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Der chronische Unterbauchschmerz der Frau aus gynäkologischpsychosomatischer Sicht
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. Friederike Siedentopf
Leiterin des Brustzentrums<br> Martin-Luther-Krankenhaus<br> Berlin<br> E-Mail: friederike.siedentopf@pgdiakonie.de
30
Min. Lesezeit
19.10.2017
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<p class="article-intro">Der chronische Unterbauchschmerz der Frau stellt in der gynäkologischen Praxis oft ein schwieriges diagnostisches und therapeutisches Problem dar, das im Umgang mit den betroffenen Frauen eine stetige Herausforderung bedeutet. Der Schmerz hat Einfluss auf Familie, Sexualität, Beruf, soziale Beziehungen und Aktivitäten des täglichen Lebens.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die pathophysiologischen Mechanismen des chronischen Unterbauchschmerzes sind weiterhin wenig verstanden.</li> <li>Wiederholte Operationen erhöhen das Risiko für eine Chronifizierung und somatische Fixierung.</li> <li>In der Diagnostik sind Schmerzanamnese, gynäkologische Untersuchung und die Durchführung einer Laparoskopie wichtige Schritte.</li> <li>Multidisziplinäre Therapieansätze sind, obwohl die Datenlage hierzu limitiert ist, als am ehesten Erfolg versprechend anzusehen.</li> </ul> </div> <p>Im heutigen Verständnis handelt es sich beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau um ein Krankheitsbild an der Schnittstelle zwischen Gynäkologie, Psychosomatik und Psychiatrie. Man geht davon aus, dass auf 60–80 % der Patientinnen mit chronischem Unterbauchschmerz die Diagnosekriterien der somatoformen Schmerzstörung zutreffen.<br /><br /> Mögliche begleitende gynäkologische Ursachen und Befunde sind Endometriose, Adhäsionen/PID, pelvine Varikosis und «ovarian retention syndrome»/«ovarian remnant syndrome». Andere somatische Ursachen sind Reizdarmsyndrom, «bladder pain syndrome» sowie Erkrankungen des Muskel- Skelett-Systems und des Bindegewebes.<br /><br /> Gesicherte psychosoziale Ursachen sind eine hohe Komorbidität mit psychologischen Faktoren wie Angststörungen, Substanzabhängigkeit oder depressiven Störungen, wobei eine eindeutige Zuordnung zu sozialen Faktoren nicht nachgewiesen ist. Auch ein Zusammenhang mit körperlichem und sexuellem Missbrauch kann nicht abschliessend bewertet werden.<br /><br /> In der Diagnostik sind Schmerzanamnese, gynäkologische Untersuchung und die möglichst einmalige Durchführung einer Laparoskopie als wichtige Schritte zu nennen. Multidisziplinäre Therapieansätze sind als Erfolg versprechend anzusehen. Die psychosomatische Grundversorgung soll von Beginn an Teil des Behandlungskonzepts sein. Auch die Psychotherapie soll frühzeitig in das Behandlungskonzept integriert werden.</p> <h2>Definition</h2> <p>Eine einheitliche internationale Definition des chronischen Unterbauchschmerzes (engl. «chronic pelvic pain», CPP) liegt derzeit nicht vor. Dies ist auf die Komplexität dieses Krankheitsbildes mit variierender Symptomatik je nach zugrunde liegender Ursache zurückzuführen. Zugleich ergibt sich die grundsätzliche Schwierigkeit, vom Symptom «anhaltender Schmerz im Unterbauch» zu einer eindeutigen Diagnose zu kommen. Für diesen Beitrag wird folgende Definition zugrunde gelegt, für die es jedoch keine ICD-10- oder DSM-IV-Klassifizierung gibt:<br /><br /> Der chronische Unterbauchschmerz ist ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz der Frau. Er kann zyklisch, intermittierend- situativ oder nicht zyklisch chronisch ausgeprägt sein. Dieser Schmerz führt zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Bei einem Teil der Patientinnen können körperliche Veränderungen/ Störungen als überwiegend ursächlich anzusehen sein. Bei anderen Patientinnen können emotionale Konflikte oder psychosoziale Belastungen als entscheidende ursächliche Faktoren gelten.