
Demenzen interdisziplinär vorbeugen
Bericht:
Hanna Gabriel, MSc
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Bei der Prävention – wie in anderen Bereichen auch – lohnt sich der Blick in unterschiedliche Fachbereiche. Hier berichten wir von potenziellen Ansatzpunkten bei der Demenzprävention in der inneren Medizin und Psychiatrie sowie ihrer Rolle bei einer umfassenden Prophylaxe.
Dieser Bericht widmet sich zwei verschiedenen, aber doch vereinbaren Perspektiven auf die Demenzprophylaxe und gibt einen Überblick über wesentliche Risikofaktoren.
Aus Sicht eines Internisten
Präventive Maßnahmen müssen sinnvollerweise bei der Pathogenese ansetzen. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass vaskuläre Demenzen dieselbe Liste an Risikofaktoren aufweisen, die man bereits von kardiovaskulären Schlaganfällen kennt: Alter, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Fettstoffwechsel, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz und ungesunder Lebensstil.1 Dass sich diese Aufzählung auch mit den Risikofaktoren der Alzheimerdemenz deckt, ist weniger augenscheinlich. Tatsächlich wurde bei Personen mit kardiovaskulärer Erkrankung eine Alzheimerinzidenz von 34,4 pro 1000 Personenjahre festgestellt, während sie sonst bei 22,2 pro 1000 Personenjahre liegt.2 Wieso spielen gerade kardiovaskuläre Risikofaktoren eine solch zentrale Rolle bei der Demenzprävention? Einerseits könnte hierfür das häufige Auftreten von Mischformen aus vaskulärer und Alzheimerdemenz ursächlich sein. Aber auch eine wechselseitige Verschlechterung ist denkbar, bei der sich Demenzen leichter klinisch manifestieren, wenn eine vaskuläre Läsion vorliegt.3 Darüber hinaus steht die Hypothese im Raum, dass vaskuläre Veränderungen keine bloße Begleiterscheinung von Alzheimerdemenzen darstellen, sondern vielmehr ihren primären Pathomechanismus, ausgehend von einer Hypoperfusion.4,5
Herzinsuffizienz
Ein folgenschweres Beispiel einer solchen Abnahme des Blutflusses stellt die Herzinsuffizienz dar. Sie führt zu einer Reduktion der zerebralen Perfusion um 31% sowie der spezifischen Unterversorgung im Hippocampus und Gyrus cinguli. Im Mausmodell wurde gezeigt, dass ihr epigenetischen Veränderungen im Hippocampus und ein Nachlassen der Merkfähigkeit folgen.6 Um einer solchen Entwicklung vorzubeugen, ist die Behandlung einer Herzinsuffizienz nicht nur unbedingt notwendig, sondern mit den „fantastic four“ (ACE-I/ARNI, BB, MRA und SGLT2i) auch erreichbar.7
Diabetes mellitus
Abseits der kardiovaskulären Faktoren sollten auch Störungen des Glukosemetabolismus bei der Demenzprävention bedacht werden. Insulinresistenz und chronische Hyperinsulinämie erhöhen das Alzheimerrisiko ebenso wie direkte Schäden infolge einer Hypoglykämie.8 Dabei ist zu beachten, dass gerade wegen der schweren Folgeerscheinungen einer Hypoglykämie HbA1c-Ziele individuell festzulegen sind. Ansonsten lautet das Stichwort auch bei Diabetes mellitus: Prävention. Diese erfolgt in Form einer Lebensstilmodifikation, gegebenenfalls bariatrischer Chirurgie und der frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Prädiabetes.
Niereninsuffizienz
Eine Verringerung des zerebralen Blutflusses findet sich auch bei eingeschränkter Nierenfunktion.9 So wurde gezeigt, dass pro 10ml reduzierter glomerulärer Filtrationsrate die Prävalenz von kognitiven Schädigungen um 11% zunimmt.10 Präventiv sollten daher nephrotoxische Medikamente abgesetzt und Komorbiditäten behandelt werden. Des Weiteren kann der nephroprotektive Effekt von ACE-Hemmern genutzt werden (cave: akutes Nierenversagen).
