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Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG)

Methodenvielfalt bei der Jahrestagung der ÖSG

<p class="article-intro">Bei der 25. Jahrestagung der ÖSG in Zell am See stellten führende Schmerzexperten die stets breiter werdende Palette medizinischer Interventionsmöglichkeiten vor. Die Themen reichten von invasiven Techniken über nicht medikamentöse Ansätze wie die Musiktherapie bis hin zu hochkomplexen Behandlungsregimen für Patientengruppen mit besonderen Problematiken wie etwa drogenabhängige Menschen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_6.jpg" alt="" width="1089" height="732" /></h2> <h2>Erfolgreiche invasive Verfahren zur Schmerzbek&auml;mpfung</h2> <p><strong>Invasive Techniken immer pr&auml;ziser</strong></p> <p>Invasive Techniken kommen dann zum Einsatz, wenn im multimodalen Therapiekonzept mit Medikamenten und konservativen Methoden wie physikalischer Medizin kein Auslangen mehr gefunden wer&shy;den kann. &bdquo;Schwere pharmakoresistente Schmerz&shy;syndrome konnten &uuml;ber weite Strecken der Vergangenheit nur mittels destruktiver und l&auml;sioneller Verfahren behandelt werden. Heute versuchen wir, anstatt so schwerwiegende Eingriffe vorzunehmen, bestimmte Bereiche des Nervensystems derart zu aktivieren, dass es zu einer Blockierung der Schmerzweiterleitung kommt&ldquo;, erkl&auml;rt der Pr&auml;sident der &Ouml;SG-Jahrestagung 2017, Univ.-Prof. Wilhelm Eisner. Dementsprechend gilt auch die fr&uuml;her praktizierte Durchtrennung schmerzleitender Bahnen heute nicht mehr als State of the Art: &bdquo;Heutzutage beeinflussen wir diese schmerzleitenden Bahnen zum Gehirn mit Neuromodulation.&ldquo;</p> <p><strong>SCS: Stromimpulse k&ouml;nnen Schmerzen &uuml;berdecken</strong><br />&bdquo;Die epidurale R&uuml;ckenmarkstimulation (SCS) stellt ein seit Jahrzehnten etabliertes minimal invasives Verfahren dar, das sich bei medikament&ouml;s nicht beherrschbaren nicht onkologischen chronischen Schmerzen wie Neuropathien, ausstrahlenden Schmerzen nach Bandscheibenoperationen, nach Unf&auml;llen mit Nervensch&auml;den an Armen oder Beinen oder gegen die ber&uuml;chtigten Phantomschmerzen nach Amputationen bew&auml;hrt hat&ldquo;, berichtet Prof. Eisner. &bdquo;Und es gibt laufend weitere technische Verbesserungen, die diese Verfahren noch wirksamer und vertr&auml;glicher machen.&ldquo;<br />Mittlerweile kommen die extrazerebralen neuromodulativen Verfahren auf verschiedenen Stimulationsebenen zur Anwendung: Neben dem R&uuml;ckenmark (&bdquo;spinal cord stimulation&ldquo;, SCS) werden auch Nervenwurzeln (&bdquo;nerve root stimulation&ldquo;, NRS), Ganglion (&bdquo;dorsal root ganglion stimulation&ldquo;, DRGS), periphere Nerven, Ganglion trigeminale (&bdquo;peripheral ganglion stimulation&ldquo;, PNS) und subkutane Strukturen (&bdquo;subcutaneous stimulation&ldquo;, Sc.S, TENS) auf &auml;hnliche Weise stimuliert.<br />Der gro&szlig;e Vorteil: &bdquo;Das Verfahren ist reversibel und weitgehend schmerzfrei&ldquo;, betont der Referent. In Abh&auml;ngigkeit vom verwendeten Elektrodentyp wird der operative Eingriff meist minimal invasiv in Lokalan&auml;sthesie durchgef&uuml;hrt. Die Implantation des Impulsgebers erfolgt erst nach einer mehrt&auml;gigen Probephase, wenn tats&auml;chlich eine deutliche Schmerzreduktion beobachtbar ist; auch jetzt noch kann der Stimulator vom Arzt oder Patienten jederzeit telemetrisch bedient und angepasst werden.