
Insomnien bei Demenzen und Schädel-Hirn-Traumen
Autor:
Prof. Dr. med. Geert Mayer
Senior Direktor der Hephata Klinik
Schwalmstadt-Treysa
E-Mail: geert.mayer@hephata.de
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Schlaf-wach-Störungen können als Begleitsymptome einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen auftreten. Im folgenden Beitrag wird insbesondere auf die Diagnose und Therapie der Insomnien bei Demenzen und Schädel-Hirn-Traumata eingegangen und eine Übersicht präsentiert.
Insomnie bei Demenzen
Schlafstörungen können die Entstehung von Demenzen begünstigen und Demenzen ihrerseits Schlafstörungen verursachen. Insomnien erhöhen das Risiko einer kognitiven Verschlechterung um 27% (Metaanalyse von Xu et al. 20201). Demenzen zeigen eine Assoziation mit schlafbezogenen Atmungsstörungen, Hypersomnien und Insomnien. Insomnien tragen in besonderer Weise zur Entstehung von Alzheimerdemenz bei, daher sind eine frühe Diagnostik und Therapie wichtige Massnahmen zur Prävention von Demenzen. Die Aggregation von Beta-Amyloid (Aß) kann schon 20 Jahre vor Manifestation einer Demenz auftreten.
Das glymphatische System scheidet im Schlaf «Abfallprodukte» wie z.B. fehlgefaltete Proteine, die sich im Wachen im Gehirn ansammeln, aus. Durch Insomnien verringert sich die Dauer der Aß-Ausscheidung über das glymphatische System und das führt zu einer Akkumulation im Gehirn. Schlafbezogene Atmungsstörungen zeigen ein erhöhtes t-tau/Aβ42-Verhältnis und können durch apnoebedingte Schlaffragmentierung und repetitive apnoeassoziierte Hypoxämien in der Nacht zusätzlich hirnschädigend wirken. Diese Veränderungen verstärken altersbedingte degenerative Veränderungen von Neurotransmittern und zirkadianen Rhythmen. Mit zunehmendem Alter und bei langjährigen Insomnien verringert sich die nächtliche Melatoninkonzentration.2
In grossen populationsbasierten Studien mit über 65 Jahre alten Personen fand sich bei den dementen Personen in bis zu 85% eine Insomnie, bei ca. 26% Schnarchen und Apnoen, bei 26% Beinbewegungen und bei 31% exzessive Tagesschläfrigkeit.3 Fragebogenstudien bei Patienten mit frühen Formen von Lewy-Körpern, Alzheimer- und Parkinsondemenz4 hatten meist mehrere Schlafstörungen (Insomnien 29,9%, nächtliche Wadenkrämpfe 24,1%, exzessive Tagesschläfrigkeit 22,6%, Restless-Legs-Syndrom 20,7%, REM-Schlaf-Verhaltensstörung 18,5%). Über 50–65 Jahre alte Patienten mit einer lang bestehenden Insomnie haben ein höheres Demenzrisiko als über 65-Jährige ohne Insomnie. Der Gebrauch von hoch dosierten Hypnotika mit einer langen Halbwertszeit erhöht ebenfalls das Demenzrisiko.5 29% von über 55-Jährigen mit «mild cognitive impairment» (MCI) haben in prospektiven Studien eine Alzheimerdemenz (AD) entwickelt. Das Risiko hierfür vermindert sich durch komorbide affektive Störungen.6 Insomnische Symptome sind bei AD-Patienten mit Störungen der frontalen exekutiv- und visuospatialen Funktionen assoziiert.7
Patienten mit Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen haben sehr häufig komorbide Schlafstörungen und können von der Behandlung der komorbiden Schlafstörungen profitieren.8
Schlafstörungen bei dementen Patienten können mittels Fragebögen9 erfasst werden, wobei spezifisch bei Tagesschläfrigkeit die Epworth Sleepiness Scale (ESS)10 und für zirkadiane Rhythmusstörungen ein Schlaftagebuch (s. Homepage der Schweizer Gesellschaft für Schlafforschung) eingesetzt werden können. Eine Untersuchung im Schlaflabor ist nur bei komplexer Fragestellung erforderlich (z.B. Abgrenzung einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung von einer nächtlichen Epilepsie), wenn die aus den Ergebnissen resultierenden Konsequenzen umsetzbar erscheinen.
