gab zu bedenken, dass „mit diesen wenigen Allergenen bei Weitem nicht alle Patienten diagnostiziert werden können, weil mindestens 60 Prozent von ihnen an anderen Allergien leiden“.</p> <p><strong>Allergen von emotionaler Bedeutung</strong><br /> „Ein Riesenthema in nahezu jeder Allergiesprechstunde sind Haustierallergene – Patienten wünschen sich immer öfter, ihre Katze/ihren Hund nicht weggeben zu müssen“, erläuterte Wöhrl. In einer Katzenallergen- Expositionsstudie zeigte sich ein großer Unterschied zwischen Geimpften und Placebo-Patienten. Darauf folgte eine Phase-III-Studie,<sup>7</sup> die nach zwei Jahren eine klinisch relevante Reduktion der Rhinokonjunktivitis-Symptome zeigte. „Allerdings hatte Placebo den gleichen Effekt wie die Impfung, was dazu geführt hat, dass sich der Hersteller von der Produktion zurückgezogen hat“, stellte Wöhrl klar. „Katzenbesitzer wollen ihre Katze behalten und glauben an den Erfolg egal welcher Intervention. Ein Placeboeffekt mit über 50 Prozent lässt wenig Spielraum für die Wirkung eines Medikaments“, kommentierte Wöhrl. Ein neuer innovativer Therapieansatz ist daher die Hypoallergenisierung der Katze durch eine Impfung (www.hypopet.ch).</p> <h2>Urtikaria & Angioödem</h2> <p>Um ein Angioödem sicher diagnostizieren zu können, wurde von Cicardi et al.<sup>8</sup> ein Konsensuspapier zur Klassifikation, Diagnostik und Therapie erstellt. „Für die Therapie ist es in der klinischen Praxis zunächst relevant, ob ein Angioödem Mastzell(Histamin)-mediiert oder Bradykinin- vermittelt entstanden ist“, informierte Prof. Dr. Markus Magerl, Allergie- Centrum-Charité, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin.</p> <p><strong>Mastzell-vermitteltes Angioödem</strong><br /> Das Mastzell-vermittelte Angioödem ist die häufigste Form der rezidivierenden Angioödeme und tritt klassischerweise bei der akuten spontanen, der chronischen spontanen und der induzierbaren Urtikaria auf. „Urtikaria ist charakterisiert durch das plötzliche Auftreten von Quaddeln oder Angioödemen oder beidem. Dementsprechend werden Angioödeme im Rahmen einer Urtikaria (auch ohne Quaddeln) wie eine Urtikaria entsprechend den EAACI-Leitlinien<sup>9</sup> behandelt“, so Magerl. Zunächst wird die Urtikaria mit einem H1-Antihistaminikum der 2. Generation behandelt. Wenn diese Therapie nach 2–4 Wochen nicht zum Therapieziel führt, wird die Dosis bis auf das Vierfache gesteigert. Führt auch dies zu keiner ausreichenden Kontrolle, wird zusätzlich Omalizumab eingesetzt. Wenn dies nach sechs Monaten nicht ausreicht, wird zusätzlich ein Cyclosporin gegeben. Magerl: „Bei Mastzell-vermitteltem Angioödem ist die Prophylaxe vorgesehen, nicht die Bedarfstherapie.“<br /> Auch das bislang dürftig definierte „idiopathische“ Angioödem – ein rezidivierendes erworbenes Angioödem, ohne Quaddeln, mit normalem C1-Inhibitor- Spiegel, nicht durch ACE-Hemmer verursacht und Antihistaminika-resistent – scheint eine Urtikaria mit Angioödem zu sein und damit Mastzell-vermittelt. „Das zeigte bei diesen Patienten der Therapieerfolg mit Omalizumab“,<sup>10</sup> so Magerl.</p> <p><strong>Bradykinin-vermitteltes Angioödem: erworbenes Angioödem</strong><br /> Angioödeme durch ACE-Hemmer entstehen durch Überproduktion von Bradykinin. Betroffen sind 0,5 % aller Patienten mit ACE-Hemmern – cave: afroamerikanische Bevölkerung bis zu 5 % ! Meist treten die Angioödeme nach kurzer Zeit auf, aber die Latenz kann auch Jahre betragen, und sie manifestieren sich zumeist in der oberen Atem-schluck-Straße. „Kortikosteroide und Antihistaminika sind (fast) wirkungslos und es ist umstritten, welche Therapie in Notfallsituationen eingeleitet werden soll“, bemängelte Magerl. „Erfahrungen mit Icatibant sind gut, aber die Studienlage ist mager, daher kann es nur off-label gegeben werden.“</p> <p><strong>Hereditäres Angioödem (HAE)</strong><br /> Diese Form zeichnet sich durch einen C1-Inhibitor-Mangel (Typ II) bzw. einen erniedrigten C1-Inhibitor-Spiegel aus (Typ I). Charakteristisch sind extrem schmerzhafte Bauchattacken, die 2–5 Tage andauern können. Die Anamnese ist hinweisend: „Rezidivierende Angioödeme seit der Kindheit/Jugend ohne Quaddeln, kein Ansprechen auf Antihistaminika/ Kortikosteroide, positive Familienanamnese und abdominelle Attacken – allerdings muss nach diesen aktiv gefragt werden“, betont Magerl. Larynxattacken können tödlich sein. 12 % der HAE-Patienten haben mehr als eine Attacke pro Woche, knapp 40 % der HAE-Patienten haben mindestens eine Attacke pro Monat.