<br />&bdquo;Die Risiken der SCS sind als gering einzustufen, Nebenwirkungen treten dabei sehr selten auf&ldquo;, wei&szlig; der Spezialist Eisner. Durch technische Weiterentwicklungen wie jene in Form der Hochfrequenzstimulation, die kein Kribbeln mehr verursacht, oder der integrierten Beschleunigungssensoren zur automatischen Anpassung der Impulsst&auml;rke bei Positionswechsel des Patienten, der MRT-kompatiblen Systeme sowie der Wireless Devices konnte der Patientenkomfort und damit die Lebensqualit&auml;t der Betroffenen weiter verbessert werden.</p> <p><strong>Schmerzbehandlung mit Skalpell nur noch letzte Option</strong><br />Seit den 1980er-Jahren gewinnen auch sogenannte intrazerebrale Verfahren wie die tiefe Hirnstimulation (&bdquo;deep brain stimulation&ldquo;, DBS) an Bedeutung. Beim konservativ nicht behandelbaren nozizeptiven und neuropathischen Schmerz waren die Ergebnisse dieser Methode jedoch lange Zeit nicht so vielversprechend wie in der Behandlung von Bewegungsst&ouml;rungen, etwa bei Parkinson. &bdquo;In den letzten Jahren aber hat sich das ge&auml;ndert&ldquo;, berichtet Prof. Eisner, &bdquo;wichtig ist festzuhalten, dass die l&auml;sionellen Verfahren der Nachkriegszeit durch eine chronische elektrische Einflussnahme neuronaler Funktionen ersetzt werden konnten. Aufgrund ihrer Invasivit&auml;t stellen neurochirurgische Verfahren prinzipiell die letzte Stufe jeglicher Schmerztherapie dar.&ldquo;</p> <h2>Musik kann Schmerzbehandlung wirkungsvoll unterst&uuml;tzen</h2> <p>Dass sich die wohltuende Wirkung von Musik auch zur Behandlung diverser Leiden nutzen l&auml;sst, ist schon in der Antike bekannt gewesen. Was damals rein aus Intuition gemacht wurde, l&auml;sst sich heutzutage wissenschaftlich gut belegen: &bdquo;Zwar wissen wir noch nicht genau, auf welchen Wegen im Einzelnen Musik wirksam wird, aber viele neue Studien zeigen auf, dass bereits das selektive H&ouml;ren von bestimmter standardisierter Musik sowohl bei akuten als auch bei chronischen Schmerzen, bei Parkinson und auch bei Stress eine deutliche Verbesserung bringt&ldquo;, so Prof. G&uuml;nther Bernatzky, Dozent an der Naturwissenschaftlichen Fakult&auml;t der Universit&auml;t Salzburg und Pr&auml;sident der Jahrestagung der &Ouml;sterreichischen Schmerzgesellschaft, &uuml;ber den Stand der noch jungen Forschung zu diesem Thema. <br />Wie wirksam ein paar Takte Musik sein k&ouml;nnen, hat sich etwa in einer Studie mit 65 Patienten, die an schmerzhaften Wirbels&auml;ulensyndromen litten, gezeigt. Alle Studienteilnehmer wurden mit den gleichen Medikamenten und einer standardisierten Physiotherapie behandelt, die H&auml;lfte der Patienten bekam aber zus&auml;tzlich ein CD-Abspielger&auml;t und Kopfh&ouml;rer ausgeh&auml;ndigt. Damit h&ouml;rten sie t&auml;glich 25 Minuten Musik und vorangestellt eine Entspannungsanleitung. Nach drei Wochen waren die Unterschiede signifikant: W&auml;hrend die Schmerzen in der Musik-Gruppe durchschnittlich um 50 % reduziert werden konnten, war in der Kontrollgruppe ein R&uuml;ckgang von nur 10 % messbar. Auch die Schlafqualit&auml;t der Musikh&ouml;rer hatte sich deutlich st&auml;rker verbessert.<br />In einer anderen Arbeit, die im Krankenhaus Hallein durchgef&uuml;hrt worden war, sah man, dass bei Patienten, die am Tag vor sowie rund um eine Operation nach der Entspannungsanleitung Musik h&ouml;rten, der Verbrauch von Schmerzmitteln um 54 % und derjenige an Schlafmitteln um 63,6 % sank. Dabei war das Wohlbefinden in der Gruppe mit Musik signifikant besser.</p> <p><strong>Zus&auml;tzliche Dopamin-Dosis lindert Parkinsonsymptome</strong><br />Aufsehen erregend sind auch die Ergebnisse einer Studie mit insgesamt 63 Parkinsonpatienten. Es zeigte sich, dass bereits unmittelbar nach Aufsetzen der Kopfh&ouml;rer das Zittern nachlie&szlig; und die Gang&shy;rhythmizit&auml;t sich signifikant verbesserte. Zudem besserten sich die Angstzust&auml;nde der musikh&ouml;renden Patienten. &bdquo;Das Hormon Dopamin, das bei Parkinsonpatienten zu wenig vorhanden ist, wird beim H&ouml;ren von stark rhythmisch akzentuierter Musik im Hirn vermehrt produziert und lindert in der Folge das Zittern und verbessert die Gangprobleme&ldquo;, erkl&auml;rt Prof. Bernatzky.