
Jeder Zentimeter zählt
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Gerald E. Wozasek
Orthopädie/ Sporttraumatologie/ Unfallchirugie
Teamarzt Ski Austria
Med6 Ärztezentrum, Wien
E-Mail: ordination@wozasek.at
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Beruflicher und partnerschaftlicher Erfolg wird häufig mit der Körpergröße in Verbindung gebracht. Wer eher klein gewachsen ist, entscheidet sich daher mitunter für eine operative Beinverlängerung. Ein solcher Eingriff in die körperliche Integrität erfordert vom Betroffenen ein klares Verständnis für die Operation sowie Disziplin in der Nachsorge. Neben medizinischen Aspekten ist bei kosmetischen Operationen auch auf die zu erwartenden Körperproportionen zu achten. Ein plakativer Fall zeigt die erste in Österreich durchgeführte ästhetische Knochenverlängerung.
In den letzten Jahren wurde medial vermehrt über Knochenverlängerungen als Lifestyle-Chirurgie geschrieben. So erlangte erst kürzlich eine ehemalige Teilnehmerin der Sendung „Germany’s Next Top Model“ durch die Debatte um ihre in zwei OPs in einem Zeitraum von 7 Jahren um insgesamt 14cm operativ verlängerten Beine zweifelhaften Ruhm.
Es steht außer Frage, dass das öffentliche Leben nach einer bestimmten Normgröße ausgerichtet ist und ein größeres Abweichen von dieser Norm im Alltag mit Herausforderungen verbunden ist. Daher setzen sich beispielsweise in den USA Organisationen wie „Little People of America“ für die Belange der Kleinwüchsigen ein. Zugleich sagt ein geflügeltes Wort, dass die Karriereleiter mit langen Beinen einfach schneller zu erklimmen sei. Offensichtlich spielt das äußere Erscheinungsbild eines Menschen sowohl für den beruflichen als auch für den persönlichen Erfolg eine entscheidende Rolle. Nicht nur im Modelbusiness, bei ambitionierten Mannequins, sind lange Beine en vogue. Auch eine australische Politikerin hatte Zweifel daran, ob sie mit einer Körpergröße von 1,54m im Beruf Erfolg haben könne – sie ließ sich deshalb ihre Beine um 8cm verlängern. „Viele Frauen leiden unter Komplexen wegen ihres Gewichts oder wegen ihrer Nase, bei mir war es die Größe“, erklärte die 31-Jährige freimütig.
Zu bedenken ist jedoch, dass gewisse Körperproportionen auch bei der Beinverlängerung zu berücksichtigen sind. In der Medizin sind sie für die Definition von Groß- und Kleinwüchsigkeit bedeutsam. Bereits die Künstler Lenoardo Da Vinci und Michelangelo Buonarroti haben sich mit dieser Thematik intensiv auseinandergesetzt.
Körperproportionen
Abb. 2: Die Proportionen von Michelangelos „David“ entsprechen nicht dem klassischen Ideal
Der römische Architekt und Ingenieur Vitruv formulierte zwischen 33 und 22 vor Christus in seinen zehn Büchern über Architektur unter anderem die Theorie des „wohlgeformten Menschen“ mit einem idealen Verhältnis der Körperteile zueinander. Vitruv verwendete für diese nicht bebilderte Beschreibung den Ausdruck „homo bene figuratus“.
Eine der berühmtesten Zeichnungen von Leonardo da Vinci zeigt einen Mann mit ausgestreckten Armen und Beinen in zwei überlagerten Positionen. Mit seiner Federzeichnung, welche um 1490 entstand, illustrierte Leonardo die These des Vitruv, dass der aufrecht stehende Mensch sich in die geometrische Form sowohl des Quadrates wie auch des Kreises einfüge und somit eine harmonisch proportionierte Gestalt darstelle. Dabei überlagern sich zwei Ansichten eines Menschen. Eine Ansicht zeigt den Mensch im Kreis, „homo ad circulum“, wobei der Mittelpunkt des Kreises im Bauchnabel liegt. Die zweite Ansicht zeigt den Mensch im Quadrat, „homo ad quadratum“, wobei der Schritt den Mittelpunkt anzeigt. Körperhöhe und Körperbreite mit ausgestreckten Armen sind dabei gleich. Die Studie belegt, wie sehr Lenoardo an Körperbau und -proportionen interessiert war, und ist bis heute ein Symbol für Schönheit, Gesetzmäßigkeit und Harmonie. Leonardos Beschriftung der Zeichnung legt außerdem Körperverhältnisse fest. Das Idealbild der menschlichen Schönheit ist daher kein absolutes, sondern durch die Beziehung einzelner Körperteile zueinander bestimmt.
Heute ist der vitruvianische Mensch eine häufig adaptierte Figur, sie findet sich unter anderem auch auf der Rückseite der italienischen Ein-Euro-Münze.
Der David von Michelangelo gilt heute als erste Monumentalstatue der Renaissance und wurde in der Zeit von 1501 bis 1504 aus einem einzigen Carraramarmorblock geschaffen. Die Skulptur war ursprünglich für den Florentiner Dom bestimmt. Sie zeigt den biblischen David in Vorbereitung auf den Kampf gegen Goliath. Als Mittelpunkt des Gesamtkörpers wurde hier die Schambeinregion gewählt. 50 Prozent des Gesamtkörpers (die Beine) befinden sich unterhalb, und 50 Prozent (der Rumpf und der Kopf) oberhalb dieser Mitte. Es bestehen also keine idealen Körperproportionen, was vor allem bei Betrachtung der rechten Hand augenscheinlich wird; dies ist möglicherweise als Anspielung auf Davids biblischen Spitznamen „manu fortis“ zurückzuführen.
