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6. Dreiländertagung der Kopfschmerzgesellschaften

Neue Entwicklungen in der Migräneprophylaxe und -therapie

<p class="article-intro">An einer Migräne zu leiden stellt für die Betroffenen eine große persönliche und soziale Belastung dar. Neue Hoffnung wecken die bisher vorliegenden Daten zur Migräneprophylaxe mit monoklonalen Antikörpern, die am „calcitonin gene-related peptide“ oder seinem Rezeptor angreifen. Daneben zeichnen sich auch in der Akuttherapie einige vielversprechende Optionen ab.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die gemeinsame Tagung der Deutschen Migr&auml;ne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), der &Ouml;sterreichischen Kopfschmerzgesellschaft (&Ouml;KSG) und der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft (SKG) blickt bereits auf eine mehrj&auml;hrige Tradition zur&uuml;ck. Auf dem Programm standen in diesem Jahr unter anderem neue Entwicklungen in der Migr&auml;neprophylaxe und -therapie, mit einem Fokus auf dem Thema der Blockade des &bdquo;calcitonin gene-related peptide&ldquo; (CGRP). Der Vorsitzende der entsprechenden Sitzung, Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Gregor Br&ouml;ssner, Medizinische Universit&auml;t Innsbruck, erkl&auml;rte dazu einleitend: &bdquo;Auch wenn uns die CGRP-Blockade viele neue M&ouml;glichkeiten er&ouml;ffnet, sollten wir andere Optionen dar&uuml;ber nicht vergessen.&ldquo;</p> <h2>Spannende Neuentwicklungen</h2> <p>Mit diesen Optionen befasste sich denn auch der Vortrag von PD Dr. Tim J&uuml;rgens, Universit&auml;tsmedizin Rostock. Er sagte zu Beginn: &bdquo;Bei der Migr&auml;ne haben wir es mit einer hochkomplexen, multisystemischen Erkrankung zu tun, f&uuml;r die es bisher leider nicht das EINE pathophysiologische Modell gibt.&ldquo; Dies erschwere auch die Suche nach therapeutischen Ans&auml;tzen.</p> <p>Triptane, wie sie bisher in der Akuttherapie eingesetzt werden, wirken insbesondere am 5-HT-1B- und -1D-Rezeptor.<sup>1</sup> Da die Koronararterien aber ebenfalls 5-HT- 1B-Rezeptoren exprimieren, sind Triptane bei Patienten mit kardiovaskul&auml;ren Erkrankungen kontraindiziert. Ein interessanter neuer Ansatzpunkt f&uuml;r eine Akuttherapie der Migr&auml;ne stellen daher Ditane dar, da sie selektiv am 5-HT-1F-Rezeptor angreifen. Dieser ist unter anderem im Ganglion trigeminale und im Nucleus caudalis des Trigeminusnervs zu finden. Lasmiditan, ein vielversprechender Vertreter der Ditane, hat sich in ersten Phase-IIIStudien als wirksames Migr&auml;netherapeutikum erwiesen.<sup>2</sup> &bdquo;82 % der eingeschlossenen Patienten wiesen kardiovaskul&auml;re Risikofaktoren auf. Bei ihnen zeigte sich keine erh&ouml;hte Rate an kardiovaskul&auml;ren oder zerebrovaskul&auml;ren Nebenwirkungen&ldquo;, betonte Dr. J&uuml;rgens. Weitere Phase- III-Studien laufen nun.</p> <p>Ein weiterer interessanter Ansatzpunkt stellt PACAP (&bdquo;pituitary adenylate cyclaseactivating polypeptide&ldquo;) dar. &bdquo;PACAP38, das 38-Aminos&auml;uren-Peptid, weist im Nervensystem eine wichtige Rolle als Neurotransmitter und Neuropeptid auf. Es kommt in vielen Strukturen vor, die f&uuml;r die trigeminale Nozizeption von Bedeutung sind&ldquo;, so der Redner. PACAP38 l&ouml;st bei Migr&auml;nepatienten ohne Aura eine Migr&auml;neattacke aus.<sup>3</sup> Aufgrund der selektiven Affinit&auml;t von PACAP38 zum PAC<sub>1</sub>-Rezeptor wird dieser als potenzielles Ziel f&uuml;r eine Migr&auml;netherapie angesehen.<sup>4</sup> &bdquo;Ein PAC<sub>1</sub>-Rezeptorantik&ouml;rper wird aktuell in einer Phase-IIa-Studie untersucht&ldquo;, erkl&auml;rte der Redner abschlie&szlig;end.