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Acetabuläre Revision in der Hüftendoprothetik: eins für alles?
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Dieter C. Wirtz
Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Bonn<br/>E-Mail: dieter.wirtz@ukbonn.de
30
Min. Lesezeit
15.02.2018
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<p class="article-intro">Ein neuartiges „Augment and modular cage“-System (MRS-TITAN® Comfort) ermöglicht die intraoperative zementfreie Rekonstruktion selbst größter Knochendefekte unter Zuhilfenahme der biologischen Augmentation.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die acetabuläre Revision einer einliegenden Hüfttotalendoprothese kann sehr anspruchsvoll sein. Häufige Gründe hierfür sind eine unvorteilhafte Anatomie, große Knochendefekte sowie ein schlechter Knochenstock, was intraoperativ die Verankerung der neuen Pfanne stark erschwert.<sup>1</sup> Auch die Anzahl der vorangegangenen Revisionsoperationen spielt eine erhebliche Rolle, erschwert doch ein ausgeprägtes chirurgisches Débridement die Situation oft noch zusätzlich.</p> <p>Ferner sind die intraoperativ tatsächlich vorhandenen anatomischen Verhältnisse nach definitiver Pfannenpräparation oft anders als zunächst erwartet (sog. „mismatch“), was eine sehr flexible intraoperative Entscheidungsfindung verlangt. Häufige Gründe hierfür sind abriebinduzierte Osteolysen, avitale oder sklerotische Bereiche oder das chirurgische Débridement selbst.<sup>2</sup> Die Summe all dieser Probleme und Herausforderungen hat in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem Umdenken in der Revisionschirurgie und zur Entwicklung neuartiger Techniken und angepasster hochmodularer Implantate geführt, die es ermöglichen, prä- und intraoperativ auf alle möglichen Situationen angemessen zu reagieren.</p> <p>Obgleich dies eine deutlich erhöhte intraoperative Flexibilität zur Folge hatte, spielt die präoperative Diagnostik in der Vorbereitung auf die Revision weiterhin eine entscheidende Rolle. So darf, neben den konventionellen Röntgenaufnahmen, auch die Durchführung eines dünnschichtigen nativen Planungs-CTs heute als Standard angesehen werden. Nur so gelingt eine möglichst präzise erste Einteilung der vorhandenen Defektsituation; beispielsweise nach Paprosky.<sup>3</sup></p> <p>Die Ziele der Revision bemessen sich an den bereits geschilderten Problemstellungen: bestmögliche Wiederherstellung der Gelenkgeometrie, des anatomischen Drehzentrums und des femoralen Offsets unter Beibehaltung einer physiologischen Beinlänge. Hierbei muss jedoch auch eine anschließende Luxationsstabilität gewährleistet sein, was unter Umständen zur Aufgabe eines oder mehrerer der zuvor genannten Ziele führen kann.</p> <p>Die primäre Stabilität wird durch das verwendete Implantat und seine Fixation gewährleistet. Die sekundäre Stabilität – und somit Langzeitstabilität – soll mittels eines sogenannten „downsizing“ des Knochendefektes durch Augmentation und optimale Osseointegration erreicht werden. Hier stehen dem Operateur verschiedene Verfahren zur Verfügung: vom metallischen Augment über die Spongiosaplastik bis hin zum kortikospongiösen Span.<sup>4</sup> Mit der bestmöglichen präoperativen Defektklassifikation gelingt also auch eine erste Entscheidungsfindung in der Wahl der OP-Technik, der benötigten Implantate und der Begleitmaßnahmen zur Defektfüllung.<sup>5</sup></p> <p>Das Design und die Technik moderner Implantate haben sich – gemessen an den Herausforderungen – in den letzten 10–20 Jahren sehr stark gewandelt, sodass wir heute über hochmodulare Revisionsimplantate verfügen, die es ermöglichen, auf alle genannten Probleme adäquat zu reagieren. Das hier vorgestellte neuartige „Augment and modular cage“-System aus Titan (MRS-TITAN® Comfort, Peter Brehm GmbH, Weisendorf, Deutschland) macht es dem Operateur möglich, dank einer Vielzahl an multiaxialen Schrauben und optionalen Augmenten selbst große Knochendefekte ohne zusätzliche Zementfixation zu versorgen, um eine optimale Sekundärstabilität durch Osseointegration zu erreichen. Die Indikationen umfassen neben den einfacheren Defektsituationen nach Paprosky I–II auch die ausgeprägten Defektsituationen nach Paprosky IIIa bei ausreichend vorhandenem dorsalem Pfeiler. Grenzen des Implantates sind ein komplett ausgehöhlter dorsaler Pfeiler oder die Beckendiskontinuität. Ersteres muss mit einem Implantat mit rein kranialer Krafteinleitung (z.B. Kranialsockelpfanne) und Letzteres mit einem sogenannten Beckenteilersatz („off the shelf“ oder individuell gefertigt) versorgt werden.