
©
Getty Images/iStockphoto
Von Innsbruck an die Spitze der World Sleep Society
Jatros
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Im September dieses Jahres wird Prof. Birgit Högl als erste Österreicherin zur Präsidentin der World Sleep Society ernannt. Wir nutzten diesen Anlass, um mit ihr über ihre aktuellen und kommenden Aufgabenfelder zu sprechen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><em><strong>Frau Professor Högl, herzliche Gratulation zur bevorstehenden Ernennung! </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Herzlichen Dank für die Glückwünsche! Ich werde das Amt im September antreten und für zwei Jahre ausüben. Ich freue mich sehr auf diese spannende Aufgabe. Die World Sleep Society ist aus der Zusammenführung der World Association of Sleep Medicine und der World Federation of Sleep Medicine and Sleep Research Societies hervorgegangen. In der World Association of Sleep Medicine war ich in verschiedenen Komitees aktiv, beispielsweise im Bylaws Committee, im Education Committee und zuvor auch als Schatzmeisterin. Dabei konnte ich umfassende Einblicke in die Organisation gewinnen.</p> <p><em><strong>Welches sind die wichtigsten Anliegen der Welt-Schlaf-Gesellschaft? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Hauptziel ist die Verbesserung der Schlafgesundheit in verschiedenen Ländern der Welt. Das soll durch die Unterstützung von Forschungsvorhaben und Forschungskooperationen sowie die Entwicklung von hochwertigen Ausbildungskurrikula für besonders begabte Forscher erreicht werden. Wir arbeiten darüber hinaus an der Definition weltweiter Standards, die sicherstellen sollen, dass die schlafmedizinische Diagnostik und die schlafmedizinische Versorgung der Bevölkerung überall auf einem hohen Niveau gewährleistet werden können.<br /> Da gibt es selbstverständlich länderspezifische Unterschiede. Die Sicherstellung der qualifizierten Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte, die schlafmedizinisch tätig sind, ist daher eine wichtige Säule. Dazu wurde von der World Association eine internationale Prüfung entwickelt, die weltweit durchgeführt werden kann. Schließlich besteht eine weitere wichtige Aufgabe der World Sleep Association in der Information der Bevölkerung. So soll sichergestellt sein, dass die Bevölkerung auch direkten Zugang zu hochwertigen Informationen bekommt, da es auf dem Gebiet der Schlafmedizin auch sehr viel Halbwissen gibt.</p> <p><em><strong>Der Welt-Schlaf-Tag stand unter dem Motto „Gesunder Schlaf ist gesundes Altern“. Welche Beschwerden oder Langzeitfolgen können durch anhaltende Schlafprobleme entstehen? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Beim schlechten Schlaf muss man unterscheiden zwischen der freiwilligen Verkürzung der Schlafzeit, indem man sich zu wenig Zeit für den Schlaf nimmt oder durch die gegebenen Lebensumstände bekommt, und dem Schlaf schlechter Qualität aufgrund von Schlafstörungen.<br /> Diese Szenarien haben teilweise unterschiedliche, teilweise überlappende Folgen. Zusammenfassend kann man aber sagen, dass mittlerweile viele Studien belegen, dass zu kurzer Schlaf auf lange Zeit das Risiko für Bluthochdruck, Herz- Kreislauf-, Gefäß- und Stoffwechsel– erkrankungen deutlich erhöht. Ebenso wird das Immunsystem beeinträchtigt. Manche Studien zeigen auch einen Zusammenhang zwischen einem beeinträchtigten Schlaf-wach-Rhythmus durch Schichtarbeit und der Erhöhung von Tumorraten.<br /> Dies hat dazu geführt, dass die Schichtarbeit von der WHO als wahrscheinlich das Tumorrisiko erhöhend eingestuft wurde. Mittlerweile gibt es auch immer mehr Untersuchungen, die zeigen, dass Schlaf schlechter Qualität oder unzureichender Schlaf auf lange Sicht das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen, wie beispielsweise bestimmte Demenzen, erhöhen können.<br /> Wichtig sind auch bestimmte Schlafstörungen, die man nicht klassisch als Schlafmangel oder Insomnie klassifizieren kann. Dazu zählt beispielsweise die Parasomnie, eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die man nur im Schlaflabor zuverlässig diagnostizieren kann. Diese Erkrankung ist ein sehr sensitiver Vorbote eines Hochrisikos für neurodegenerative Erkrankungen vom α-Synuklein-Typ, z.B. Parkinson- Erkrankung, Demenz mit Lewy-Körperchen oder in seltenen Fällen Multisystematrophie.</p> <p><em><strong>Oft treten Schlafstörungen als Komorbiditäten auf. Mit welchen anderen Fachrichtungen arbeiten Schlafmediziner in der Regel zusammen? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Die Schlafmedizin vereint viele Aspekte aus zahlreichen Fachrichtungen. Dazu gehört die Neurologie bei z. B. den REM-Schlaf-Störung, der Narkolepsie und dem Restless-Legs-Syndrom. Es gibt auch Psychiater, die große Schlaflabore betreiben und sich beispielsweise mehr auf Schlafstörungen im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen konzentrieren. Schlafmediziner und Schlafforscher kommen klassischerweise auch aus den Bereichen innere Medizin, insbesondere Pulmologie und Kardiologie, HNO, Pädiatrie, aber auch Zahnärzte und medizinische Psychologen befassen sich mit Aspekten der Schlafmedizin.