</p> <h2>CGRP: praktisch in jedem Organ vorhanden</h2> <p>Prof. Dr. Karl Messlinger, Universit&auml;t Erlangen-N&uuml;rnberg, pr&auml;sentierte anschlie&szlig;end einen spannenden Einblick in die Physiologie des CGRP und seines Rezeptors. Dazu erkl&auml;rte er: &bdquo;CGRP und CGRPRezeptoren gibt es praktisch in jedem Organ, auch auf allen Ebenen des trigeminovaskul&auml;ren Systems. Wir wissen, dass CGRP eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste vasodilatatorische Neuropeptid darstellt&ldquo;, erkl&auml;rte er. Prof. Messlinger wies an dieser Stelle darauf hin, dass mittlerweile davon ausgegangen wird, dass die Dilatation der intrakraniellen Gef&auml;&szlig;e nichts oder nur wenig zum Migr&auml;neschmerz beitr&auml;gt. Dies wurde auch durch entsprechende Untersuchungen belegt.<sup>5</sup> &bdquo;Nicht gekl&auml;rt ist allerdings, weshalb die Injektion von CGRP eine Migr&auml;neattacke ausl&ouml;sen kann&ldquo;, betonte er.</p> <p>Da CGRP und sein Rezeptor fast &uuml;berall im K&ouml;rper vertreten sind, k&ouml;nnte eine therapeutische Hemmung des Systems m&ouml;glicherweise zu verschiedenen unerw&uuml;nschten Effekten f&uuml;hren. Wie Prof. Messlinger weiter ausf&uuml;hrte, wurde im Tiermodell beispielsweise festgestellt, dass die Nasenschleimhaut durch CGRPhaltige Fasern innerviert ist. &bdquo;CGRP scheint dabei die Riechtransduktion zu hemmen. M&ouml;glicherweise k&ouml;nnte also eine langfristige CGRP-Hemmung zu Riechver&auml;nderungen f&uuml;hren&ldquo;, meinte er. &Auml;hnliches ist auch f&uuml;r den Geschmackssinn entdeckt worden.<sup>6</sup> &bdquo;&Uuml;ber die kardiovaskul&auml;ren Nebenwirkungen einer Hemmung des CGRPSystems wurde viel diskutiert, denn tats&auml;chlich ist das Herz voller CGRP freisetzender Fasern&ldquo;, so Prof. Messlinger weiter. Bereits 2008 wurde jedoch am Mausmodell gezeigt, dass eine Blockade des CGRPRezeptors bei Tieren mit gesundem Herz keine negativen Folgen hatte.<sup>7</sup> &bdquo;Bei Schweinen wurde nach einem experimentell ausgel&ouml;sten Herzinfarkt die Produktion von CGRP in den Ganglienzellen, die das Herz versorgen, hochreguliert. Es scheint sich hier offensichtlich um einen Kompensationsmechanismus zu handeln. Damit k&ouml;nnten wir wom&ouml;glich den Zustand nach einem Herzinfarkt verschlechtern, falls wir das CGRP-System &uuml;ber lange Zeit hemmen&ldquo;, f&uuml;hrte der Redner weiter aus. &bdquo;Trotz dieser m&ouml;glichen Nachteile bin ich nicht gegen den therapeutischen Einsatz von CGRP-Rezeptorblockern. Denn wir m&uuml;ssen uns bewusst sein, dass wir mit dem CGRP-System ein hochredundantes System hemmen. Es existieren in den verschiedenen Organen also sicherlich Rescue-Systeme, die gegebenenfalls aktiviert werden und die ausfallenden Mechanismen kompensieren k&ouml;nnen. Der Grund daf&uuml;r, dass wir trotzdem eine Chance auf einen spezifischen Effekt bei Migr&auml;ne haben, liegt vermutlich darin, dass das CGRP gerade im trigeminovaskul&auml;ren System eine besonders wichtige Rolle spielt.&ldquo;</p> <h2>CGRP-Rezeptor-Blockade in der Migr&auml;neprophylaxe</h2> <p>Prof. Gregor Br&ouml;ssner pr&auml;sentierte schlie&szlig;lich einige Daten zu den monoklonalen Antik&ouml;rpern in der Migr&auml;neprophylaxe. &bdquo;Kein einziges der Medikamente, die wir schon seit vielen Jahren erfolgreich in der Migr&auml;neprophylaxe einsetzen, wurde spezifisch dazu entwickelt&ldquo;, rief er den Zuh&ouml;renden einleitend in Erinnerung. &bdquo;F&uuml;r die wenigsten dieser Medikamente k&ouml;nnen wir erkl&auml;ren, an welcher Stelle in der Pathophysiologie der Migr&auml;ne sie spezifisch ihre Wirkung entfalten, was uns gegen&uuml;ber unseren Patienten oft in einen Erkl&auml;rungsnotstand bringt.