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Gemäss demografischen Studien scheint kein Zusammenhang mit Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Familienstand und Erwerbstätigkeit zu bestehen. Körperliche und sexuelle Gewalterfahrung sowie häusliche Gewalt stellen ohne Zweifel Risikofaktoren dar, sind aber nicht zwingend mit chronischem Unterbauchschmerz assoziiert (Coker et al. 2000; Mark et al. 2008).<br /><br /> Für das Risiko, an einer somatoformen Schmerzstörung zu erkranken, konnten Stresserfahrungen in der Kindheit als wesentliche Risikofaktoren herausgearbeitet werden: Besonders emotionale Vernachlässigung, psychische Erkrankung beider Eltern (Alkohol, Depression, Psychosen), Armut und Gewalterfahrungen führen zu einem unsicheren oder desorganisierten Bindungstyp mit erhöhtem Risiko für somatoforme Schmerzstörungen. Für die Entstehung dieser sind die Ergebnisse gut gesichert (Egle, Nickel 1998). Mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich dieses Modell der Chronifizierung auch auf den chronischen Unterbauchschmerz übertragen. Bindungstheoretische Ansätze liefern ebenfalls ein Modell zur Entstehung chronischer Schmerzen. Daher wird zunehmend eine multimodale Betrachtungsweise unter Einbeziehung verschiedener Faktoren favorisiert.</p> <h2>Pathophysiologie</h2> <p>Untersuchungen zur Bedeutung der neuronalen Plastizität für die Chronifizierung von Schmerzen, wie sie bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz durchgeführt worden sind, sind bei chronischen Unterbauchschmerzen nicht bekannt. Man geht aber heute davon aus, dass im Rahmen der Entstehung chronischer Schmerzen das Nervensystem mit seinen Rezeptoren unter anderem durch chemische und entzündliche Mediatoren sowie Hormone beeinflusst wird. Die Bedeutung von Zytokinen und Prostaglandinen beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau ist unklar. Es existieren wenige, z.T. widersprüchliche Studienergebnisse. Es wird vermutet, dass Substanz P und CGRP («calcitonin gene-related peptide») eine bedeutende Rolle als Entzündungsmediatoren spielen. Infrage kommt auch eine besondere Weise der Verarbeitung sensibler Afferenzen auf Rückenmarksebene sowie im Cortex der betroffenen Frauen.<br /><br /> Endokrinologische Veränderungen wurden als pathophysiologische Erklärungsmodelle ebenfalls herangezogen. Die Ergebnisse zeigten nur teilweise eine Entsprechung. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Schmerzrezeption werden vermutet.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Therapie chronischer Unterbauchschmerzen erfordert eine individuell erstellte Behandlungsstrategie. In einem multimodalen Konzept sollten psychosomatische Therapieansätze eingeschlossen sein. Der primäre Behandler stellt im Allgemeinen die langfristige, verlässliche und Halt gebende Arzt-Patientinnen-Beziehung her, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung anzusehen ist.<br /><br /> Man geht davon aus, dass eine rein somatische Behandlung die Überzeugung der Patientinnen stützt, dass die Symptomatik rein somatische Ursachen habe, was die Implementierung psychosomatischer Behandlungsansätze erschwert (Greimel 1999). Diagnostik und Therapie sind in die Arzt-Patientinnen-Beziehung eingebettet. Die Einbeziehung des biopsychosozialen Modells bildet hierfür die Grundlage der therapeutischen Haltung für das ärztliche Handeln (Gesprächstherapie, operative Therapie, medikamentöse Behandlung). Dabei wird geklärt, in welchem Umfang die Schmerzen durch psychische Faktoren beeinflusst werden oder ob eine psychische Komorbidität besteht. Erfolgt durch den primären Behandler die Überweisung zu einem spezialisierten Zentrum, ist darauf zu achten, dass er in die weitere Behandlungsplanung und Therapie miteinbezogen wird.<br /><br /> In einem multidisziplinären Therapiekonzept unter Einbeziehung psychosomatischer Faktoren bzw. psychischer Störungsbilder zeigten sich statistisch signifikant bessere Therapieeffekte (Peters et al. 1991). Frauen mit chronischen Unterbauchschmerzen zeigen Veränderungen in ihrem Körperbild (Haugstad 2006b). In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde begleitend zur gynäkologischen Therapieintervention eine somatokognitive Behandlung nach Mensendieck durchgeführt. Dabei kam es zu einer Verbesserung der motorischen Funktion und zu einer signifikanten Verminderung des Schmerz-Scores (Haugstad 2006a).