Neue Wege in der Diagnostik des Vorhofflimmerns
Autor:innen:
Dr. Ulrike Baumer
Dr. Niema Kazem
Klinische Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin II, Medizinische Universität Wien
E-Mail: niema.kazem@meduniwien.ac.at
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Vorhofflimmern ist die häufigste Rhythmusstörung unserer Zeit. Die Folgen reichen von eingeschränkter Lebensqualität und Belastbarkeit bis zu schwerwiegenden Komplikationen wie Schlaganfall oder Herzinsuffizienz. Umso wichtiger ist es, Patient:innen mit Vorhofflimmern frühzeitig zu erkennen, sie rechtzeitig zu behandeln und ihr Risiko richtig einzuschätzen. Der Biomarker „growth differentiation factor 15“ (GDF-15) könnte hierbei als Werkzeug zur Risikoabschätzung und Prognose dienen.
Keypoints
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Weltweit erkrankt jeder dritte bis fünfte Mensch über 45 an im Laufe seines Lebens an Vorhofflimmern – eine frühzeitige Erkennung und Behandlung sind essenziell, um die Prognose der Patient:innen zu verbessern.
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Der linksatriale Strain in der transthorakalen Echokardiografie spiegelt hierbei die Erkrankung des Vorhofs wider und kann als Indikator für den Krankheitsprozess genutzt werden.
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Mit GDF-15 könnte es nun ein unkompliziertes Werkzeug geben, um den linksatrialen Strain und damit den Krankheitsverlauf bereits ab einem frühen Stadium abzuschätzen.
Vorhofflimmern – die unterschätzte Pandemie
Ab einem Alter von 45 Jahren entwickelt weltweit jeder dritte bis fünfte Mensch Vorhofflimmern. Besonders Männer und ältere Menschen sind gefährdet.1 Zu den Risikofaktoren zählen viele Volkskrankheiten wie Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Diabetes oder Alkoholkonsum. Für Betroffene kann die Erkrankung zu verheerenden Folgen führen. Patient:innen haben ein bis zu fünffach erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz, ein deutlich erhöhtes Schlaganfall- und Thromboserisiko und eine fast verdoppelte Sterblichkeitsrate. Die häufig indizierte Antikoagulation führt zu einer erhöhten Blutungsneigung.2
Vorhofflimmern frühzeitig zu erkennen sowie das individuelle Risikos richtig einzuschätzen sind entscheidend. Je länger die Zeit ist, die sich Patient:innen im Vorhofflimmern befinden, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit für strukturelle Veränderungen im Herzen und Komplikationen wie Schlaganfälle oder Herzinsuffizienz.
Eine frühzeitige Behandlung kann sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Auf Patient:innenseite tragen Sport, Gewichtsreduktion, die Behandlung einer Schlafapnoe und reduzierter Alkoholkonsum zur Prognoseverbesserung und einer niedrigeren Symptomlast bei. Auf ärztlicher Seite gilt es, Nutzen einer Katheterablation oder medikamentöser Rhythmuskontrolle abzuwägen, um Patient:innen so lange wie möglich ein Leben im Sinusrhythmus zu ermöglichen. Studien zeigen, dass eine frühe Rhythmuskontrolle durch Katheterablation oder medikamentöse Therapie das Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse reduziert und die Lebensqualität von Patient:innen verbessern kann.3
Um den Diagnoseweg zu erleichtern und eine adäquate Versorgung gewährleisten zu können, haben wir uns mit GDF-15 als Biomarker beschäftigt, um das individuelle Risiko unserer Patient:innen besser abschätzen zu können (Abb. 1). Zu diesem Zweck haben wir die Verbindung von GDF-15 und dem linksatrialen Strain in der transthorakalen Echokardiografie untersucht.
Abb. 1: Biomarker und Echokardiografie als wichtige Mittel zur effektiven individuellen Therapie des Vorhofflimmerns
Warum GDF-15 als Biomarker?
GDF-15 ist ein Protein, das in den meisten Organen des Körpers vorkommt. Ausgeschüttet wird es bei erhöhtem Zellstress oder Gewebsverletzungen – beides sind wichtige Prozesse in der Entstehung und Progression von Vorhofflimmern.4,5 Bei Patient:innen mit Vorhofflimmern ist eine erhöhte Serumkonzentration von GDF-15 ein Indikator für ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, Blutungen sowie eine erhöhte Sterblichkeitsrate.6 GDF-15 wurde bereits in den Vorhofflimmer-Guidelines der European Society of Cardiology herangezogen, um mittels des „ABC-Bleeding Risk Scores“ Blutungskomplikationen bei Patient:innen mit oraler Antikoagulation besser abschätzen zu können.2,7 Ob man mit GDF-15 auch die Entstehung von Vorhofflimmern bereits vor Krankheitsbeginn vorhersagen kann, ist aktuell noch in Diskussion, da die Ergebnisse von Studien widersprüchlich ausfielen.8,9 Bei bestehender Erkrankung zeigen Patient:innen mit bereits persistierendem Vorhofflimmern höhere GDF-15 Werte als Bild der verstärkten Krankheitslast.10 Da man mit GDF-15 die mechanische Vorhofbelastung durch Vorhofflimmern gut abbilden kann, wurde der Biomarker in dieser Studie in Verbindung mit der Vorhoffunktion gebracht. Zu diesem Zweck haben wir die Korrelation von GDF-15 und dem linksatrialen Strain – einem frühen Marker für Vorhoferkrankung – untersucht.
