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12. Dreiländertagung Epilepsie 2023

„Wir brauchen neue Denkansätze“

Um allen Patienten mit Epilepsie besser helfen zu können, sind eine höhere Wirksamkeit der anfallssuppressiven Medikamente und ein größeres Vertrauen in die Chirurgie nötig.

Vier Jahre nach der letzten Tagung in Basel werden vom 15. bis 18. März 2023 erstmals wieder über 1000 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur 12. Dreiländertagung Epilepsie im Henry-Ford-Bau der FU Berlin zusammenkommen.

Die gemeinsame Jahrestagung der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie und der Schweizerischen Epilepsie-Liga bietet auch dieses Jahr wieder abwechslungsreiche Formate:

Worst-Case-Szenario-Symposium: Hier werden kurze lehrreiche Fälle aus der Epileptologie, teilweise auch mit Video, vorgestellt. Lehrreich deshalb, weil bei diesen Fällen etwas richtig schiefgelaufen ist, also Fehler passiert sind, die man vermeiden sollte. Die ausgewählten Vorträge werden im Rahmen dieses Worst-Case-Szenario-Symposiums gezeigt und diskutiert.

Videoforum: In kurzen lehrreichen Videos (mit Vortrag) werden neuropädiatrische und/oder neurologische Fälle im Rahmen des Videoforums Epilepsie vorgeführt Das Publikum wählt das beste Video, das von der Prof. Dr. Peter und Jytte Wolf Stiftung für Epilepsie mit 500 EUR prämiert wird. Der 2. und der 3. Platz werden ebenfalls prämiert.

Öffentlichkeitstag: Für Interessierte wird am 18. März 2023 von 9.30 bis 16.00 Uhr in den Räumlichkeiten des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der FU Berlin eine Informationsveranstaltung mit Expertenvorträgen und Erfahrungsaustausch stattfinden. Die Teilnahme ist kostenfrei, um Anmeldung wird gebeten: https://epilepsie-tagung.de/programm/oeffentlichkeitstag.

Der Tagungspräsident Prof. Dr. Martin Holtkamp und der Tagungssekretär Dr. Bernd Vorderwülbecke vom Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg und der Charité – Universitätsmedizin Berlin geben im folgenden Interview Einblick in die Highlights des Kongresses und berichten, welche Themen die Epileptologie aktuell bewegen.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Fortbildung: Welche Bedeutung haben die deutschsprachigen Länder in der internationalen Community?

M. Holtkamp: Die alle zwei Jahre gemeinsam stattfindende Tagung der Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das viertgrößte Treffen zur Epilepsie weltweit. In den deutschsprachigen Ländern sind sowohl die Qualität der Versorgung von Menschen mit Epilepsie als auch die wissenschaftliche Forschung stark aufgestellt und international gut sichtbar. Gerade für die Forschung ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit unabdingbar. Daher freuen wir uns auch sehr, dass wir beim Präsidentensymposium „New Horizons in Epilepsy“ vier weltweit führende Referenten begrüßen dürfen, die neueste Erkenntnisse aus der Diagnostik und Therapie der Epilepsien mit uns diskutieren.

Die Dreiländertagung hat ein sehr umfangreiches wissenschaftliches Programm. Gibt es Highlights, auf die Sie sich persönlich besonders freuen bzw. die Sie für besonders wichtig halten?

B. Vorderwülbecke: In über 30 Symposien wird der aktuelle Stand der Wissenschaft in der gesamten Breite der Epileptologie dargestellt. Thematisch reicht dies von den Grundlagen der Erkrankung über neue diagnostische Verfahren und therapeutische Ansätze bis hin zum Umgang mit den mannigfaltigen psychosozialen Konsequenzen der Epilepsie. Besonders freuen wir uns neben dem Präsidentensymposium auf die zwei Hauptsymposien. Diese fokussieren auf die sogenannte Translation, also die Übertragung grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Patientenversorgung, und auf die langfristige Prognose nach einem ersten epileptischen Anfall.

Ist Epilepsie heilbar?

M. Holtkamp: Etwa zwei von drei Menschen mit Epilepsie werden mit der regelmäßigen Einnahme anfallssuppressiver Medikation anfallsfrei. Einem Teil der Patienten mit andauernden Anfällen können epilepsiechirurgische Verfahren angeboten werden, dazu gehört die operative Entfernung des anfallsauslösenden Areals oder eine Laserbehandlung.

Wenn Patienten mehr als 10 Jahre anfallsfrei sind und seit mehr als 5 Jahren keine anfallssuppressive Medikation mehr einnehmen, sprechen wird davon, dass die Epilepsie „überwunden“ ist. Wir vermeiden den Begriff „Heilung“, weil auch bei diesen Patienten im Vergleich zu Menschen, die nie einen Anfall hatten, das Risiko für einen erneuten Anfall leicht erhöht ist.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen in der Epilepsiebehandlung?

B. Vorderwülbecke: Wie eben beschrieben, haben zwei Drittel der Menschen mit Epilepsie dank Medikation keine Anfälle mehr. Leider hat sich aber diese Quote trotz einer Vielzahl neuer Medikamente seit mehr als 80 Jahren nicht verändert. Die neu entwickelten Substanzen sind besser verträglich als die älteren Medikamente, was für die Lebensqualität der Patienten hoch relevant ist. Wir brauchen aber neue Denkansätze, wie auch die Wirksamkeit der anfallssuppressiven Medikamente erhöht werden kann.

Was leistet die Epilepsiechirurgie und für wen ist sie geeignet?

M. Holtkamp: Alle Patienten mit einer fokalen Epilepsie, die auch unter zwei verschiedenen Medikamenten nicht anfallsfrei geworden sind, kommen prinzipiell für Epilepsiechirurgie infrage, also für die Entfernung des anfallsauslösenden Hirnareals.

Nicht in jedem konkreten Fall ist dies tatsächlich möglich, aber bei guter Auswahl der Patienten werden ca. 60% dauerhaft anfallsfrei. Die notwendigen Untersuchungen umfassen ein Video-EEG-Monitoring über mehrere Tage mit der Aufzeichnung von epileptischen Anfällen, ein hochauflösendes MRT des Gehirns und eine umfassende neuropsychologische Untersuchung.

Leider werden viele Menschen mit einer „pharmakoresistenten“ Epilepsie von ihren behandelnden Neurologen und Neuropädiatern erst sehr spät in ein auf chirurgische Therapieverfahren spezialisiertes Epilepsiezentrum überwiesen. Zudem lehnen auch viele Patienten die Epilepsiechirurgie ab: Sie haben mehr Angst vor der Operation als vor lebenslang weiterhin auftretenden epileptischen Anfällen, obwohl die Gesamtrisiken der Operation deutlich geringer sind als die von fortbestehenden Anfällen. Um dem entgegenzutreten, ist eine frühzeitige Aufklärung sowohl der Patienten als auch der behandelnden Ärzte über die guten Chancen und die geringen Gefahren der Epilepsiechirurgie dringend erforderlich.

Ausblick 2024

Im nächsten Jahr lädt PD Dr. Thomas Bast zur 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie e. V., 12.–15. Juni 2024, in die Oberrheinhalle nach Offenburg ein. (red)

Presseinformation zur Dreiländertagung Epilepsie vom 17. Februar 2023

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