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Uroonkologie

Große Schritte vorwärts

Die Uroonkologie, lange ein Stiefkind der Onkologie, hat in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Trotz niedrigerer Inzidenz uroonkologischer Tumoren im Gegensatz zu den häufigsten Karzinomen, wie Bronchus-, Mamma- oder Kolorektalkarzinomen, beherrschen die neuesten Studienergebnisse regelmäßig die wichtigsten Sitzungen der größten internationalen Kongresse. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sowohl beim Nierenzellkarzinom als auch beim Urothelkarzinom neue Substanzen die Therapie revolutioniert haben. In diesem Artikel sollen die wesentlichen Fortschritte der letzten Zeit zusammengefasst werden.

Therapieneuerungen Nierenzellkarzinom und Urothelkarzinom

Die Ära der modernen Therapieoptionen des Nierenzellkarzinoms wurde vor 14 Jahren durch die Einführung der Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) eingeläutet. Mit dem Vorreiter Sunitinib, einem Anti-VEGF-(„Vascular endothelial growth factor“)-Tyrosinkinaseinhibitor (TKI), der 2006 zugelassen wurde, konnte nach vielen Jahren der Stagnation das Gesamtüberleben erstmalig signifikant verlängert werden. Zahlreiche weitere TKI mit unterschiedlichen Targets (VEGF, MET, „platelet-derived growth factor receptor“ [PDGFR], AXL) und die sogenannten mTOR-Inhibitoren haben in weiteren Therapielinien das Überleben nochmals verlängert.

Die Immuncheckpoint-Inhibitoren (I-O), die Stars der letzten Dekade, haben die Therapielandschaft zuletzt modernisiert. Damit ist die komplette Remission einer metastasierten Erkrankung realistisch geworden. Aktuell werden zahlreiche Kombinationen von I-O mit I-O oder auch I-O mit TKI im neoadjuvanten, adjuvanten und metastasierten Setting untersucht und das Outcome für die Patienten wird weiter verbessert (Abb. 1). Beim Urothelkarzinom haben die I-O nach jahrelangem Stillstand einen wirklichen Durchbruch gebracht. Die Chemotherapie-Schemata MVAC und später Cisplatin/Gemcitabin – mit den entsprechenden Toxizitäten – galten seit den späten Neunzigern als Therapiestandard. Zwischen 1989 und 2017 erhielten lediglich zwei weitere Substanzen, nämlich Gemcitabin und Vinflunin, in Europa eine Zulassung. Ab 2017 wurde durch die Zulassung von drei Checkpoint-Inhibitoren, Pembrolizumab, Atezolizumab und Nivolumab, die Zweitlinientherapie im fortgeschrittenen Setting sowohl in Hinblick auf Wirksamkeit als auch auf Verträglichkeit neu definiert und die Chemotherapie abgelöst. Inzwischen haben die I-O die Erstlinientherapie des Urothelkarzinoms bei den sogenannten „Cisplatin-unfitten“ Patienten mit Tumoren mit hoher „Programmed cell death-ligand 1“(PD-L1)-Expression erreicht. Besonders erwähnenswert ist die Erhaltungstherapie nach einer kurzen Chemotherapie. Gemäß der rezentesten Studie konnte durch eine Erhaltungstherapie mit Avelumab das mediane Gesamtüberleben auf 21,4 Monate deutlich verlängert werden.

Gezieltere Therapieformen wie „Fibroblast growth factor receptor“(FGFR)-Inhibitoren (z.B. Erdafitinib) oder die sogenannten „Antibody drug conjugates“ (ADC) (z.B. Enfortumab vedotin) vervollständigen das Armamentarium der neuen Therapieformen und werden als Monosubstanzen oder auch in Kombination erfolgreich eingesetzt.

Abb. 1:Timeline der Therapieoptionen des Nierenzellkarzinoms. IFNα: Interferon-α

Zusammenarbeit und Multidisziplinarität

Einer der besonders hervorzuhebenden Fortschritte der vergangenen 20 Jahre ist die Zusammenarbeit zwischen Urologen und Onkologen. Kein chirurgisches Spezialfach hatte sich so vehement gegen die Zusammenarbeit mit Onkologen gewehrt wie die Urologie. Auch nach Präsentation der ersten neoadjuvanten Studien in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, welche eine Verlängerung des Gesamtüberlebens ohne höhere Komplikationsrate bei Zystektomien zeigen konnten, lief die Zusammenarbeit zunächst sehr zögerlich an. Durch die neuen Substanzen, Multidisziplinarität und Präsenz der Onkologen, aber auch anderer Fachrichtungen an den internationalen Kongressen wurde die Zusammenarbeit vertieft und das Vertrauen in die Onkologie als Partner aufgebaut. Die Etablierung von multidisziplinären uroonkologischen Tumorboards trägt dieser neuen Interdisziplinarität Rechnung.

Aufgrund der zunehmenden Komplexität in der Diagnostik und Therapie uroonkologischer Erkrankungen bekommt diese Multidisziplinarität im Sinne einer Vernetzung von Wissen aus unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen eine immer größere Bedeutung, denn auch bei den meisten anderen uroonkologischen Tumoren haben sich infolge der therapeutischen Entwicklungen der letzten Jahre multimodale Therapiekonzepte durchgesetzt. Neoadjuvante Therapiekonzepte mit Chemotherapie/I-O oder eine multimodale Radiochemotherapie ohne Zystektomie bei älteren, multimorbiden Patienten beim Urothelkarzinom, wiederholte strahlentherapeutische und nuklearmedizinische Ansätze wie beim Prostatakarzinom oder lokoablative/chirurgische Verfahren zur Eradikation von Metastasen wie beim Nierenzellkarzinom oder bei Keimzelltumoren gehören zur täglichen uroonkologischen Routine. Die nun immer besser funktionierende Zusammenarbeit ist für mich ein Meilenstein in der Betreuung von uroonkologischen Patienten.

Blick in die Zukunft

Neue Substanzen, wie HIF(„Hypoxie-induzierter Faktor“)-Inhibitoren oder Glutaminase-Inhibitoren werden beim Nierenzellkarzinom in Mono- oder auch Kombinationsstudien untersucht. Neue ADC, wie z.B. Sacituzumab Govitecan, oder auch kombinierte Immuntherapien sollen das Gesamtüberleben der Urothelkarzinompatienten weiter verlängern.

Wünschenswert für die Zukunft wäre die Etablierung von prädiktiven Biomarkern. In zahlreichen Studien wurden inzwischen für beide Entitäten Biomarker mit mehr oder weniger klinischer Relevanz definiert. Idealerweise benötigen wir Marker, welche den Einzug in die Routine schaffen, damit die Patientenselektion erleichtert und das Therapieansprechen verbessert wird und die Toxizität sowie die Kosten gesenkt werden. Die Erfolgsgeschichte der Uroonkologie geht weiter und soll unseren Patienten in den nächsten 20 Jahren eine weitere Verbesserung mit anhaltenden Remissionen bringen.

beim Verfasser

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