Der linksatriale Strain – Spiegelbild der Vorhofgesundheit
Der linksatriale Strain misst die Bewegungen des linken Vorhofs anhand einzelner Punkte, sogenannter „Speckles“, in der transthorakalen Echokardiografie. Mithilfe dieser Aufnahmen lässt sich die Kontraktilität des Muskels in den verschiedenen Phasen des Herzzyklus darstellen.11 Patient:innen mit einem reduzierten Strain zeigen eine höhere Fibroserate, sie erkranken häufiger an Vorhofflimmern und haben in der Folge ein erhöhtes Schlaganfallrisiko.12,13 Spannenderweise nimmt der linksatriale Strain bereits frühzeitig ab, während andere echokardiografische Parameter für die Vorhoffunktion, wie der Vorhofdurchmesser, sich erst bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf verschlechtern.14 Hinsichtlich der Behandlungsstrategien konnten Studien mittlerweile zeigen, dass es bei Patient:innen mit hohen GDF-15-Werten häufiger zu einem Wiederauftreten von Vorhofflimmern nach Katheterablation kommt.15 Mithilfe unserer Daten konnten wir nun den Zusammenhang von GDF-15 und dem linksatrialen Strain abbilden. Patient:innen mit erhöhten GDF-15-Werten zeigten dabei einen niedrigeren Strain. Da der linksatriale Strain ein Werkzeug ist, das früh eingesetzt wird, um die Prognose bei Vorhofflimmern abzuschätzen, könnte damit bereits in einem frühen Stadium in den Krankheitsverlauf eingegriffen werden. Mit GDF-15 gibt es nun einen leicht zugänglichen Biomarker, der dabei helfen kann, Patient:innen mit erhöhtem Risiko rechtzeitig zu filtern und ihnen eine adäquate Behandlung zu bieten.
Was erwartet uns in der Zukunft?
Personalisierte Medizin gewinnt in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung. Technische Neuerungen wie das EKG per Smartwatch stecken zwar aktuell noch in den Kinderschuhen, können uns aber vielleicht schon bald dabei helfen, Vorhofflimmern noch vor Auftreten von Symptomen oder Komplikationen zu entdecken.16 Auch in der Echokardiografie gibt es Fortschritte, die eine präzise und umfassende Diagnostik erleichtern. Gut gewählte Biomarker können zu einer angepassten Therapiestrategie beitragen, um die Ressourcen des Gesundheitssystems effizient und zielgerichtet einzusetzen. So können Patient:innen frühzeitig einer individualisierten Therapie zugeführt werden, um Komplikationen zu minimieren und deren Lebensqualität zu erhalten.
Literatur:
1 Linz D et al.: Atrial fibrillation: epidemiology, screening and digital health. The Lancet Regional Health - Europe. 2024; 37: 100786 2 Van Gelder IC et al.: 2024 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): Developed by the task force for the management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC), with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. Endorsed by the European Stroke Organisation (ESO). Eur Heart J 2024; 45(36): 3314-414 3 Gunawardene MA, Willems S: Atrial fibrillation progression and the importance of early treatment for improving clinical outcomes. Europace 2022; 24(Suppl 2): ii22-ii8 4 Wesseling M et al.: Growth differentiation factor 15 in adverse cardiac remodelling: from biomarker to causal player. ESC Heart Fail 2020; 7(4): 1488-501 5 Chen YC et al.: Prevention of pathological atrial remodeling and atrial fibrillation. J Am Coll Cardiol 2021; 77(22): 2846-64 6 Wallentin L et al.: Growth differentiation factor 15, a marker of oxidative stress and inflammation, for risk assessment in patients with atrial fibrillation. Circulation 2014; 130(21): 1847-58 7 Hijazi Z et al.: The novel biomarker-based ABC (age, biomarkers, clinical history)-bleeding risk score for patients with atrial fibrillation: a derivation and validation study. Lancet 2016; 387(10035): 2302-11 8 Lyngbakken MN et al.: Prediction of incident atrial fibrillation with cardiac biomarkers and left atrial volumes. Heart 2023; 109(5): 356-63 9 Chen M et al.: Growth differentiation factor 15 and the subsequent risk of atrial fibrillation: The atherosclerosis risk in communities study. Clinical Chemistry 2022; 68(8): 1084-93 10 Meems LMG et al.: Increased plasma levels of NT-proBNP, troponin T and GDF-15 are driven by persistent AF and associated comorbidities: Data from the AF-RISK study. IJC Heart & Vasculature 2022; 39: 100987 11 Mondillo S et al.: Speckle-tracking echocardiography. J Ultrasound Med 2011; 30(1): 71-83 12 Kuppahally SS et al.: Left atrial strain and strain rate in patients with paroxysmal and persistent atrial fibrillation. Circ Cardiovasc Imaging 2010; 3(3): 231-9 13 Hauser R et al.: Left atrial strain predicts incident atrial fibrillation in the general population: the Copenhagen City Heart Study. Eur Heart J Cardiovasc Imaging 2021; 23(1): 52-60 14 Kim J et al.: Left atrial strain impairment precedes geometric remodeling as a marker of post-myocardial infarction diastolic dysfunction. JACC: Cardiovasc Imaging 2020; 13(10): 2099-113 15 Mouselimis D et al.: Left atrial strain, intervendor variability, and atrial fibrillation recurrence after catheter ablation: A systematic review and meta-analysis. Hellenic J Cardiol 2020; 61(3): 154-64 16 Perez MV et al.: Large-scale assessment of a smartwatch to identify atrial fibrillation. N Engl J Med 2019; 381(20): 1909-17
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