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Von der Entschlüsselung der Ursachen bis zu neuen Therapien
Jatros
30
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13.12.2018
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<p class="article-intro">Nach 2004 fand auch heuer der Europäische Epilepsiekongress (ECE) in Wien statt, und zwar von 26. bis 30. August. Wir sprachen mit Prof. Eugen Trinka, dem Vorsitzenden der International League Against Epilepsy (ILAE) Europe und Co-Chair des ECE International Organising and Scientific Committee, über die Highlights des Kongresses und die Pläne für den ECE 2020 in Genf.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Professor Trinka, wie beurteilen Sie den Erfolg des ECE 2018? Wie war das Feedback? <br />E. Trinka:</strong> Der Europäische Epilepsiekongress 2018 war wirklich erfolgreich: Mit rund 2650 Teilnehmern aus der ganzen Welt war er sehr gut besucht. Wir haben auch außerordentlich positives Feedback bekommen. Beispielsweise meinten Teilnehmer aus Übersee im Gespräch, dass der Kongress ein extrem hohes Niveau gehabt habe, sowohl was die wissenschaftlichen Vorträge als auch die Fortbildungsangebote betraf.</p> <p><strong>Mit welchen Neuerungen hat der ECE 2018 auf sich aufmerksam gemacht? <br />E. Trinka:</strong> Zum ersten Mal bei einem europäischen Epilepsiekongress haben wir Teaching Courses implementiert. Das waren Halbtageskurse, die entweder Basiswissen vermittelt haben oder aber ganz spezielles Fachwissen, wie beispielsweise Inhalte zur präoperativen Epilepsiediagnostik. Diese Kurse wurden sehr gut angenommen und waren zum Teil sogar überbucht. Neu war dieses Jahr auch das Young Epileptologists Forum. Dr. Caroline Neuray und Dr. Gudrun Kalss haben hier ein Programm zusammengestellt, mit dem wir besonders die jungen Kollegen angesprochen haben. Weiters gab es erstmals einen Leadership- Kurs für junge Kollegen, der einerseits Themen spezifisch für Führungskräfte behandelte, sich andererseits aber auch mit Managementthemen auseinandersetzte. Abgerundet wurden diese Angebote von einer Reihe von Veranstaltungen außerhalb des Kongresses wie beispielsweise einem Networkingevent oder dem Epilepsy Awareness Run.</p> <p><strong>Es gab ja dieses Jahr auch zum ersten Mal ein deutschsprachiges Patientenforum – welche Themen wurden hier mit der Bevölkerung diskutiert? <br />E. Trinka:</strong> Ja, das deutschsprachige Patientenforum beim ECE war ebenfalls ein Novum, bisher wurden diese Foren ja immer in englischer Sprache gehalten. Die großen Themen waren die akute Versorgung daheim, neue Medikamente und deren praktische Anwendung, aber auch die Risiken unkontrollierter, therapieresistenter Anfälle. Es ist wichtig, die Patienten über die Risiken untherapierter Epilepsien aufzuklären und dabei auch heikle Themen wie die Epilepsiechirurgie oder SUDEP anzusprechen. Leider haben Untersuchungen gezeigt, dass viele Ärzte Hemmungen haben, solche sensiblen Themen an ihre Patienten heranzutragen.</p> <p><strong>In welchen Fällen ist denn die Epilepsiechirurgie eine Option? <br />E. Trinka:</strong> Die Epilepsiechirurgie ist eine wirksame Methode und das Mittel der Wahl bei verschiedenen Arten von Epilepsien, die medikamentös nicht gut zu kontrollieren sind. Es ist wichtig, die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffs im Einzelfall zu prüfen. Sobald das zweite Medikament versagt hat, gehört der Patient einem epilepsiechirurgischen Zentrum zugewiesen. Zu warten, bis etwas passiert, sind verlorene Lebensjahre!</p> <p><strong>Welche Themen haben den ECE 2018 geprägt? <br />E. Trinka:</strong> Die Epileptologie befindet sich gerade stark im Wandel. Wir nutzen neue Methoden und können so immer besser die genetischen Ursachen für angeborene Epilepsien entschlüsseln. Für immer mehr Erkrankungen findet man ein oder mehrere Gene, die mit der Erkrankung zusammenhängen. Dadurch gibt es bereits erste Erfolge in der zielgerechten Behandlung angeborener Epilepsien. <br />Auf der anderen Seite stehen wir durch den demografischen Wandel in der Bevölkerung einer stetig wachsenden Anzahl erworbener Epilepsien gegenüber. Auch hier macht die Forschung große Fortschritte und wir verstehen zunehmend die Zusammenhänge zwischen Epilepsie und Demenzen oder dem zerebrovaskulären Risiko. Der epileptische Anfall im Zusammenhang mit einem „mild cognitive impairment“ gilt beispielsweise mittlerweile als Biomarker für eine rasch fortschreitende degenerative Erkrankung. Patienten, die nach einem Schlaganfall einen epileptischen Anfall erleiden, haben ein höheres Risiko, in den darauffolgenden zwei Jahren dement zu werden. Das sind nur zwei Beispiele. Es gibt hier viele Zusammenhänge, die zu entschlüsseln man gerade im Begriff ist.