&ldquo;<br /> Aktuell befinden sich vier monoklonale Antik&ouml;rper in klinischen Tests. W&auml;hrend Erenumab den CGRP-Rezeptor blockiert, setzen Fremanezumab, Eptinezumab und Galcanezumab am CGRP selbst an. In einer Phase-III-Studie bei Patienten mit episodischer Migr&auml;ne f&uuml;hrte Erenumab (monatlich 70 od. 140mg subkutan) zu einer signifikanten Reduktion der Anzahl der monatlichen Migr&auml;netage gegen&uuml;ber Placebo.<sup>8</sup> Die Rate an Nebenwirkungen war mit Placebo vergleichbar. Die Interimsanalyse einer laufenden offenen Studie zeigte, dass der Effekt von Erenumab unter kontinuierlicher Therapie mindestens &uuml;ber ein Jahr erhalten bleibt.<sup>9</sup> &bdquo;Bisher kann noch niemand sagen, ob es nach Absetzen der Prophylaxe allenfalls zu einem Rebound kommt. Solche Daten liegen uns noch nicht vor&ldquo;, machte Prof. Br&ouml;ssner deutlich. Bei 40 % der Patienten mit chronischer Migr&auml;ne, die zu Studienbeginn rund 18 Migr&auml;netage pro Monat aufwiesen, f&uuml;hrte die Behandlung mit Erenumab 70mg zu einer Halbierung der Anzahl an Migr&auml;netagen.<sup>10</sup> &bdquo;Sieht man sich die bisher vorliegenden Daten aller vier Antik&ouml;rper an, so liegt der Anteil an Patienten mit einer 50 % igen Reduktion der Anzahl monatlicher Migr&auml;netage bei etwa 40 bis 50 % &ldquo;, so Prof. Br&ouml;ssner. Auf die Frage aus dem Publikum, ob denn jeder Migr&auml;nepatient einen monoklonalen Antik&ouml;rper bekommen wird, antwortete er: &bdquo;Nein, das glaube ich nicht. Der Einsatz wird wohl auf selektierte Patienten begrenzt sein, die durch die Migr&auml;ne stark beeintr&auml;chtigt sind und bei denen eine Wirkung der Prophylaxe zu erwarten ist.&ldquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1802_Weblinks_jatros_neuro_1802_s14_bildistock.jpg" alt="" width="1454" height="1011" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 6. Dreiländertagung Kopfschmerzsymposium, 15. bis 17. März 2018, Bad Zurzach, Schweiz </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Rubio-Beltr&aacute;n E et al.: Is selective 5-HT1F receptor agonism an entity apart from that of the triptans in antimigraine therapy? Pharmacol Ther 2018; [Epub ahead of print] <strong>2</strong> CoLucid Pharmaceuticals, Inc (2016). Verf&uuml;gbar unter: https://globenewswire.com/news-release/2016/ 09/06/869611/0/en/CoLucid-Pharmaceuticals-Announces- Achievement-of-Both-Primary-and-Key-Secondary-Endpoints- in-the-SAMURAI-Phase-3-Pivotal-Trial-of-Lasmiditan- in-Migraine.html <strong>3</strong> Schytz HW et al.: PACAP38 induces migraine-like attacks in patients with migraine without aura. Brain 2009; 132: 16-25 <strong>4</strong> Vollesen ALH et al.: Targeted pituitary adenylate cyclase-activating peptide therapies for migraine. Neurotherapeutics 2018; [Epub ahead of print] <strong>5</strong> Schoonman GG et al.: Migraine headache is not associated with cerebral or meningeal vasodilatation-- a 3T magnetic resonance angiography study. Brain 2008; 131: 2192-200 <strong>6</strong> Huang AY, Wu SY: Calcitonin gene-related peptide reduces taste-evoked ATP secretion from mouse taste buds. J Neurosci 2015; 35: 12714-24 <strong>7</strong> Zeller J et al.: CGRP function-blocking antibodies inhibit neurogenic vasodilatation without affecting heart rate or arterial blood pressure in the rat. Br J Pharmacol 2008; 155: 1093-103 <strong>8</strong> Goadsby PJ et al.: A controlled trial of erenumab for episodic migraine. N Engl J Med 2017; 377: 2123-32 <strong>9</strong> Ashina M et al.: Erenumab (AMG 334) in episodic migraine: interim analysis of an ongoing open-label study. Neurology 2017; 89: 1237-43 <strong>10</strong> Tepper S et al.: Safety and efficacy of erenumab for preventive treatment of chronic migraine: a randomised, double-blind, placebo-controlled phase 2 trial. Lancet Neurol 2017; 16: 425-34</p> </div> </p>
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