
„Die Nächsten bitte!“ – neue Optionen rund um die Therapie bei Migräne
Autorin:
Dr. Sonja-Maria Tesar
Medizinische Direktorin
LKH Wolfsberg
Fachärztin für Neurologie
Leitung Kopfschmerzambulanz Klinikum Klagenfurt
Vizepräsidentin der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft
E-Mail: sonja-maria.tesar@kabeg.at
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Kopfschmerzen können unterschiedlich beeinträchtigend und bedrohlich sein, vor allem jedoch handelt es sich um ein Symptom, das einer zugrunde liegenden sekundären Ursache bzw. Diagnose einer eigenständigen Erkrankung zugeordnet werden kann und auch muss. Erst dann kann eine spezifische Therapie eingeleitet werden. Modalitäten gibt es bereits viele, neue Ansätze stehen vor der Tür.
Seit ca. 6000 Jahren leiden Menschen unter einer neurologischen Erkrankung, die wir heutzutage als Migräne diagnostizieren und therapieren können. Dennoch erlebt man immer wieder in Gesprächen mit älteren Patienten, dass diese lediglich von ihren rezidivierenden Kopfschmerzen in jüngeren Jahren berichten, und das bedeutet leider auch, dass selbst vor ca. 40–50 Jahren beispielsweise noch eine so sehr die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankung wie die Migräne den Stellenwert des Symptoms „Kopfschmerz“ bei Patient*innen, aber auch bei uns Ärzt*innen hatte.
In Anbetracht dessen, dass die Erkrankung zu Begleiterkrankungen wie Depression und Angststörung sowie vor allem zu einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität führen kann und unbehandelt auch führt – Migräne steht auf Platz 2 der am meisten die Lebensqualität negativ beeinflussenden Erkrankungen laut der Global-Burden-of-Disease-Studie der WHO –, ist es unabdingbar, dass die Forschung zu Pathophysiologie und Therapieoptionen nicht stillsteht und weiterhin neue Erkenntnisse bringt. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass weltweit ca. 13% der Bevölkerung unter Migräne leiden, was umgerechnet auf Österreich ca. 1 Million Betroffene ergibt; Frauen sind dreimal so häufig betroffen wie Männer.
Pathophysiologisch ist vor allem das „trigeminovaskuläre System“ maßgeblich beteiligt. Zusammengefasst kommt es zu einer Funktionsstörung zwischen Hirnstamm, Thalamus und kortikalen Systemen der Schmerzverarbeitung. Von enormer therapeutischer Wichtigkeit ist, dass es während einer Attacke zur Freisetzung unterschiedlicher neuroinflammatorischer Substanzen kommt, allen voran des „Calcitonin Gene-related Peptide“ (CGRP). Seit der Mitte der 80er-Jahre wissen wir, dass es zu einem massiven Anstieg dieses Eiweißmoleküls im Blut der Jugularvene von Migränepatienten während der Attacke kommt und seit damals wird dieses Wissen auch in therapeutischer Hinsicht erforscht und letztlich seit ein paar Jahren genutzt.
Wie therapieren wir denn nun die Migräne?
Unterschieden werden muss prinzipiell die Attackentherapie von der prophylaktischen Therapie, die wir dann überlegen, sollten drei oder mehr Migränetage pro Monat im Kopfschmerzkalender oder in der Anamnese, der Migräne-App etc. dokumentiert sein oder angegeben werden, dass diese durch das Attackenmanagement nicht zufriedenstellend therapiert werden konnten.
Übergeordnet muss immer die nicht medikamentöse Therapiesäule sein, zu der die Beachtung des Lebensstils und gegebenenfalls die Veränderung desselben ebenso gehören wie Ausdauersport, Erlernen und regelmäßiges Anwenden bzw. Praktizieren von Entspannungstechniken sowie auch das Analysieren und gegebenenfalls Adaptieren von Ernährungsgewohnheiten. Hier sei erwähnt, dass zum Beispiel der rasche Abfall des Blutglukosespiegels eine Attacke auslösen kann, sodass diesbezügliche Rücksichtnahme bei der Nahrungsauswahl präventiv wirksam ist.