<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1801_Weblinks_s18_1.jpg" alt="" width="966" height="1062" /></p> <p>Das Implantat MRS-TITAN® Comfort besteht aus einer Titanschale („cage“) in verschiedenen Varianten, ohne Laschen oder mit unterschiedlich langen Laschen. Der modular einsetzbare Pfannenteil ist in seiner Version frei einstellbar, die Schrauben sind sämtlich multiaxial besetzbar. Drei verschiedene Augmenttypen ermöglichen außerhalb der Titanschale eine möglichst perfekte Einpassung in die vorhandenen Defektzonen, um ein konsekutives Versagen zu großer biologischer Augmente zu verhindern. In Abhängigkeit vom zuvor vorhandenen Implantat können Inlays („liner“) aus Polyethylen und Keramik verwendet werden.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden 42 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 68 (34–86) Jahren und einem mittleren BMI von 28,3kg/m<sup>3</sup> (Übergewicht) erfasst, die zwischen 2013 und 2015 an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Bonn mit der MRS-TITAN® Comfort versorgt worden waren. Komorbiditäten und epidemiologische Daten wurden prä- und perioperativ erhoben. Das klinische Outcome wurde anhand des Bewegungsausmaßes (ROM), des Harris-Hip-Scores (HHS) und der dokumentierten postoperativen Komplikationen gemessen. Außerdem erfolgte zusätzlich eine radiologische Auswertung der Pfannenposition prä- und postoperativ, um die erreichte Rekonstruktion zu dokumentieren.</p> <p>Der mediane Charlson Comorbidity Index der eingeschlossenen Patienten lag bei 0, wobei die häufigste Nebenerkrankung die arterielle Hypertonie war. Der häufigste versorgte Defekttyp war Paprosky IIIa (56 % ). Die durchschnittliche OP-Zeit betrug 212 (93–477) Minuten und die durchschnittliche Verweildauer 14 (9–60) Tage. Zum Einjahres-Follow-up konnten signifikante Verbesserungen der Flexion (p<0,05) sowie hochsignifikante Verbesserungen des Harris-Hip-Scores (p<0,0001) gezeigt werden (Abb. 3). Extension, Außen- und Innenrotation und Abduktion sowie Adduktion blieben ohne signifikante Veränderungen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1801_Weblinks_s18_2.jpg" alt="" width="1417" height="1579" /></p> <p>Die häufigsten perioperativen Komplikationen waren Fehlplatzierung einzelner Schrauben (4), prolongierte Femoralgie (4) und rezidivierende Luxationsereignisse (2). Es wurden keine implantatassoziierten schwerwiegenden Komplikationen verzeichnet. Die radiologische Analyse zeigte in nahezu allen Fällen eine gute bis exzellente Rekonstruktion des physiologischen Rotationszentrums, unabhängig von der vorbestehenden Defektgröße und Morphologie nach Paprosky. In der Horizontalebene kam es durchschnittlich zu einer Lateralisierung, in der Vertikalebene zu einer dezenten Kranialisierung. Die Eingangsebene zeigte keine relevanten Veränderungen.</p> <h2>Conclusio</h2> <p>Die hier erstmals klinisch nachuntersuchte hochmodulare Revisionspfanne MRS-TITAN® Comfort eignet sich nach den Erfahrungen der Autoren und den hier vorgestellten Ergebnissen hervorragend zur Rekonstruktion großer acetabulärer Knochendefekte, nicht nur im Falle einer Revision, sondern auch primär, in Abhängigkeit von den vorliegenden anatomischen Verhältnissen. Das Implantat kann aufgrund dieser ermutigenden Ergebnisse als sicher und effektiv angesehen werden. Prospektive randomisiert-kontrollierte Studien zum Einsatz in einem differenzierten Patientenkollektiv befinden sich bereits in Vorbereitung.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Gravius S et al.: [Acetabular defect reconstruction in revision surgery of the hip. Autologous, homologous or metal?]. Orthopade 2009; 38(8): 729-40 <strong>2</strong> Gravius S, Randau T, Wirtz DC: [What can be done when hip prostheses fail?: New trends in revision endoprosthetics]. Orthopade 2011; 40(12): 1084-94 <strong>3</strong> Paprosky WG, Perona PG, Lawrence JM: Acetabular defect classification and surgical reconstruction in revision arthroplasty. A 6-year follow-up evaluation. J Arthroplasty 1994; 9(1): 33-44 <strong>4</strong> Koob S et al.: [Biological downsizing: Acetabular defect reconstruction in revision total hip arthroplasty]. Orthopade 2017; 46(2): 158-67 <strong>5</strong> Wirtz DC, Rader C, Reichel H (eds.): Revisionsendoprothetik der Hüftpfanne. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg: 2007 <strong>6</strong> Friedrich MJ et al.: [Biological acetabular defect reconstruction in revision hip arthroplasty using impaction bone grafting and an acetabular reconstruction ring]. Operative Orthopädie und Traumatologie 2014; 26(2): 126-40</p>
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