Lipidstoffwechsel
Auch im Lipidstoffwechsel finden sich entscheidende Faktoren, die bei der Prävention demenzieller Erkrankungen zu berücksichtigen sind. Darunter fällt der Apolipoprotein-E-Genotyp als größter bisher bekannter genetischer Risikofaktor der spätmanifesten Alzheimerdemenz. Hierbei erhöht das Auftreten des e4-Allels das Lebenszeitrisiko um das Zweifache.
Im Allgemeinen steigt das Demenzrisiko mit einer Hypercholesterinämie. In der Prävention können daher LDL-Cholesterin-Ziele aus der kardiovaskulären Risikoprävention zur Orientierung dienen. Dabei gilt das Motto „the lower, the better“. Dennoch sollte immer auch eine individuelle Einschätzung erfolgen, da erhöhte intrazerebrale Blutungsraten in Zusammenhang mit sehr niedrigen LDL-Cholesterin-Werten diskutiert werden (allerdings widersprüchliche Studienlage).11 Auch potenzielle neurokognitive Nebenwirkungen von PCSK-9-Hemmern sind aktueller Gegenstand der Forschung.12 Schließlich zeigt der Einsatz von Statinen zur gezielten Demenzprävention bislang keinen positiven Effekt und wird daher nicht angeraten.13
Arterielle Hypertonie
Erhöhter Blutdruck gilt als einziger Risikofaktor, bei dem rezent ein Benefit auch in der Primärprävention demenzieller Erkrankungen nachgewiesen werden konnte, mit einer Risikoreduktion unabhängig von der Substanzklasse um 16%.14 Auch bei der Vorbeugung eines „mild cognitive impairment“ (MCI) wurde ein signifikanter Effekt mittels intensiver systolischer Blutdrucksenkung auf <120mmHg (im Gegensatz zu <140mmHg) dokumentiert.15 Generell sind langfristig Blutdruckwerte von <140/90mmHg anzustreben, optimalerweise <120/80mmHg.
Aus Sicht eines Psychiaters
Zur umfassenden Demenzprävention gehört aus psychiatrischer Sicht, nicht allein die Neuropathologie zu beeinflussen, sondern während des Lebens eine kognitive Reserve für den Lebensabend aufzubauen. Hierzu verhelfen z.B. körperliche Aktivität, Bildung sowie kognitive und soziale Aktivität.16
Trauma und Stress
Traumatische Ereignisse oder das Erleben von häufigen Stressperioden wirken sich sehr wahrscheinlich ungünstig auf die Entwicklung von Demenzen aus.17 Die systematische Überprüfung von 25 Studien zu Demenz und posttraumatischer Belastungsstörung („post-traumatic stress disorder“, PTSD) ergab, dass eine PTSD im mittleren Lebensalter das Demenzrisiko im späteren Leben erhöht. Umgekehrt hebt auch das Vorliegen einer Demenz wiederum das Risiko für das Auftreten oder die Verschlechterung einer PTSD.18 Diese Ergebnisse bestätigen sich größtenteils auch in Studien, die sich mit der Entstehung von Demenzen unter Veteranen befassen.19
Zudem steigert ein hoher Grad an subjektiv wahrgenommenem chronischem Stress das Risiko für ein amnestisches MCI um 30%.20 Insgesamt sind strengere Längsschnittstudien, die auch Neuroimaging und Biomarker heranziehen, notwendig, um in diesem Punkt für mehr Klarheit zu sorgen. Die Botschaft an Patienten muss in jedem Fall aber lauten, Stress möglichst zu reduzieren. Insbesondere Patienten, die ohnehin gefährdeter sind (z.B. durch ein MCI), sind vulnerabler gegenüber Stress.
Alkohol
Es ist hinlänglich bekannt, dass starker Alkoholkonsum zu Hirnveränderungen, kognitiven Beeinträchtigungen und Demenzen führen kann und deshalb vermieden werden sollte.21 Interessanterweise wurde auch eine vollkommene Alkoholabstinenz im mittleren Alter mit einem erhöhten Demenzrisiko in Verbindung gebracht.22 Aus derselben Studie geht hervor, dass der risikoärmste Alkoholkonsum bei 1–14 Unit pro Woche liegt (Unit = Alkoholstärke [%] x Volumen [ml] / 1000). Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit MCI geboten, die weiterhin Alkohol konsumiere, da hier das Risiko möglicherweise höher liegt.