</p> <h2>Fehlende Behandlungsstandards f&uuml;r opioidabh&auml;ngige Patienten</h2> <p>&bdquo;F&uuml;r Patienten, die an einer Opioidabh&auml;ngigkeit leiden oder in einer Substitutionstherapie sind, gibt es leider noch keine Behandlungsstandards&ldquo;, berichtet OA Dr. Wolfgang Jaksch, Pr&auml;sident der &Ouml;sterreichischen Schmerzgesellschaft. &bdquo;Dabei sind Schmerzen gerade in dieser Gruppe ganz besonders h&auml;ufig und oft sehr stark ausgepr&auml;gt.&ldquo; Was nach einem Minderheitenproblem klingt, betrifft in &Ouml;sterreich nicht so wenige: Experten gehen davon aus, dass rund 30 000 Menschen regelm&auml;&szlig;ig risikoreiche Drogen, allen voran Opioide, zu sich nehmen. Weitere 17 500 sind in einer Substitutionsbehandlung. <br />&Auml;rzte stellt die Behandlung solcher Patienten gleich vor mehrere Herausforderungen: Patienten mit einer Opioidabh&auml;ngigkeit leiden oft nicht nur an einer opioidinduzierten Hyperalgesie, also einer &Uuml;berempfindlichkeit auf schmerzhafte, aber auch nicht schmerzhafte Reize, sie sprechen aufgrund der erworbenen Toleranz gegen&uuml;ber Opioiden auch weniger gut auf Schmerzmittel an. &bdquo;Deshalb k&ouml;nnen wir uns bei dieser Patientengruppe nicht einfach am Stufenschema der WHO zur Schmerzbek&auml;mpfung orientieren&ldquo;, so Dr. Jaksch.<br />Auch wenn einheitliche Standards in der Schmerzbehandlung dieser speziellen Patientengruppe noch fehlen, gibt es inzwischen doch Evidenz f&uuml;r ein paar wesentliche Orientierungspunkte: &bdquo;Abstinenten Patienten unter dem Substitutionsmittel Naltrexon d&uuml;rfen keine Opioide verordnet werden&ldquo;, erkl&auml;rt Jaksch. &bdquo;Sogenannte partielle Morphinantagonisten d&uuml;rfen bei solchen Patienten gar nicht eingesetzt werden, da sie Entzugssymptome ausl&ouml;sen k&ouml;nnen. In allen anderen F&auml;llen gilt: Wenn m&ouml;glich zus&auml;tzliche Opioide vermeiden &ndash; sie d&uuml;rfen aber, wenn notwendig, dem Betreffenden nicht vorenthalten werden.&ldquo;<br />In vielen F&auml;llen lassen sich Alternativen finden: So stellt etwa eine lokale Therapie mit hochprozentigem Capsaicin die ideale Therapieform bei schmerzhafter HIV-assoziierter Neuropathie der unteren Extremit&auml;ten dar. &bdquo;Allerdings&ldquo;, so Experte Jaksch, &bdquo;muss mit den Patienten das erreichbare Therapieziel besprochen werden. Eine 30- bis 50-prozentige Schmerzlinderung ist bei den meisten neuropathischen Schmerzzust&auml;nden erzielbar, absolute Schmerzfreiheit aber nicht.&ldquo; Auch Antikonvulsiva bzw. Antidepressiva, die den Noradrenalinhaushalt beeinflussen, haben einen wichtigen Stellenwert im Management diffuser neuropathischer Schmerzen. Allerdings muss dabei sehr genau auf Wechselwirkungen mit den Substitutionsmitteln geachtet werden.<br />&bdquo;Der Umgang mit Opioiden setzt gerade in dieser speziellen Patientengruppe ein hohes Ma&szlig; an Fachwissen voraus, &uuml;ber das nicht viele &Auml;rzte verf&uuml;gen&ldquo;, so Dr. Jaksch. &bdquo;Es gibt aber mittlerweile gute gemeinsame Gespr&auml;che der &Ouml;sterreichischen Schmerzgesellschaft und der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r arzneimittelgest&uuml;tzte Behandlung von Suchtkrankheit, die darauf fokussieren, die Expertise in beiden Bereichen zu b&uuml;ndeln und die Versorgungssituation zu optimieren.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 25. Jahrestagung der ÖSG, 11.–13. Mai 2017, Zell am See </p>
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