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Methodenvielfalt bei der Jahrestagung der ÖSG
Jatros
Autor:
Dr. Gabriele Senti
30
Min. Lesezeit
01.11.2017
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<p class="article-intro">Bei der 25. Jahrestagung der ÖSG in Zell am See stellten führende Schmerzexperten die stets breiter werdende Palette medizinischer Interventionsmöglichkeiten vor. Die Themen reichten von invasiven Techniken über nicht medikamentöse Ansätze wie die Musiktherapie bis hin zu hochkomplexen Behandlungsregimen für Patientengruppen mit besonderen Problematiken wie etwa drogenabhängige Menschen.</p>
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<p class="article-content"><h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_6.jpg" alt="" width="1089" height="732" /></h2> <h2>Erfolgreiche invasive Verfahren zur Schmerzbekämpfung</h2> <p><strong>Invasive Techniken immer präziser</strong></p> <p>Invasive Techniken kommen dann zum Einsatz, wenn im multimodalen Therapiekonzept mit Medikamenten und konservativen Methoden wie physikalischer Medizin kein Auslangen mehr gefunden wer­den kann. „Schwere pharmakoresistente Schmerz­syndrome konnten über weite Strecken der Vergangenheit nur mittels destruktiver und läsioneller Verfahren behandelt werden. Heute versuchen wir, anstatt so schwerwiegende Eingriffe vorzunehmen, bestimmte Bereiche des Nervensystems derart zu aktivieren, dass es zu einer Blockierung der Schmerzweiterleitung kommt“, erklärt der Präsident der ÖSG-Jahrestagung 2017, Univ.-Prof. Wilhelm Eisner. Dementsprechend gilt auch die früher praktizierte Durchtrennung schmerzleitender Bahnen heute nicht mehr als State of the Art: „Heutzutage beeinflussen wir diese schmerzleitenden Bahnen zum Gehirn mit Neuromodulation.“</p> <p><strong>SCS: Stromimpulse können Schmerzen überdecken</strong><br />„Die epidurale Rückenmarkstimulation (SCS) stellt ein seit Jahrzehnten etabliertes minimal invasives Verfahren dar, das sich bei medikamentös nicht beherrschbaren nicht onkologischen chronischen Schmerzen wie Neuropathien, ausstrahlenden Schmerzen nach Bandscheibenoperationen, nach Unfällen mit Nervenschäden an Armen oder Beinen oder gegen die berüchtigten Phantomschmerzen nach Amputationen bewährt hat“, berichtet Prof. Eisner. „Und es gibt laufend weitere technische Verbesserungen, die diese Verfahren noch wirksamer und verträglicher machen.“<br />Mittlerweile kommen die extrazerebralen neuromodulativen Verfahren auf verschiedenen Stimulationsebenen zur Anwendung: Neben dem Rückenmark („spinal cord stimulation“, SCS) werden auch Nervenwurzeln („nerve root stimulation“, NRS), Ganglion („dorsal root ganglion stimulation“, DRGS), periphere Nerven, Ganglion trigeminale („peripheral ganglion stimulation“, PNS) und subkutane Strukturen („subcutaneous stimulation“, Sc.S, TENS) auf ähnliche Weise stimuliert.<br />Der große Vorteil: „Das Verfahren ist reversibel und weitgehend schmerzfrei“, betont der Referent. In Abhängigkeit vom verwendeten Elektrodentyp wird der operative Eingriff meist minimal invasiv in Lokalanästhesie durchgeführt. Die Implantation des Impulsgebers erfolgt erst nach einer mehrtägigen Probephase, wenn tatsächlich eine deutliche Schmerzreduktion beobachtbar ist; auch jetzt noch kann der Stimulator vom Arzt oder Patienten jederzeit telemetrisch bedient und angepasst werden.