<br />Genau diesen Entwicklungen – einerseits den spannenden Fortschritten auf dem Gebiet der kindlichen Enzephalopathien und andererseits den Zusammenhängen bei erworbenen Epilepsien – hatten wir mehrere Sessions beim Kongress gewidmet.</p> <p><strong>Welche Session war Ihr persönliches Highlight? <br />E. Trinka:</strong> Einer der Glanzpunkte beim ECE 2018 war sicherlich der Vortrag von Prof. Raphael Mechoulam, Pharmakologe an der Hebrew University of Jerusalem. Er hat die Wirkstoffe in Cannabis entschlüsselt und das endogene Cannabinoidsystem erstmals beschrieben. Mechoulam hat damit ein wirkliches Lebenswerk erschaffen und ist in meinen Augen ein Kandidat für den Nobelpreis. Cannabidiol ist mittlerweile zur Behandlung von kindlichen Epilepsieformen wie dem Dravet-Syndrom zugelassen und wird demnächst auch die Zulassung zur Behandlung des Lennox-Gastaut-Syndroms bekommen. <br />Ein weiteres Highlight war das Chair’s Symposium, das dem Thema „Status epilepticus“ gewidmet war und von verschiedenen Referenten und unter unterschiedlichen Aspekten beleuchtet wurde: Prof. Jaideep Kapur referierte über die Erkenntnis, dass die epileptische Aktivität im Gehirn dieselben Ausbreitungswege vom Hippocampus in den Neocortex nutzt wie jene zur Weiterleitung von Wissensinformation. Diese erstaunlichen Parallelen sind insofern von Bedeutung, als sich ja mit der Länge der Anfallsdauer das kognitive Outcome verschlechtert – hier eröffnen sich neue und wichtige Forschungsfragen. Dr. Stephan Rüegg sprach über Fortschritte und Zukunftsaussichten bei den medikamentösen Therapieoptionen und Dr. David Henshall über die Rolle von epigenetischen Veränderungen bei Epilepsie. Er präsentierte auch mögliche therapeutische Ansätze im Rahmen dieser epigenetischen Veränderungen. Dr. Ronit Pressler berichtete über den neonatalen Status epilepticus. 2015 haben wir eine neue Klassifikation der Epilepsien publiziert, in der die neonatalen Anfälle noch eine Sonderstellung eingenommen haben. Eine Task Force wurde damals eingerichtet, die nun einen Vorschlag zur Klassifikation neonataler Epilepsieanfälle gemacht hat. Ein sehr wichtiger Schritt!</p> <p><strong>Können Sie bereits Ausblicke auf den ECE 2020 geben? <br />E. Trinka:</strong> 2020 wird der ECE in Genf stattfinden, da werden die von uns etablierten Neuerungen weitergeführt und basierend auf den Ergebnissen der Evaluierung 2018 weiterentwickelt werden. Wir haben hinsichtlich der Teaching Courses ein Curriculum entwickelt, in dem die Lehrinhalte für die einzelnen Stufen 1–4 klar definiert wurden. Man wird diese Kurse beim ECE, aber auch davon unabhängig absolvieren können – das ist der Plan für 2020. <br />Wir werden zudem auch weiter den Weg gehen, den wir heuer eingeschlagen haben: verstärkt junge Kollegen in Planung und Durchführung des Kongresses einzubinden, bei Themenvorschlägen und Vorträgen weiterhin höchsten Wert auf die wissenschaftliche Qualität zu legen und außerdem beim Ausbildungsprogramm auf höchste inhaltliche und didaktische Qualität zu achten.</p> <p><strong>Welche Themen werden beim ECE 2020 aufgegriffen? <br />E. Trinka:</strong> Genf ist die Stadt der WHO. Wir werden dies zum Anlass nehmen, dort die großen Themen aus dem Bereich Public Health zu positionieren. Die WHO hat die Epilepsie zu einer der Health Care Priorities deklariert. Es wird 2020 also darum gehen, dies weiterzutragen und unterschiedliche unterstützende Aktionen zu setzen. <br />Wir haben in den letzten Jahren bewirkt, dass das Europäische Parlament eine Declaration of Epilepsy verfasst und man erste Maßnahmen erarbeitet hat: Epilepsiechirurgische Zentren wurden beispielsweise etabliert oder Epilepsiezentren für seltene und komplexe Erkrankungen. Beim ECE 2020 werden wir daher gründlich nachfassen, wie diese Deklaration umgesetzt wurde und welche zukünftigen Prioritäten gesetzt werden.</p></p>
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