Die Akuttherapie einzelner Attacken
Triptane: bekannt und bewährt
Die medikamentöse Therapie der einzelnen Attacke stellt eine ganz besonders wichtige Säule in der Therapie der Migräne dar. Seit dem Ende der 80er-Jahre können wir neben den herkömmlichen Schmerzmitteln wie NSAR, Paracetamol oder Metamizol auch die Triptane als selektive Serotonin-Rezeptor-Agonisten vor allem an den Subtypen 5-HT1B und 5-HT1D verschreiben. Seit Juli 2021 gibt es nun auch in Österreich ein frei käufliches Triptan, Zolmitriptan, als OTC(„Over the counter“)-Medikament in den Apotheken.
Dies ist u.a. wichtig, da die Verordnung der Triptane in der Erstverschreibung Fachärzten obliegt und damit der Zugang für Patient*innen massiv und nach 30 Jahren Erfahrung mit den Präparaten medizinisch unbegründet erschwert war und ist. Die Triptan-Verordnung ist daher in Österreich auch verglichen mit der Prävalenz der Migräne zu gering, gesamt betrachtet unter 6% (Tab. 1).
„New kid on the block“: Lasmiditan
Seit Kurzem gibt es die Zulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eines Ditans, Lasmiditan, einem selektiven Serotonin-1F-Rezeptor-Agonist; die Zulassung für Österreich ist brandaktuell (18.8.2022) ebenso bereits vorhanden. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der Triptane. Vor allem für Patienten, die aufgrund ihres kardiovaskulären Risikoprofils bzw. von Vorerkrankungen eine Kontraindikation für Triptane aufweisen, kann diese Therapie infrage kommen. Im Gegensatz zu den Triptanen, die vorwiegend an den Serotonin-Subrezeptoren HT1B und HT1D ansetzen, sind, wie bereits erwähnt, Ditane selektiv auf den HT1F-Rezeptor fokussiert, sodass ohne Gefahr der potenziellen Vasokonstriktion eben auch die erwähnten Risikopatient*innen ein für Migräne spezifisches Medikament einnehmen können. Lasmiditan bzw. die Gruppe der Ditane können die Blut-Hirn-Schranke passieren und somit zu ZNS-Nebenwirkungen wie Schwindel (18,6%), Schläfrigkeit (8,5%) und Parästhesien (6,8%) führen. Dies hat eine Bedeutung für die Reaktionsfähigkeit nach der Einnahme; was dies konkret für die Praxis bedeuten wird, ist noch nicht final geregelt.
Zur Akuttherapie oder Prophylaxe: Gepante
Ebenso, jedoch nicht ausschließlich, akut einsetzbar sind die Gepante, die am CGRP-Rezeptor als sogenannte „small molecules“ ansetzen. Bereits 2004 wurde eine Studie eines Vertreters der Gruppe, Olcegepant, veröffentlicht, später wurde auch Telcagepant entwickelt. Aufgrund von erhöhten Leberwerten kamen beide nicht über die Phase-III-Studien hinaus und die Entwicklung weiterer Gepante stagnierte – vorerst.
Zwei Vertreter der neuen Generation, Ubrogepant und Rimegepant, stehen vor der Tür. Sie sind bereits in den USA von der FDA zugelassen, Rimegepant seit Juni 2022 nun auch von der Europäischen Kommission.
Gepante sind ähnlich wie die Ditane oral einzunehmen und führen zu keiner Vasokonstriktion, sodass wiederum die besagten Patienten mit kardiovaskulärem Risikoprofil eine weitere spezifische Option zur Verfügung haben, aber natürlich nicht nur diese Gruppe.
Laut Studien zeigte sich unter der täglichen Einnahme eines Gepants keine Gefahr der Entwicklung eines Medikamentenübergebrauchs, sodass Studien zum Einsatz als Prophylaxe durchgeführt wurden – mit positiven Ergebnissen.