Rauchen
In den allermeisten Studien wird Rauchen als Risikofaktor beschrieben. Die gute Nachricht aber ist, dass der Effekt reversibel zu sein scheint. So sollen Exraucher bereits nach 5 Jahren ein ebenso niedriges Risiko aufweisen wie Personen, die nie geraucht haben.23,24
Schlaf
Während sich Schlafrhythmen und -dauer im Alter auch beim Gesunden verändern (eine Information, die laut Psychiater bei vielen Patienten für Beruhigung sorgen kann), zeigt sich doch auch ein Zusammenhang zwischen Schlaflosigkeitoder kurzem Nachtschlaf und der Entstehung von Demenzen.25,26 Ursächlich könnten hierbei Veränderungen inflammatorischer Faktoren sein. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Beobachtungen sich nicht aus Effekten der psychischen Gesundheit erklären lassen, sondern direkt mit dem Schlafverhalten zusammenhängen.
Aus Sicht eines Patienten?
Dieser kurze Überblick zeigt vor allem eines: Eine umfassende Demenzprävention muss vielschichtig, umfassend und interdisziplinär ansetzen. Für Patienten stellt sich beim Anblick einer solchen Liste vielleicht viel eher die Frage, welcher Lebensbereich denn von der Prävention verschont bleiben kann. Ein letzter Ratschlag aus dem psychiatrischen Vortrag lautet daher, bei allen Maßnahmen nicht auf die Lebensfreude zu vergessen.
Sollten Sie sich eingehender für die Inhalte der 33. Tagung der ÖAG interessieren, weisen wir Sie jetzt schon auf künftige Expertenbeiträge über Vorträge bei der Tagung in der 1. Ausgabe 2022 hin.
Quelle:
33. Jahrestagung der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft, 22. bis 23. Oktober 2021, Tulln, Ass. Dr. Erol Erdik: „Demenzprävention – der internistische Beitrag“, Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner: „Demenzprävention – psychiatrische Sicht“
Literatur:
1 S1 Leitlinie vaskuläre Demenz 2 Newman AB et al.: J Am Geriatr Soc 2005; 53: 1101-1107 3 Attems J et al.: BMC Med 2014; 12: 206 4 de la Torre JC: Stroke. 2002; 33: 1152-1162 5 Li S et al.: Aging (Albany NY) 2021; 13: 21791-21806 6 Islam MR et al.: EMBO Mol Med 2021; 13: e11900 7 Bauersachs J: Eur Heart J 2021; 42: 681-683 8 Craft S: Alzheimer Dis Assoc Disord 2006; 20: 298-301 9 Sedaghat S et al.: J Am Soc Nephrol 2016; 27: 715-721 10 Kurella Tamura M et al.: Am J Kidney Dis 2008; 52: 227-234 11 Karagiannis AD et al.: Eur Heart J 2021; 42: 2154-2169 12 di Mauro G et al.: Drug Saf 2021; 44: 337-349 13 McGuinness B et al.: Int J Geriatr Psychiatry 2013; 28: 119-126 14 Ding J et al.: Lancet Neurol 2020; 19: 61-70 15 Williamson JD et al.: JAMA 2019; 321: 553-561 16 Livingston G et al.: Lancet 2020; 396: 413-446 17 Justice NJ: Neurobiol Stress 2018; 8: 127-133 18 Desmarais P et al.: Am J Geriatr Psychiatry 2020; 28: 48-60 19 Meziab O et al.: Alzheimers Dement 2014; 10: 236-241 20 Katz MJ et al.: Alzheimer Dis Assoc Disord 2016; 30: 93-98 21 Rehm J et al.: Alzheimers Res Ther 2019; 11: 1 22 Sabia S et al.: BMJ 2018; 362: k2927 23 Zhong G et al.: PLoS One 2015; 10: e0118333 24 Lu Y et al.: Eur J Epidemiol 2020; 35: 851-860 25 Sadeghmousavi S et al.: J Neuroinflammation 2020; 17: 289 26 Sabia S et al.: Nat Commun 2021; 12: 2289
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