<br />„Die Risiken der SCS sind als gering einzustufen, Nebenwirkungen treten dabei sehr selten auf“, weiß der Spezialist Eisner. Durch technische Weiterentwicklungen wie jene in Form der Hochfrequenzstimulation, die kein Kribbeln mehr verursacht, oder der integrierten Beschleunigungssensoren zur automatischen Anpassung der Impulsstärke bei Positionswechsel des Patienten, der MRT-kompatiblen Systeme sowie der Wireless Devices konnte der Patientenkomfort und damit die Lebensqualität der Betroffenen weiter verbessert werden.</p> <p><strong>Schmerzbehandlung mit Skalpell nur noch letzte Option</strong><br />Seit den 1980er-Jahren gewinnen auch sogenannte intrazerebrale Verfahren wie die tiefe Hirnstimulation („deep brain stimulation“, DBS) an Bedeutung. Beim konservativ nicht behandelbaren nozizeptiven und neuropathischen Schmerz waren die Ergebnisse dieser Methode jedoch lange Zeit nicht so vielversprechend wie in der Behandlung von Bewegungsstörungen, etwa bei Parkinson. „In den letzten Jahren aber hat sich das geändert“, berichtet Prof. Eisner, „wichtig ist festzuhalten, dass die läsionellen Verfahren der Nachkriegszeit durch eine chronische elektrische Einflussnahme neuronaler Funktionen ersetzt werden konnten. Aufgrund ihrer Invasivität stellen neurochirurgische Verfahren prinzipiell die letzte Stufe jeglicher Schmerztherapie dar.“</p> <h2>Musik kann Schmerzbehandlung wirkungsvoll unterstützen</h2> <p>Dass sich die wohltuende Wirkung von Musik auch zur Behandlung diverser Leiden nutzen lässt, ist schon in der Antike bekannt gewesen. Was damals rein aus Intuition gemacht wurde, lässt sich heutzutage wissenschaftlich gut belegen: „Zwar wissen wir noch nicht genau, auf welchen Wegen im Einzelnen Musik wirksam wird, aber viele neue Studien zeigen auf, dass bereits das selektive Hören von bestimmter standardisierter Musik sowohl bei akuten als auch bei chronischen Schmerzen, bei Parkinson und auch bei Stress eine deutliche Verbesserung bringt“, so Prof. Günther Bernatzky, Dozent an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg und Präsident der Jahrestagung der Österreichischen Schmerzgesellschaft, über den Stand der noch jungen Forschung zu diesem Thema. <br />Wie wirksam ein paar Takte Musik sein können, hat sich etwa in einer Studie mit 65 Patienten, die an schmerzhaften Wirbelsäulensyndromen litten, gezeigt. Alle Studienteilnehmer wurden mit den gleichen Medikamenten und einer standardisierten Physiotherapie behandelt, die Hälfte der Patienten bekam aber zusätzlich ein CD-Abspielgerät und Kopfhörer ausgehändigt. Damit hörten sie täglich 25 Minuten Musik und vorangestellt eine Entspannungsanleitung. Nach drei Wochen waren die Unterschiede signifikant: Während die Schmerzen in der Musik-Gruppe durchschnittlich um 50 % reduziert werden konnten, war in der Kontrollgruppe ein Rückgang von nur 10 % messbar. Auch die Schlafqualität der Musikhörer hatte sich deutlich stärker verbessert.<br />In einer anderen Arbeit, die im Krankenhaus Hallein durchgeführt worden war, sah man, dass bei Patienten, die am Tag vor sowie rund um eine Operation nach der Entspannungsanleitung Musik hörten, der Verbrauch von Schmerzmitteln um 54 % und derjenige an Schlafmitteln um 63,6 % sank. Dabei war das Wohlbefinden in der Gruppe mit Musik signifikant besser.