Als Nebenwirkungen sind Schwindel und Übelkeit zu erwähnen.
Rezente Daten aus Studien konnten zeigen, dass eine Kombination mit den monoklonalen CGRP-Antikörpern als prophylaktische Therapie keine negativen Effekte bewirkte, hier gilt es jedoch noch, weitere Daten zu erhalten, um eine verlässliche Aussage treffen zu können.
Um bei den CGRP-Antikörpern zu bleiben, kann nach 4 Jahren Anwendung der drei bislang verfügbaren – Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab – weiterhin bestätigt werden, dass es sich um einen Meilenstein in der prophylaktischen Therapie der Migräne handelt, sehen wir doch bis dato keine schweren Nebenwirkungen. Zusätzlich zu den überzeugenden Daten aus Zulassungsstudien und Follow-up-Analysen gibt es seit Kurzem Real-World-Evidenz, die neben der Wirksamkeit die Sicherheit der Antikörper ebenso bestätigt. Abgesehen von den ca. 15–25% Non-Respondern konnte damit vielen Patient*innen die verloren geglaubte Lebensqualität wiedergeschenkt werden. Und genau diese Lebensqualität soll auch unser wichtigster Parameter in der Evaluierung der Effizienz einer prophylaktischen Therapie sein. Glücklicherweise ist es mittlerweile akzeptiert, dass ein Therapieziel auch erreicht wurde, wenn nicht starr „nur“ die Anzahl der Kopfschmerztage um mindestens 50% reduziert werden konnte, sondern sich die Lebensqualität um 30% gebessert hat bei unter 50%iger Reduktion der Kopfschmerztage.
Seit Februar ist ein vierter monoklonaler CGRP-Antikörper EU-weit zugelassen. Es handelt sich um Eptinezumab, der als Besonderheit alle 12 Wochen intravenös zu verabreichen ist. Die Vorteile sind u.a. der Wirkungseintritt bereits am Folgetag nach der Infusion und die Verabreichung quartalsweise, ermöglicht durch eine sehr lange Halbwertszeit. Derzeit ist noch nicht klar, wie Eptinezumab erstattet wird, sodass es noch nicht verabreicht werden kann (Tab. 2).
Tab. 2: Monoklonale CGRP-Antikörper in Österreich 2022 (MMD ... monatliche Kopfschmerztage; RR ... Responder Rate)
Sollte der Therapieerfolg nicht ausreichend überzeugend sein, jedoch auch kein Nichtansprechen belegbar sein, kann eine Kombinationstherapie versucht werden. Über die Kombination der monoklonalen CGRP-Antikörper mit Onabotulinumtoxin A gibt es bereits positive Daten, andere Kombinationsansätze sind bis dato nicht gut untersucht.
Was kann man sonst noch tun?
Neben der medikamentösen Therapie ist die nichtmedikamentöse Therapie genauso wichtig, zu der Ausdauersport, Achten auf Lebensstilfaktoren und Berücksichtigung gewisser Maßnahmen, wie regelmäßig zu essen, einen regelmäßigen Schlaf-wach-Rhythmus einzuhalten etc., gehören. Unabhängig davon, ob bereits psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Angststörung vorhanden sind, stellt das Erarbeiten von Coping-Strategien zur Bewältigung einer nichtheilbaren und mitunter sehr stark beeinträchtigenden Erkrankung eine wichtige Komponente im multimodalen Therapiesetting dar. Leider gibt es in Österreich weder eine Psychotherapie auf Krankenschein noch etablierte Möglichkeiten einer zumindest ambulanten Kopfschmerzrehabilitation, wie wir das z.B. bei Patient*innen mit Rückenschmerzen bereits gut kennen. Ich bin daher froh, dass wir in Klagenfurt diese Möglichkeit seit 2012 anbieten können, wünschen würde ich mir jedoch eine massive Ausweitung solcher Angebote und Zentren, damit für einen Teil der 1 Million betroffenen Österreicher zukünftig mehr professionelle Unterstützung verfügbar ist.
Literatur:
bei der Verfasserin
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