</p> <h2>Psychotherapie</h2> <p>In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie kam es bei Patientinnen mit einer pelvinen Varikosis (Farquhar et al. 1989) durch die Behandlung mit Progesteron zu einer signifikanten Schmerzreduktion. Der Schmerz besserte sich durch eine begleitende Psychotherapie nochmals. Auch in der placebokontrollierten Gruppe führte Psychotherapie zur Schmerzreduktion. Peters verglich eine Patientinnengruppe, die eine gynäkologische Standardtherapie erhielt, mit einer Gruppe, in der ein multidisziplinäres Therapiekonzept umgesetzt wurde (Peters et al. 1991). In dem multidisziplinären Therapiekonzept mit Einbeziehung psychosomatischer Faktoren bzw. psychischer Störungsbilder zeigten sich statistisch signifikant bessere Therapieeffekte. Albert et al. konnten nachweisen, dass es unter einer Gruppentherapie zu einer Abnahme der Schmerzen, zur Reduktion von Analgetikaeinnahme und von Arztbesuchen und zu einer Zunahme der Arbeitstätigkeit kam (Albert 1999).</p> <h2>Operative Therapie</h2> <p>Für die operative Therapie wird die minimal invasive Chirurgie/Laparoskopie als therapeutisches Instrument der Wahl zur Behandlung der möglichen Ursachen für chronischen Unterbauchschmerz empfohlen, auch wenn die eingeschränkte Datenlage bezüglich definierter Massnahmen zu berücksichtigen ist. Eine besonders kritische Abwägung ist erforderlich, wenn wiederholt die Indikation zu laparoskopischen Eingriffen gestellt wird.<br /><br /> Trotz kontroverser Bewertung der kompletten oder partiellen Adhäsiolyse existieren zahlreiche Studien zur Effizienz einer laparoskopischen Adhäsiolyse. Die Literaturangaben bewegen sich, was die Ergebnisse betrifft, zwischen keinem Effekt auf die Schmerzsituation und bis zu 88 % iger postoperativer Schmerzfreiheit.<br /><br /> Die Hysterektomie ist eine radikale therapeutische Option, welche nur bei deutlicher Organveränderung unter Berücksichtigung aller histologischen, psychologischen und sozialen Faktoren in Erwägung gezogen werden sollte. Obwohl die Datenlage zur Hysterektomie im Zusammenhang mit chronischem Unterbauchschmerz begrenzt ist, scheint es, dass die Hysterektomie wegen chronischen Unterbauchschmerzes bei Beachtung der o.g. strengen Indikationsstellung in 70–90 % der Fälle mit einer dauerhaften Schmerzreduktion einhergeht.<br /><br /> Frauen mit einer Adenomyosis uteri oder einem symptomatischen Uterus myomatosus kann eine Hysterektomie empfohlen werden.<br /><br /> Die Effizienz der präsakralen Neurektomie mit oder ohne Durchtrennung der Sakrouterinbänder (LUNA, «laparoscopic uterosacral/uterine nerve ablation») bei chronischem Unterbauchschmerz ist nicht bewiesen. Neben der Neurolyse kann zur Therapie chronischer pelviner Schmerzen die laparoskopische Implantation von sogenannten Neuroprothesen zur Neuromodulation (LION) erfolgen. Diese Techniken sind noch als experimentell zu betrachten.<br /><br /> Für die operative Therapie wird die Laparoskopie als therapeutisches Instrument der Wahl empfohlen, auch wenn die eingeschränkte Datenlage bezüglich definierter Massnahmen zu berücksichtigen ist. Eine besonders kritische Abwägung ist bei wiederholten laparoskopischen Eingriffen erforderlich.<br /><br /> Der Heilungsverlauf ist für alle Beteiligten mit grossen Herausforderungen verbunden, betreffend das Zeitmanagement und auch im Hinblick auf die Bewältigung von Rückschlägen und Frustration. Die dabei ausgelösten, oft unbewussten emotionalen Empfindungen können schwerwiegende Auswirkungen auf die Arzt-Patientinnen-Beziehung haben und in extremen Fällen zu vernachlässigender Diagnostik und Therapie bis hin zu nicht gerechtfertigten invasiven Eingriffen führen. Eine Hilfestellung zum Vorgehen in Diagnostik und Therapie kann die DGPFGLeitlinie zum chronischen Unterbauchschmerz der Frau (AWMF 2015) geben.</p></p>
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