</p> <p><strong>Zusätzliche Dopamin-Dosis lindert Parkinsonsymptome</strong><br />Aufsehen erregend sind auch die Ergebnisse einer Studie mit insgesamt 63 Parkinsonpatienten. Es zeigte sich, dass bereits unmittelbar nach Aufsetzen der Kopfhörer das Zittern nachließ und die Gang­rhythmizität sich signifikant verbesserte. Zudem besserten sich die Angstzustände der musikhörenden Patienten. „Das Hormon Dopamin, das bei Parkinsonpatienten zu wenig vorhanden ist, wird beim Hören von stark rhythmisch akzentuierter Musik im Hirn vermehrt produziert und lindert in der Folge das Zittern und verbessert die Gangprobleme“, erklärt Prof. Bernatzky.</p> <h2>Fehlende Behandlungsstandards für opioidabhängige Patienten</h2> <p>„Für Patienten, die an einer Opioidabhängigkeit leiden oder in einer Substitutionstherapie sind, gibt es leider noch keine Behandlungsstandards“, berichtet OA Dr. Wolfgang Jaksch, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft. „Dabei sind Schmerzen gerade in dieser Gruppe ganz besonders häufig und oft sehr stark ausgeprägt.“ Was nach einem Minderheitenproblem klingt, betrifft in Österreich nicht so wenige: Experten gehen davon aus, dass rund 30 000 Menschen regelmäßig risikoreiche Drogen, allen voran Opioide, zu sich nehmen. Weitere 17 500 sind in einer Substitutionsbehandlung. <br />Ärzte stellt die Behandlung solcher Patienten gleich vor mehrere Herausforderungen: Patienten mit einer Opioidabhängigkeit leiden oft nicht nur an einer opioidinduzierten Hyperalgesie, also einer Überempfindlichkeit auf schmerzhafte, aber auch nicht schmerzhafte Reize, sie sprechen aufgrund der erworbenen Toleranz gegenüber Opioiden auch weniger gut auf Schmerzmittel an. „Deshalb können wir uns bei dieser Patientengruppe nicht einfach am Stufenschema der WHO zur Schmerzbekämpfung orientieren“, so Dr. Jaksch.<br />Auch wenn einheitliche Standards in der Schmerzbehandlung dieser speziellen Patientengruppe noch fehlen, gibt es inzwischen doch Evidenz für ein paar wesentliche Orientierungspunkte: „Abstinenten Patienten unter dem Substitutionsmittel Naltrexon dürfen keine Opioide verordnet werden“, erklärt Jaksch. „Sogenannte partielle Morphinantagonisten dürfen bei solchen Patienten gar nicht eingesetzt werden, da sie Entzugssymptome auslösen können. In allen anderen Fällen gilt: Wenn möglich zusätzliche Opioide vermeiden – sie dürfen aber, wenn notwendig, dem Betreffenden nicht vorenthalten werden.“<br />In vielen Fällen lassen sich Alternativen finden: So stellt etwa eine lokale Therapie mit hochprozentigem Capsaicin die ideale Therapieform bei schmerzhafter HIV-assoziierter Neuropathie der unteren Extremitäten dar. „Allerdings“, so Experte Jaksch, „muss mit den Patienten das erreichbare Therapieziel besprochen werden. Eine 30- bis 50-prozentige Schmerzlinderung ist bei den meisten neuropathischen Schmerzzuständen erzielbar, absolute Schmerzfreiheit aber nicht.“ Auch Antikonvulsiva bzw. Antidepressiva, die den Noradrenalinhaushalt beeinflussen, haben einen wichtigen Stellenwert im Management diffuser neuropathischer Schmerzen. Allerdings muss dabei sehr genau auf Wechselwirkungen mit den Substitutionsmitteln geachtet werden.<br />„Der Umgang mit Opioiden setzt gerade in dieser speziellen Patientengruppe ein hohes Maß an Fachwissen voraus, über das nicht viele Ärzte verfügen“, so Dr. Jaksch. „Es gibt aber mittlerweile gute gemeinsame Gespräche der Österreichischen Schmerzgesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für arzneimittelgestützte Behandlung von Suchtkrankheit, die darauf fokussieren, die Expertise in beiden Bereichen zu bündeln und die Versorgungssituation zu optimieren.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 25. Jahrestagung der ÖSG, 11.–13. Mai 2017, Zell am See
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