
Exzision nur bei Melanomverdacht – nicht prophylaktisch?
Bericht:
Ines Schulz-Hanke
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Wenn sich dysplastische Nävi nicht einfach klassifizieren lassen, kann dies nicht nur bei Betroffenen Besorgnis auslösen, sondern ebenso bei Ärztinnen und Ärzten. In einer Pro-Contra-Debatte anlässlich des Deutschen Hautkrebskongresses stellten zwei Experten klar, mit welchen Methoden sich diagnostische Zweifel überwinden lassen und welche Verfahren helfen, ein schärfer umgrenztes Bild von eventuell weniger scharf umgrenzten verdächtigen Läsionen zu gewinnen.
Pro Exzision: im Zweifel gegen den Angeklagten
«If you doubt – cut it out», legte Prof. Dr. med. Rudolf Herbst, Erfurt, dem Auditorium nahe. Der Leiter des dortigen Hauttumorzentrums formulierte seine Take-Home-Message zur Exzision dysplastischer Nävi schon zu Beginn seines Vortrags und erklärte nachfolgend, wie sich die Diagnostik objektiv gestalten und von Zweifeln möglichst weitgehend befreien lässt.
Die Selbstuntersuchung sei die erste Massnahme zur Sekundärprävention von Hautkrebs gemäss der Leitlinie zur «Prävention von Hautkrebs» von 2021, die aktuell durch die herausgebenden deutschen Fachgesellschaften überarbeitet werde. Diesem ersten Schritt solle eine ärztliche Ganzkörperuntersuchung folgen. Wobei allerdings schon der Begriff Ganzkörper von Kolleginnen und Kollegen unterschiedlich ausgelegt werde, konstatierte Herbst.
Unklar sei laut der Leitlinie (noch), inwiefern sich die Expertise in der Dermatologie von jener in der Primärversorgung unterscheide. Forschende seien 2020 in einer Metaanalyse jedoch zu dem Schluss gelangt, dass die «number needed to excise» (NNE), um ein malignes Melanom (MM) zu identifizieren, bei Dermatologinnen und Dermatologen dann am niedrigsten ausfällt, wenn diese Fachleute bezüglich pigmentierter Läsionen geschult sind. Ungeschulte schnitten etwas schlechter ab, seien jedoch Primärversorgenden noch immer überlegen.1
In Fällen, in denen aufgrund des Screenings der Verdacht auf ein malignes Melanom bestehe, sei zur Abklärung leitliniengemäss die Dermatoskopie die zu präferierende Technik. Algorithmen und Atlanten könnten die Bewertung unterstützen. Im Zweifel sei das Einholen einer Zweitmeinung hilfreich. In Deutschland werde auf diese Möglichkeit bei gesetzlich Krankenversicherten (mit ungünstig zu operierender Lokalisation) häufiger zurückgegriffen als bei Privatversicherten.
Wenn sich der Verdacht tatsächlich erhärtet
Die Histopathologie bewertete Herbst als Goldstandard der Bestätigungsdiagnostik für Fälle, in denen sich der Verdacht auf Malignität erhärtet hat. Würden melanom-typische Muster oder Strukturen erkennbar, sei die Exzisionsbiopsie klinisch atypischer Nävi indiziert.2 Im histopathologischen Befund sollten der WHO-Tumortyp und ein histopathologisches Staging entsprechend der gültigen TNM-Klassifikation gemäss der Union for International Cancer Control (UICC) aufgeführt werden.
Als problematisch beurteilte Herbst, dass es bisher keine konsistente Klassifikation für dysplastische Nävi gebe. Die WHO-Kriterien von 1992 und 2018 unterschieden sich von jenen der Duke University3 und auch von den 2023 revidierten MPATH(Melanocytic Pathology Assessment Tool and Hierarchy for Diagnosis)-Dx-Kriterien aus den USA. Sie sehen eine Klassifikation von 0 bis IV vor und geben Progressions- und Metastasierungsrisiken an.4
Neben der Diagnose- variiert auch die Exzisionsqualität je nach Expertise der Behandelnden, zeigte Herbst an einer skandinavischen Studie.5 So exzidierten primärversorgende Ärztinnen und Ärzte zu fast 45% nondysplastische Nävi, Kolleginnen und Kollegen aus Dermatologie und Chirurgie dagegen nur zu je rund 20%, und zwar mit deutlich grösseren Sicherheitsabständen.