Diskussion
Aus diesen geschichtlichen Überlegungen ist es nachvollziehbar, dass klein gewachsene Personen größer werden wollen. Der durchschnittliche Mann in Deutschland misst laut Statistischem Bundesamt 179cm, in der Schweiz sind es 177cm. In Österreich beträgt die durchschnittliche Körpergröße beim Mann 178,5cm und bei der Frau 167cm.
Ein Großteil der kosmetischen Beinverlängerungen erfolgt bei Männern. Am gängigsten ist eine Standardverlängerung von 8cm. Viele Patienten sehen diesen Eingriff als Investition in sich selbst. Die Statur erscheint als wichtiger Teil dessen, wer man ist und wie die Umgebung einen wahrnimmt.
Offenkundig finden Frauen Männer attraktiv, die größer sind als sie, weil sie Sicherheit ausstrahlen. Dies ist ein archaisches Phänomen, das einiges über die Vorstellungen von Männlichkeit aussagt. In der auf solche Schönheitsideale fixierten modernen Gesellschaft nimmt die Bereitschaft zur Durchführung einer Knochenverlängerung rasant zu, trotz bestehender Operationsrisiken.
In der Schweiz wird dieser kosmetische Eingriff laut der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie nicht durchgeführt und auch in Österreich erfolgte eine ästhetische Oberschenkelverlängerung 2023 zum ersten Mal. Dies bedeutet, dass bis dato in solchen Fällen ein Operationstourismus nach Deutschland, Osteuropa und in andere Länder stattfand, in denen Beinverlängerungen kostengünstig angeboten werden.
Anfragen zu derartigen Eingriffen erfolgten in den vergangenen Jahren häufiger. Entscheidend war die Entwicklung eines magnetischen Teleskopnagels, der nach Durchtrennung des Knochens in den Markraum eingeführt werden kann und die kontrollierte Verlängerung über eine externe Magnetsteuerung ermöglicht. Das klassische, oft sehr schmerzhafte äußere Gestell (Fixateur externe) ist somit hinfällig geworden.
Das Grundprinzip der Kallusdistraktion ist die lebenslange Fähigkeit der Knochen, nach einem Bruch bzw. einer chirurgischen Durchtrennung zu heilen. Der Spalt zwischen den Knochenenden füllt sich zunächst mit einer weichen Knochensubstanz, dem Kallus, welche mit der Zeit verknöchert. Das kontrollierte Dehnen des Spaltes um 1mm pro Tag ermöglicht die Knochenverlängerung. Gleichzeitig kann sich auch das Weichteilgewebe an die neue Situation anpassen.
Fallbeispiel
Ein illustrativer Fall einer kosmetischen Knochenverlängerung soll die einzelnen Schritte des Eingriffs aufzeigen.
Ein 20-jähriger Mann litt unter seinem relativen Kleinwuchs von 169cm. Nach mehreren Gesprächen, auch in der Gegenwart seiner Eltern, und ausführlicher Aufklärung erfolgte im Juni 2023 die beidseitige Oberschenkelosteotomie mit anschließendem Einsetzen der Teleskopnägel. Bis September 2023 fand die kontrollierte Kallusdistraktion um insgesamt 7,5cm statt. In dieser Zeit war der Patient nur im Rollstuhl mobil. Die Knochenverlängerung wurde von einer laufenden physikalischen Therapie begleitet, um Bewegungseinschränkung in den Beingelenken vorzubeugen. Ab Herbst 2023 erfolgte die Mobilisierung mit zwei Unterarmstützkrücken, im Dezember wurde schließlich die Vollbelastung erlaubt. Bei der letzten Kontrolle im November 2024 war er vollbelastend mobil und die tiefe Hocke bereitete ihm keine Schwierigkeiten.
Fazit
Die operative Beinverlängerung kann eine Möglichkeit sein, ein besseres Körpergefühl herzustellen. Zu bedenken ist jedoch, dass gewisse Körperproportionen gewahrt werden sollten. Eine übermäßige Beinverlängerung (beispielsweise Ober- und Unterschenkel) führt zu einer relativen Armverkürzung. Daher wird bei achondroplastischem Zwergwuchs zusätzlich zur Beinverlängerung auch eine Verlängerung der Oberarme durchgeführt.
Die Kosten sind ein weiterer Punkt, den es zu beachten gilt, da der Preis der zur Knochenverlängerung beidseits notwendigen Teleskopnägel dem eines Klein- bis Mittelwagens entspricht.
Zuletzt ist auch die aufwendige Nachbehandlung zu berücksichtigen, die eine kontinuierliche ärztliche Kontrolle und ein gut funktionierendes soziales Umfeld des Patient:innen erfordert.
Die lebenslange Fähigkeit der Knochenneubildung ist nun also auch zu ästhetischen Zwecken in der „modernen“ Medizin der Schönheitschirurgie nutzbar. Trotzdem sollte ein solcher Wahleingriff nicht leichtfertig durchgeführt werden, da eine monatelange Nachbehandlung unter kontinuierlicher ärztlicher Kontrolle erforderlich ist.
Abb. 4: Verheiltes Ergebnis: Röntgen vom 12.12.2023. Letztkontrolle im November 2024: Die tiefe Hocke ist kein Problem
Literatur:
beim Verfasser
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