<br /> Für die Akuttherapie stehen der Bradykinin- Antagonist Icatibant sowie die C1- Inhibitor-Konzentrate Berinert<sup>®</sup> (20E/ kgKG) oder Cinryze<sup>®</sup> (1000E gewichtsunabhängig) oder Ruconest<sup>®</sup> zur Verfügung. Magerl: „Die frühe Behandlung ist am effektivsten.“ Eine Prophylaxe ist ganz besonders für Patienten mit mehr als einer Attacke pro Woche relevant und erfolgt mit Cinryze<sup>®</sup> (1000E alle 3 oder 4 Tage i.v.) oder Berinert<sup>®</sup> (60U/kgKG Berinert<sup>®</sup> 2000/3000 s.c. 2x pro Woche, zugelassen, aber noch nicht auf dem Markt). Demnächst wird auch Lanadelumab, ein humaner monoklonaler Antikörper, der gegen Plasmakallikrein gerichtet ist und subkutan appliziert wird, zugelassen.</p> <h2>Fakten zur Insektengiftallergie</h2> <p>Mit zahlreichen Mythen zum Thema Insektengiftallergie räumte Assoz. Prof. Dr. Gunter Sturm, Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, MedUni Graz, in seinem Vortrag auf und ersetzte sie durch evidenzbasierte Fakten.</p> <p><strong>Stiche und Stichreaktionen</strong></p> <ul> <li>So werden 75 % der Stiche von Wespen verursacht und nur 25 % von Bienen. Hummeln und Hornissen stechen dagegen selten.</li> <li>Mit der Anzahl der Stiche pro Jahr sinkt das Risiko für eine Insektengiftallergie: Imker mit wenigen Stichen pro Jahr haben das höchste Allergierisiko.<sup>11</sup> Stiche innerhalb kurzer Zeit dürften allerdings das Allergierisiko erhöhen: „Zwei Stiche innerhalb von zwei Monaten erhöhen das Risiko für eine Insektengiftallergie.“<sup>12</sup></li> <li><strong>Risikofaktoren für schwere Stichreaktionen:</strong> schwere initiale Stichreaktion, höheres Lebensalter (2- bis 3,1-fach höheres Risiko), erhöhte Serumtryptase (2,2- bis 2,7-fach höheres Risiko)<sup>13</sup></li> <li><strong>KEINE Risikofaktoren für schwere Stichreaktionen:</strong> Stiche im Kopf-/ Halsbereich, hohes spezifisches IgE und Hauttestreakivität, Antihypertensiva (ACE-Hemmer, Betablocker)<sup>13</sup></li> <li>Eine Wespe kann ihren Stachel in der Haut hinterlassen, insbesondere, wenn auf den Stachel Druck, z.B. durch die Fußsohle, ausgeübt wurde.</li> </ul> <p><strong>Diagnostik</strong></p> <ul> <li>Simultane Hauttestung ist möglich und sicher.<sup>14</sup></li> <li>Wespengift hat wenige Allergene, Bienengift hat viele Allergene und kein klares Hauptallergen.</li> <li>Testsysteme sind bei Bienengiftallergie generell weniger sensitiv.</li> <li>Komponenten-basierte Diagnostik ist in der Routine nicht notwendig und außerdem noch unausgereift.</li> </ul> <p><strong>Therapie</strong></p> <ul> <li>Notfalltherapie: Adrenalin ja, i.v. Antihistaminika nein, weil sie sehr nebenwirkungsreich sind.</li> <li>Immuntherapie mit Insektengift ist hochwirksam und sicher.</li> <li>Schnellere Aufimpfung kommt bald für Wespengift.<sup>15</sup></li> <li>Vorsicht bei Api m10 – Risiko muss in einer größeren Studie abgeklärt werden.</li> <li>EAACI-Guidelines on Allergen Immunotherapy<sup>16</sup></li> </ul> <p><br /><span style="text-decoration: underline;"><strong>Nähere Infos zu Prof. Aberer ab sofort auf Wikipedia:</strong></span><br /> https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Aberer</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 23. Grazer Allergietag, 13. Oktober 2018, Graz
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Bauer et al.: Hautarzt 2015; 66: 652-64 <strong>2</strong> Mahler et al.: J Eur Acad Dermatol Venerol 2017; 31(4): 12-30 <strong>3</strong> Diepgen et al.: JDDG 2015; 13: e1-22 <strong>4</strong> Sampson et al.: JAMA 2017; 318(18): 1798-809 <strong>5</strong> Bindslev-Jensen et al.: J Allergy Clin Immunol 2017; 139(2): AB191 <strong>6</strong> Bird et al.: J Allergy Clin Immunol Pract 2018; 6(2): 476-85. e3 <strong>7</strong> Couroux et al.: Clin Exp Allergy 2015; 45(5): 974-81 <strong>8</strong> Cicardi et al.: Allergy 2014; 69: 602-16 <strong>9</strong> Zuberbier et al.: Allergy 2018; 73(7): 1393-414 <strong>10</strong> Azafra et al.: Ann Allergy Asthma Immunol 2015: 114(5) <strong>11</strong> Bousquet et al.: JACI 1984; 52(5): 371-4 <strong>12</strong> Pucci et al.: Allergy 1994; 49(10): 894-6 <strong>13</strong> Arzt et al.: Allergy 2016; 71(11): 1632-4 <strong>14</strong> Quirt et al.: Ann Allergy Asthma Immunol 2016; 116(1): 49-51 <strong>15</strong> Schrautzer C et al.: ongoing <strong>16</strong> Sturm et al.: Allergy 2018; 73(4): 744-64</p>
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