Die gute Nachricht sei, dass trotz aller Unsicherheiten Nachexzisionen zumindest bei histologisch mild und moderat dysplastischen Nävi in der Regel nicht erforderlich seien.
Contra Exzision: Das Melanomrisiko ist am höchsten außerhalb der Nävi
«Exzision nur bei Melanomverdacht, aber nicht prophylaktisch!», so fasste Prof. Dr. med. Axel Hauschild, Kiel, seine grundsätzliche Haltung zusammen. Anders als in Kliniken seien Menschen, die eine Praxis aufsuchen, nicht vorausgewählt. Man kenne also die Person und ihre Umstände zunächst einmal nicht. Zudem stelle sich die Frage, wie oft im Praxisalltag tatsächlich ein konkreter Melanomverdacht besteht.
Zunächst müsse man sich bewusst sein, dass die Dermatoskopie dem Auge überlegen sei. Die Sensitivität liege bei 87% vs. 69% (+18%), die Spezifität bei 91% vs. 88% (+3%), wie eine Metaanalyse über 9 Studien zu melanozytären Nävi und malignen Melanomen gezeigt habe.6
Wie problematisch eine prophylaktische Exzision unter diesen Voraussetzungen wäre, schilderte Hauschild folgendermassen: Wenn er in seiner Praxis eine Spezifität von 91% erreiche, bedeutete dies, dass er von 10 begutachteten Läsionen 9 als gutartig einstufen und 1 aufgrund eines Melanomverdachts herausschneiden würde. «Dann hätte ich einen ganz, ganz schlechten Schnitt», erklärte Hauschild. Er sehe in seiner Praxis täglich 30 Patientinnen und Patienten mit durchschnittlich 100 Läsionen zum Hautkrebs-Screening, also 3000 Läsionen pro Tag. Das sei auch darauf zurückzuführen, dass 50–70% der Patientinnen und Patienten in seiner Praxis an einem Syndrom atypischer Nävi litten, mit Hunderten von Nävi und multiplen Melanomen in der Vorgeschichte. Bei 2 Praxistagen pro Woche und inzwischen 30 Berufsjahren summiere sich dies für ihn auf 7,5 Millionen begutachtete Nävi. Würde er 10% exzidiert haben, wären dies 750000 Nävi. Tatsächlich seien es sehr viel weniger, weil er ausschliesslich die Videoauflichtmikroskopie verwende und nichts herausschneide, was keinen Melanomverdacht habe.
Die Videoauflichtmikroskopie sei der Goldstandard und unerlässlich für die Erkennung von Hauttumoren, die Auflichtmikroskopie der Minimalstandard. Die Geräte zur Videoauflichtmikroskopie arbeiteten inzwischen sehr oft mit künstlicher Intelligenz (KI). Durch eine Kontrolle nicht sicher unauffälliger Läsionen nach 3 Monaten lasse sich eine Exzision ganz überwiegend vermeiden. Diese Verlaufsbeobachtung sei in der niedergelassenen Praxis «ungemein effizient».