Therapien
Eine optimale Schlafhygiene sollte immer umgesetzt werden, auch wenn hierzu kaum evidenzbasierte Daten vorliegen.11 Bei milden Formen der Demenz kann eine kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie erprobt werden.
Eine Kombination von Laufen und Echtlichtexposition (2500 Lux) von >4 Tagen/ Woche über 6 Monate verbesserte bei Patienten mit AD ihre aktigrafisch gemessene Schlafdauer.12
Melatonin (bis 10mg unretardiert und 2,5mg retardiert) hatte keinen Effekt auf Schlafstörungen bei AD.13 Die Leitlinie der amerikanischen Akademie für Schlafstörungen (AASM, Auger et al. 201514) empfiehlt die Behandlung von Melatonin bei Demenzen unter Berücksichtigung des positiven Effekts auf die Schlaf-wach-Rhythmusstörungen. Bei komorbider REM-Schlaf-Verhaltensstörung sind 2,5mg Melatonin in retardierter Form immer zum gleichen Zeitpunkt gegeben indiziert.15
Trazodon 50mg zeigte eine Verlängerung der Schlafdauer und Schlafeffizienz, aber keinerlei Effekt auf die nächtliche Wachzeit und die Häufigkeit des Erwachens. Eine placebokontrollierte Studie mit 15mg Mirtazapin über 2 Wochen um 21 Uhr verabreicht zeigte bei aktigrafischer Schlafüberprüfung keinen schlaffördernden Effekt, allerdings war die Studie mit acht behandelten Patienten und 18 Kontrollen sehr klein.16
Bei komorbider behandlungsbedürftiger Schlafapnoe kann eine CPAP-Therapie erprobt werden, deren Erfolg von der Toleranz und Adhärenz abhängig ist.17
Demenzpatienten werden häufig mit Neuroleptika behandelt. Eine Demenzleitlinie empfiehlt bei Erwachsenen mit primärer Insomnie und bei sekundären Insomnien mit behandelten Komorbiditäten Neuroleptika abzusetzen,18 allerdings zeigt eine Cochrane-Metaanalyse wenig oder keine Evidenz für einen Effekt von Neuroleptika auf die insomnischen Symptome.19 Für die in der gängigen Praxis verordneten Hypnotika wie Benzodiazepine, Benzodiazepinrezeptoragonisten und Phytotherapeutika konnten keine Studien mit Nutzen für Demenzkranke mit Insomnie gefunden werden. Diese Medikamente sollten primär nicht zur Insomniebehandlung verabreicht werden.
Insomnie bei Schädel-Hirn-Traumen
Mehr als 50% aller Patienten mit traumatischen Hirnschäden leiden unabhängig vom Schweregrad an Schlaf-wach-Störungen.20 Insomnische Störungen haben einen negativen Einfluss auf die Neuroplastizität und den Heilungsverlauf nach dem Trauma sowie auf Kognition und nächtliches Schmerzempfinden und senken die Schwelle zur psychiatrischen Komorbidität. Eine Metaanalyse mit 1706 Teilnehmern aller Schädel-Hirn-Trauma-Schweregrade zeigte bei 50% Schlaf-wach-Rhythmusstörungen, bei 29% Insomnien, bei 28% Hypersomnien und bei 25% eine Schlafapnoe. Schlafstörungen können die Symptome einer TBI verschlimmern. Schlafstörungen treten besonders häufig bei milden Formen der TBI auf, sodass die Verarbeitung des Traumas eine entscheidende Komponente für die Entwicklung der Schlafstörung zu sein scheint. Hierfür sprechen auch die Zusammenhänge von Insomnie, Depressionen und Angststörungen bei TBI-Patienten.