</p> <p><em><strong>Wie steht es um die Versorgung von Patienten mit Schlafproblemen in Österreich? Können diese umfassend betreut werden? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Hier gibt es sehr gute Neuigkeiten. Seit Kurzem existiert für Mediziner verschiedener Fachrichtungen die Möglichkeit, eine Spezialisierung in Schlafmedizin zu erwerben, die von der Ärztekammer eingerichtet wurde. Dies ist eine große Errungenschaft, da durch diese Spezialisierung in Schlafmedizin die Leistung, die ja bereits seit vielen Jahren österreichweit von zahlreichen Schlafmedizinern erbracht wird, besser sichtbar gemacht wird und auch gewisse Standards für den Erwerb der Spezialisierung sichergestellt wurden. <br />Auch auf politischer Ebene hat man sich erfreulicherweise dem Thema Schlaf zugewandt: Vom Bundesministerium für Gesundheit wurde vor wenigen Monaten die äußerst hilfreiche Broschüre „Gesund schlafen“ herausgegeben, die äußerst nützliche Hinweise und Tipps für das Vorgehen bei den ganz verschiedenen Arten der Schlafstörungen in verschiedenen Altersgruppen beinhaltet. <br />Diese Entwicklungen werden vor allem zum Nutzen von Patienten sein. Man muss bedenken, dass die schlafmedizinische Diagnostik sehr komplex sein kann und entweder sehr seltene Erkrankungen (etwa die IgLON-5-Antikörperassoziierte Erkrankung) beinhaltet oder auch schlafmedizinische Komorbiditäten.</p> <p><em><strong>Welche Schwerpunkte setzt die Österreichische Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung in ihrer Arbeit? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Die Österreichische Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung besteht schon seit 1991. Sie ist eine klassische interdisziplinäre Gesellschaft, in der die Präsidenten sehr unterschiedlichen Fachdisziplinen angehören. Im Moment steht mit Dr. Rainer Popovic ein Pulmologe der Gesellschaft vor. <br />Die Fortbildung ist uns sehr wichtig. Wir organisieren beispielsweise jährlich einen nationalen Kongress. Dieser hat 2019 Anfang Mai in Gmunden stattgefunden und wir konnten den renommierten Schlafforscher und Psychiater Dr. Carlos Schenck, den Erstbeschreiber der REMSchlaf- Verhaltensstörung, für einen Vortrag über Gewalttätigkeit im Schlaf als Folge von schlafmedizinischen Erkrankungen gewinnen.</p> <p><em><strong>Der World Sleep Congress wird im September in Kanada stattfinden. Können Sie uns hierzu einen Ausblick geben? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Die World Sleep Association organisiert alle zwei Jahre einen großen internationalen Kongress, der den Austausch zwischen ausgezeichneten internationalen Schlafforschern fördert. Dieser Kongress ist eine gute Gelegenheit, sein Wissen auf den neuesten Stand zu bringen und zu erfahren, was sich in der Welt der Schlafforschung und Schlafmedizin tut. Der Kongress präsentiert sich einerseits als Fortbildungsveranstaltung mit hochwertigen „Teaching Courses“, andererseits werden auch die neuesten Forschungsergebnisse präsentiert.</p> <p><em><strong>Wird der World Sleep Congress in naher Zukunft auch nach Österreich kommen? </strong></em><br /><em><strong>B. Högl:</strong></em> Beim Weltkongress herrscht eine sehr kompetitive Bewerbungssituation und Europa war mit dem World Sleep Congress in Prag erst vor zwei Jahren Austragungsort. Nach Kanada 2019 wird der Kongress 2021 in Lateinamerika, in Rio de Janeiro, stattfinden, und für die Austragung 2023 laufen derzeit die Bewerbungen. Einige asiatische Länder haben bereits ihr Interesse bekundet. <br />Die Prüfung dieser Bewerbungen ist ein langer Prozess. Als Präsidentin elect bin ich da miteingebunden. Ich arbeite beispielsweise im Programmkomitee für den Kongress in Vancouver mit. Dies beinhaltet das Screenen und Bewerten von Abstracts und Symposieneinreichungen. Neben regelmäßigen Meetings gibt es teils mehrmals wöchentlich Telefonkonferenzen. Das ist eine große, aber trotzdem auch sehr schöne Aufgabe, die ich sehr gerne mache.</p> <p><em><strong>Herzlichen Dank für das Gespräch!</strong></em></p></p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Angepasste Therapien und Biomarker verbessern den Krankheitsverlauf bei MS
Neue Biomarker und sensitivere Analysemethoden erleichtern die Behandlungsauswahl bei Multipler Sklerose und bilden den Krankheitsverlauf unter den Therapien immer verlässlicher ab. Auf ...
Interdisziplinäre Therapie der intrazerebralen Blutung
Aktuelle Studienergebnisse brachten erstmals einen positiven Effekt operativer Therapieverfahren auf das funktionelle Outcome bei Patient:innen mit intrazerebraler Blutung. Für die ...
Wenn das Sprechen schwerfällt – Dysarthrien verstehen und behandeln
Dysarthrien sind erworbene neurogene Störungen der Sprechmotorik, die die Ausführung und Koordination der für das Sprechen benötigten Bewegungen beeinträchtigen. Neben bekannten, ...