Das potenzielle Transformationsrisiko ist keine Exzisionsindikation
Die blosse Möglichkeit, dass atypische dysplastische Nävi eine Transformation zum Melanom durchlaufen, solle nicht der Grund für eine Exzision sein, forderte Hauschild. Letztlich verweise die Einordnung «atypisch» klinisch nur darauf, dass ein Nävus anders aussieht, als er eigentlich sollte, nämlich homogen pigmentiert, scharf begrenzt und damit harmlos. Die Transformationswahrscheinlichkeit liege für einen solchen atypischen Nävus bei 1:35000, sei also «extrem gering».7 Er sei ein Marker für ein Melanomrisiko, nicht jedoch der Vorläufer. Passend dazu spräche die Evidenz in der Fachliteratur nicht dafür, dass aus inkomplett exzidierten histologisch dysplastischen Nävuszellnävi (NZN) Melanome entstanden seien: Eine Studie mit einer im Mittel 17-jährigen Nachbeobachtungsdauer habe gezeigt, dass dies bei keinem von 115 beobachteten Patientinnen und Patienten der Fall gewesen sei, deren Nävi mit einem Shave versorgt und inkomplett exzidiert worden waren.8
Von einer prophylaktischen Abtragung der Haut, einer «Entnävisierung» bei Melanomrisikofaktoren, riet Hauschild ab, und zwar weil das Entartungsrisiko eben gering und das Melanomrisiko am höchsten ausserhalb der Nävi sei. Zudem sei das Monitoring auch mit digitaler Auflichtmikroskopie und Ganzkörperfotografie möglich.9–11
Nicht haltbar sei ausserdem, dass kongenitale Nävi an Akren und (anderen) mechanisch belasteten Arealen wegen der möglichen Entartung entfernt werden müssten. Auch hier wisse man, dass das Entartungsrisiko normaler kongenitaler Nävi, die nicht riesengross sind (>20cm), dem normaler erworbener Nävi entspricht.12
Nur Nävi mit klarem MM-Verdacht müssten sofort exzidiert werden, NZN mit Atypien ohne MM-Verdacht jedoch nicht. Um der eigenen Besorgnis zu begegnen, könne man seine persönliche NNE analysieren. Die American Academy of Dermatology fordere ein Verhältnis von 1 MM-Diagnose zu 10 NZN-Exzisionen, die australische Fachgesellschaft 1:7.13
Schwedische Daten, die sich mit jenen des deutschen Hautkrebs-Screenings deckten, zeigten jedoch, dass die NNE in der Gruppe der bis 20-Jährigen bei 1:160 liege. Auch in der Altersklasse der 20- bis 30-Jährigen sei die Rate mit rund 1:60 inakzeptabel. Möglicherweise seien das Sicherheitsbedürfnis in der Ärzteschaft und die Angst vor einem Melanom in diesen jungen Kohorten besonders hoch, vermutete Hauschild.14
Selten exzidieren und nichts übersehen – realistisch?
Dieses Ziel, also eine Sensitivität von 100%, lasse sich nicht erreichen, räumte Hauschild ein. Dennoch könnten Ärztinnen und Ärzte sehr gute Ergebnisse erzielen, wenn ihre Kenntnisse in der Dermatoskopie exzellent seien und sie Videoauflichtmikroskopie und Verlaufsbeobachtung einsetzten. Letztlich müsse man jedoch die eigene Fehlbarkeit anerkennen und den Mut haben, nicht bei jedem unguten Bauchgefühl die Läsion zu exzidieren. Hege man selbst Zweifel oder seien Betroffene unsicher, dann könne die Verlaufskontrolle zum Ziel führen.
Für die Zukunft erhofft und erwartet Hauschild, dass die Präzision in der Diagnostik mittels apparativer Zusatzuntersuchungen und durch Nutzung von KI-Algorithmen deutlich steigen werde – und die Zweifel sinken werden.
Quelle:
«Exzision dysplastischer Nävi und die Number Needed to treat», Vorträge von Prof. Dr. med. Rudolf Herbst, Erfurt, und Prof. Dr. med. Axel Hauschild, Kiel, im Rahmen einer Pro-Contra-Diskussion anlässlich des 34. Deutschen Hautkrebskongresses am 27. September 2024 in Würzburg
Literatur:
1 Petty AJ et al.: J Am Acad Dermatol 202; 82(5): 1158-65 2 Spaccarelli N et al.: J Am Acad Dermatol 2023; 88(1): 13-20 3 Drozdowski R et al.: J Am Acad Dermatol 2023; 88(1): 1-10 4 Barnhill RL et al.: A Consensus Statement. JAMA Netw Open 2023; 6(1): e2250613 5 Berglund S et al.: Acta Derm Venerol 2021; 101(3): adv00421 6 Vestergaard ME et al.: Br J Dermatol 2008; 159(3): 669-76 7 Tsao H et al.: Arch Dermatol 2003; 139(3): 282-8 8 Hocker TL et al.: J Am Acad Dermatol 2013; 68(4): 545-51 9 Brod C et al.: J Dtsch Dermatol Ges 2009; 7(9): 773-5 10 Assaf C et al.: J Dtsch Dermatol Ges 2007; 5(8): 662-8 11 Zalaudek I et al.: J Dtsch Dermatol Ges 2010; 8(4): 279-80 12 Krengel S et al.: Br J Dermatol 2006; 155(1): 1-8 13 Sidhu S et al.: Clin Exp Dermatol 2012; 37(1): 6-9 14 Ahnlide I et al.: Acta Derm Venerol 2014; 94(6): 683-6
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