Polysomnografische Daten von Patienten mit TBI zeigen gegenüber gesunden Kontrollpatienten eine reduzierte Schlafeffizienz, vermehrte Schlafunterbrechungen, velängerte Schlaflatenzen und weniger REM-Schlaf sowie vermehrten Leichtschlaf. Diese Schlafveränderungen können durch viele konfundierende Faktoren wie z.B. Fehlanpassung, Depression, Angst etc. bedingt sein. Die Schlafstörungen können ein halbes Jahr bis fünf Jahre nach dem Trauma persistieren. Viele Patienten entwickeln auch eine Fatigue.
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma wird das Zentralnervensystem abhängig von der Art des Traumas geschädigt. Schlaf-wach- und assoziierte Zentren können dadurch geschädigt werden und Schlaf-wach-Störungen verursachen, aber auch relevante kognitive Störungen. Pathophysiologisch haben 95% der Schädel-Hirn-Trauma-Patienten in der Akutphase erniedrigte Orexinspiegel (Orexin = Hypocretin) im Liquor, die vorwiegend bei Patienten mit Narkolepsie-ähnlichen Symptomen bestehen bleiben. Autopsiestudien zeigten eine Reduktion von Orexinneuronen im Hypothalamus.21 In einer kleinen Studie zeigten ca. 6% der Hirnpräparate eine 41%ige-Reduktion tuberomammilärer histaminerger Neuronen, aber nur eine 21%ige-Reduktion von Orexinneuronen.22 42% der Schädel-Hirn-Trauma-Patienten weisen einen verminderten Gehalt von Melatonin in der abendlichen Speichelprobe und eine verzögerte nächtliche Synthese auf.23 In Anbetracht der Heterogenität der Läsionsorte und Schweregrade der Traumata und der häufigen Komorbidität mit psychiatrischen Erkrankungen wird von einer multifaktoriellen Neuropathophysiologie von Schlaf-wach-Rhythmusstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma ausgegangen.24 Weibliches Geschlecht, eine schlechte prätraumatische Schlafqualität und eine reduzierte Schlafwahrnehmung sowie Kognition zwei Wochen nach dem Akuttrauma sollen prädiktiv für eine chronische Insomnie sein.25 Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma zeigen in der chronischen Phase eine Zunahme an Tiefschlaf. Es wird angenommen, dass hierdurch die posttraumatische Neuroplastizität gefördert wird.24,26
Therapie
Eine symptomorientierte somatische (z.B. CPAP bei obstruktiver Schlafapnoe) und pharmakologische Therapie sollte unter Berücksichtigung der Komorbiditäten erfolgen. Der Einsatz der kombinierten pharmakologischen und kognitiven Verhaltenstherapie (CBTi) soll erfolgen, wenn es die klinischen Begleitumstände erlauben. Eine vergleichende Studie von Melatonin und Amitriptylin ergab für keines der beiden Medikamente eine Verbesserung der Schlafqualität.27 Für CBTi existieren allerdings nur wenige qualitative Studien.28
Literatur:
1 Xu W et al.: Sleep problems and risk of all-cause cognitive decline or dementia: an updated systematic review and meta-analysis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2020; 91: 236-44 2 Rodenbeck A, Hajak G: Neuroendocrine dysregulation in primary insomnia. Rev Neurol 2001; 157(11 Pt 2): S57-61 3 Merlino G et al.: Daytime sleepiness is associated with dementia and cognitive decline in older Italian adults: a population-based study. Sleep Med 2010; 11(4): 372-7 4 Rongve A et al.: Frequency and correlates of caregiver-reported sleep disturbances in a sample of persons with early dementia. J Am Geriatr Soc 2010; 58(3): 480-6 5 Chen PL et al.: Risk of dementia in patients with insomnia and long-term use of hypnotics: a population-based retrospective cohort study. PLoS One 2012; 7(11): e49113 6 Ramakers IHGB et al.: Affective symptoms as predictors of Alzheimer’s disease in subjects with mild cognitive impairment: a 10-year follow-up study. Psychol Med 2010; 40(7): 1193-201 7 Shin HY et al.: Sleep problems associated with behavioral and psychological symptoms as well as cognitive functions in Alzheimer’s disease. J Clin Neurol 2014; 10(3): 203-9 8 Kang P et al.: Sleep pathology in Creutzfeldt-Jakob disease. J Clin Sleep Med 2016; 12(7): 1033-9 9 Bloom HG et al.: Evidence-based recommendations for the assessment and management of sleep disorders in older persons. J Am Geriatr Soc 2009; 57(5): 761-89 10 Johns MW: Daytime sleepiness, snoring, and obstructive sleep apnea. The Epworth Sleepiness Scale. Chest 1993; 103(1): 30-6 11 McCurry SM et al.: Nighttime insomnia treatment and education for Alzheimer’s disease: a randomized, controlled trial. J Am Geriatr Soc 2005; 53(5): 793-802 12 McCurry SM et al.: Increasing walking and bright light exposure to improve sleep in community-dwelling persons with Alzheimer’s disease: results of a randomized, controlled trial. J Am Geriatr Soc 2011; 59(8): 1393-402 13 McCleery J et al.: Pharmacotherapies for sleep disturbances in dementia. Cochrane Database Syst Rev 2016; 11(11): CD009178 14 Auger RR et al.: Clinical practice guideline for the treatment of intrinsic circadian rhythm sleep-wake disorders: advanced sleep-wake phase disorder (ASWPD), delayed sleep-wake phase disorder (DSWPD), non-24-hour sleep-wake rhythm disorder (N24SWD), and irregular sleep-wake rhythm disorder (ISWRD). An update for 2015. J Clin Sleep Med 2015; 11: 1199-236 15 Kunz D, Mahlberg R: A two-part, double-blind, placebo-controlled trial of exogenous melatonin in REM sleep behavior disorder. J Sleep Res 2010; 19: 591-6 16 Scoralick FM et al.: Mirtazapine does not improve sleep disorders in Alzheimer’s disease: results from a double-blind, placebo-controlled pilot study. Psychogeriatrics 2017; 17(2): 89-96 17 Chong MS et al.: Continuous positive airway pressure reduces subjective daytime sleepiness in patients with mild to moderate Alzheimer’s disease with sleep disordered breathing. J Am Geriatr Soc 2006; 54(5): 777-81 18 Bjerre LM et al.: Deprescribing antipsychotics for behavioural and psychological symptoms of dementia and insomnia. Can Fam Physician 2018; 64: 17-27 19 Declercq T et al.: Withdrawal versus continuation of chronic antipsychotic drugs for behavioural and psychological symptoms in older people with dementia. Cochrane Database Syst Rev 2013; (3): CD007726 20 Mathias JL, Alvaro PK: Prevalence of sleep disturbances, disorders, and problems following traumatic brain injury: a meta-analysis. Sleep Med 2012; 13(7): 898-905 21 Baumann CR: Sleep and traumatic brain injury. Sleep Med Clin 2016; 11(1): 19-23 22 Valko PO et al.: Damage to arousal-promoting brainstem neurons with traumatic brain injury. Sleep 2016; 39(6): 1249-52 23 Grima NA et al.: Circadian melatonin rhythm following traumatic brain injury. Neurorehabil Neural Repair 2016; 30(10): 972-7 24 Sandsmark DK et al.: Sleep-wake disturbances after traumatic brain injury: synthesis of human and animal studies. Sleep 2017; 40(5) 25 Theadom A et al.; BIONIC Research Group: Sleep difficulties one year following mild traumatic brain injury in a population-based study. Sleep Med 2015; 16(8): 926-32 26 Imbach LL et al.: Increased sleep need and daytime sleepiness 6 months after traumatic brain injury: a prospective controlled clinical trial. Brain 2015; 138(Pt 3): 726-35 27 Kemp S et al.: The value of melatonin for sleep disorders occurring post-head injury: a pilot RCT. Brain Inj 2004; 18(9): 911-9 28 Ouellet M-C, Morin CM: Efficacy of cognitive-behavioral therapy for insomnia associated with traumatic brain injury: a single-case experimental design. Arch Phys Med Rehabil 2007; 88(12): 1581-92
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